Wilhelm Busch, Plisch und Plum, Kapitel 5:
Kurz die Hose, lang der Rock,
Krumm die Nase und der Stock,
Augen schwarz und Seele grau,
Hut nach hinten, Miene schlau –
So ist Schmulchen Schievelbeiner.
(Schöner ist doch unsereiner!)
So schreibt und zeichnet Wilhelm Busch, dessen Zeichnungen ich für zwei Artikel hier und hier im Blog verwendet habe.
Wilhelm Busch ein Antisemit? Ich weiß es (noch) nicht, weil mir diese Geschichte erst gestern Abend unter die Augen gekommen ist.
Alles kalter Kaffee!“ mag die Fachwelt hier rufen, „ist doch schon alles lange bekannt und x-mal durchgekaut!“
Das habe ich dann auch gemerkt als ich ein wenig in der Literatur gestöbert habe. Ich aber hatte bisher von Buschs Zeichnungen, Gedichten und Prosa außerhalb des Max und Moritz Genres keine Kenntnis genommen. Einmal ist eben immer das erste Mal.
Darum nutze ich jetzt diesen Eintrag nicht, um die Wissenden zu erleuchten, sondern um den Ignoranten – wie ich es einer bin – etwas zum Nachdenken zu geben.
Ich zitiere zum Einstieg aus einem Interview von Philipp Gessler(taz) mit Professor Julius Schoeps:
… Was macht den Antisemitismus so hartnäckig?
Er ist, wie gesagt, Bestandteil dieser Kultur. Antisemitische Bilder werden vererbt – nicht genetisch, aber über die Kultur, über die Familie, über die Sprache. Etwa bei Wilhelm Busch: „Kurz die Hose, lang der Rock, / krumm die Nase und der Stock, / Augen schwarz und Seele grau, / Hut nach hinten, Miene schlau -/ So ist Schmulchen Schievelbeiner. / (Schöner ist doch unsereiner).“
Das ist klassischer Antisemitismus. So was kann man in Fibeln lesen. Das prägt Bewusstsein, und vielleicht sogar das Handeln der Menschen. Das soll man nicht unterschätzen. Mein Problem ist: Soll man das ändern? Kann man etwa die antisemitischen Passagen bei Wilhelm Busch streichen? … das ganze Interview hier
Wilhelm Busch hat mit Zeichnungen und Wort dazu beigetragen, das stereotype Bild vom „Juden“, wie es auch die Nazis verwendet haben, ins kollektive Gedächtnis der Deutschen, aber auch anderer Gruppen und Nationalitäten zu brennen.
Soll ich jetzt meine Busch-Bücher wegschmeißen? Hierzu der Herausgeber Robert Gernhardt im Jahr 2003 (Die orthografischen Fehler im Original habe ich belassen):
Lässt der auf Antisemitismus schließen? Doch was kennzeichnet den?
Ries legt die Latte sehr hoch: „Zu einem Antisemitismus, der den Begriff erfüllt, gehört konsequente Judengegnerschaft, ja ein Judenhass, eine Gesinnung mithin, die auf Herabwürdigung, Diffamierung, Entrechtung, Verfolgung, die bis zum Pogrom zielt.
Davon kann bei Busch nicht im Mindesten die Rede sein.“ Letzterem stimmt Golo Mann zu, zugleich aber senkt er die Latte.
Ein „arger Antisemit“ sei Busch nicht gewesen: „Natürlich war er es ein klein bisschen, wie zu seiner Zeit alle Deutschen und alle Franzosen auch.“ Zu guter Letzt aber führt Golo Mann noch einmal eine schlichte Tatsache ins Feld: „In seinen Erfolgswerken kommen die Juden nicht überdurchschnittlich oft vor, sondern unterdurchschnittlich selten.“ Genau gesagt: Dreimal in zwanzig Jahren ungezählter komischer Bilder, witziger Bilderbögen und bissiger Bildergeschichten, in welchen Busch unzählige seiner Figuren, die von ihm so bezeichneten „Papierhanseln“, in unsägliche Katastrophen getrieben hat – ein richtiger Antisemit hätte reichlich Juden darunter gemischt. Und das wären mit Sicherheit keine Opfer wie Schievelbeiner gewesen, sondern Täter.
Also wie nun: War er einer, der Busch? War er es ein bisschen? Gar nicht? Das Gerich zieht sich zur Beratung zurück. Der ganze Beitrag hier.
„Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück“
Hat es in der Zwischenzeit ein Urteil gegeben? Ich weiß es (noch) nicht.
Zweimal habe ich jetzt versucht, dazu folgenden Kommentar abzugeben:
Schmulchen Schievelbeiner ist genau so ein Typ wie Rektor Debisch, Mister Pief, Malermeister Quast oder Schneider Boeck. Tendenzschreibe ist ein ganz anderes Tierchen. Man lese zum Beispiel Pater Filucius und vergleiche die schwaerzliche Gestalt, die Knopp davonschleichen sieht, und verstehe, was Busch mit Koerperschaften anstellt, die er nicht leiden kann. Man lese das Napoleonspiel und Monsieur Jacques und sehe, wie er sich mit ungeliebten Voelkerschaften auseinandersetzt. Und dann vergleiche man den Geburtstag, wo eine Busch missliebige politische Einstellung durch den Pisspott gezogen wird, aber auch andere Typen eines Dorfes vorgestellt werden, von dem doch niemand sagen kann, dass Busch der ganze Stamm verhasst gewesen waere.
Immer nur fleissig WB lesen!
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Ich kenne Busch seit frueher Kindheit (vor 50 Jahren in Hamm, da steigt man nicht aus, da steigt man nur um), nicht in Auszuegen, sondern einigermassen vollstaendig, stellenweise auswendig. Den unsinnigen Antisemitismusvorwurf kenne ich auch schon seit Urzeiten.
Sonnig gruesst aus dem fernen Suedosten, wo die Feige reift und der Falke am Finken sich vergreift und der Jude Zwiebeln knabbert, …
„und der Jud mit krummer Ferse
krummer Nas und krummer Hos
schlaengelt sich zur hohen Boerse
tiefverderbt und seelenlos“
(aus Die Fromme Helene)
Aber WB verspottete die Juden genauso wie die Frommen, die Pilgersleut, die Spiesser, Kinder, Neger, Saeufer, Pfaffen, Hndwerker, Bauern, Raben, Affen, Witwen usw. usw. usw. also ungefaehr alles was einer freundlich-juckenden Ironie dienlich sein kann. Und das oft nicht ganz zu Unrecht. Getan hat er aber keinem was, geschweige niemanden ermuntert anderen was anzutun. (Wagner uebrigens auch nicht)
Nun, auch als Schüttelreim-Autor hat’s eins da schwer.
http://verben.texttheater.net/forum/index.php?topic=239.msg57109#msg57109
Siehe vor allem auch http://verben.texttheater.net/Max_und_Moritz_in_Schüttelversen