AfD will Schülerinnen und Schüler als Spitzel und Denunzianten missbrauchen – eine alte Masche

Deutsch: „Löwenmaul“ am Dogenpalast, dort konnte man anonyme Denunziationen einwerfen. Der italienische Text lautet übersetzt: „Geheime Denunziationen gegen diejenigen, die Gefallen und Pflichten verheimlichen oder sich im Geheimen absprechen, um deren wahren Gewinn zu verbergen“ (foto: Berthold Werner [1])
Mehrere Tages- und Wochenzeitungen berichten von bundesweiten Versuchen der AfD, SchülerInnen als Spitzel gegen ihre LehrerInnen zu gewinnen.

Zeit-Online meldet, dass die Hamburger AfD SchülerInnen und Eltern dazu aufrufe, linke Lehrkräfte auf einer Website zu denunzieren. Auch die Berliner AfD wolle sich, so der Tagesspiegel, der Hamburger Partei anschließen.

„Mutmaßliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot können uns anonym über das folgende Kontaktformular oder über eine Nachricht an die unten angegebene E-Mail-Adresse gemeldet werden“, heißt es bei der AfD Hamburg. Der Spiegel kommentiert: „Kinder und Jugendliche sollen ihre Lehrer bei der AfD anschwärzen.“

Die AfD, so der Spiegel weiter, wende eine alte Masche von Extremisten an: Sie konstruiere ein Problem, ohne nachzuweisen, dass dieses Problem existiere – und biete sich selbst als Problemlöser an: „Zunächst werden Allgemeinplätze formuliert, denen jeder zustimmen kann – Unterricht soll politisch neutral sein, wer würde dem widersprechen? Dann wird so getan, als würde immer wieder gegen diese Regel verstoßen und niemand schenke den Opfern dieser Regelverstöße Gehör – in diesem Fall angeblich politisch indoktrinierten Schülern. Auftritt AfD: Meldet Euch bei uns! Gemeinsam sorgen wir für Gerechtigkeit und stellen die Ordnung wieder her.“

Wer – wie die Hamburgische AfD-Fraktion – zu anonymen Meldungen aufrufe, so die Zeit, habe kein aufrichtiges Interesse an Klärung, sondern wolle den Lehrkräften, die eine AfD-ablehnende Haltung artikulieren, einen Maulkorb verpassen. Wenn die AfD sich aber an Verstößen gegen die „Verpflichtung zur politischen Neutralität“ und gegen den Beutelsbacher Konsens reibe, offenbare sie überdies, dass sie die Aufgaben der Politiklehrer und -lehrerinnen falsch verstehe.

Der Beutelsbacher Konsens ist neben dem Grundgesetz eine wichtige Richtschnur und Verpflichtung der Politiklehrerinnen und Lehrer:

„[Er] ist das Ergebnis einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zusammen mit Politikdidaktikern unterschiedlicher parteipolitischer oder konfessioneller Herkunft im Herbst 1976 in Beutelsbach. Der Konsens legt die Grundsätze für die politische Bildung fest.“

„Der Konsens legt drei Prinzipien für den Politikunterricht fest.

Überwältigungsverbot

Gemäß dem Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot) dürfen Lehrende Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen Schüler in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Dies ist der Zielsetzung der politischen Bildung geschuldet, die Schüler zu mündigen Bürgern heranzubilden.

Kontroversität

Das Gebot der Kontroversität (auch: Gegensätzlichkeit) zielt ebenfalls darauf ab, den Schülern freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren können, wenn es in der Wissenschaft oder Politik kontrovers erscheint[1]. Seine eigene Meinung und seine politischen wie theoretischen Standpunkte sind dabei für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden. Beim Kontroversitätsgebot handelt es sich allerdings nicht um ein Neutralitätsgebot für die Lehrkraft.

Schülerorientierung

Das Prinzip Schülerorientierung soll den Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und seine eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen sowie „nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.““

Lehrkräfte sind darüber hinaus verpflichtet, das Grundgesetz zu verteidigen.

Die Zeit nennt folgendes Beispiel:

Lehrerinnen und Lehrer sollen grundgesetzwidrige und demokratiegefährdende Entwicklungen erkennen und dürfen diese auch im Klassenzimmer benennen. Auch für die Schule gelte: Wer Alexander Gaulands Bemerkung, die zwölf Jahre Nazizeit seien nur ein „Vogelschiss“ in der 1.000-jährigen Geschichte Deutschlands, unwidersprochen lasse, bahne völlig abwegigen Geschichtsdeutungen den Weg.

Wenn AfD-Politiker den Mord an sechs Millionen Juden und 50 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg relativierten, dürften Lehrkräfte das nicht nur im Unterricht kommentieren, sondern müssten es sogar tun, um der ahistorischen Relativierung oder möglicherweise gar der strafrechtlich relevanten Leugnung des Holocaust zu begegnen.

Lehrkräften müsse es also erlaubt sein, gegen Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen von Björn Höcke, Beatrix von Storch und André Poggenburg Stellung zu beziehen. Wer den Einsatz von Schusswaffen gegen Geflüchtete an der Grenze erwäge (von Storch), das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichne (Höcke) oder die hier lebenden Türken als „Kameltreiber“ diffamiere (Poggenburg), bewege sich längst nicht mehr auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundwerte.

Die AfD verfolge, so der Spiegel, mit ihrer populistischen Strategie nicht die Interessen von Schülern, sondern ihre eigenen. Sie eröffne eine Scheindebatte, mit der sie sich Aufmerksamkeit verschaffe, inszeniere sich als Retter gesellschaftlicher Werte – und erzeuge gleichzeitig Druck, um in den Schulen Kritik an den eigenen Positionen zu verhindern. Also im Kern das zu verhindern, was sie ausdrücklich selbst einfordere: freie Meinungsäußerung im Unterricht.

Niemand dürfe darauf hereinfallen – weder Schüler, Eltern, Lehrer, noch irgendjemand sonst.

Was also tun?

Die Zeit:
„Um der AfD mit ihrer von Demokratiefeindlichkeit, Demagogie und Denunziation geprägten Politik entgegenzutreten, sind mehr denn je in der bundesrepublikanischen Geschichte Lehrkräfte gefragt, die sich vom Aufruf der AfD zur Denunziation nicht abschrecken lassen – und den Kampf um die Köpfe der Kinder im Klassenzimmer nicht denen überlassen, die historische und politische Fakten verzerren und das gesellschaftliche Klima vergiften. Es ist höchste Zeit, dass sich die Hüterinnen und Hüter der Demokratie auf den Weg machen. Andernfalls läuft sie davon.“

Der Spiegel:
„Es bleibt nur, den Lehrern in Deutschland den Rücken zu stärken und sie zu ermutigen, noch mehr als bisher politische Themen im Unterricht kontrovers zu diskutieren. Denn: Lehrer sind nicht nur zur Neutralität verpflichtet, sie müssen auch für die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Landes eintreten. Ihr Auftrag ist es, Kinder im Geiste der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Gleichberechtigung zu erziehen. Sie müssen dabei gegen Menschenverachtung und Rassismus Position beziehen.“

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[1] Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Venedig_BW_1.JPG