Von der Zweistaatenlösung zur Schweiz im Nahen Osten. Ein Vortrag von Dr. Aref Hajjaj im Bürgerzentrum Alte Synagoge in Meschede

Am Montag, dem 11. November referierte Dr. Aref Hajjaj im Bürgerzentrum Alte Synagoge in Meschede zum Thema Zukunftsperspektiven für Frieden im Nahen Osten. Eingeladen hatte die Volkshochschule Hochsauerlandkreis unterstützt vom Mescheder Bündnis für Demokratie und Solidarität.
Dr. Aref Hajjaj, gebürtiger Palästinenser aus Jaffa mit deutscher und schweizerischer Staatsbürgerschaft, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Völkerrecht an der Universität Heidelberg und war im Deutschen Auswärtigen Amt sowie für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik tätig. Er arbeitet als Publizist und Journalist und ist regelmäßig als Nahost-Experte und Interviewpartner für deutsche und internationale Fernsehstationen gefragt.
In Bonn leitet Dr. Aref Hajjaj das Palästina(Filistin)-Forum: https://palaestina-forum.jimdosite.com/
Vor drei Jahren, am 1. Oktober 2022, war Dr. Aref Hajjaj schon einmal, damals zur Vorstellung seines Buchs „Heimatlos mit drei Heimaten. Prosatexte über das Anderssein“, im Bürgerzentrum Alte Synagoge Meschede zu Gast. Siehe: https://www.schiebener.net/wordpress/lesung-in-der-interkulturellen-woche-heimatlos-mit-drei-heimaten/
Den Weg zum Frieden sah der Referent am vergangenen Montag in einer Zweistaatenlösung, die dann eventuell in einen föderalen Staat, ähnlich der Schweiz, übergehen könne.
Das Scheitern aller vergangenen Friedensbemühungen sieht er verursacht durch einerseits den Messianismus Israels (Judaea, Samaria, statt Westbank) und den Heroismus (politischer Islam) der islamischen Seite.
Irgendwann müsse man dieses kriegerische Verhältnis beenden. Das Massaker vom 7. Oktober 2023 habe ihn entsetzt. Aber auch Gaza habe unermessliches Leid erfahren: 70.000 Tote, davon 20.000 Kinder, 260.000 Verwundete und Verstümmelte.
Er sei skeptisch, ob eine Feuerpause Bestand haben werde. Über einige Akzente des Trump-Plans sei er froh, obwohl dieser teilweise sehr schwammig sei. Warum, so fragte Dr. Hajjaj an diesem Abend, werden die Palästinenser von den Verhandlungen ausgeschlossen? Der Friedensplan von Trump sei insofern wie eine Hochzeit ohne Braut, mehr an Phantasie als an die Realität angelehnt.
Als künftigen Hoffnungsträger sieht Dr. Aref Hajjaj den in Israel zu mehrmaliger lebenslänglicher Haft verurteilten Fatah-Politiker Marwan Barghouti. Dieser sei in der Haft geläutert und könnte sich zu einem palästinensischen Nelson Mandela entwickeln.
Den Palästinensern müsse die Möglichkeit zu freien Wahlen gegeben werden. Die letzte demokratische Wahl habe 2006 stattgefunden. Die Hamas und die Fatah klammerten sich an die Macht. Freie Wahlen würden zeigen, dass es wesentlich mehr politische Optionen als die bisherigen palästinensischen Machthabe gebe. Die Menschen in Gaza seien ihrer überdrüssig.
Einen Frieden werde es solange nicht geben, wie die israelischen Siedler palästinensische Gebiete weiterhin illegal besetzt hielten. Diese Gebiete müssten geräumt werden.
Es gebe allerdings zwei Gruppen von Siedlern. Die sogenannten Wirtschaftssiedler machten etwas mehr als die Hälfte aus. Sie seien u.a. wegen der hohe Mieten mit ihren Familien aus den teuren israelischen Städten getrieben worden. Mit diesen Menschen, so Hajjaj, ließe sich verhandeln. Schwieriger sei der harte Teil der Siedler, der die „jüdische Bibel auf den Schultern tragen“ würde. Sie seien religiöse Fanatiker. Netanjahu stütze seine Politik auf diese Gruppen. Netanjahu sei wegen Korruption angeklagt. Sobald er seine Macht verliere. werde er vor Gericht und im Gefängnis landen: „Irgendwann wird er bestraft werden.“
In seinem Referat warf Dr. Aref Hajjaj Deutschland vor, seiner Staatsräson der unbedingten Solidarität mit Israel zu folgen. Obwohl es Terror auf beiden Seiten gebe, liefere Deutschland Waffen an Israel.
Hajjaj sagte weiterhin, dass es Argumente gebe, den Krieg Israels im Gaza-Streifen als Genozid zu bezeichnen. „Zählt das Menschenleben eines Juden mehr als das eines Palästinensers?“ fragte er gegen Ende seines Vortrags, um dann noch einmal die Optionen für einen Frieden im Nahen Osten zu benennen.
- Zweistaatenlösung als Übergang
- Räumung der durch die israelischen Siedler besetzten Gebiete
- langfristig: könföderierte Lösung, möglicherweise nach dem Vorbild der Schweiz
- danach: Einstaatlichkeit
In der anschließenden Diskussion wurde die Zwei- bzw. Einstaatenlösung genauer betrachtet. Dr. Aref Hajjaj hob auch hier wieder die Bedeutung von Wahlen für die Paästinenser hervor. Es gebe eben nicht nur die Hamas, sondern auch viele liberale und demokratische Strömungen und Einzelpersönlichkeiten, die erst durch Wahlen sichtbar werden könnten. Die Klammer für den Staat könnte eine praktikable Verfassung sein, mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten für alle.
Ein Zuhörer, der sich als Israeli und Jude vorstellte, meldete seine Zweifel am Friedenswillen der Palästinenser an: „Wir Israelis haben riesige Angst, wir haben am 7. Oktober die Palästinenser tanzen sehen.“ Die Gewalt von beiden Seiten müsse weg. Die Palästinenser müssten die Taten der Hamas eindeutig verurteilen.
Eine Zuhörerin aus dem kirchlichen Spektrum stellte kleine Projekte vor, bei denen bspw. in einer Schule palästinensische und jüdische Kinder gemeinsam lernten.
Für Dr. Aref Hajjaj spielten diese Projekte nur eine marginale Rolle. Sie hätten keine politische Bedeutung. Palästinensische Christen verließen in großer Zahl Palästina und auch die arabische Welt.
Für eine Friedenslösung sei konstruktiver Druck auf alle Seiten nötig. Der Trump-Plan sei einseitig. Trump sehe die Palästinenser nicht.
Nachtrag des Artikel-Autors:
Ich habe an diesem Abend viele Dinge notiert. Nicht alles habe ich hier untergebracht. Die Positionen von Dr. Aref Hajjaj lassen sich auf der Website des Bonner Palästina-Forums nachlesen.
Ich würde mir wünschen, dass von Seiten der VHS eine ähnliche Veranstaltung mit einem liberalen jüdischen Israeli / einer liberalen jüdischen Israelin geben würde. Ist das möglich oder würde es an den nötigen Sicherheitsmaßnahmen scheitern?