Der Hallenberger Kump am vergangenen Donnerstag. Im Publikum sitzen viele ehemalige Laienschauspieler*innen. Im Zeitraum von 1991 bis 1999 haben sie unter der Regie von Jörg Doppelreiter bei den großen Aufführungen der Freilichtbühne Hallenberg mitgespielt.
Michael Kronauge, Vorsitzender des Fördervereins Hallenberg, eröffnet den Abend. Eine Premiere sei es. Noch nie habe es im Kump eine szenische Lesung mit Musik und Lästereien gegeben. Er habe sich heute Morgen noch einmal die Aufzeichnungen der von Klaus Kinski interpretierten Balladen Villons auf Youtube angesehen. „Ich verspreche, das wird deftige Kost.“
Sakrale Chormusik. Zwei weiß-geschminkte Gestalten, schwarz umrandete Augen. Villon wird an einem roten Galgenstrick auf die Bühne gezehrt.
Er setzt sich an einen Tisch. Dunkle Decke, ein Trinkpokal, eine weiße Rolle Papier und ein großes Buch. Es sieht aus wie eine Bibel, enthält allerdings das Leben von Francois Villon und die Dramaturgie des Abends.
Villon verkörpert sich selbst und wird in den nächsten 90 Minuten sitzend sein Leben erzählen. Die eigentlichen Balladen trägt Jörg Doppelreiter an einem Stehpult vor. Im Hintergrund begleitet ihn Heinz Murnig mit mal ruhiger, mal hämmernd aufwühlender Klaviermusik.
1431 wurde Villon wahrscheinlich als François de Montcorbier geboren. Im gleichen Jahr wurde Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, im Alter von 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Seinen Vater lernte er nie kennen. Schon früh stahl er Brot, um nicht hungern zu müssen, wurde von Gendarmen verprügelt und von seiner Mutter gerettet, weil sie der Staatsgewalt ihren „wunderschönen vollmondigen Arsch“ hingehalten habe.
Der Stiftsherr und Rechtsgelehrte Guillaume de Villon, dessen Namen er um 1455 annimmt, wird sein Ziehvater.
Villon studiert in Paris, aber er gleitet ab in die Halb- und Unterwelt der Hauptstadt.
Liebschaften, Dirnen, wüste Gelage, eine mafiöse Diebesbande, die Muschelbrüder, Raub, Mord, Kerker, Schlägereien, Hehlereien.
Mehrmals rettet ihn das Glück vor dem Galgen.
In den Flammen seines Lebens verfasste Villon seine rund 25 Balladen. Der Galgenstrick bleibt ständige Bedrohung.

All dies erfahren wir an diesem Abend im Hallenberger Kump, ausdrucksstark deklamiert von Jörg Doppelreiter.
Die Balladen und Versen erzählen von Galgenbrüdern, geben Ratschläge an die jungen Dinger. Wir lernen den netten kleinen Barbier kennen, der sein Messer zum Morden einsetzt. Es tauchen auf: treulose Freundinnen, fröhliche Säufer, Mitglieder von Villons Räuberbande, Vogelfreie, Landstreicher, eine Petition um Begnadigung, der Lebensabschied.
Wenn im Wald die Eule drei Mal schreit,
ist auch der Teufel nicht mehr weit.
In der Todeshaft schreibt Villon seinen berühmten Vierzeiler:
Ich bin François, was mir Kummer macht,
gebürtig aus Paris bei Pontoise,
und von dem Strick einer Elle
wird mein Hals erfahren, was mein Hintern wiegt.
Er wird ein letztes Mal begnadigt, dann verliert sich ab 1463 seine Spur.
Das Bild Villons ist bei uns in Deutschland stark von den freien Übersetzungen und Neudichtungen Paul Zechs geprägt, deren sich auch Klaus Kinski bedient hat. Zech hat vieles ausgelassen oder auch im Sinne/Stil Villons erfunden.
Das gern rezitierte „Ich bin verrückt nach deinem roten Erdbeermund“ findet sich beispielsweise nicht in den Dichtungen von Villon.
So frei wie Villon sein Leben lebte, erfand auch Paul Zech seine eigene Biografie und die Verse des berümtesten mittelalterlichen Dichters, verehrt und angespien, eine kongeniale Gemengelage.
Schon einmal im Jahr 2008 hatte Jörg Doppelreiter Villon aufgeführt. Sein damaliger Bühnenpartner ist inzwischen verstorben. Mit dem studierten Musiker Dr. Heinz Murnig hat er einen hervorragenden Begleiter gefunden.