17 Gedanken zu „German Kitsch“

  1. „Kitsch“ ist vielleicht die Büste von Sophie Scholl in der Walhalla (sieht schlimm aus. Und die Idee, dem deutschen Widerstand auf diese Weise zu huldigen, ist verlogen)

    Das Gebäude ist 1-A-Herrschaftsarchitektur mit einer sehr langen Tradition: Parthenon, Akropolis.

    Wikipedia: „Kitsch steht zumeist abwertend als Synonym für etwas, das unnötigerweise Gefühle oder Sehnsüchte wachruft. „Kitsch“ steht heute überwiegend für alles, was als übertrieben rührselig, anbiedernd oder niedlich empfunden wird, oder auch für Dinge, die oberflächlich „schick“ und praktisch wirken, aber letztendlich völlig überflüssig sind (vergleiche Ramsch). Unter Kitsch fallen überwiegend Kunstobjekte (wie zum Beispiel Putten und Postkartenmotive), Dekorationsobjekte (zum Beispiel Nippes und Gartenzwerge), Gebäudegestaltungen (zum Beispiel bestimmte Fassadengestaltungen) oder Gebäude selbst (Schlösser und Burgen wie beispielsweise Neuschwanstein). …“

    1. Ich bin mir nicht sicher, wie ich diese Bauwerke, wie die Walhalla, einsortieren und bewerten soll. Zumindest der erste Teil der Wikipedia-Erklärung erscheint mir plausibel:

      „Kitsch steht zumeist abwertend als Synonym für etwas, das unnötigerweise Gefühle oder Sehnsüchte wachruft.“

      Wobei das „unötigerweise“ eine Frage des Standpunktes ist.

      Kitsch soll Gefühle, hier in Form von Nationalismus, unter Umgehung der Vernunft erzeugen und wäre in diesem Fall tatsächlich Herrschaftsarchitektur.

      Ich muss aber noch ein wenig nachdenken.

      1. @ zoom

        natürlich soll diese Architektur „Gefühle hervorrufen“, sonst würde man nicht diesen riesigen Aufwand treiben. Aber ich befürchte, der Erbauer und sein Auftraggeber meinen die Gefühle ERNST …

        „Kitsch“ hat in der Regel etwas verharmlosendes. Ich finde den Begriff „Kitsch“ extrem unscharf:

        ist der Begriff „Kitsch“ geeignet, die GEFAHR eines übersteigerten Nationalismus auszudrücken?

        1. Ursprünglich wollte ich die Überschrift mit einem Fragezeichen versehen. Jedes Bauwerk hat schon im Zuge der Planung und der Errichtung eine Vorgeschichte/Geschichte und einen Zweck. Auf der Website der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen: „Vor dem Hintergrund des als schmachvoll empfundenen Siegeszugs der napoleonischen Armeen wuchs in Ludwig, damals noch Kronprinz, ab 1807 die Idee für einen Gedächtnisort, an dem verdiente deutschsprachige[!] Männer und Frauen gewürdigt werden sollten.“

          https://www.schloesser.bayern.de/deutsch/schloss/objekte/walhalla.htm

          Auf der Website des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst: „Für eine Aufnahme in die Walhalla sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen: Die in Frage kommende Persönlichkeit muss wenigstens 20 Jahre tot sein, der germanischen[!] Sprachfamilie angehören und natürlich Bedeutendes in Politik, Sozialwesen, Wissenschaft oder Kunst vorweisen können.“

          https://www.stmwk.bayern.de/kunst-und-kultur/museen/andere-museen/walhalla.html

          Man sieht, dass der aktuelle Zweck sich nicht wesentlich vom ursprünglichen Zweck unterscheidet. Man könnte auch sagen, dass er sich vom zeitgebundenen Nationalismus zu einem reaktionären Nationalismus entwickelt hat.

          Die Verkitschung der Walhalla durch Postkarten, Instagram, Modelle usw. unterstützt die Überwältigungsarchitektur des Bauwerks. Die Verharmlosung ist Programm.

          Architektur-historisch habe ich keine Ahnung, wie sich die Geschichte seit 1842 in das Bauwerk selbst eingeschrieben hat – außer dem Hinzukommen weiterer Büsten im Inneren.

          1. @ zoom

            „Man sieht, dass der aktuelle Zweck sich nicht wesentlich vom ursprünglichen Zweck unterscheidet. Man könnte auch sagen, dass er sich vom zeitgebundenen Nationalismus zu einem reaktionären Nationalismus entwickelt hat.“

            Was soll von einem Land erwarten, das preussische Schlösser – als Disneyland-Kulisse – wieder aufbaut? Oder die Garnisonskirche? Oder, oder, oder …

            Gut, da zu wissen, dass wir in der besten aller möglichen Demokratien leben, deshalb wird es einem ja auch 24/7 erzählt.

            „Die Verkitschung der Walhalla durch Postkarten, Instagram, Modelle usw. unterstützt die Überwältigungsarchitektur des Bauwerks. Die Verharmlosung ist Programm.“

            Da stimme ich zu. Man könnte die „Walhalla“ schon als „Kitsch“ bezeichnen. Aber vielleicht dabei doch deutlich machen, dass das alles ist, nur nicht harmlos.

          2. „Was soll von einem Land erwarten, das preussische Schlösser – als Disneyland-Kulisse – wieder aufbaut? Oder die Garnisonskirche? Oder, oder, oder …“

            Nicht zu vergessen, der geplante Rückbau der Paulskirche in Frankfurt. Alles gut beschrieben bei Philipp Oswalt, Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik, 2023: https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/architekt-philipp-oswalt-wann-aus-rekonstruktion-geschichtsrevision-wird-100.html

            Sehr lesenswert!

          3. @ zoom

            Philipp Oswalt, „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“, 2023

            von Philipp Oswalt habe ich mal einen Artikel zum Thema gelesen, müsste dieser gewesen sein: https://www.telepolis.de/features/Identitaetspolitik-Stadterneuerung-zwischen-Budenzauber-und-Waffenschmuck-9614155.html

            Als Zugabe noch kurz wikipedia zum Berliner Schloss:

            „Bei Beginn des Ersten Weltkriegs hielt Kaiser Wilhelm II. am 31. Juli 1914 vom Balkon des Portals V[32] die erste seiner zwei Balkonreden an zehntausende im Lustgarten versammelte Berliner. Die Ansprache sollte die Menschen auf den bevorstehenden Krieg einstimmen. Ihr folgte am 1. August eine zweite vom bodentiefen Fenster des Säulensaals über dem Portal IV, in der Wilhelm Deutschlands Eintritt in den Krieg verkündete und die Burgfriedenspolitik einleitete. Diese Rede, die am 6. August 1914 durch Veröffentlichung im Deutschen Reichsanzeiger und eine im Januar 1918 angefertigte Schallplattenaufnahme große Verbreitung fand, machte das Portal IV zu einem historischen Ort.[33]“

            Schon erschreckend, was einem als „Demokratie“ verkauft wird.

          4. „von Philipp Oswalt habe ich mal einen Artikel zum Thema gelesen, müsste dieser gewesen sein: https://www.telepolis.de/features/Identitaetspolitik-Stadterneuerung-zwischen-Budenzauber-und-Waffenschmuck-9614155.html

            Ja, die Architektur der neuen Frankfurter Altstadt beschreibt Oswalt ebenfalls in dem genannten Buch. Es ist nicht dick, aber trotzdem war es für mich als Architektur-Laien sehr ergiebig. Ich hatte es mir in der Bibliothek ausgeliehen und in einem Rutsch verschlungen.

          5. https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2024/_04/_22/Petition_166538.html

            Petition 166538

            Unabhängige Prüfung aller Spender der Fassaden des Berliner Schlosses bzgl. rechtsradikaler/antisemitischer Äußerungen vom 22.04.2024

            Text der Petition

            Unabhängige Prüfung aller Spender der Fassaden des Berliner Schlosses bzgl. rechtsradikaler und antisemitischer Äußerungen. Übertragung der Spenden rechtsradikaler, antisemitischer und anonymer Spender an eine antirassistische Initiative; temporäre Sichtbarmachung der mit diesen Spenden finanzierten Bauteile. Ausschreibung eines künstlerischen Realisierungswettbewerbs zur Brechung der preußenverklärenden Erscheinung d. Gebäudes. Beendigung d. Zusammenarbeit mit dem Förderverein Berliner Schloss

            Begründung

            Das Humboldt Forum/Berliner Schloss ist ein zentraler Symbolbau für das wiedervereinte Deutschland. Seine Architektur aber formuliert nach Außen ein gesellschaftliches Selbstverständnis, in dem sich erhebliche Teile der Öffentlichkeit nicht wiederfinden. Es formuliert ein Selbstbild, dass sich ungebrochen auf Preußen und das Deutsche Kaiserreich bis 1918 bezieht. Doch sehr viele der heute in Deutschland lebenden Menschen können sich damit nicht identifizieren.

            2002 hatte der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen, für den Bau des Humboldt Forums die Barockfassaden des Berliner Schlosses zu rekonstruieren. In den Folgejahren wurde die – ohnehin öffentlich stark umstrittene – Symbolbedeutung dieses Rückgriffs auf das preußische Erbe durch die Rekonstruktion zusätzlicher Elemente aus der Zeit der Reaktion, der Einigungskriege und des Deutschen Kaiserreichs – also der Jahre 1848 – 1918 – verschärft. Insbesondere die Kuppel mit Kreuz und Spruchband schrieben nationalprotestantische, imperialistische, antiuniversalistische und obrigkeitsstaatliche Botschaften in das Projekt ein. Diese Veränderungen gehen im Wesentlichen auf den Einfluss der – zum Teil anonymen – Spender und des Fördervereins Berliner Schloss zurück. Inzwischen wurde bekannt, dass sich unter den Spendern, Vereinsmitgliedern, aber auch Vereinsfunktionären Personen befanden, die antisemitische und rechtsradikale Positionen vertraten und teilweise auch mit rechtsextremen Milieus verbunden waren. Die Motivation für das Durchsetzen bestimmter baulicher Symbole ist von ihren politischen Einschätzungen wohl nicht zu trennen. Der Förderverein hat sich von seinen rechtslastigen Spendern, Mitgliedern und Funktionsträgern nicht distanziert, sondern sich bisher ohne Einschränkung zu all seinen Spendern bekannt.

            Die Stiftung Humboldt Forum, als Hausherrin, hat die Probleme teilweise geleugnet, teilweise klein geredet und beschönigt. Durch fehlerhafte Aussagen hat sie versucht, sich und andere zu entlasten. Dies ist nicht weiter hinnehmbar. Der Einfluss rechtslastiger Kräfte auf das Humboldt Forum muss beendet, die vergangenen Fehlentwicklungen aufgearbeitet und der Symbolgehalt der Architektur durch neue, künstlerisch einzubringende Narrative aufgebrochen, modifiziert und erweitert werden.

            Die – auf drei Seiten – ungebrochene Rekonstruktion des Berliner Schlosses im Zustand von 1918 radiert die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts aus und bietet den Rückbezug auf eine vermeintlich unproblematische Idylle der preußischen Monarchie und des Deutschen Kaiserreichs.
            Ein Einschreiben anderer Spuren der Geschichte des Ortes aus der Zeit nach Ende des Kaiserreichs (Revolution 1918, Weimarer Republik, II. Weltkrieg, Nachkriegszeit, DDR, Nachwendezeit) kann hier bislang verdrängte Perspektiven auf die deutsche Geschichte sichtbar machen und die ideologische Verengung und Instrumentalisierung des Ortes öffnen.

          6. Oh, Danke! Die Initiatoren hatte ichauf der Bundestagspetitionsseite nicht gefunden. Das Quorum von 30.000 wird in den letzten beiden Tagen wohl nicht erreicht, aber ich habe gerade trotzdem mitunterzeichnet.

  2. also ich finds weder german noch kitsch… diese art der architektur war international, und folgte einer antiken-verehrung und -verherrlichung. sie wurde sowohl von königen, wie bei der walhalla, wie auch demokratischen institutionen beauftragt, etwa in den usa: capitol, weisses haus, etc. – natürlich diente sie immer der machtdemonstration, bzw. der verdeutlichung bestimmter ideale. aber das gilt für jede architektur. antikisierende architektur kann sowohl die demokratie repräsentieren, also auch von faschistischen diktatoren missbraucht werden. da plädiere ich, diese architektur oder auch die dahinter stehenden ideologien nicht immer ausschließlich aus der heutigen zeit zu beurteilen. wir werden heute auch nicht immer den idealen der nachfolgenden generationen gerecht werden können.

    1. @ Christoph

      „… natürlich diente sie [diese art der architektur] immer der machtdemonstration, bzw. der verdeutlichung bestimmter ideale. aber das gilt für jede architektur.“

      Falsch. Nicht „jede Architektur“ „dient der machtdemonstration“. Ich verstehe gar nicht, wie man so eine Aussage machen kann.

      Die massive Verwendung von monumentalen, klassizistischen Formen in der US-Amerikanischen Herrschaftsarchitektur könnte uns aber eventuell etwas über die US-„Demokratie“ sagen …?

      Was den Spezialfall „Walhalla“ angeht, würde ich auch mal einen Blick auf den extra monumentalen Sockel werfen:

      „Als Herrschaftsarchitektur bezeichnet man Bauten, die in ostentativer (herausfordernder) Weise politische, militärische und religiöse Herrschaft zum Ausdruck bringen. Diese symbolische Darstellung von Macht findet in der Regel durch besondere Höhen- und Größenentwicklung des Bauwerks selbst und

      [das meine ich vor allem] dominierende Lage (etwa auf einem Hügel, als Endpunkt einer Sichtachse etc.) statt.“

      https://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaftsarchitektur

      1. und ich verstehe nicht, warum man andere immer so angehen muss. vielleicht habe ich mißverständlich ausgedrückt: „immer der machtdemonstration, bzw. der verdeutlichung bestimmter ideale“ habe ich geschrieben, und das gilt für architektur durch staat, staatliche organe, könige oder parlamente – und um die geht es ja hier. und ich verstehe nicht, wie man denken kann, dass das nicht so ist. auch das bundeskanzleramt will bestimmte ideale verkörpern und sei es demokratie und offenheit, etc. aber auch ein demokratischer staat demonstriert seine macht, etwa durch schiere größe, oder bestimmte kubaturen oder die anlehnung an historische vorbilder, etwa das neue innenministerium in berlin. „Die massive Verwendung von monumentalen, klassizistischen Formen in der US-Amerikanischen Herrschaftsarchitektur könnte uns aber eventuell etwas über die US-„Demokratie“ sagen …?“ das ist natürlich überhaupt nicht der fall. zu dieser zeit wurden überall und egal unter welcher regierungsform genau diese historisierenden fassaden entworfen. das ist nix german, nix american, das ist genauso french, russian, oder finnish und british.

        1. @ Christoph

          „auch das bundeskanzleramt will bestimmte ideale verkörpern und sei es demokratie und offenheit“

          „demokratie und offenheit“?

          wo denn?

          „Kohl war kein Bauherr, der nach einer Entscheidung den Architekten alles weitere überließ. Er mischte sich ein. Schultes und Franks egalitärer Entwurf für ein „Band des Bundes“ zwischen Ost und West sah keine Höhenunterschiede zwischen Parlamentsbauten und Kanzleramt vor. Kohl aber beschloss, dass sein Büro über jenen der Abgeordneten und Ausschüsse zu liegen hatte. So wurde das Kanzleramt denn auch zum mächtigen Widerpart des Reichstagsgebäudes mit seiner Kuppel – das Schultes und Frank ursprünglich als größtes Solitär im Regierungsviertel vorgesehen hatten.

          Kohl wollte Repräsentationsarchitektur – am Ende bekam er sie, mit einem Dienstsitz, der viermal so groß ist wie das Weiße Haus in Washington.“

          Quelle: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/helmut-kohls-berlin-herr-kanzler-baut-geschichte-a-696902.html

          Dafür wurde das geplante „Bürgerforum“ gestrichen.

          „„Die massive Verwendung von monumentalen, klassizistischen Formen in der US-Amerikanischen Herrschaftsarchitektur könnte uns aber eventuell etwas über die US-„Demokratie“ sagen …?“ das ist natürlich überhaupt nicht der fall. zu dieser zeit wurden überall und egal unter welcher regierungsform genau diese historisierenden fassaden entworfen. das ist nix german, nix american, das ist genauso french, russian, oder finnish und british.“

          alles egal – das muss „Demokratie“ sein!

    1. @ christoph

      „ich belasse es dabei. ich denke, sie haben verstanden worum es mir geht.“

      habe ich nicht verstanden. Alles gleich zu machen, ist für mich keine Antwort.

      Das Kanzleramt mit den Begriffen „demokratie und offenheit“ zu kennzeichnen, wäre ein Fall für eine Diskussion im „Bürgerforum“. Pardon, gibt es ja nicht. Wegen der Demokratie. Und Offenheit.

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