Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben

Angriff auf einen Teilnehmer des Rzeszów Equality-Marsches 2018. Bild: Silar/CC BY-SA 4.0

Ohne Befreiung aus der homophoben Angst kann die Weltkirche weder wahrhaftig noch gewaltfrei werden, Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 2)

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

In der Begründung zum vatikanischen Verbot des Segens über homosexuell Liebende wurde gezielt am „Fest der Kathedra Petri“ zum tausendsten Mal eine moraltheologische Ideologie reproduziert, die seit Jahrhunderten Grundlage einer blutigen Verfolgung von Lesben und Schwulen ist (siehe Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 1).

In Polen, Afrika, Teilen Amerikas und vielen weiteren Erdregionen ist der römisch-katholische Kirchenkomplex immer noch einer der Hauptakteure in jenen Bewegungen, die von Hass angetriebenen Verfolgern den Rücken stärken und Angst verbreiten.

Der Begründungsteil zum Anti-Segen-Responsum der obersten Glaubensbehörde wird von Theologietreibenden außerhalb der fundamentalistischen Institute nahezu einhellig als inakzeptabel beurteilt. Wenn man die umstrittenen Ausführungen nur ein wenig in Klartext übersetzt, erfüllen sie unter dem Maßstab der bürgerlichen Gesellschaft aber auch den Tatbestand der „Volksverhetzung“.

Hier wiederholt sich das ewige Drama, dass die Römische Kirche in der Wagenspur zutiefst falscher Axiome nicht nur stets dem weltlichen Menschenrechtsdiskurs hinterherhinkt, sondern mangels Umkehr zur Botschaft des Evangeliums unverdrossen Errungenschaften eines humanen Freiheitsringens sabotiert.

Der dogmatische Widerspruch

Geradezu zwanghaft festgehalten wird ein Wahngebilde, das die Kirche in einen eklatanten Widerspruch zu ihrer auf dem letzten Konzil in der Konstitution Lumen gentium vorgelegten Selbstdefinition versetzt. Die Diffamierung der homosexuellen Liebesbegabung als „Schöpfungsdefekt“ zementiert nämlich eine tiefgreifende Feindschaft zwischen einem nach eigenem Gutdünken förmlich festgesetzten „Schöpfer“ und allen Menschen, die mit ihrer Sexualität aus dem Raster der aristotelischen Naturrechtskonstruktion herausfallen. Dies ist das genaue Gegenteil des kirchlichen Anspruchs, „Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott“ zu sein.

Sabotiert wird in gleichem Atemzug die dogmatische Vision einer Kirche, die sich als ein Zeichen für die „Einheit der ganzen Menschheit“ erweist. Denn wenn alle Minderheiten, die ihre angeblich normwidrige Sexualität als Geschenk erfahren, zu Sündern gestempelt und aus der Gemeinschaft des Segens ausgeschlossen werden, agiert die Kirche als ein Zerstörungswerkzeug wider die „Einheit der ganzen Menschheit“. Die während des Ratzinger-Pontifikats vorgetragene Prognose, die Römische Kirche werde im dritten Jahrtausend in den großen Zivilisationsfragen „fortschrittlich“ sein, gleichzeitig aber in ihrem Inneren im fundamentalistischen Rückwärtsgang verbleiben und der Freiheit keine Heimatstatt gewähren, bleibt gruselig.

Denn wer durch seine oberste theologische Behörde ohne Diskurs gewalttätige und gewaltprovozierende Ideologien zur Sexualmoral über den ganzen Erdkreis verschickt, kann unmöglich gleichzeitig einem weltkirchlichen Friedensdienst nachkommen.

Die Anliegen der freiheitlichen Kirchenreformer (hier besonders: ein neues Ethos der Sexualität) und die zivilisatorischen Fragen der Weltkirche lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Nur wenn die Kirche nach innen Gewaltfreiheit und Wahrhaftigkeit einübt, kann sie in der Welt helfen, einer neuen Kultur der Gewaltfreiheit Wege zu bahnen.

Wenn ich nun im 1. Teil dieses Beitrags von einem freundlich verpackten „Theo-Stalinismus“ des Vatikans spreche (was mein Beichtvater für weniger glücklich hält), so ist dies in erster Linie systemisch zu verstehen. Ich kenne den Chef des Heiligen Officiums, das irriger Weise glaubt, eine Segenspastoral für Liebende unterbinden zu können, gar nicht. Vielleicht ist Kurienkardinal Luís F. Ladaria SJ, der uns auf Bildern so sympathisch anschaut, persönlich der liebenswürdigste Mensch von der ganzen Welt.

So oder so, es ist offenkundig, dass die Glaubenskongregation die mitunter sehr blutige Wirkungsgeschichte der von ihr jetzt neu aufgelegten Lehrmeinung und die Täterschaft ihrer eigenen Vorgänger-Institutionen verdrängt hat. Deshalb erscheint es notwendig, hier – auf der Grundlage vorliegender Arbeiten – wichtige Stationen der homophoben Kirchengeschichte, die mit so viel Leid, Tötungsakten und Suiziden verbunden ist, noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Die Bibel fordert eindeutig die Todesstrafe

Die Heilige Schrift, da haben die „bibeltreuen“ Fundamentalisten aller Konfessionen recht, fordert für bestimmte homosexuelle Praktiken eindeutig die Todesstrafe. Wer als Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, den soll man gemäß Heiligkeitsgesetz aus dem Volk mit der Axt herausbeilen und auf blutige Weise totmachen (Leveticus 18,22; 20,13). Jesus verliert über das Thema Homosexualität kein Sterbenswörtchen. Ihm geht es darum, Tote zum Leben zu erwecken, nicht Menschen tot zu machen.

Bei Paulus hingegen, der selbst über einen geheimnisvollen „Stachel“ im eigenen Fleisch klagt, ist das gleichgeschlechtliche Begehren geradezu Symptom und göttliche Strafe für die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf (Römer 1,25-27). Seine ganze Theologie kreist um die Erkenntnis, dass kein Mensch sein eigenes Gutgeheißensein durch die Erfüllung von Normen und Gesetzen erkaufen kann.

Allein die bedingungslose Annahme durch Gott, so übersetzt er Jesu Botschaft, ruft uns ins Leben. Der Römerbrief enthält nun die einzige möglicherweise bedeutsame Stelle des Neuen Testamentes zur Homosexualität. Auf der Grundlage moderner Anthropologie kann die Exegese heute nur sagen: Paulus versucht, mit dem Phänomen „homosexuelles Begehren“ das Zentrum seiner Verkündigung zu illustrieren.

Da der Apostel im Gegensatz zu uns von Homosexualität nur ganz oberflächlich etwas wissen konnte, muss sein Illustrationsversuch rückwirkend als rundherum missglückt betrachtet werden. Mit der Gnadenbotschaft vom rein geschenkten Leben sind die besagten Verse des Römerbriefes aus heutiger Sicht schier unvereinbar.

Kirchenväter-Konstrukte: „Schlimmer als Mörder und Tierbeischläfer“

Viel mehr als ein Sammelsurium von Kuriositäten gibt im Kontext der antiken Naturrechtsphilosophie auch die Lektüre der Kirchenväter nicht her. Clemens von Alexandrien lehnt den Verkehr unter Männern rigoros ab, denn das männliche Geschlecht sei von Natur aus nicht zur Aufnahme, sondern zur Ergießung des Samens bestimmt.

Lactantius hält homosexuelle Praxis für eine Erfindung des Teufels. Johannes Chrysostomos bewertet sie als den abscheulichsten aller Frevel, für den keine Höllenstrafe groß genug sein kann. Die widernatürlichen Männerbeischläfer seien schlimmer als Mörder. Ihre Begierden und ihr Leben seien satanisch bzw. diabolisch.

Für Augustinus wird die von Gott geschaffene Natur durch Homosexualität erniedrigt, wobei er es als besonders schändlich erachtet, dass Männer beim naturwidrigen Geschlechtsverkehr bisweilen eine „weibliche Rolle“ einnehmen. Sodomiten und ihre Dulder sollen bei jeder Gelegenheit streng bestraft werden. Bei Augustinus treffen wir auf die bis heute im klerikalen Männerbund geradezu konstitutive Symbiose von Frauenverachtung und Homophobie.

Im 11. Jahrhundert drängt besonders Petrus Damianus mit fanatischem Verfolgungseifer auf Maßnahmen wider die homosexuelle „Teufelsbeute“, die ihm gefährlicher erscheint als die „Tierbeischläfer“. Maßgeblich bis heute bleibt jedoch die aristotelisch inspirierte Naturrechtslehre des Thomas von Aquin (1225-1274).

Dieser Kirchenlehrer behandelt in seiner Summa die sexuellen „Sünden wider die Natur“ (Selbstbefriedigung, heterosexuellen Oral- und Analverkehr, gleichgeschlechtliche Handlungen). Diese seien die allerschlimmsten, denn durch sie werde Gott selbst in seiner Eigenschaft als Ordner der Natur beleidigt.

Die Konsequenzen dieser pseudo-biologistischen Anschauung, die auf einer restlos überholten Sexualwissenschaft fußt, sind fürchterlich. Heterosexuelle Vergehen wie Inzest oder Vergewaltigung, bei denen der „natürliche Fortpflanzungszweck“ gewahrt bleibt, sind am Ende weniger gravierend als einvernehmliche gleichgeschlechtliche Liebesakte oder Onanie. (Zu den Wortungetümen der Scholastik gehört die Rede von einem „vernunftgemäßen Gebrauch der Geschlechtsorgane“).

Die Ausweglosigkeiten eines solchen – jetzt im März 2021 wieder aufgewärmten – Systemdenkens blockieren bis heute die gesamte Sexualethik in der römisch-katholischen Kirche, betreffen also keineswegs bloß Schwule, Lesben oder Bisexuelle.

Thomas von Aquin folgte nicht dem Prolog des Johannes-Evangeliums, demzufolge Gott nicht eine Vielzahl von Katechismus-Lehren offenbart, sondern im Wesentlichen nur ein einziges Wort: das Wort des Lebens, welches jeden Menschen erleuchtet. Der Aquinat, dessen Doktrin noch immer eine neue Betrachtung der homosexuellen Liebe verhindert, soll angeblich ein gleichsam unfehlbarer Lehrer der Christenheit sein.

So befand etwa der aus Dortmund stammende Jesuit Joseph Kleutgen (1811-1883), ein Pionier der neuscholastischen Aristoteliker im Vatikan und Miterfinder der allgewaltigen päpstlichen Unfehlbarkeit (Dogma 1871). Persönlich war Kleutgen ein Lügner, ein zur zölibatären Lebensweise nicht befähigter Beichtvater, der das Sakrament zur Befriedigung seiner heterosexuellen Triebe missbrauchte, und zeitweilig sogar ein Exkommunizierter.

Wollte man mit diesem denkbar schlechten Vorbild den Thomas von Aquin beim Wort nehmen, dann sollte man auch konsequent sein. Der engelgleiche Kirchenlehrer des 13. Jahrhunderts meinte nämlich u.a., wenn schon Münzfälscher vom Staat hingerichtet würden, so müsse man erst recht Verfälscher der „wahren Glaubenslehre“ totmachen.

Was mit Gewissheit festzuhalten ist: Ein kirchlicher Lehrkomplex, der in der Geschichte für das mörderische Kriegshandwerk immer wieder die erwünschten Legitimationen beigebracht hat, während er gleichzeitig für die erotische Liebesbegegnung von zwei Männern ewige Höllenstrafen beschwor, kann schon in der Wurzel mit dem allein maßgeblichen Wegweiser Jesus von Nazareth nichts zu tun haben.

Vom Feuertod bis zu den Konzentrationslagern

In der nachkonstantinischen Staatskirche blieben die Ausführungen der Theologen zur Homosexualität keineswegs nur graue Theorie. Bereits im Jahr 390 beruft sich der christliche Kaiser Theodosius in einem Dekret auf das mosaische Gesetz und verfügt die Verbrennung von homosexuell praktizierenden Männern.

Der oströmische Kaiser Justinian stempelt unter Rückgriff auf die biblische Sodomgeschichte (Genesis 19,1-22) die Homosexuellen im 6. Jahrhundert zu Sündenböcken. Im Kontext von Katastrophen und Staatskrise wird über sie die Todesstrafe verhängt, um göttliches Strafgericht vom Volk abzuwenden.

Im fränkischen Reich sehen die gefälschten „Karolingischen Kapitulare“ des Benedictus Levita den Feuertod für Homosexuelle vor. Diese Strafform ist auch noch in der „Peinlichen Gerichtsordnung“ Karls V. (1532) vorgesehen. In den Zeiten des Teufels- und Hexenwahns dominiert ein satanisches Deutungsmodell der Homosexualität.

Die Todesstrafe für das Delikt gleichgeschlechtlicher Handlungen, die seit der Aufklärung zunehmend als unangemessen empfunden wird, hält man in manchen christlichen Ländern bis ins 19. Jahrhundert hinein bei.

Zur mörderischen Verfolgung unter den Faschisten schweigen die Kirchen später und verweigern aus Angst, die weite Verbreitung von Homosexualität vor allem im Ordensklerus könne noch weiter ins Licht der Öffentlichkeit rücken, den Opfern jegliche Hilfe. Wer als Katholik nach Verurteilung gemäß § 175 StGB im Konzentrationslager landet, verfällt nach dem damals gültigen Kirchenrecht zugleich dem kirchlichen Ehrverlust (infamia iuris). Für die gnadenlose, z.T. tödliche Polizeijagd auf Homosexuelle während der „katholischen Adenauer-Ära“ beruft man sich wiederum auf die Sittenlehre der Kirche.

Roms Feldzug gegen die Homosexualität

Die Kirche des II. Vaticanums (1962-1965) entdeckt wieder die Liebe als Zentrum menschlicher Sexualität, doch schon die Naturrechts-Enzyklika „Humanae Vitae“ (1968) zeigt auf tragische Weise, wie im Hintergrund konzilsfeindliche Kräfte den Lernprozess von Anfang an blockieren. Gleichwohl kommt es in Kirche und Theologie zu einem ganz neuen Umgang mit Homosexualität und homosexuell liebenden Menschen.

Erst unter dem Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger aus Bayern wird dieser Gesprächsweg dann abrupt abgebrochen. Wie eine Hysterie nimmt sich der ganze Komplex aus – eine Obsession, die ohne psychologische Modelle des Selbsthasses kaum verstehbar ist. Er reicht kontinuierlich vom Schreiben der Glaubenskongregation „über die Seelsorge für homosexuelle Personen“ (1986) bis hin zum Novum eines Priester-Berufsverbotes für alle homosexuellen Männer direkt nach dem Amtsantritt von Benedikt XVI., dessen – womöglich rückwirkende – Umsetzung heute noch immer in eine pastorale Katastrophe führen würde.

Die vor allem im Schreiben der Glaubenskongregation und im Weltkatechismus von 1993 dokumentierte kirchenamtliche Lehre lässt sich im Wesentlichen so zusammenfassen:

1) Die „spezifische Neigung der homosexuellen Person“ ist bereits „objektiv ungeordnet“, da sie der Tendenz nach auf ein sittlich schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. (1975 hatte eine Vatikanerklärung lediglich festgestellt, die homosexuelle Neigung sei „in sich nicht sündhaft“. Beim Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der inzwischen freilich radikal umgelernt hat, wurde es dann 2010 schon zur Sünde, „homosexuell zu sein“.)

2) Homosexuelle Handlungen „verstoßen gegen das natürliche Gesetz“, da sie die Fortpflanzung ausschließen, und sind ausnahmslos Sünde. Im Juli 2004 saß ich auf einer Podiumsveranstaltung der „HuK“ neben einem – zölibatären – Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie, der mir – wörtlich – die „fehlende biologische Leistungserbringung“ von Homosexuellen entgegenhalten wollte. Auch dieser – inzwischen leider verstorbene – Theologe wurde später ein engagierter Anwalt der homosexuell Liebenden und schrieb mir in einer E-Mail, wir seien ja nicht auf Erden, um auf alten Irrwegen zu trotten und nichts mehr vom Leben zu lernen.

3) Weiterhin verkündet das Römische Lehramt: Homosexuelle Menschen müssen ein Leben in vollständiger Enthaltsamkeit führen, sollen die daraus erwachsenden Schwierigkeiten „mit dem Kreuzesopfer des Herrn“ vereinen und werden zum häufigen Empfang des Beichtsakramentes angehalten. Von emanzipatorischen Gruppen haben sie sich fernzuhalten. Die sexuelle Identität soll im sozialen Leben nicht nach außen mitgeteilt werden.

Besonders peinlich für römisch-katholische Christen ist es, dass beide Vatikandokumente auf die wirkungsgeschichtlich so folgenreiche „Sodom-Geschichte“ (Genesis 19,1-21) verweisen. Welche Exegeten konsultiert man in Rom? Schon Jesus sah die Sünde der Männer Sodoms in der Verletzung des Gastrechtes (Matthäus 10,15). Ob die Gottesboten („Engel“), die sie vergewaltigen wollten, nun männlich oder weiblich waren, das sagt rein gar nichts aus über ihr schändliches Ansinnen.

Mitleid, Takt und „gerechte Diskriminierung“

Der Katechismus ermahnte nun ausdrücklich dazu, den „homosexuellen Personen“ „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“ und sie nicht „ungerecht zurückzusetzen“. Derweil unterbreitete die römische Kirchenleitung in Anweisungen an nationale Bischofskonferenzen und einem eigenen Schreiben (1992), welche gerechten Diskriminierungen von Homosexuellen sie für notwendig erachtete. Vor allem im Bereich der Arbeitsverhältnisse wurde ein kirchliches Sonderrecht beansprucht.

Als Frauen- und Männerpaare in Europa endlich Rechtssicherheit beim Eingehen fester Partnerschaftsformen erlangt hatten, sprach Kardinal Joseph Ratzinger wiederholt – mit großer Theatralik – von einem „Austritt aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit“ und einer gravierenden „Auflösung des Menschenbildes“.

Ein eigenes Dokument von 2003 bezeichnet gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften als „für die gesunde Entwicklung der menschlichen Gesellschaft schädlich“, wobei die Leser unwillkürlich an das unselige Konzept von „Volksgesundheit“ erinnert werden. Einen Bündnispartner beim Kampf gegen die „Homoehe“ fand Papst Benedikt XVI. in George Bush junior, dessen Angriffskriege und Folterpraxis er an keiner Stelle mit Klartext verurteilt hat.

In fast allen Kirchen der Reformation hat sich in nur wenigen Jahrzehnten eine neue Sicht der homosexuellen Liebe den Weg gebahnt, was auch ganz praktisch mit einer Beseitigung herkömmlicher Benachteiligungen einhergeht. Die Anglikaner haben Wege gefunden, trotz unterschiedlicher Anschauungen in einem Weltverbund zu bleiben.

Zusammen mit bibelfundamentalistischen Protestanten gehört die Vatikanische Glaubenskongregation in Europa zu den letzten Bastionen, die für sich das Un-Recht einer Verächtlichmachung und Diskriminierung homosexuell Liebender reklamieren.

Über Kardinal Alfonso López Trujillo, oder: „An ihren Früchten wert ihr sie erkennen“

Es gilt nun nach wie vor die Hilfsregel des Jesus von Nazareth: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“ (Matthäus-Evangelium 7,16) Einer der exponiertesten Verfechter des homophoben Kreuzzugs Joseph Ratzingers war der kolumbianische Kardinal Alfonso López Trujillo (1935-2008). Zu dessen dringlichen Evangelisierungs-Inhalten gehörte die Verteufelung von „Homo-Partnerschaft“ und Kondomgebrauch.

Im Verein mit dem Essener Militärbischof Franz Hengsbach (1910-1991), der u.a. einen später in meinem Geburtsort als Priester eingesetzten pädosexuellen Straftäter protegiert hat, führte er einen regelrechten Krieg gegen die Kirche der Armen in Lateinamerika, um dann besonders den Feinden des Märtyrerbischofs Oscar Romero beizustehen.

Seit einem Jahr hat die Weltöffentlichkeit auf der Grundlage u.a. von Interviews für Frédéric Martels Forschungen ein neues Bild von diesem rechten Saubermann-Kardinal, der den Luxus wie zu „Renaissance-Zeiten“ liebte und ebenso Küsse auf seinen Bischofsring: Bereits als Hirte des Bistums Medellin, so tragen Zeitzeugen vor, ließ er sich in einer Geheimwohnung junge, von ihm abhängige Theologiestudenten für (kaum freiwilligen) Sex zuführen – und ansonsten auch schöne männliche Prostituierte (aus den Familien der Armen), die er dann nach dem Akt und vor der geizigen Bezahlung gewalttätig züchtigte.

Hätte sich Ratzingers Glaubenskongregation nicht besser um solche willigen Parteigänger und andere priesterliche Gewalttäter kümmern sollen, während sie unendliche Energien hineinsteckte in eine Beschämung von homosexuell Liebenden, die gegen kein Gebot der Menschlichkeit verstoßen haben?

Erpressung und Anpassung als System – Nährboden für mannigfache sexuelle Gewalt

Geflissentlich wurde die Homosexualität im klerikalen Männerbund stets übersehen, solange die betreffenden Personen die eigene Identität verbargen, angepasst blieben und enorme Arbeitsleistungen erbrachten. Bei ersten Abweichungen deutete man diskret an, dass man durchaus vom wunden Punkt in der Persönlichkeit des Gegenübers wusste.

Durch solche erpresserischen Methoden wurden Schwule im Raum der Kirche dahin getrieben, sich selbst zu verraten und im Zuge eines Kompensations-Konservatismus der herrschenden Linie besonders bereitwillig Folge zu leisten.

Der „Berufswahl Priester“ von Homosexuellen lagen bis in die jüngste Vergangenheit hinein meist unbewusste Prozesse bzw. Verdrängungen zugrunde, also keine hellwachen und freien Lebensplanungen. Entsprechend liefen auch die Anpassungsmechanismen oft unbewusst ab. Theologiestudenten oder Priester ahnten, dass in ihnen eine Orientierung zum gleichgeschlechtlichen Eros schlummert. Solange dies unter dem Vorzeichen von Angst geschah, fühlten sie sich wertlos und sündig. Schon die bloße Neigung soll ja dem Katechismus zufolge ein objektiver Persönlichkeitsdefekt sein.

Und so kam es, dass Menschen, denen in der Kirche niemand Mut machte, den eigenen Lebensreichtum zu entdecken und als Geschenk anzunehmen, sich verkauften (bzw. ihre Annahme erkauften). Sie stützten dann ein Klerikalgebäude, in dem die Botschaft des Jesus von Nazareth de facto nicht mehr vorkam, und fühlten sich so erpressbar, dass sie z.B. auch ihre Kenntnisse von sexueller Gewalt im Raum der Kirche niemandem mitteilten. (Natürlich betrafen die Anpassungsmechanismen auch solche Amtsträger, die sich wie Kardinal Trujillo sehr berechnend in einem möglichst bequemen Doppelleben einrichteten.)

Bei einem nicht integrierten homosexuellen Mann, der sich selbst in einem zentralen Bereich seiner Persönlichkeit fremd bleibt, fehlt ein alles entscheidender Reifungsschritt. In einem solchen Stadium wäre ein homosexueller Kandidat zweifellos ungeeignet für die Seelsorge.

Während nun die vatikanischen Richtlinien Verdrängung und Heimlichkeit förderten, bleibt in der Priesterausbildung noch immer das genaue Gegenteil – die offene Selbstannahme – unabdingbar. Weniger depressive und sich ungeliebt fühlende Priester, das wäre ein gutes Ziel.

Nur angedeutet sei, dass der kirchliche Komplex „Homophobie, Homosexualität und Gewalt“ viel mehr Bereiche umfasst. Dazu gehören selbstredend auch respektlose Grenzüberschreitungen gegenüber volljährigen Mitmenschen, Selbstmorde von Gläubigen, Theologiestudenten und Priestern bis in die jüngste Vergangenheit hinein, das unsäglich traurige Schicksal AIDS-kranker Priester noch im vorletzten Jahrzehnt oder die Zumutungen für männliche Partner von Klerikern, die ähnlich ausfallen wie bei „Priesterfrauen“.

Mit seinem homophoben Feldzug hat speziell Joseph Ratzinger über einen sehr langen Zeitraum systematisch eine angstfreie Kultur der Offenheit, Wahrhaftigkeit, Reifung und Selbstfindung im Raum der Kirche unmöglich gemacht. Jegliches Fortschreiten nach dem Reformkonzil – in Moraltheologie, Pastoral, Priesterausbildung und Gemeindeleben – sollte spätestens ab Mitte der 1980er Jahre wieder abgewürgt werden. Zum Großteil war dies leider gelungen.

In den schwul-lesbischen Kirchengruppen der USA, so konnte ich 1987 in Baltimore miterleben, herrschte seit dem Ratzinger-Schreiben der Glaubenskongregation ständige Panik. Frauen und Männer aus Universitätstheologie und Seelsorge wurden gemaßregelt. Genau dieses Klima der Angst in der Kirche ist einer der Nährböden für Unwahrhaftigkeit und sexualisierte Gewalt!

In keiner Weise führte der ganze Komplex zu weniger homosexuell orientierten Kandidaten in bischöflichen Einrichtungen des 2. Bildungsweges, Konvikten, Klöstern etc. Gefördert wurden lediglich Denunziationen, Spitzeltum, Paranoia, Misstrauen und die Entwicklung raffinierter Überlebensstrategien.

Dergleichen gehört hierzulande gottlob fast überall der Vergangenheit an. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki hat allerdings noch 2021 demonstrativ einen bereits 2019 umstrittenen homophoben Geistlichen mit der Leitung des Priesterseminars beauftragt – eine Entscheidung, die ganz gewiss mit überzeugenden Präventions-Konzepten gegen die sexuelle Klerikergewalt nicht vereinbar ist.

Das „göttliche Konzept der Liebe“ zum Blühen bringen

Gibt es Aussicht auf eine Befreiung auch der römischen Kirchenzentrale von der Homophobie, da doch in vielen Ortskirchen die Angst längst geheilt ist und sich unwiderruflich eine andere Pastoral etabliert hat?

Im Weltkatechismus, der für das leibhaftige Leben weithin keine Bedeutung mehr hat, wird nach wie vor behauptet, gleichgeschlechtlichen Beziehungen würden nicht aus einer „wahren affektiven Ergänzungsbedürftigkeit“ entspringen.

Im Gegensatz zu den Autoren solch gruseliger Texte hat ein Mann wie Kardinal Basil Hume dem leibhaftigen Leben in unserer Welt zugehört. Er forderte schon 1995, dass „unsere Kirche homosexuelle Frauen und Männer nicht nur als vollwertige Menschen anerkennen soll“, sondern in ihren „Liebesbeziehungen auch eine Liebe zu akzeptieren bereit sein muss, die das göttliche Konzept zwischenmenschlichen Zusammenseins anreichert und zur höchsten Blüte führen kann.“

Als Kronzeuge für eine andere Sichtweise könnte auch der heute für die Ökumene zuständige Kurienkardinal Kurt Koch genannt werden, der erst im Zuge einer langen vatikanischen Prägung auf Linie gebracht wurde. Über ihn teilt Hans Küng im Buch „Ist die Kirche noch zu retten?“ (2011) auf Seite 175 mit:

Noch ein halbes Jahr vor seiner Priesterweihe (1982) veröffentlichte er [Kardinal Kurt Koch] die kleine Schrift „Lebensbeispiel der Freundschaft. Meditativer Brief an meinen Freund“. Es handelt sich um eine Hymne auf die körperliche Zärtlichkeit zu seinem Freund, den er […] als „die zweite, die soziale Gebärmutter meines Lebens“ bezeichnet. Auffallenderweise erscheint diese Schrift in der offiziellen Bibliographie Bischof Kochs nicht mehr.

Hans Küng

Im April 2010 plädierte sogar der Wiener Kardinal Christoph Schönborn für einen Wandel hin zu einer „Moral des Glücks“ und konkretisierte dies so: „Beim Thema Homosexualität etwa sollten wir stärker die Qualität einer Beziehung sehen. Und über diese Qualität auch wertschätzend sprechen.“ Solche Differenzierungen aus dem Mund eines engen Ratzinger-Schülers waren wirklich etwas Neues.

In Eros und Sexualität werden vorzüglich unsere Schönheiten und gleichermaßen auch unsere Abgründe offenbar. Wie groß ist die Versuchung, vor solchem Zwiespalt in das Mönchsideal eines engelgleichen Lebens zu entfliehen. Wir können jedoch wissen, dass dort, wo man die Sexualität verteufelt, die „Dämonen“ oft ein besonders leichtes Spiel haben. Auch hat sich schon so manche vermeintliche Einflüsterung des Widersachers im Laufe eines Lebensweges als Botschaft eines Engels erwiesen.

Der Frühling steht vor der Tür. Es werden sich in ungezählten römisch-katholischen Gemeinden auf dem ganzen Globus noch viele Blütenwunder ereignen. Die Eltern von zwei homosexuellen Kindern, von denen ich im 1. Teil dieses Beitrags berichte, wollen übrigens nach Lektüre meines Telepolis-Textes doch nicht austreten. Sie lassen mich wissen, man dürfe die Kirche nicht vatikanischen Eisheiligen überlassen.

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Der Verfasser ist examinierter Krankenpfleger, Theologe und Publizist. Seine Bücher zum Thema: „Das Lied der Liebe kennt viele Melodien“ (vier Auflagen 1997-2005); „Die Fromme Revolte – Katholiken brechen auf“ (2009); „Wie die Menschheit eins ist. Die katholische Lehre „Humani generis unitas“ für das dritte Jahrtausend“ (2016); „Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus“ (2020). – Aktuelles Forschungsprojekt: „Kirche & Weltkrieg“.

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Leicht abweichend zuerst erschienen bei heise.de:
Peter Bürger: Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben. Ohne Befreiung aus der homophoben Angst kann die Weltkirche weder wahrhaftig noch gewaltfrei werden, Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 2).
Die Vatikanische Theologenpolizei hilft den katholischen Reformern auf die Sprünge. – Die vom Papst initiierte „zärtliche Revolution“ soll den homosexuellen Paaren zugute kommen.
In: telepolis, 28.03.2021. https://www.heise.de/tp/features/Rom-und-die-blutige-Geschichte-der-Verfolgung-von-Schwulen-und-Lesben-6000013.html?seite=all

Ein Gedanke zu „Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben“

  1. Liebesbegabung“

    neues Wort gelernt. Zufrieden.

    Eine Kurzzusammenfassung des langen Textes fände ich sinnvoll …

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