Gefunden: Gymnasium Winterberg will keinen Ganztag in der Sek I.

Geschwister-Scholl-Gymnasium Winterberg (archivfoto: zoom)
Geschwister-Scholl-Gymnasium Winterberg (archivfoto: zoom)

Nordrhein-Westfalen fördert den Ganztag an den Schulen:

„Die Landesregierung baut Schritt für Schritt Ganztagsangebote und Ganztagsschulen aus. Ziel ist es, unseren Kindern mehr Bildungschancen zu eröffnen und Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Im Schuljahr 2010/2011 besuchen jede dritte Schülerin und jeder dritte Schüler die Angebote einer Ganztagsschule. Die Landesregierung wird den weiteren Ausbau des Ganztags in den folgenden Jahren bedarfsgerecht fortsetzen.“

Einem kleinen Gymnasium im hohen Hochsauerland widerstrebt allerdings die Erweiterung des Schultages in Form des Ganztages.

Im Internet finden wir das Protokoll einer Sitzung der „Schulpflegschaft des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Winterberg und Medebach“ und lesen:

„Die Schulleitung hat sich zusammen mit Elternvertretern drei verschiedene Modelle angeschaut:

– 60-Minuten-Rhythmus
Schulstunden = Zeitstunden
Sekundarstufe I hätte bei diesem Rhythmus keinen Nachmittagsunterricht mehr.
Der Nachmittag wäre „ frei“ für AG`s ( freiwillig)
Es folgt eine offene Diskussion

– 67,5-Minuten-Rhythmus
Nachmittagsunterricht würde stattfinden.

– 90-Minuten-Rhythmus
Nachmittagsunterricht würde stattfinden.

Erfahrungen anderer Schulen zum 60-Minuten-Rhythmus:
Es kommt mehr Ruhe in den Unterricht.

Es findet kaum noch Nachmittagsunterricht statt.

Man hat weniger Fächer pro Tag und muss somit weniger tragen.
Allgemein gibt es viele positive Rückmeldungen.

Auch von den anderen beiden Modellen kommen positive Rückmeldungen.

Das Lehrerkollegium würde das 60-Min.-Modell bevorzugen.

Die Elternvertreter beschließen einstimmig ebenfalls das 60-Min.-Modell in nicht geheimer
Wahl.

Die endgültige Taktung der Schulstunden ergibt sich nach der Festlegung der Lehrpläne. Ziel ist es auch, die Bussituation unserer Schüler in dem Lehrplan zu berücksichtigen.“

Was lesen wir aus dem Protokoll heraus:

Die einzige Möglichkeit, einem Nachmittagsunterricht zu entkommen, wurde gewählt.

Die Erfahrungen anderer Schulen werden nicht explizit genannt. Um welche Schulen handelt es sich? Haben diese Schulen ebenfalls keinen Nachmittagsunterricht?

Das Lehrerkollegium bevorzugt das nachmittagsunterrichtsfreie 60-Minuten-Modell – ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Die Abstimmung war nicht geheim und einstimmig.

Die Bussituation soll berücksichtigt werden.

Fangen wir mal mit dem letzteren an, denn heute gab uns eine Mutter den auf grünem Papier gedruckten Brief der Schulleitung an die Eltern.

Dort heißt es unter anderem:

„Zurzeit bemühen wir uns darum, durch einen etwas früheren Unterichtsbeginn (7:35) so gut wie keine Buswartezeiten entstehen zu lassen …“

Fassen wir zusammen:

Der Unterricht fängt in Deutschland  im Vergleich mit anderen Ländern morgens sowieso zu früh an und hört mittags zu früh auf.  Winterberg hat für dieses Problem eine klare Antwort:

Wir fangen noch früher an.

Die deutschen Lehrer an Halbtagsschulen haben das Privileg mittags zu Hause zu sein – natürlich schuften sie dort weiter, korrigieren, differenzieren, evaluieren. Wir glauben ihnen das, haben sie doch oft keinen Arbeitsplatz an der Schule, sondern nur ein Eckchen am Katzentisch im Lehrerzimmer. Irgendwie verständlich also, dass der deutsche Lehrer seinem heimischen Arbeitsplatz zustrebt und versucht, dem Schulgebäude so schnell wie möglich zu entkommen.

Die deutsche Frau freut sich natürlich ungemein, wenn ihre Kinder am Mittag zum liebevoll zubereiteten Mahl aus der Schule herbeieilen, um hernach mit ihr den Hausaufgabenlimbo zu tanzen. Ist ja auch befriedigender als beispielsweise einen Beruf auszuüben, wie es die Mütter in den anderen europäischen Ländern tun. Gott hat die Frau nun mal als Hausfrau geschaffen.

Im Ernst: Ist es wirklich eine Option, bei steigenden Anforderungen wie G8 sich am Vormittagsunterricht festzuklammern und den ganzen verdichteten Tag dann noch nach vorn zu verschieben? Müsste es nicht eigentlich eine verläßliche Schule von 9 – 16 Uhr geben, um den Ansprüchen der Gesellschaft, der Kinder und der Eltern, respektive Mütter, gerecht zu werden?

Könnte es sein, dass die im Protokoll entwickelten Ideen und Vorstellungen von einer rational und nüchtern denkenden Bezirksregierung wieder einkassiert werden?

In den abgelegenene Tälern und auf den windigen Höhen des Hochsauerlandes scheint vieles möglich, aber ist es auch wünschenswert?

7 Gedanken zu „Gefunden: Gymnasium Winterberg will keinen Ganztag in der Sek I.“

  1. Ach ja, meine alte Penne.

    Hätte mich auch sehr gewundert, wenn hier nicht das konservativste Modell gewählt worden wäre!

    DIe Vollprovinz lebt.

    Erst wenn die letzte Fichte gepflanzt, der letzte Hang gerodet und be-liftet und der letzte bauernschlaue Spruch geäußert ist, werdet ihr erkennen, dass man im Hochsauerland nur sein ganzes Leben verbringen kann, wenn man bereit ist, als Kellner, Liftbetreiber oder Kneipier zu arbeiten.

    Pauker am Gymnasium geht natürlich auch!

  2. Vereinzelt stellen G8 Gymnasien auf 60minütige Unterrichtsstunden am Vormittag um – obwohl bekanntermaßen viele Gründe für eine gut gestaltete Ganztagsschule sprechen.

    In einem WP Artikel von 2010 anläßlich einer solchen Umstellung in Bad Laasphe, finden wir auch die Begründung für die Wiedereinführung des Vormittagsunterrichts:

    WP vom 3.9.2010:
    „Doch nicht lernpsychologische Erkenntnisse waren es, die das Städtische Gymnasium Bad Laasphe bewogen haben, den neuen Unterrichtsstundenrhythmus einzuführen. Anlass ist vielmehr die Schulzeitverkürzung auf acht Jahre und die damit verbundene Zunahme des Nachmittagsunterrichts. Ab 2011, das besagt ein Erlass des Kultusministeriums, muss jede Schule dafür Sorge tragen, dass Schüler, die bis in den Nachmittag hinein unterrichtet werden, möglichst eine Stunde, zumindest aber 50 Minuten Mittagspause machen können. Und das geht nur, wenn kurze Pausen eingespart werden – entweder mit der 60-Minuten-Schulstunde oder mit einem Doppelstunden-System.
    Denn den Schulschluss noch weiter in den Nachmittag zu verschieben, wollte man auf jeden Fall vermeiden, zumal auch die Verkehrsbetriebe enge Vorgaben gemacht hatten“
    http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-bad-berleburg-bad-laasphe-und-erndtebrueck/hoechstens-sechs-stunden-und-mittagspause-id3646587.html

    Hier also die bürokratische Begründung, die Annahme, dass ein verdichteter Vormittag allemal besser sei als ein sinnvoll gestalteter Nachmittag (dessen Gestaltung geht man damit völlig aus dem Weg). Und zuletzt der alles entscheidende Faktor im ländlichen Raum: die Busgesellschaften.

    Der Beobachter hätte sich eine pädagogisch begründete Entscheidung gewünscht, die sich an Bedürfnissen von Schülern, (berufstätigen) Eltern und Lehrern orientiert. Eine solche ist zumindest bei der Entscheidung der Schule in Bad Laasphe nicht zu erkennen.

  3. Rette sich wer kann. Winterberg muss froh sein, dass es nicht viele Alternativen um die Ecke gibt. Glücklich, wer dem Chaos entkommen kann. Die ersten setzen sich Richtung Berufskolleg ab, wo es auch ein Abitur gibt.

  4. Im Artikel ist folgender Satz aus dem Protokoll einer Schulpflegschaftssitzung zu lesen:

    „Die endgültige Taktung der Schulstunden ergibt sich nach der Festlegung der Lehrpläne. Ziel ist es auch, die Bussituation unserer Schüler in dem Lehrplan zu berücksichtigen.”

    Hätte die 60-Minuten Regelung nach diesem Vorbehalt überhaupt eingeführt werden dürfen?

    Ein Hohn: „Der Nachmittag wäre „ frei“ für AG`s ( freiwillig)“ Das jährliche Musical, ein kulturelles Highlight der Schule, wurde geopfert.

    Aber wie heißt es so schön im Protokoll: „Um die Belastung der Schüler durch die langen Unterrichtstage zu verringern, ist eine Veränderung notwendig.“

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