Eims-Net: Kann man eine Reklame-Zeitung mit links machen?

Anfang Juli hatte ich vom Start einer „alternativen“ Hamburger Stadtteilzeitung berichtet. Ich hatte mir überlegt, ob ein Projekt wie diese Eimsbütteler Internet Zeitung nicht irgendwie auf andere Regionen übertragbar sein könnte. Die Eims-Net ist jetzt mit der 5. Ausgabe erschienen und es wäre an der Zeit einige Beobachtungen zu notieren.

Erstens: Erfreulicherweise hat mein Artikel zur Erstausgabe der Eims-Net Kritik hervorgerufen, die  in den Kommentaren dokumentiert ist.

Zweitens: Ich habe den Herausgeber damals gebeten, zu der Kritik Stellung zu nehmen. Leider hat die Redaktion der Eims-Net nicht reagiert:

Hallo …,

kannst du zu folgendem Kommentar in meinem Blog Stellung nehmen?

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Video-Link: http://www.schiebener.net/wordpress/?p=3755&cpage=1#comment-579

Bitte dortselbst?

Bin gerade erst aus dem Urlaub gekommen und sortiere mich.

Gruß

Drittens: In der zweiten Ausgabe der Eims-Net erschien ein PR Artikel der CDU getarnt als redaktioneller Artikel, gezeichnet mit dem Kürzel -bla-. Derartige Schweinereien habe ich erst kürzlich für unsere eigene Region heftig kritisiert.

Viertens: Heute hat mich eine Leserin angeschrieben und auf ein Blog hingewiesen, welches sich ausdrücklich kritisch mit Eims-Net befasst.

Fünftens: Die übrigen Nummern von Eims-Net habe ich aus Zeitmangel noch nicht gelesen, doch ich denke, die Indizien reichen, um die Diskussion über Sinn und Unsinn „alternativer“ Reklame-Zeitungen weiter offen zu halten.

8 Gedanken zu „Eims-Net: Kann man eine Reklame-Zeitung mit links machen?“

  1. Gute Bemerkung.

    Der Riesenunterschied ist, dass sich die Betreiber in der Großstadt „bewegen“. Die sozialen Strukturen sind dort durch große Anonymität geprägt. Vieles, was hier als normal gilt, gilt dort nicht und umgekehrt.

    Man kann 10 Jahre lang mit Hunderten von Menschen in einem Gebäude wohnen und doch niemanden kennen.

    Niemand in einer Großstadt würde wegen irgendeines anonymen Blogs das Gefühl entwickeln, dass da jemand „unter uns wohnt und über uns spricht, den wir nicht kennen.“

    Ich habe allerdings trotzdem mal bei „den Akteuren“ nachgefragt.

    Vielleicht äußert sich der Herausgeber Zeitung bzw. jemand der Kritiker. Würde ich mir wünschen.

  2. Hallo ZOOM!

    Vielen Dank.

    Der Hinweis mit der Grossstadt ist richtig. Ob es ein „Hans Meier aus Essen“ sagt, oder ein „Josef Busch aus Bochum“, da die sozialen Strukturen eines jeden einzelnen dort teilweise nur noch sehr rudimentär vorhanden sind, kann dort ein „Anonymus“ auch wesentlich leichter bestehen.

    Mich stimmt jedoch nachdenklich, dass es wohl inzwischen (nicht nur an meinem Beispiel) immer schwieriger wird, Kritik (nicht Denunzantentum!) trotz der neuen rauschenden Informationsmöglichkeiten an die Frau oder den Mann zu bringen, ohne gleich sein Dasein komplett auf’s Spiel zu setzen.

    Dieses zeugt ja von einer radikalen Dezimierung der teilweise ehemals vorhandenen sozialen Strukturen und spiegelt auch eine gewisse „Verrohung“ wieder.

    Früher „hätte man eins auffe Schnautze gekriegt“ und dann wäre gut gewesen (im schlimmsten Fall). Heute bleibt wohl auch in der grossen Stadt einem Kritiker nur noch die Anonymität, um die Reste seines Soziallebens nicht auf unwiederbringliche Art zu gefährden.

  3. Anonym in der Großstadt?

    @Der Wiemeringhauser und @Zoom

    „Auch anonym und ohne Impressum“ – erst wenn man bei Wiemeringhausers blog nachliest, versteht man, dass dieser Kommentar einer in eigener Sache ist: Der Autor musste die böse Erfahrung machen, dass gewisse Enthüllungen von der „Dorfgemeinschaft“ nicht gerne gesehen werden und dass dann schnell nach dem „Nestbeschmutzer“ gesucht wird, den man denunzieren und sozial isolieren will. Vor diesem Hintergrund hatte sich Autor dafür entschieden, seine bürgerliche Identität im Internet nicht preiszugeben, was jedoch angesichts der verschärften Bestimmungen und der Vorratsdatenspeicherung immer riskanter wird.

    Im Prinzip ist das in einer Großstadt nicht anders. Wie die wachende Zahl der Placeblogs (Städteblogs, Stadtteilblogs, Regionalblogs) zeigt, gibt es ja die Tendenz zur Regionalisierung des World Wide Web. Ein Medium, das eine weltweite Vernetzung erleichtert, wird für die Kommunikation im Nahbereich genutzt, die dann aber auch anderswo eingesehen werden kann. So erfahre ich in Hamburg etwas über das Sauerland oder über Wiemeringhausen, was mich allerdings nur interessieren kann, wenn in dem jeweiligen konkreten Ereignis etwas Verallgemeinerbares steckt – ein Fallbeispiel oder eine wichtige Schlussfolgerung.

    Dieser Trend zur Regionalisierung hat allerdings auch damit zu tun, dass sich hier ein Geschäftsfeld für Werbung und Anzeigen auftut. Weil die Regionalzeitungen und Regionalsender aus Kostengründen den lokalen Nahraum nicht bedienen können, ist dieser zum Eldorado all der abstoßenden Anzeigenblätter (Print und digital) geworden, die „Lokales“ mit Geomarketing (Werbung nach Wohngebieten) verbinden. Die Themen kritischer Blogs mit einem lokalen Bezug werden so plötzlich zur begehrten „Content-Tankstelle“ für kommerzielle Plattformen, die sich als „Heimatzeitung“, „My Heimat“ oder „Nachbarschaft“ inszenieren. Diese Entwicklung ist vielleicht noch folgenreicher als die erwähnte soziale Zensur.

    Auf dem blog http://eimsnet.blogsport.de wird ein solcher Fall beispielhaft dargestellt. Dieses blog ist allerdings nicht „anonym und ohne Impressum“. Es ist, wie die durchgehende Wir-Form und die Links zeigen, ein Ableger des weblogs http://keindiakonieklinikum.blogger.de, das von einer seit 2002 aktiven Initiative in Hamburg-Eimsbüttel betrieben wird. (Das Impressum ist über die Startseite zu finden).

    Anders als Zoom annimmt, sind die sozialen Strukturen in einer Metropole nicht unbedingt durch große Anonymität geprägt. Wenn man, wie wir, seit vielen Jahren eine konkrete soziale Auseinandersetzung führt, gibt es keine Anonymität. Freund und Feind kennen sich nur allzu gut. Die Mitglieder der Initiative sind fast alle namentlich bekannt, weil sie seit Jahren öffentlich auftreten. Und auch unsere Kontrahenten wissen genau, an welche Adresse sie ihre Abmahnungen zustellen müssen. Im Fall unserer Auseinandersetzung mit den Copy & Paste-PR-„Journalisten“ von Eims-Net ist diese eigenartige Nähe im sublokalen Raum geradezu ein Problem: weil sich die Kontrahenten oft persönlich kennen, können jene, die man inhaltlich kritisiert, so tun, als ginge es um persönliche Streitereien. So oder so – wer sich in sozialen und politischen Auseinandersetzungen positioniert, geht immer ein Risiko ein und gefährdet durchaus, wie Der Wiemeringhauser sagt, „die Reste seines Soziallebens“. Das ist sicher besser durchzustehen, wenn man im Rahmen einer Gruppe aktiv ist.

  4. @Petra Porst:
    Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar.

    „Anders als Zoom annimmt, sind die sozialen Strukturen in einer Metropole nicht unbedingt durch große Anonymität geprägt.“
    Ich bleibe dabei. In der Großstadt kann man unbehelligter auch mit „Eigenarten“ vor sich hinleben als im Dorf. Die Soziokultur des ländlichen Regionen ist nicht mit denen der Stadt zu vergleichen. „Stadtluft macht frei“, gilt auch heute noch.

    Durch den Zusatz „nicht unbedingt“ erhält das Zitat allerdings einen Inhalt, den ich auch unterschreiben kann. Aber nur mit diesem Zusatz 🙂

    Das Internet ist schon lange keine Spielwiese der Geeks und Freaks mehr und auch nur noch in kleinen Teilen eine Diskursions-Plattform für aufgeklärte Bürger, beim großen Rest wird die Verwertung durch Kapital/Gewinninteressen schon lange betrieben, dazu kommen massive Manipulationen, virale Werbung und Schund, Schund, Schund. Aber der verkauft sich ja immer am besten.
    „Dieser Trend zur Regionalisierung hat allerdings auch damit zu tun, dass sich hier ein Geschäftsfeld für Werbung und Anzeigen auftut.“ Was war eher? Die Henne oder das Ei? Ich bin mir nicht sicher.

    „Weil die Regionalzeitungen und Regionalsender aus Kostengründen den lokalen Nahraum nicht bedienen können, ist dieser zum Eldorado all der abstoßenden Anzeigenblätter (Print und digital) geworden, die „Lokales“ mit Geomarketing (Werbung nach Wohngebieten) verbinden.“
    Die Blättchen gab es schon immer, auch vor dem Internet, und sie waren vorgestern und gestern genau so belanglos wie heute. Die Internetplattformen, die auf dem Prinzip der Anzeigenblätter beruhen, spiegeln das auch wider.
    Von allen Print-Blättern versorgt die Westfalenpost hier bei uns die Menschen noch am besten mit Nachrichten, aber eben nicht gut genug.
    Die starke Regionalisierung und Zersplitterung des Nachrichtenflusses, die bei den Anzeigenblättern am stärksten fortgeschritten ist, führt zu noch größerer Verblödung der Leser, da Ereignise aus dem Nachbartal manchmal nur in einer nur für dieses Tal regionalisierten Ausgabe enthalten sind.
    Es wuchern die Texte, doch die Informationen fließen immer dünner und disparater.

    Alles Weitere später …

  5. Durch den Kommentar des Wiemeringhausers wurde dem Thema „Reklamezeitung von links?“ noch weitere hinzugefügt: (1) die Risiken konkreter Interventionen, (2) die damit verbundene Frage der Anonymität (berechtigter Selbstschutz versus die Tendenz unseriöser und fragwürdiger Äußerungen im Schutz der Anonymität) und (3) die Tatsache, dass politische Interventionen in der ländlichen Region – daran zweifele ich nicht – folgenreicher sein können. Bemerkenswert ist dabei, dass das Internet offenbar in der ländlichen Region eine ganz besondere Bedeutung hat, über die, soweit ich sehe, bisher wenig öffentlich diskutiert wird. Der Trend zur Regionalisierung des Internet hat also offenbar in der ländlichen Region noch andere (zusätzliche) Motive als in der Metropole. Zu der Frage von Zoom, wer hier zuerst am Werk war, denke ich auch, dass die meisten neuen Geschäftsfelder zuerst von Leuten erschlossen werden, die damit gar kein Geschäft machen wollen. Wo sich etwas bewegt, sind meistens sofort findige Leute mit einer Geschäftsidee da. Auch die „alternativen Anzeigenblätter“ der 1980er Jahren gaben vor, die alternativen Stadtteilzeitungen der 1970er Jahre fortzuführen. Tatsächlich waren ihre „Inhalte“ jedoch den Interessen der Anzeigenkunden unterworfen.

    Bei der Recherche zum Niedergang der bürgerlichen Presse seit 1848 – man kann die Anzeigenblätter als deren End- und Tiefpunkt deuten – stößt man unvermeidlich auf einen berühmten Journalisten, der im Kampf gegen Zensur und Selbstzensur ein bemerkenswertes Statement zum Thema Anonymität formulierte. Anbei ein Zitat von Karl Marx, das gut zum Thema passt:

    Rheinische Zeitung, 15. Januar 1841
    Meine Antwort erscheint ferner anonym. Ich folge darin der Überzeugung, daß zum Wesen der Zeitungspresse Anonymität gehört, die eine Zeitung aus einem Sammelplatz vieler individueller Meinungen zu dem Organ eines Geistes macht. Der Name schlösse einen Artikel so fest von dem andern ab, wie der Körper die Personen voneinander abschließt, höbe also seine Bestimmung, nur ein ergänzendes Glied zu sein, völlig auf. Endlich macht die Anonymität nicht nur den Sprecher selbst, sondern auch das Publikum unbefangener und freier, indem es nicht auf den Mann sieht, welcher spricht, sondern auf die Sache, die er spricht, indem es von der empirischen Person ungestört die geistige Persönlichkeit allein zum Maß seines Urteils macht. Wie ich aber meinen Namen verschweige, so werde ich in allen Detailangaben Beamten und Gemeinden nur dann nennen, wenn gedruckte, im Buchhandel befindliche Dokumente angezogen werden oder wenn die Nennung des Namens ganz harmlos ist. Die Presse muß die Zustände, aber sie darf meiner Überzeugung nach nicht die Personen denunzieren, es sei denn, daß einem öffentlichen Übel nicht anders zu steuern wäre oder daß die Publizität schon das ganze Staatsleben beherrscht und also der deutsche Begriff der Denunziation verschwunden ist.

    Marx unterzeichnete seine Artikel mit: „ein Rheinländer“. Das erinnert doch sehr an „ein Wiemeringhauserer“ oder „ein Hochsauerländer“.

  6. @Petra Porst:
    Allein das Zitat ist schon den Kommentar wert. Vielen Dank.

    Was die Erschließung neuer Geschäftsfelder(1. Absatz) angeht, fielen mir beim Lesen sofort die sogenannten „alternativen“ Touristen der 70er Jahre ein, denen irgendwann TUI und Neckermann folgten. Wenn eine Idee die Massen ergreift, haben es die Trendforscher schon längst gemerkt und die Vermarkter können ans Werk gehen.

    Wo recherchieren Sie den „Niedergang der bürgerlichen Presse“? Lesetipp!?

    Außerdem weiß ich nicht, inwiefern das Internet „in der ländlichen Region eine besondere Bedeutung hat“. Wo sollte/könnte der Unterschied zur Stadt liegen?
    Bin auf die zwei Antworten sehr gespannt. Das schreibe ich ohne Ironie und doppelten Boden.

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