Zum 75. Todestag von Erich Mühsam

Erich Mühsam (bild: erich muehsam gesellschaft)
Erich Mühsam (Bild: Erich Mühsam Gesellschaft)

Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme,
ein kleines Hirn und ein großer Mund,
und eine Seele dass Gott erbarme!
Was muss der Mensch? Muss schlafen und denken,
muss essen und feilschen und Karren lenken,
muss wuchern mit seinem halben Pfund.
Muss beten und lieben und fluchen und hassen,
muss hoffen und muss sein Glück verpassen
und leiden wie ein geschundner Hund.

Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978.

Vor 75 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934, wurde Erich Mühsam im KZ Oranienburg ermordet. Der Schriftsteller und Anarchist, Sohn jüdischer Eltern und Anführer der Münchner Räterepublik war bereits kurz nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten verhaftet worden … weiter hagalil

4 Gedanken zu „Zum 75. Todestag von Erich Mühsam“

  1. Nun gut. Das Bekannteste:

    DER REVOLUZZER
    Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

    War einmal ein Revoluzzer,
    Im Zivilstand Lampenputzer;
    Ging im Revoluzzerschritt
    Mit den Revoluzzern mit.

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    Und er schrie: „Ich revolüzze!“

    Und die Revoluzzermütze
    Schob er auf das linke Ohr,
    Kam sich höchst gefährlich vor.

    Doch die Revoluzzer schritten
    10
    Mitten in der Straßen Mitten,

    Wo er sonsten unverdrutzt
    Alle Gaslaternen putzt.

    Sie vom Boden zu entfernen,
    rupfte man die Gaslaternen
    15
    Aus dem Straßenpflaster aus,

    Zwecks des Barrikadenbaus.

    [104] Aber unser Revoluzzer
    Schrie: „Ich bin der Lampenputzer
    Dieses guten Leuchtelichts.
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    Bitte, bitte, tut ihm nichts!

    Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
    Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
    Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
    Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!“

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    Doch die Revoluzzer lachten,

    Und die Gaslaternen krachten,
    Und der Lampenputzer schlich
    Fort und weinte bitterlich.

    Dann ist er zuhaus geblieben
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    Und hat dort ein Buch geschrieben:

    Nämlich, wie man revoluzzt
    Und dabei doch Lampen putzt.

  2. Hab‘ auch noch einen:

    War einst ein Anarchisterich,
    der hatt den Attentatterich.
    Er schmiß mit Bomben um sich rum;
    es knallte nur so: bum bum bum.
    Einst kam der Anarchisterich
    an einen Schloßhof fürstelich,
    und unterm Rock verborgen fein
    trug er ein Bombombombelein.

    Nach Haus kam Serenissimus,
    sprach: omnia nos wissimus,
    und sprach viel weise Worte noch,
    daß alles rings nach Weisheit roch.
    Jedoch der Anarchisterich
    mit seiner Bombe seitswärts schlich
    und schmiß sie Serenissimo
    unter den Rokokopopo.

    Und rings war alles baß entsetzt,
    Durchlaucht hat sich vor Schreck gesetzt,
    indes der Anarchisterich
    durch eine Seitentür entwich.
    Nur einer sprang beherzt herbei,
    zu helfen, was zu helfen sein.
    Doch sprach er bleich: Volk, höre nur,
    ’s ist ’ne Bomb-onniere nur.

    Rings aber lag man auf dem Knie
    und heulte, jammerte und schrie
    und betete: Du lieber Gott,
    schlag doch die Anarchisten tot!
    Drum merk dir, Anarchisterich,
    heil dich vom Attentatterich.
    Kommst du zum Hofe fürstelich,
    geht’s fürder dir für-fürchterlich.

  3. Aktuell auch mehr als 100 Jahre später:
    Erich Mühsam aus: Der Krater, 1904-08:

    Erziehung

    Der Vater zu dem Sohne spricht:
    Zum Herz- und Seelengleichgewicht,
    zur inneren Zufriedenheit
    und äußeren Behaglichkeit
    und zur geregelten Verdauung
    bedarf es einer Weltanschauung.
    Mein Sohn, du bist nun alt genug.
    Das Leben macht den Menschen klug,
    die Klugheit macht den Menschen reich,
    der Reichtum macht uns Herrschern gleich,
    und herrschen juckt uns in den Knöcheln
    vom Kindesbein bis zum Verröcheln.
    Und sprichst du: Vater, es ist schwer.
    Wo nehm ich Geld und Reichtum her?
    So merk: Sei deines Nächsten Gast!
    Pump von ihm, was du nötig hast.
    Sei’s selbst sein letzter Kerzenstumpen –
    besinn dich nicht, auch den zu pumpen.
    Vom Pumpen lebt die ganze Welt.
    Glück ist und Ruhm auf Pump gestellt.
    Der Reiche pumpt den Armen aus,
    vom Armen pumpt auch noch die Laus,
    und drängst du dich nicht früh zur Krippe,
    das Fell zieht man dir vom Gerippe.
    Drum pump, mein Sohn, und pumpe dreist!
    Pump anderer Ehr, pump anderer Geist.
    Was andere schufen, nenne dein!
    Was andere haben, steck dir ein!
    Greif zu, greif zu! Gott wird’s dir lohnen.
    Hoch wirst du ob der Menschheit thronen!

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