Travemünder Stolpersteine: die letzten lebenden Schwulen, die den Rosa Winkel trugen, sowie ein Sprung in den Tod

Ein Nachtrag vom Herbsturlaub an der Ostsee

Am 19. August 2021 wurde in der Kaiserallee 11 in Travemünde ein Stolperstein verlegt. Dieser allererste von zwei Stolpersteinen in Travemünde erinnert an den in Lübeck geborenen Friedrich Paul von Groszheim (Jg. 1906), der seit 1910 in der Kaiserallee 11 wohnte. Er wurde am 23. Januar 1937 verhaftet und wegen des §175 zu Gefängnis, Kastration und später KZ verurteilt.

Friedrich Paul von Groszheim war einer der wenigen Homosexuellen, der später seine Verfolgung in der NS-Zeit öffentlich gemacht und auf die Schicksale vieler anderer Schwuler aufmerksam gemacht hat. Zu Lebzeiten wurde er nicht rehabilitiert oder entschädigt und starb 2006 in Hamburg.

Quelle: https://travemuende-aktuell.de/artikel/25014-Erster-Stolperstein-in-Travemuende.html

Der linke Flügel des Hotel Seegarten hat die Hausnummer 11. Dort wohnte Paul Roszheim. (foto: zoom)

Über den Stolperstein für Paul Groszheim bin ich im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert. Als wir im Dunkeln die Kaiserallee entlanggingen, blitzte etwas neben meinem Fuß in den Gehwegplatten auf. Wegen der Dunkelheit konnte ich nichts entziffern. Die Lösung lieferte eine Aufnahme mit dem Smartphone. Das Bild ließ sich in Ruhe in der Ferienwohnung betrachten. Kastriert 15.12.1938 – Welch ein Schicksal!

Friedrich Paul Bonaventura von Groszheim wurde am 27. April 1906 in Lübeck geboren. Seine Familie gehörte der angesehenen Lübecker Patrizierfamilie von Groszheim an. Nach dem Tod seiner Eltern wurde er von Tanten aufgezogen.

Nach einer Ausbildung zum Großhandelskaufmann lebte von Groszheim in Lübeck. In den liberalen 1920er Jahren lebte er seine Homosexualität offen aus und war Teil der Schwulenszene in Lübeck und Hamburg.

Aufgrund seiner Homosexualität geriet von Groszheim in den Fokus der nationalsozialistischen Verfolgung. Im Januar 1937 erfolgte seine Verhaftung im Rahmen einer größeren Aktion gegen Homosexuelle in Lübeck. Er wurde mehrmals inhaftiert, gefoltert und schließlich wegen Verstoßes gegen § 175 zu Gefängnisstrafen verurteilt.  Unter Druck der Gestapo ließ sich von Groszheim 1938 „freiwillig“ kastrieren. Trotzdem wurde er zum Kriegsdienst dienstverpflichtet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er mehrfach verhaftet, unter anderem wegen angeblicher „monarchistischer Umtriebe“.

Nach der Befreiung durch britische Truppen engagierte sich von Groszheim bei der Antifa. Er zog später nach Hamburg und arbeitete bis zur Pensionierung 1972 als Portier im Hotel „Reichshof“.  Er bekannte sich als eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Homosexueller und wurde zu einem wichtigen Zeugen für dieses Unrecht. Seine KZ-Haft im Lager Neuengamme wurde nicht als Entschädigungsgrund anerkannt.

Friedrich Paul von Groszheim verstarb am 6. Januar 2006 in Hamburg im Alter von fast 100 Jahren.

Quelle: https://www.stolpersteine-luebeck.de/stolperstein/friedrich-paul-von-grossheim

Die Kaiserallee heute. Blickrichtung Travemünde Ort. Fast am Ende rechts liegt das Hotel Seegarten. (foto: zoom)

Bei Paul von Groszheims Tod 2006 galt er als der letzte homosexuelle KZ-Überlebende, der nun in Deutschland verstorben wäre.

Dann stieß man/frau/maus auf Rudolf Brazda, der rund fünf Jahre später verstarb. Die Geschichte von Rudolf Brazda könnt ihr mit den beiden unteren Links verfolgen. Sie hat erst einmal nicht unmittelbar mit Lübeck-Travemünde zu tun und bleibt bei diesem Beitrag außen vor.

Weitere Infos zu Rudolf Brazda:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Brazda

https://arolsen-archives.org/dossiers/anderssein-verboten/rudolf-brazda

Die Kaiserallee in Blickrichtung Brodtener Ufer/Niendorf (foto:zoom)

Auch der zweite und bislang letzte Travemünder Stolperstein (Stichtag: 22. Oktober 2025) erinnert an das Schicksaal eines jungen homosexuellen Mannes, Wilhelm Prull.

Am Montag, dem 14. August 2023 wurde der neue Stein in der Kurgartenstraße 89 verlegt. Man findet ihn gleich links des Büros von Ferienwohnung Travemünde/ISKE (Nr. 91).

Laut Medienberichten begrüßte Elisabeth Eßer von der „Initiative Stolpersteine für Lübeck“ die etwa 50 Teilnehmer, Redner und besonders auch die Nichte von Wilhelm Prull, die auf das Schicksal ihres Onkels aufmerksam gemacht hatte. Dann erzählte sie aus dem Leben des jungen Mannes.

Wilhelm Prull kam im Mai 1940 im Alter von 29 Jahren nach Travemünde. (foto: zoom)

Wilhelm Prull kam im Mai 1940 im Alter von 29 Jahren nach Travemünde. Dort hatte er im Geschäft für Manufakturwaren des Kaufmanns Wilhelm Friedrichsen eine Anstellung als Dekorateur und Verkäufer gefunden. Er wohnte in der Kurgartenstraße 89, wo am Montag der Stolperstein mit seinem Namen verlegt wurde.

Laut historischer Akten wurde Wilhelm Prull am 06. März 1943 um 22:00 Uhr in einem Hotel im Hamburger Stadtteil St. Georg verhaftet. Ein in Elmshorn lebender junger Belgier hätte ihn in einem Verhör als homosexuellen Partner genannt, berichtete Elisabeth Eßer.

Am 08. März 1943 hätte Prull verhört werden sollen. Durch einen Sprung aus dem dritten Stock, infolgedessen er im Hafenkrankenhaus verstarb, kam es nicht dazu. „Flucht in den Tod“ ist dazu auf der Gedenkplakette zu lesen.

Quelle: https://www.hl-live.de/text.php?id=160585

Ein ausführlicher Lebenslauf der Nichte findet sich auf der Webseite:

https://wilhelm-prull.weebly.com/sein-leben.html

und

https://www.stolpersteine-luebeck.de/stolperstein/wilhelm-johann-heinrich-prull

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