Zeitungssterben: Offline gegen Online? Print vs. digitale Medien? Vergesst es! Der Auflagenrückgang der Regionalzeitungen hat schon vor dem Internetzeitalter begonnen.


Das Zeitungssterben hat vor dem Internetzeitalter begonnen und wird auch heute nicht durch die sogenannten „Neuen Medien“ verursacht, meint der Kommunikationswissenschaftler Andreas Vogel.

In seiner 132 Seiten umfassenden Studie untersucht Vogel die „Talfahrt der Tagespresse“. Die Untersuchung ist als PDF bei der Friedrich-Ebert-Stiftung kostenlos herunterzuladen:

http://library.fes.de/pdf-files/akademie/10790.pdf

Die Zeitungsauflagen sinken seit den 1980er Jahren. Damals aber wäre, so Vogel in einem taz-Interview, „Online“ noch keine Konkurrenz zum Print gewesen.

Die Zeitungen hätten es verschlafen, auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren. Sie schrieben für eine Zielgruppe, die zu großen Teilen nicht mehr existiere bzw. verschwinde oder sich gewandelt habe.

Am spannendsten waren für mich die Teile über die demografischen und die gesellschaftlichen Entwicklungen zu lesen.

Bei den demografischen Entwicklungen untersucht Vogel insbesondere Bevölkerungsentwicklung, Migration, Haushaltsgrößen und Familienstrukturen.

Gesellschaftliche Veränderungen spürt der Autor unter den Aspekten „Erwerbszeit und erwerbsfreie Zeit“, „Pendler, Mobilität und Ortsverbundenheit“ sowie „Milieus, Bildung und soziale Mobilität“ nach.

Ich habe den Text mit unserer heimischen Tageszeitung „Westfalenpost“ als Folie im Hinterkopf gelesen.

Auch für die Westfalenpost müsste der Studie zufolge gelten, dass sie nicht wegen der Online-Medien Leser und Abonnenten verliert, sondern, weil ihr Inhalt für mehr und mehr potentielle Leserinnen und Leser uninteressant (geworden) ist bzw. nicht mehr als Kaufanreiz dient.

Die Gretchenfrage für die Lokalzeitungen, ihre Verleger, Redakteure und Journalisten laute daher (siehe taz-Interview):

Wie werden unsere Redaktionen wieder zum Kompetenzzentrum, wie erhalten wir als Regionalzeitung die Hoheit über das Stadtwissen zurück.

5 Gedanken zu „Zeitungssterben: Offline gegen Online? Print vs. digitale Medien? Vergesst es! Der Auflagenrückgang der Regionalzeitungen hat schon vor dem Internetzeitalter begonnen.“

  1. Ich sage auch schon seit langem, dass ich zwar gerne eine richtige Zeitung mit Lokalteil abonieren würde, diese aber leider einfach (im Sauerland) nicht vorhanden ist. Der Lokalteil der WP ist zwar (noch) einigermaßen erträglich (bis auf die gelegentlich sehr offensichtliche Schwarz-Färbung), jedoch ist der Rest der Zeitung meist auf Bild-Niveau: Große Bilder, weniger Texte und diese sind dann meist auch noch schlecht bis gar nicht recherchiert und in den meisten Fällen sogar nur zugekauft.
    Fast alle Zeitungsverlage begehen einen großen Fehler: Sie sparen sich kaputt! Anstatt mehr Qualität (gut geschriebene und recherchierte Texte) zu bieten, wird nur geschaut, wo gespart werden kann. Und dann wird auf die bösen Blogger gezeigt, weil diese oft bessere Arbeit total dreist kostenlos (teilweise mit Flattr oder so) anbieten.
    Bitte liebe Verlage: Gebt uns Qualität, dann geben wir auch gerne wieder unser Geld für eure Produkte aus!

    1. @Florian Otto
      Das Witzige ist ja, dass man viele Aspekte der Untersuchung von Vogel auch auf beispielsweise „Probleme der Vereine im ländlichen Raum“ beziehen könnte. Ich hatte genau einen Tag, bevor ich die Studie erhielt (Danke übrigens an den lieben Leser in Hamburg!), einen kurzen Austausch mit jemandem aus dem Bertelsmann-Stiftungs Umfeld gehabt. Dort habe ich sinngemäß verkürzt gesagt, dass, wenn man die Probleme der Vereine auf dem Lande verstehen will, es nicht genügt, nur den sogenannten demografischen Wandel zu betrachten. Und siehe da, einige der Punkte

      „3. a) Charakter der Erwerbsarbeit hat sich verändert -> andere Regenerationsbedürfnisse dadurch

      3 b) verändertes Freizeitverhalten

      4. Verdichtung der Arbeit

      5. Individualisierung

      6. Dörfer werden bei hochqualifizierter Arbeit zu Wohnorten ohne der Arbeitsort zu sein -> Pendeln -> weniger Freizeit im/am Ort“

      kann man leicht modifiziert auch auf das „Zeitungssterben “ übertragen.

      Wesentlich ist, dass sich weniger die Zeitung verändert hat, sondern vielmehr die potenziellen und noch Leserinnen, deren gesellschaftliche Wirklichkeit und Bedürfnisse.

      Ob sich die Lokalzeitung daran anpassen kann, ist die spannende Frage. Vogel macht am Schluss seiner Studie einige Vorschläge. Ich bin aber noch nicht überzeugt, ob sie praktikabel sind.

      Wir als BlogerInnen, Nutzer sogenannter sozialer Medien usw. sind keine Alternative zum Journalismus, wir sind zuallererst die veränderte Wirklichkeit selbst.

      Mein Blog ist, das habe ich mal irgendwo in den Anfängen vor sechs Jahren formuliert, ein hyperlokaler halbwegs intelligenter Stammtisch, keinesfalls ein Ersatz für die Tagespresse.

      Die Studie von Andreas Vogel ist aber auch für beispielsweise den Rat der Stadt Winterberg lesbar und deutbar, denn wenn die Ratsmitglieder die Fähigkeit haben, sie zu lesen und zu verstehen, werden sie verstehen, warum ihre Macht und Autorität in den letzten Jahren derart erodiert ist: Sie haben es nicht mehr mit der gleichen Bürgerschaft wie vor 20/30 Jahren zu tun. Ihre alte Klientel erodiert genauso wie die Zeitungsklientel.

      Bei mir ist jedenfalls während des Lesens der 120 Seiten Text parallel das Kopfkino der letzen sechs Jahre des Blogs und der in dieser Zeit aufgeworfenen medienpolitischen Fragen abgelaufen.

      Soweit erst mal.

      Update: Lustig, was man in seinem eigenen Blog findet, nämlich 2011 und 2009 http://www.schiebener.net/wordpress/?p=12115

  2. auch ich halte die vorschläge in vogels „ausblick“ nicht alle für wirklich ausgegoren.

    aber: sein ansatz des „think big“ ist eine befreiung.

    vor allem: warum sollen die verleger ein recht auf 2-stellige renditen haben? warum sollen sie in dieser perspektive die erlaubnis haben, eine infrastruktur der demokratischen willensbildung zu zerlegen? denn mal ganz ehrlich: ohne effiziente politische information kollabiert das system der repräsentativen demokratie (wahl alle xx jahre) vollkommen.

    warum nicht so: das zdf abschalten, einige gute formate auf die ard verteilen, und mit dem verbleibenden budget und dem verbleibenden apparat dann einen flächendeckenden lokaljournalismus aufbauen? das öffentlich-rechtliche statut gibt das her. und die gebühren auch.

    na, träume eben.

  3. @tino:
    „vor allem: warum sollen die verleger ein recht auf 2-stellige renditen haben? warum sollen sie in dieser perspektive die erlaubnis haben, eine infrastruktur der demokratischen willensbildung zu zerlegen? denn mal ganz ehrlich: ohne effiziente politische information kollabiert das system der repräsentativen demokratie (wahl alle xx jahre) vollkommen“

    Die effiziente politische Information halte ich ebenfalls für den Kern der demokratischen Willensbildung. Insofern empfinde ich auch keinerlei Schadenfreude, wenn die Auflage und Abonnentenzahl der Westfalenpost zurückgeht.

    Flächendeckende Grundstrukturen zur Informationsvermittlung aufbauen – mmhh, muss ich noch drüber nachdenken, auch wenn ich das ZDF nicht vermissen würde.

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