Es geschieht Merkwürdiges in NRW und anderswo. Nach Aussagen der Industriegewerkschaft Metall wollen die Arbeitgeber ein eigenständiges Fach „Wirtschaft“ an den allgemeinbildenden Schulen. In NRW ist beispielsweise ein Modellversuch „Wirtschaft“ an Realschulen angelaufen. Ziel sei „die Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Wirtschaft, die sich auf Grundstrukturen und -prozesse des wirtschaftlichen Geschehens beziehen. Diese sollen dazu beitragen, die Schülerinnen und Schüler auf eine umfassende Teilhabe am privaten wie beruflichen wirtschaftlichen Leben vorzubereiten.“
Ja, ei der Daus, was ist denn das? Die Ökonomie sollte doch locker Teil des Sozialkunde-, Politik- und Geschichtsunterrichts sein. Wozu braucht es da ein neues Fach?
Zugegeben, die wirtschaftlichen Triebkräfte der Geschichte werden in den Lehrwerken oft sehr stiefmütterlich behandelt. Im über 600-seitigen Kursbuch Geschichte für die gymnasiale Oberstufe NRWs wird die Wirtschaftskrise 1929 auf 15 Zeilen im darstellenden Teil abgehandelt.
Wenn ich mir vorstelle, welch eine große Triebkraft die ökonomischen Faktoren und Krisen in der von mir durchlebten Zeitgeschichte spielen und gespielt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass es vor meiner Zeit anders gewesen sein sollte. Ergo gehört die Wirtschaft verstärkt, nein prominent, in den Geschichtsunterricht.
Wennn ich mir weiterhin vorstelle, wie die Zocker der Finanzmärkte plus ihrer willfährigen Helfer in der Politik die kapitalistischen Staaten an den Abgrund getrieben haben, erscheint es vollkommen klar, dass genau diese Mechanismen, die uns unmittelbar betreffen, Unterrichtsgegenstand des Sozialkunde und Politikunterrichts sein müssen. Der Teilbereich „Wirtschaft“ hat integraler Bestandteil dieser Fächer zu sein.
Was findet stattdessen in den bundesdeutschen Klassenzimmern statt: mit Begeisterung das sogenannte Planspiel Börse. Das fand vor, während und nach den kriminellen Machenschaften der Finanzinstitute statt. Frei nach Udo Lindenberg, immer lustig und vergnügt bis der Arsch im Sarge liegt.
Im Angesicht der großen gegenwärtigen Katastrophen versagt unser Bildungssystem, fixiert auf die PISA-Vergleiche mit Finnland, Indien und Canada, in großem Maßstab bei der Bewältigung unmittelbar einsichtiger gesellschaftlicher Probleme.
Die Schule klärt nicht auf, sie verklärt.
Die IG Metall vermutet, dass die Arbeitgeber ein eigenständiges Fach „Wirtschaft“ an allgemeinbildenden Schulen wollen, um mit solchen Aktivitäten zu versuchen, die schulische Bildungsprozesse zu ökonomisieren. Das „Primat des Politischen“ werde zu einem „Primat der Ökonomie“ umgekehrt:
„Die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ bietet Schulen Lehrmaterialien an, die die wirtschaftlichen Zusammenhänge meist einseitig betriebswirtschaftlich, angebotsorientiert und neoliberal darstellen. Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern werden dort nicht selten als Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung gedeutet, Gewerkschaften kommen dort entweder gar nicht oder nur sehr einseitig vor.
Parallel zu diesen Initiativen fordern die Arbeitgeber und ihre Verbände ein eigenständiges Fach „Wirtschaft“ an den allgemeinbildenden Schulen. Ein Netzwerk „Schule und Wirtschaft“ soll die Kontakte untereinander verbessern.“
Ich vermute, dass die IG Metall Recht hat, und finde es gut, dass sie eine Broschüre mit Hintergrundinformation zum Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen in der Bildung herausgegeben hat, die ich hier zum Download als PDF empfehle.
Ansonsten weisen wir immer wieder gerne auf den großen Philosophen Immanuel Kant hin:
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.
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