Der sogenannte „Brandbrief“ der NRW-Bürgermeister: Unüberlegte Formulierungen

wordlefluechtlinge20151022215 (von 396) Bürgermeistern aus NRW haben einen Brief zur aktuellen Flüchtlingssituation an die Bundeskanzlerin geschrieben, mit anhängendem Forderungskatalog.

(Der Artikel ist heute zuerst in ähnlicher Form auf der Website der Sauerländer Bürgerliste erschienen.)

Übrigens sind es eigentlich nur 214 Bürgermeister, denn für Hemer und Verl hat dieselbe Person ihre eingescannte Unterschrift an die Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes geschickt, obwohl Herr E. normalerweise zu einem Zeitpunkt nur Bürgermeister in einer Stadt sein kann.

Die Texte sind hier nachzulesen:

http://www.rp-online.de/polopoly_fs/brief-1.5486460.1445422593!file/brief.pdf

http://www.rp-online.de/polopoly_fs/forderungen-1.5486468.1445422902!file/2015-10-19_FluechtlingskriseForderungskatalog_Anlage.pdf

Nun ist es ja gut verständlich, dass sich Bürgermeister Gedanken über die Situation in den Städten und Gemeinden machen; das ist ihre Aufgabe. Es darf aber bezweifelt werden, ob die von der Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes erdachten Formulierungen wirklich alle gut überlegt sind.

Einige Auszüge aus den beiden Texten:

Brief:
“Die am 15.10.2015 vom Bundestag verabschiedeten Regelungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.”
“… sind über die in dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beschlossenen Maßnahmen noch weitere Schritte notwendig. Von daher möchte wir Sie bitten, die in dem als Anlage beigefügten Forderungskatalog aufgelisteten Maßnahmen umzusetzen.”

Forderungskatalog:
“Der Bund muss … Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten an der deutschen Außengrenze abweisen. Dazu sind die bestehenden Grenzkontrollen auszuweiten und zu intensivieren.”
“Das Asylverfahrensrecht für Flüchtlinge aus sog. sicheren Herkunftsländern muss geändert werden. Die Flüchtlinge aus diesen Ländern dürfen nicht mehr einreisen …”
“… setzt zwingend voraus, dass der Zustrom nach Europa Obergrenzen kennt, die im Rahmen von jährlichen Kontingenten durch die EU festgelegt werden.”
“Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern, die ebenfalls von der EU festzulegen sind, werden in diesen Hot-Spots untergebracht und in kurzer Zeit nach einem negativen Bescheid in ihre Herkunftsländer zurückgeführt.”

Dazu einige persönliche Anmerkungen:

  1. Integrationspaten mit intensiven Kontakten zu Flüchtlingen aus dem Westbalkan haben Probleme zu glauben, dass z.B. der Kosovo pauschal als “sicheres Herkunftsland” gelten kann! Nicht ohne Grund ist z.B. die Bundeswehr als “Kosovo Force” (KFOR) dort seit 16 Jahren präsent und versucht bisher vergeblich für stabile Verhältnisse zu sorgen. Roma und Frauen werden verfolgt, das Land versinkt im Korruptionssumpf, und es gibt weder ein funktionierendes Rechtssystem noch ein funktionierendes Gesundheitssystem.
  2. Die Erfahrungen der letzten Monate belegen deutlich, dass z.B. Ungarn keineswegs als “sicherer Drittstaat” gelten kann. Zahlreiche Verwaltungsgerichte haben wegen der menschenverachtenden Zustände in diesem Land in den letzten Wochen Abschiebungen nach Ungarn für nicht durchführbar erklärt; sogar die Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende hat Züge mit Flüchtlingen aus Ungarn nach Deutschland durchfahren lassen.
  3. Und ist es wirklich ein “Schritt in die richtige Richtung”, dass Flüchtlinge aus dem Westbalkan, die zum Teil schon seit Jahren hier sind und gut Deutsch sprechen, aufgrund des “Asylkompromisses” nun für mindestens 24 Monate in den Kosovo zurück sollen, bevor sie hier (vielleicht) wieder arbeiten dürfen?
  4. Und wollen wir wirklich ca. 3.757 km “deutscher Außengrenze” (durch Zaun, Mauer, Stacheldraht, bewaffnete Grenzpolizei mit Schießbefehl, oder wie?) so abriegeln, dass die Einreise gesetzlich unerwünschter Flüchtlinge verhindert wird? Das wäre aber erforderlich, um Flüchtlinge, die aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten oder über angeblich sichere Drittstaaten zu uns kommen, an den Grenzen wirklich zurückhalten zu können, unter Aushöhlung des Grundrechtes auf Asyl.

Die Konsequenz:
Was die Bürgermeister hier unterschrieben haben, bedeutet – bei allem verständlichen Eifer der Stadtoberhäupter – eine andere, hermetisch abgeriegelte Republik. Wollen wir so etwas in Deutschland wieder einführen (auch wenn das Bollwerk dieses Mal nach außen zeigen würde)?

3 Gedanken zu „Der sogenannte „Brandbrief“ der NRW-Bürgermeister: Unüberlegte Formulierungen“

  1. Was die Bürgermeister hier unterschrieben haben, bedeutet – bei allem verständlichen Eifer der Stadtoberhäupter – eine andere, hermetisch abgeriegelte Republik.

    Win-Win Szenario…?

    Transitzonen – Lösung für Energiewende und Flüchtlingskrise?
    http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/quer/151022-quer-thema-transitzonen-100.html

    „Praktisch denken, Särge schenken ???“

    „Mein BM“ hat nicht unterschrieben … – bin nicht unbedingt ein „Vogel“-Freund; allerdings hat der Herr – wenn’s drauf ankommt _ einen geraden Rücken.

  2. Nach dem „Brandbrief“ der Landräte nun eine „Brand-PM“?:

    http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-meschede-eslohe-bestwig-und-schmallenberg/hsk-sieht-seine-grenzen-aufgezeigt-id11237179.html

    Dazu gebe es viel zu sagen. Aber erst mal „nur“ das:

    „…. Die Abschiebung muss das Ausländeramt des Kreises selbst durchführen – ehemalige Polizisten übernehmen die Fahrten zum Flughafen. Bei allen Fällen handelt es sich um Menschen, die sich seit mehreren Jahren im HSK aufgehalten haben. ….“

    Wenn ich so etwas lese, kommen bei mir ganz beklemmende Gefühle hoch. Wie viele Familien und Leben wurden und werden durch diesen „hoheitlichen Akt“ kaputt gemacht? Die Formulierung „.. sich seit mehreren Jahren in ..“ kann bedeuten, dass die Menschen über 2 Jahrzehnte in D und nur in D lebten und leben und hier Familien gegründet haben. Es werden sogar Menschen abgeschoben, die als Kleinkinder nach D kamen und/oder hier geboren, aufgewachsen und gut integriert sind, zur Schule gehen und Arbeits- und/oder Ausbildungsplätze haben! Bei allem Verständnis für die Behörden, ich finde, DAS GEHT GAR NICHT!

    Und ich hoffe, Ministerpräsidentin Kraft setzt ihr Versprechen „keine Abschiebung ohne Ankündigung“ konsequent durch!
    Wenigstens das ….

    Wenn ich mir vorstelle, wie eine junge Frau mit ihren 3 kleinen Kindern und ihren allernötigsten Habeseligkeiten in Pristina aus dem Flugzeug geschmissen wird und nicht weiß WOHIN ….

Kommentare sind geschlossen.