Aus welchem Grund verschweigt die Süddeutsche Zeitung die Rolle der Blogs und anderer Websites bei der Diskussion um Köhlers Äußerungen?
Auf dem Frühstückstisch liegt die heutige Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Die erste Seite macht groß mit „Horst Köhler tritt zurück“ auf.
In diesem Artikel heißt es unter anderem über die Reaktionen auf das Interview von Horst Köhler am 21. Mai, welches im Deutschlandfunk und Deutschlandradio in Ausschnitten am 22. Mai gesendet wurde:
„Das Interview war mehrere Tage unbeachtet geblieben, hatte dann aber heftige Reaktionen ausgelöst.“
Wenn die Süddeutsche Zeitung bei Sinnen ist, muss ihr klar sein, dass dieser Satz nicht stimmt.
Die Diskussionen im Netz, auf den Websites und in den Blogs, gingen fast unmittelbar los. Siehe dazu die Chronik hier und meinen eigenen Beitrag einen Tag nach dem Interview.
In einem weiteren Artikel „Eine verhängnisvolle Aufnahme“ auf Seite 5, der sich ausdrücklich mit der Rezeption des Interviews beschäftigt, werden die neuen Medien ebenfalls verschwiegen. Hier schreibt der Autor Daniel Brössler:
„Erst nach Hörerprotesten reagierten Politiker und Medien …“ und „Nicht Parteien und Politologen reagierten alarmiert, sondern die Hörer.“
Liebe Süddeutsche Zeitung, ich weiß nicht, ob ich Deine Darstellung schon „Lüge“ nennen darf, aber es ist eine schwerwiegende Fehlleistung und ich frage mich, ob Du auch bei anderen Themen so vorgehst. Wie lange kann ich Dich noch abonnieren? Kann ich Dir noch glauben oder trauen?
Ich möchte morgen am Frühstückstisch eine Darstellung lesen, die der Wirklichkeit nahe kommt.
Ist doch klar: Für die Totholzmedien sind die Blogs die Konkurrenz, die zudem deutlich besser auf die Zukunft vorbereitet ist als die Zeitungsverlage selbst. Die kann man nicht pushen.
Ich glaube nicht, dass es einfach Holz gegen Blog ist, aber das ist eine andere Diskussion. Was mich wundert: Falls die SZ die Entstehung der Diskussion aus Unkenntnis zwangsläufig verschwiegen hat, wäre das Inkompetenz. Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Falls sie die Geschichte absichtlich ausgeblendet hat, wäre das ein Politikum. Falls sie weiterhin gemeint hat, damit durchzukommen, wäre das Dummheit, nicht nur, weil Blogs inzwischen eine gewisse Medien-Macht besitzen, sondern auch wegen der Konkurrenz der Großen untereinander. Irgendwann würde immer jemand vorpreschen und ausbrechen, um „die Story“ zu bringen und sie nicht den anderen zu überlassen.
Heute mittag gibt es dann doch einen Bericht bei der Online-SZ:
http://www.sueddeutsche.de/digital/ruecktritt-des-bundespraesidenten-koehler-der-schubs-des-blogosphaere-1.952716
Heute morgen erscheint in der rechten Randspalte auf Seite 5 der SZ eine tendenziöse, verkürzende Darstellung von Johannes Boie. Titel: Die Macht der Hörer. Erst nach Bürgerprotesten recherchierten die Medien. Boie schafft und versucht es meiner Meinung nach nicht, den Ablauf im Netz nachvollziehbar zu erklären.
Der Artikel ist anscheinend noch nicht online.