Historische Kommission aufgelöst – verliert die SPD ihr Gedächtnis?

Fahne und politische Lage verwickelt: das Willy-Brandt-Haus in Lübeck (archivfoto: zoom)

Die Erinnerung an das eigene historische Erbe sei für die SPD zum Ballast geworden, die Genossen sollten allerdings nicht vergessen, wie tief ihre Gegenwart und Zukunft in der Vergangenheit wurzeln, kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 6. August diesen Jahres.

Der Vorsitzende der Historischen Kommission der SPD, Bernd Faulenbach, attestierte im Deutschlandfunk den jüngeren Politikern im Parteivorstand, nur „im Heute“ zu leben und damit die Kurzatmigkeit der Politik zu befördern.

Als ich im Sommer, zuerst in den sozialen Medien, las, dass die SPD ihre historische Kommission auflöse, habe ich das für einen Witz gehalten, Fake News, Lügenpropaganda, um der ehemals „stolzen Arbeiterpartei“ auf dem Sterbebett der Meinungsumfragen, Wahlergebnisse und Profillosigkeit den Todesstoß zu versetzen.

Die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand (HiKo) fungiere seit 1982 als geschichtspolitisches und traditionsbewahrendes Gremium des SPD-Parteivorstandes, heißt es bei Wikipedia. Ende Juli 2018 habe der SPD-Vorstand angekündigt, die Arbeit der Historischen Kommission und weiterer Gesprächsforen aus Kostengründen einzustellen.

Geld gegen Geschichte?

Es gab da wohl noch ein anderes Problem: Die „HiKo“ sei zuletzt ein personell methusalemisiertes und unproduktives Gremium gewesen, dessen gelegentliche Publikationen in der Partei zuweilen als „interner Mumpitz“ bezeichnet wurden, so die FAZ.

Mein erster ketzerischer Gedanke: Eigentlich wäre die „HiKo“ damit doch nur ein Spiegelbild der gesamten Partei: personell methusalemisiert und in weiten Teilen unproduktiv.

Mein zweiter ketzerischer Gedanke: Eigentlich sollte die SPD ihr sklerotisiertes historisches Gedächtnis erneuern, so wie sie sich selbst als Partei erneuern müsste.

Was macht die SPD statt dessen?

Abschaffen, und das ist kein gutes Zeichen für die Partei.

Andererseits könnte man argumentieren, dass, wenn sich das Gremium überlebt hätte, die Zerschlagung der „Hiko“ als schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne gelten könne, wenn denn etwas Neues an die Stelle der alten Historischen Kommission träte.

Was ist das Neue?

In der SPD-Zeitung „vorwärts“ schreibt Chefredakteurin Karin Nink:

„Der SPD-Vorstand reformiert die Parteiarbeit: Beauftragte sind für einzelne Themen zuständig. Ein Beauftragter für historische Fragen ersetzt die Historische Kommission. Der SPD-Parteivorstand wird künftig zur Unterstützung der inhaltlichen Erneuerung der Partei verstärkt auf Beauftragte des Parteivorstandes zurückgreifen. Das beschloss der PV in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause. Beauftragter für die Bundeswehr ist Thomas Hitschler, für Migration und Integration Aydan Özoguz, für Demokratie und Vielfalt Sawsa Chebli, für Mitttelstandspolitik Harald Christ, für Bildung Oliver ­Kaczmarek und für historische Fra­gen SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan“ [Hervorhebung von mir].

Weiter:

„Kritik gab es dabei nur an der Beendigung der Historischen Kommission. Ihr Ende bedeutet aber nicht, dass die historische Arbeit der SPD an Bedeutung verliert oder der geschichtspolitische Diskurs gar ein­gestellt wird. „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sozialdemokratie wird in vielen Zusammenhängen weitergeführt. Die historische Arbeit bleibt für die SPD ein wichtiger Kompass für Politik im Hier und Jetzt“, betont ­SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.“

Ein Schatzmeister für die Geschichte der SPD? Was qualifiziert Dietmar Nietan?

Wikipedia:

„Dietmar Nietan besuchte 1970 bis 1974 die Martin-Luther-Grundschule und 1974 bis 1983 das Burgau-Gymnasium Düren. Nach dem Abitur leistete er 16 Monate lang bis 1985 Zivildienst in der Pflege im St.-Augustinus-Krankenhaus in Düren-Lendersdorf. Danach studierte er Biologie und Sozialwissenschaften an der Universität Köln, ohne das Studium abzuschließen. Erste Berufserfahrung sammelte er als Wahlkreismitarbeiter des damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Josef Vosen. Aus dieser Position heraus zog er 1998 in den Deutschen Bundestag ein.“

Ein Berufspolitiker ohne Studienabschluss, anscheinend unbeleckt von Geschichte, ersetzt die Historische Kommission. Das nenne ich mal schöpferische Zerstörung. Aber vielleicht wird ein Geschichtsstudium auch überbewertet.