Vor einigen Jahren reiste ich mit einer Freundin durch Frankreich. In einer kleinen Ortschaft, deren Namen ich vergessen habe, pausierten wir und besuchten die örtliche Kirche.
An den Wänden hängen mehrere Marienbilder. Maria hält ihr Jesuskind auf dem Arm, ihre linke Brust ist entblößt. Ihre nackte Brust nutzt sie jedoch nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, um ihr Kind zu stillen. Nein, Maria sendet einen weißen Strahl in Richtung des auf dem Boden knienden ebenfalls weißen Herrn. Der Strahl zielt direkt auf den Mund des mit Bischofsstab und Heiligenschein dargestellten Mannes.
In der kleinen französischen Kirche hängen mehrere Darstellungen dieser Art. Sie lassen uns schmunzeln. Einen laserähnlichen Strahl zu erzeugen ist anatomisch unmöglich. Doch dies ficht den Maler offensichtlich nicht an. Er wird sich wohl gedacht haben, dass diejenige, die auf wundersame Weise ein Kind empfängt auch einen strichförmigen Milchstrahl erzeugen kann.
Nun zum Nutznießer der jungfräulichen Milch: Voller Verzückung kniet der Empfänger, blickt auf zur angebeteten Maria. Was er in diesem Moment wohl denken mag, wir vermögen es nur zu ahnen. Reine religiöse Ehrerbietung? Na klar. Wollust? Nein, auf keinen Fall.
Maria dominiert das Bild, sitzt oberhalb von dem Heiligen und blickt hinab. Sie ist dem Himmel näher als der Erde. Und sie bedient sie alle: Das Kind, den Verehrer. Sie ist Jungfrau, Mutter, Dienerin und dabei so unendlich rein und unbefleckt.
Welche lebende, reale Frau kann dieser Maria das Wasser reichen? Trägt ein derart entrücktes und verzücktes Frauenbild nicht schnell zur Verachtung der Frauen auf Erden bei?
Um die rhetorische Frage am Schluss des Artikels kurz zu beantworten: JA.
Das ist ja gerade der Grund für die Existenz des Marienkults.
@ Chris Klein
was könnte der Künstler mit dieser Darstellung gemeint haben?
Vielleicht hilft dir bei der Suche nach der Antwort die Perspektive des Atheisten Pier Paolo Pasolini:
http://de.wikipedia.org/wiki/Das_1._Evangelium_–_Matthäus#Hintergrund
In dem in Schwarz-Weiß gedrehten Film [„Il Vangelo secondo Matteo“] zeichnet Pasolini das Leben des Jesus von Nazaret, wortgetreu auf dem Matthäus-Evangelium der Bibel basierend nach. Er stellt Jesus, anders als dies in zahlreichen zeitgenössischen vergleichbaren Werken geschah, als realistische und menschliche Figur dar. Das Werk überrascht durch die kompromisslose Umsetzung der biblischen Vorlage, ohne zusätzlich erdachte Personen, Handlungsstränge oder Dialoge, die nicht in der Bibel überliefert sind. Angesichts Pasolinis Homosexualität und seiner kommunistischen und atheistischen Überzeugungen hat dies sowohl in katholischen wie in linken Kreisen Verwunderung hervorgerufen. Er selbst sagte in einem Interview: „Das Evangelium stellte mich vor folgendes Problem: Ich konnte es nicht wie eine klassische Geschichte erzählen, weil ich nicht glaube, sondern Atheist bin. (…) Um das Evangelium erzählen zu können, musste ich mich daher in die Seele eines Gläubigen versenken. Das ist die indirekte freie Rede („le discours indirect libre“): einerseits ist die Handlung durch meine eigenen Augen gesehen, andererseits durch die Augen eines Gläubigen.“