Ob das mal gut geht: „verletzliches Leitmedium“ abendblatt.de wird kostenpflichtig. „Insel der Relevanz im Meer von Informationen“.

Ein dickes Euro-Zeichen: abendblatt.de wird kostenpflichtig
Ein dickes Euro-Zeichen: abendblatt.de wird kostenpflichtig

„Seit heute profitieren Zeitungsabonnenten. Für sie ist abendblatt.de kostenlos. Alle anderen zahlen 7,95 Euro im Monat für Berichte aus Hamburg und dem Norden…“, schreibt Matthias Iken heute im Hamburger Abendblatt.

Es ist ein streckenweise lustiger Artikel, mit amüsanten Wendungen.

Zum Einstieg klopft sich der Autor mit beiden Fäusten auf die Brust:

Es ist aussichtslos, spotten Experten. Es ist selbstmörderisch, argwöhnt die Konkurrenz. Es ist unverschämt, denken die Nutzer. Und doch werden wir es tun: Wir wagen, Werthaltiges im Netz künftig nicht mehr zu verschenken, sondern zu verkaufen.

Ich denke, ob solcher Ehrlichkeit wird der Abendblatt-Leser oder auch die Leserin die 7,95 € locker auf den Tisch legen – oder auch nicht. Wünschen wir der Zeitung aus dem Hause Springer alles Gute und viel Glück. Die bis dato 457 Kommentatoren scheinen allerdings zum Großteil nicht zu den zukünftigen Online-Bezahl-Kunden zu zählen. Macht nix. Hamburg ist eine Millionenstadt. Die schweigende Menge wird das Model goutieren. Hoffentlich hat sie das Abendblatt vorher gefragt.

Jetzt zu den Begründungen:

World Wide Web regiert dort noch immer ein großzügiges wie groteskes Geschäftsmodell – das „Mutter-Teresa-Prinzip“:

Ich finde das Mutter-Teresa-Prinzip auch nicht in Ordnung. Die Online-Gemeinde sollte sich nicht in religiöses Gutmenschentum verstricken.

Berauscht von den Möglichkeiten des weltweiten Webs vergaß man das Naheliegende, nämlich Geld zu verdienen.

Richtig so! Keine Macht den Drogen!

Nutzer an die kostenlosen Angebote gewöhnt und eine echte Freibiermentalität entwickelt.

Schlimmer wäre Schnaps oder Heroin. Hier hat der Autor den „Netz-Junkie“ ausgelassen.

Zu Recht darf und muss der Leser von Redaktionen erwarten, dass sie unabhängig sind – von den Interessen von Unternehmen, Politik und Lobbygruppen.

Richtig! Gib’s den Bloggern, den Schlendrianen. Wegen der unübersehbaren Makel an Objektivität und der großen Abhängigkeit der Blogosphäre von Geld, Macht und Politik, haben wir schon lange das Abendblatt aus dem Hause Springer in unserer Linkleiste aufgeführt. Wir schätzen es, dass das Abendblatt von Unternehmen, Politik und Lobbygruppen unabhängig ist 😉

rund um die Uhr: Abendblatt.de schläft nie

Das kann nicht gesund sein.

Es geht um das langfristige Überleben der Medien, es geht um die vierte Gewalt.

Wenn die Verlage von der Vierten Gewalt reden, dann weine ich immer dicke Tränen auf mein Grundgesetz, da steht diese Anmaßung nämlich nicht drin. Liest sich aber gut.

Zudem benötigen die Bürger verlässliche wie verletzliche Leitmedien, die das Geschehen bündeln und aus dem Meer von Informationen als Inseln der Relevanz herausragen.

Den Satz nagele ich mir über das Bett. Ich werde ein paar Tage und Nächte darüber meditieren müssen. Er enthält gewiss eine sehr gut verschlüsselte wichtige Botschaft. Vielleicht muss man den Satz auch singen. Oder rappen. Oder tanzen.

Vielleicht ist es aussichtslos. Vielleicht ist es selbstmörderisch. Vielleicht ist es auch unverschämt. Doch vor allem ist es eins: Es ist alternativlos.

Tanzen. Auf den Inseln der Relevanz.

Vielleicht überlege ich mir das mit dem Bezahlen doch noch, wegen der Metaphern-Dichte. Aber ich befürchte, es sind keine mehr übrig für den Rest der Artikel bis an das Ende aller Tage. So großzügig wie der Herr Iken die Wort-Blumen unter die Online-Fans verstreut, spaßig.