Heute erschien ein sehr informativer und bewegender Kommentar in unserem Blog. Damit möglichst noch mehr Menschen vom Schicksal der Roma und Ashkali im Sauerland erfahren, veröffentlichen wir ihn nachfolgend als eigenständigen Artikel. Eingestreut sind Teile der Dokumentation „Die Abschieber“ aus dem Jahr 2005. Unbedingt sehenswert!
„Schon seit Jahrzehnten sind vielen Meschederinnen und Meschedern „Die Freunde der Völkerbegegnung“ (FdV) ein Begriff. Sie verbinden mit dem Verein Gedanken und Erinnerungen an Reisen in Partnerstädte z.B. in England, Frankreich und den USA , internationale Feste und Begegnungsabende. Der Name ist Programm – Die Freunde der Völkerbegegnung möchten Menschen aus anderen Ländern vorurteilslos begegnen, sie kennen und verstehen lernen.
Kontakte knüpfte der FdV aber auch zu Menschen mit nicht deutschen Wurzeln, die unter uns in Meschede leben, wie beispielsweise zu Mitgliedern der portugiesischen Gemeinde in Meschede. Und das Stammlokal der „Freunde“ ist ein griechisches mit dem geschichtsträchtigen Namen „Zum Pulverturm“. Die Vorstandsmitglieder treffen sich da ab und an und planen die nächsten Aktivitäten. Aus aktuellem Anlass wurde die Vorstandssitzung Anfang Oktober 2009 einem bestimmten Thema gewidmet – dem „Ende der Bleiberechtsregelung“.
Ende der Bleiberechtsregelung? Was bedeutet das?
Wer kann das besser erläutern, als ein Betroffener?! Mit Spannung und Interesse hörten die FdVer die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, der im Alter von 6 Jahren mit seiner Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien flüchten musste. Wir erinnern uns, es herrschte dort Bürgerkrieg.
Gehört man der ethnischen Minderheit der Volksgruppe Ashkali an, wie der jetzt 25jährige Gast der Freunde der Völkerbegegnung, war man damals in dieser Region noch stärker bedroht und gefährdet als die anderen Jugoslawen.
Ashkali? – Im Internet findet sich folgende Info:
„Bei den Ashkali / Aschkali handelt es sich um eine ethnische Minderheit im Kosovo. Sie sprechen die albanische Sprache. Eine Vielzahl glaubt, dass ihre Vorfahren in der Zeit Alexander des Großen aus Ägypten den Kosovo kamen und dort die ersten Bewohner waren. Andere wiederum sind der Überzeugung, sie seien während der Osmanischen Herrschaft aus der Türkei zugewandert.
und
Die Ashkali befinden sich derzeit im Kosovo ebenso wie die Roma und Kosovo-Ägypter in einer “bedrohlichen†Situation. Sie leben oft im “Verborgenen†unter der albanischen Bevölkerung. Würde man sie als Ashkali “erkennenâ€, würden sie vertrieben werden.“
Der junge Mann berichtete weiter von seinen Erlebnissen in Deutschland. Die Familie kam zunächst nach Steinfurt und fristete ihr Leben in einer großen Turnhalle, zusammen mit Menschen aus 10 verschiedenen Nationen. Nach 6 Monaten wurde sie für weitere 6 Monate in einer alten Schule untergebracht. „Deutschland war damals überfordert mit den vielen Flüchtlingen“, meint er rückblickend. Praktische Hilfe und Unterstützung hätten sie damals weder behördlicherseits noch von Privatpersonen erfahren. „Es war für alle sehr schwierig.“ Dann hätte eine Gemeinde im Hochsauerland die Familie „übernehmen“ müssen. Eltern und drei Kindern wurde eine Einzimmerwohnung zugewiesen. Er selbst hätte im weiteren Lebensverlauf sehr viel Glück gehabt. Schulbesuch – eine hilfsbereite Sauerländerin unterstütze ihn beim Lernen – erfolgreicher Schulabschluss, Lehre, Arbeitstelle. Und das alles, obwohl er die ganzen Jahre hindurch nur eine sogenannte Duldung hatte.
Duldung? – Dazu steht im Internet:
„Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts “vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausreisepflichtigen Ausländern und stellt damit keinen Aufenthaltstitel dar. § 60a Aufenthaltsgesetz regelt, wer eine Duldung erhält. Die Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht für den genannten Zeitraum abgesehen wird. Mit der Duldung wird lediglich die rechtliche Situation eines Ausländers klargestellt, dessen gesetzliche vollziehbare Ausreisepflicht derzeit nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Der Aufenthalt eines Ausländers wird mit der Duldung keineswegs legalisiert. Ein Duldungsinhaber hält sich somit widerrechtlich im Bundesgebiet auf. An eine Duldung können Auflagen geknüpft werden. Die Duldung erlischt mit der Ausreise des Ausländers.“
1990 bis 2009 – So lange leben der junge Mann, seine Eltern und die mittlerweile vier Geschwister in Deutschland, davon 18 Jahre in der Gemeinde im Sauerland. Er und sein einige Jahre jüngerer Bruder sind in festen Arbeitsverhältnissen und haben zum Glück, nach langen Jahren der Duldung, eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Die anderen Familienmitglieder leben mit der bedrückenden Aussicht, Deutschland von heute auf morgen verlassen zu müssen.
Arbeitserlaubnis und Duldung – Duldung und Arbeitserlaubnis. Da beißt sich die Katze in den Schwanz; denn an eine Arbeitserlaubnis ist für Menschen, die unter die „Duldung“ fallen, kaum zu denken. Die Regel lautet: Ein frei werdender Arbeitsplatz wird erst mit einem Deutschen und, falls sich kein Deutscher findet, mit einem EU-Ausländer besetzt. Ab und an kann es kurzfristig eine zumeist schlecht bezahlte Arbeitsstelle geben. Das was man da verdient, reicht in der Regel nicht aus, die Kriterien des Gesetzes zum Erhalt des Bleiberechts zu erfüllen.
Die gesetzlichen Hürden für Asylbewerber sind sehr hoch. Nur wenige derer, die unter dieses Gesetz fallen, können bis Ende 2009, also bis zum Auslaufen der jetzigen Regelung, die für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland erforderliche Einkommenshöhe erreichen, zumal in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise. All diesen Menschen droht die Abschiebung!
Vater, Mutter und die beiden jüngsten Geschwister des 25jährigen würden dann in den Kosovo abgeschoben. Das bedeutet für Angehörige einer ethnischen Minderheit wie Roma und Ashkali eine besondere Härte und Gefahr.
Ein Blick in`s „www“ macht deutlich
„Die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International haben auf die ungebrochene Gefährdungssituation für Roma im Kosovo aufmerksam gemacht: Im Kosovo sei die Roma-Minderheit nach wie vor Gewaltakten ausgesetzt; die Behörden würden keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz der Minderheit und zur Aufklärung solcher Straftaten ergreifen.“
und
„Seit der einseitigen Anerkennung der Republik Kosovo durch einige NATO-Staaten im vergangenen Jahr laufen die Vorbereitungen für neue Massenabschiebungen in den Kosovo. Im November 2008 hat die UNMIK – die UN-Verwaltung des Kosovo – die Zuständigkeit für Rückführungsfragen an die neue kosovarische Regierung abgegeben. Und diese ist zur Aufnahme der Flüchtlinge in Europa bereit. Zehntausenden Roma und Ashkali steht die Abschiebung bevor. Den Abgeschobenen drohen im Kosovo massive soziale Ausgrenzung und ethnische Verfolgung. Übergriffe durch Polizei und albanische Nationalisten, systematische Benachteiligung durch die Behörden, fehlende Gesundheits- und Sozialversorgung bestimmen ihr Leben.“
Bisher waren Roma und Ashkali aus dem Kosovo auf Grund der besonderen Gefährdungslage durch zwischenstaatliche Übereinkommen vor Abschiebung geschützt. Seit Sommer 2009 gibt es aber ein Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Republik Kosovo. Medien berichten über eine bevorstehende Abschiebewelle. Pressemitteilungen zufolge startete bereits am 29.09.2009 ein „Abschiebeflugzeug“ von Düsseldorf aus nach Prishtina. Unter den an Bord befindlichen Kosovaren hätten sich 12 Roma befunden, davon 4 aus NRW.
Der Hochsauerlandkreis bestätigte am 29.09.2009 auf Anfrage, er beabsichtige nicht, in nächster Zeit Kosovo-Roma abzuschieben.
Wir können dem jungen Mann aus Ex-Jugoslawien nur wünschen, dass er sich auf diese Aussage verlassen kann!
Er stünde im Fall der Abschiebung seiner vier Familienangehörigen vor einem großen Gewissenskonflikt. Lässt er seine Eltern und die beiden jüngsten Geschwister allein in eine ungewisse Zukunft ziehen? Gibt er seine langjährige Arbeitsstelle auf und damit eine recht vielversprechende Lebensperspektive und geht mit in den Kosovo? Wird auch der andere Bruder Beruf und Festanstellung in Meschede aufgeben? Kann er es verantworten, die Mutter und den schwer kranken Vater, den jüngsten Bruder und die Schwester allein in das Land gehen lassen, in dem eine nahezu 100prozentige Arbeitslosigkeit herrscht und in dem sie als Minderheit verfolgt werden?
Das Resümee dieses Abends im gemütlichen griechischen Lokal:
Im Kosovo begegnen sich die Völker leider unter weitaus ungünstigeren Vorzeichen und Bedingungen als in Meschede!
Mein persönliches Resümee:
Viel Aufklärungsarbeit ist vonnöten. Wie schön wäre es, wenn die Presse dabei mithelfen würde!
Gabi“
Ein aktueller Beitrag des Magazins Westpol in dem der Hochsauerlandkreis eine (unrühmliche) Rolle spielt:
http://www.wdr.de/tv/westpol/sendungsbeitraege/2009/1025/abschiebeaerzte.jsp
Für alle Fälle auch „ausgeschrieben“:
Immer wieder schieben Ausländerbehörden Asylbewerber in ihre Heimatländer ab, obwohl sie nachweislich psychisch krank oder traumatisiert sind. Dabei greifen einige Behörden auf die Dienste von umstrittenen medizinischen Gutachtern zurück, um die Reisefähigkeit zu bescheinigen. Westpol hatte bereits vor einigen Monaten über diese Praxis berichtet. Jetzt sind wir auf einen neuen Fall im Hochsauerlandkreis gestoßen.
Ein Arzt hält ein Stethoskop hinter seinem Rücken fest; Rechte: mauritius
Umstrittene medizinische Gutachten
Ein Flüchtling soll abgeschoben werden, denn sein Asylantrag wurde abgelehnt. Doch was ist, wenn der Flüchling psychisch krank ist, traumatisiert etwa durch Gewalt und Verfolgung in seinem Heimatland? Wer überprüft, ob ein Asylbewerber gesund genug ist, um ausgewiesen zu werden? Im vergangenen Jahr Jahren hatte Westpol aufgedeckt, dass manche Ausländerbehörden mit der Überprüfung des Gesundheitszustands von psychisch kranken Flüchtlingen Mediziner beauftragt haben, die dafür nicht die nötige Qualifikation besitzen. Das Innenministerium hat daraufhin an alle Ausländerämter eine Liste verschickt, auf denen geeignete Mediziner aufgeführt sind. Verbindlich ist die Liste allerdings nicht. Unsere Recherchen haben zudem ergeben, dass sie kaum benutzt wird. Schon gar nicht im Hochsauerlandkreis, wo die Geschichte spielt, die wir Ihnen jetzt erzählen. Die Geschichte einer Abschiebung, offensichtlich um jeden Preis.
Normal ist nichts mehr
Die Bilder der Abschiebung bekommt er nicht aus dem Kopf. David Khudinyan ist so verzweifelt, dass er sich das Leben nehmen will. Während er in der Klinik wegen einer Psychose behandelt wird, versuchen seine Frau und ihre drei Söhne trotzdem einen normalen Alltag zu leben. Sakis lernt mit seinem kleinen Bruder Daniel, Johann übt sein Englisch. Doch normal ist nichts mehr. Seit diesem Tag im April. 20 Beamte stehen vor der Tür, haben das Haus umstellt. Um fünf Uhr morgens klingeln sie. „Sie sind reingekommen und haben gesagt: Setzt euch alle hin, hiermit werdet ihr abgeschoben.“
Die Gutachten sind umstritten
Video zum Beitrag
* WebTV Abschiebeärzte
webTV
Die Khudinyas werden zum Flughafen gefahren. Dort verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Vaters dramatisch. „Er hat so tief geatmet, viel Luft geholt, seine Augen waren verschwommen.“ Mit dem Notarzt kommt er ins Krankenhaus. Die Abschiebung wird abgebrochen. Vier Monate später. Ein Gutachter, der namentlich nicht genannt werden möchte, ist unterwegs in den Hochsauerlandkreis. Ziel ist Meschede. Er kommt aus Weinheim in Baden. Hier im Kreishaus soll der Psychiater den Gesundheitszustand von David Khudinyan feststellen. Dafür wird ein Büro der Ausländerbehörde zum Untersuchungszimmer umfunktioniert. Nur wenn David Khudinyan reisefähig ist, kann er auch abgeschoben werden. Nach zweieinhalb Stunden kommt er zu dem Schluss: David Khudinyan ist reisefähig, doch müsste die Rückführung ärztlich begleitet werden. In Fachkreisen sind seine Gutachten umstritten.
Das Ziel: die Rückführung der Flüchtlinge
Dr. Gierlichs ist Psychoanalytiker, kennt sich aus mit traumatischen Störungen bei Flüchtlingen. Seit Jahren verfolgt er die Gutachten des Psychiaters aus Baden, beobachtet die Fälle, für die er angefordert wird. „Ich habe den Eindruck, dass er von vorne herein mit sehr fest gefügten Vorstellungen an diese Untersuchung herangeht und mit dem Ziel, ein bestimmtes Ziel bei dem Gutachten zu erreichen. Welches Ergebnis? – die Rückführung des Flüchtlings in sein Heimatland.“
Widersprüchliche und fehlerhafte Gutachten
Psychiatrisches Gutachten; Rechte: WDR/Ohrndorf
Gutachten sind in Fachkreisen umstritten
Wollte der Gutachter gar nicht erkennen, wir krank David Khudinyan wirklich ist? Auch in anderen Abschiebeverfahren ist der Arzt bereits mit widersprüchlichen und fehlerhaften Gutachten aufgefallen. Das bestätigt sogar ein Gerichtsurteil aus Darmstadt. „(…) das Gericht (ist)… zu der Überzeugung gelangt, dass er nicht mit der gebotenen Unabhängigkeit an die Begutachtung … herangegangen ist.“ Wir fragen bei der Ausländerbehörde in Meschede nach, warum sie ausgerechnet diesen Gutachter einbestellt hat. Schriftlich teilt man uns mit, er sei Facharzt und als Gutachter stand er kurzfristig zur Verfügung. Dabei hätte die Ausländerbehörde nur einen Blick in die Liste der Ärztekammer werfen müssen, in der die Trauma-Spezialisten aus Nordrhein-Westfalen stehen. Sie wird sogar vom Innenminister empfohlen.
David Khudinyan ist suizidgefährdet
Zurück ins Hochsauerland. Mutter Melanie und die drei Söhne sind in die Landesklinik nach Hemer gefahren, um den Vater zu besuchen. David Khudinyan ist suizidgefährdet. Sein Zustand hat sie durch die drohende zweite Abschiebung dramatisch verschlechtert. „Ich sehe einfach die Angst, dass die Situation noch mal vorkommt und mein Vater sich das Leben nimmt – er sieht keine Hoffnung.“ Schon vier Mal hat er versucht, sich das Leben zu nehmen. Deshalb ist auch seine behandelnde Ärztin der Meinung, dass er unbedingt in Deutschland bleiben und hier behandelt werden muss.
Die Grünen sind verärgert
Die besondere Härte der Ausländerbehörde verfolgen die Grünen seit Jahren. Reiner Priggen ist verärgert, dass es schon wieder so weit gekommen ist: „Aus meiner Sicht hat der HSK natürlich eine Methode. Er versucht sich gerade der problematischen Fälle, wo Menschen gefoltert und schwer bedroht worden sind, zu entledigen, indem er einen Gutachter nimmt, von dem er weiß, was dabei rauskommt, und das Ergebnis schon vorgibt.“
Der Asylantrag ist abgelehnt
Ein Stempel mit der Aufschrift „Abschiebung“ über bedruckten Akten; Rechte: Newspixx/Ulrich Baumgarten
Umstrittene Abschiebefälle
Der Asylantrag ist abgelehnt, aufgrund des Gutachtens kann die Familie jederzeit ausgewiesen werden. Und wie geht es in Armenien weiter? Die medizinische Versorgung die er braucht – dort bekommt er sie nicht. Die Schlussfolgerung des Gutachters klingt zynisch: im Heimatland werde sich zeigen, ob David Khudinyan überlebt oder nicht. „Dieser Gutachter sollte in NRW nicht mehr tätig werden. Ganz klar sollte man nach den Listen gehen, die die Ärztekammer oder das Innenministerium anbietet und nicht sich jemanden nehmen, bei dem gerichtlich mehrfach fest gestellt wurde, dass seine Gutachten keine Substanz haben“, so Priggen.Trotzdem will das Innenministerium die Gutachterentscheidung weiterhin allein den Ausländerbehörden überlassen. Der Fall Khudinyan wird nicht der letzte umstrittene Abschiebefall bleiben.
Links
* WDRGerichtsbeschluss in umstrittenem Abschiebeverfahren. Bericht bei WDR.de
* WDRIntegration in Deutschland. Dossier bei WDR.de