Beim Lesen getroffen: Arbeitszombies

Geht es euch auch manchmal, öfter oder selten so, dass ihr beim Lesen eines Buches plötzlich auf eine Stelle trefft, die ohne Umweg direkt in der Magengrube wirkt?

Bei einem Abschnitt aus Juli Zehs Roman „Unterleuten“ ist mir genau das kurz vor dem Einschlafen passiert, und mir gingen die Sätze auch in den nächsten Tagen nicht aus dem Kopf.

Jetzt schreibe ich sie einfach auf:

„Die jungen Leute von heute besaßen erstaunliche Talente. Zum Beispiel ungeheure Effizienz bei vollständiger Abwesenheit von Humor. Einem wie Pilz ging es nicht mehr ums gute Leben, es ging nicht einmal um Geld. Was diese Generation antrieb, war der unbedingte Wunsch, alles richtig zu machen. Keine Fehler zu begehen und dadurch unangreifbar zu werden. Das kapitalistische System pflanzte einen Angstkern in die Seelen seiner Kinder, die sich im Laufe ihres Lebens mit immer neuen Schichten aus Leistungsbereitschaft panzerten. Heraus kamen Arbeitszombies, die keine Angst davor hatten, von einem Dorfmob aufgemischt zu werden. Was waren ein paar gebrochene Rippen gegen den Horror, die Erwartungen der Firma nicht zu erfüllen?“

In den Tagen „danach“, also nach dem Lesen, bin ich durch mein Leben gewandelt und habe die Zombies gesucht. Menschen die ihre Seelen mit Schichten von Leistungsbereitschaft panzern.

Habe ich sie gefunden? Das verrate ich nicht. Die Zeilen von Juli Zeh verfolgen mich auch heute Abend noch.

„Armes Würstchen, dachte Arne, hielt aber den Mund.“

Prosa und Dichtung. Verdichtung. Eine ganze Generation? Horror.

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Juli Zeh, Unterleuten, München 2016, Kapitel 10 „Seidel“, Lizenzausgabe Büchergilde S. 151f.