Lokaljournalismus: der Wasserstand

Screenshot der IVW-Tabelle für die Westfalenpost/WR Meschede/Brilon (oben) und die WP Brilon (unten)

Nach der großen Krise der Lokalzeitungen (u.a. Schließung der Westfälischen Rundschau, Entlassungen von Journalist*innen und Redakteur*innen) habe ich regelmäßig die Verkaufs- und Abo-Zahlen unserer Lokalzeitung verfolgt.

Alle drei Monate werden bei der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) auch die Zahlen für die Westfalenpost veröffentlicht.

Im Laufe der Jahre hat sich einiges verändert. Weitere Lokalredaktionen (Warstein) schlossen, Geschäftsstellen verschwanden und auch die Website der IVW selbst veränderte sich.

Ich habe gestern seit längerem wieder nachgeschaut, ob sich der jahrelange Abwärtstrend der Westfalenpost fortgesetzt hat oder ob sich die Veränderungen im medialen Auftreten, dazu weiter unten, positiv bemerkbar machen.

Zuerst ein paar subjektive Beobachtungen.

Die gedruckte Zeitung findet sich kaum noch in öffentlichen Räumen wie beispielsweise Cafés. Eine Ausnahme sind die Bibliotheken. Ich kann mich wochenlang durch das Sauerland bewegen, ohne von einem einzigen WP-Titel behelligt zu werden.

Digital ist die Westfalenpost zu einer verschlossenen Auster geworden. Artikel im Internet sind konsequent hinter einer Bezahlschranke. Früher gab es noch den ein oder anderen Trick, um die Artikel trotzdem zu lesen, aber die Progranmmierer*innen der Funkemediengruppe haben im Laufe der Zeit alle Schotten dicht gemacht.

Damit potentielle Leser*innen die Bezahlschranke durchschreiten, besteht die Website der Westfalenpost aus einer Anhäufung von „Click-Bait“-Titeln, die häufig mehr versprechen als sie dann tatsächlich halten. Die Muster wären: „Morgen geht die Welt unter. Vier Dinge die Sie jetzt noch wissen müssen“ oder „Verkehrskollaps in Winterberg. Jetzt redet der Bürgermeister Klartext:“

Die marktschreierische Website spiegelt allerdings die Druckausgabe nicht wider. Die Papier-WP ist immer noch so bieder wie vor 5, 10 oder 20 Jahren.

Dass es auch anders geht, zeigt übrigens die HNA. Guckt da mal rein und vergleicht.

Als alter Bibliotheksjunkie habe ich Ausweise für drei öffentliche Bibliotheken. Dort habe ich von zu Hause aus Zugriff auf viele Zeitungen und Zeitschriften. Süddeutsche, taz, FAZ …

Ratet mal, welche Zeitung nicht vertreten ist?

Noch eine letzte Beobachtung? Die Todesanzeigen, also die Goldgrube der Lokalzeitungen, erscheinen mehr und mehr in der kostenlosen Werbezeitung Sauerlandkurier. Da sind sie erstens preiswerter und werden zweitens in jeden (!) Briefkasten geworfen. Auch ein Nachteil der verschlossenen Auster.

Habe ich schon die Zahlen gespoilert? Die kann man/frau/mensch für Meschede/Brilon und getrennt noch einmal für Brilon auf dem Screenshot sehen.

Die Abonnent*innenzahlen sind für Meschede/Brilon im Zeitraum vom vierten Quartal 2021 bis zum vierten Quartal 2024 von 19.178 auf 15.024 gefallen, darin sind die ePaper enthalten.

Da die Redaktionen Brilon und Meschede erst seit kurzer Zeit getrennt ausgewiesen werden, hier noch die Abo-Zahlen für Brilon: von IV/23 bis IV/24 sanken die Abos von 8.245 auf 7.644, ein Verlust von 601 innerhalb eines Jahres.

Warum interessiert mich das eigentlich? Kurzfassung: Es gibt einen Zusammenhang zwischen einem funktionierenden Lokaljournalismus und einer guten Demokratie.

Der Platz den die verschlossene Auster Westfalenpost geräumt hat, wird von anderen Medien eingenommen. Das können Verschwörungsgruppen auf Telegram oder Empörungsräume bei Meta sein. Wenn es gedruckt sein soll, sind es die Bildzeitung gegen Geld und die Reklamezeitung für umme, und das was die Nachbarn sagen. Die kennen nämlich bestimmt jemanden, der jemanden kennt, die jemanden kennt, die aus dem Rathaus gehört hat … Fakt oder stille Post?

4 Gedanken zu „Lokaljournalismus: der Wasserstand“

  1. Da sollte ich mir vielleicht auch mal wieder einen Bibliotheksausweis zulegen (wobei ich guten Journalismus absolut unterstützenswert finde und deswegen auch Print-Abos habe).
    Ein Tipp von mir ist die App iKiosk für iPhone und iPad. Dort sind viele Tageszeitungen und Magazine im ePaper-Format z.T. deutlich günstiger als am Kiosk. Manche kosten genausoviel, andere sind aber auch teuer. Bei letzteren tun sich besonders hervor… genau: die Erzeugnisse der Funke Mediengruppe. Die WP etwa kostet im iKiosk 49 ct. mehr als am analogen Kiosk.

    1. @babette
      Mir ist die Strategie der Westfalenpost bzw. der Funkemediengruppe völlig unverständlich.

      Ansonsten haben wir ebenfalls noch Print-, aber auch Digitalabos von Zeitungen bzw. Portalen, die es uns wert sind.

      Ein Nachtrag: Ich bin auch nach Jahren noch unglaublich sauer, dass der ÖRR seine journalistischen Produkte nach einer gewissen Zeit depublizieren muss. Dies wurde u.a. durch den Druck der privaten Verlegerschaft erzwungen. Damit geht Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr ein Stück mit unseren Rundfunkgebühren produzierter Journalismus für die Öffentlichkeit verloren.

      Ich würde bspw. gerne noch einmal die beiden WDR 5 Veranstaltungen im Oversum Winterberg zu Klimawandel und Skitourismus nachhören.

      Wenn ich es richtig sehe, sind beide Sendungen inzwischen depubliziert. ist die Sendung mit Carsten Schwanke inzwischen depubliziert, die zweite Sendung ist noch bis 2026 zu hören:

      https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-stadtgespraech/audio-stadtgespraech-aus-winterberg-das-klima-im-wandel-100.html

  2. Kurze Anmerkung zum Thema:

    In Arnsberg-Niedereimer ist es am 23.01.25 zu einem größeren Rohrbruch an der Hauptwasserleitung gekommen. Nicht schön, aber sowas passiert. Die Stadtwerke Arnsberg informierten zu diesem Sachverhalt via
    https://www.stadtwerke-arnsberg.de/news/details/niedereimer-rohrbruch/

    Die Westfalenpost (Lokalausgabe Arnsberg) verkauft das Ereignis unter Rohrbruch in Arnsberg: Nachbarschaft von Friedrich Merz ohne Wasser

    https://www.wp.de/lokales/arnsberg/article408146189/rohrbruch-in-arnsberg-nachbarschaft-von-friedrich-merz-ohne-wasser.html

    Sorry … – wenn selbst ein Rohrbruch vom „CDU-Parteiorgan“ Westfalenpost genutzt wird, um den Namen Friedrich Merz prominent zu platzieren, ist der Trend von Zeitung in Richtung Blättchen eindeutig!

  3. die westfalenpost ist rettungslos verloren. das gilt für das sterben durch sinkende auflage im printbereich und den kompletten verfall journalistischer standards im online-bereich. letzteren habe ich noch im abo, werde mich da aber auch bald abmelden müssen. selbst erlebt habe ich diesen verfall an einem beispiel. ein stadtbekannter, sehr rechter hotelbetreiber aus bigge untersagte den grünen in seinem etablissement zu nächtigen oder zu speisen. die wp berichtete darüber, so als sei so ein verhalten völlig normal. weder wurde ein statement der gegenseite eingeholt, noch abgewogen, wie ein solches verhalten zu bewerten sei. dem stadtbekannten rechten petrolhead und hotelbesitzer wurde breitester raum eingeräumt um seine rechte suppe auszukübeln. darüber habe ich mich bei der wp-redaktion beschwert und bekam sogar antwort von einem richtigen redakteur – eher eine seltenheit, glaube ich. er meinte zu seine verteidigung, eine stellungnahme der grünen sei nachträglich eingefügt worden. nützt nur nix, weil viele den artikel vorher gelesen hatten. zu meinem einwurf, warum so jemandem überhaupt platz in der wp gegeben werde, sagte er, man müsse ja berichten, tue das aber nicht gern in diesem fall. danach berichtete die BILD-Zeitung groß über diesen fall. woraufhin die wp mit stolz geschwellter brust online und vermutlich auch im print, den nächsten groß-artikel veröffentlichte, mit dem tenor: man habe ja diesen fall zuerst entdeckt und darüber berichtet. ihre berichterstattung über die lokale afd spricht ebenfalls bände und trägt zur nomalisierung dieser faschisten bei. wer bei facebook der wp folgt und die kommentare unter ihren artikeln liest, weiß, an welche zielgruppe diese „berichterstattung“ gerichtet ist. nach herrn suckerbergs rechtsschwenk kann ich die kommentare allerdings nicht mehr lesen. konto gelöscht.

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