Weimar. Eindrücke aus einer Stadt zwischen Kultur und Barbarei

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Marktplatz von Weimar (fotos: chris)

Weimar nennt sich Kulturstadt. Die Liste an Sehenswürdigkeiten ist lang. Sie reicht von den Klassikern Schiller und Goethe, ihren Wohnhäusern, Museen und Gräbern über das Bauhaus, Schlösser, Bibliotheken bis hin zu den zahlreichen Friedhöfen.

Tag der Bücherverbrennung

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Lesung von Texten ‚verbrannter‘ Autoren vor dem Nationaltheater

Am 10. Mai forderten das Literaturfestival „LesArten“ 2013 und das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar Passanten auf „Lest! Was die Nazis vor 80 Jahren verbrannten“.

Vorgelesen wurden Texte von Voltaire, Joachim Ringelnatz, Oskar Maria Graf, Heinrich und Klaus Mann, Erich Mühsam, Rosa Luxemburg, Anna Seghers und vielen anderen.

Das Wetter war schön, wir saßen eine ganze Weile am Fuße der Statue von Schiller und Goethe und hörten den Gedichten und Erzählungen zu. Viele Menschen eilten vorbei und nur wenige blieben stehen, setzten sich und verweilten.

Burschenschaftstreffen

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Der Paulinerchor Jena auf dem Theaterplatz in Weimar.

Am nächsten Tag, gleicher Ort, gleiche Zeit, bot sich ein völlig anderes Bild. Zahlreiche, meist jüngere, aber auch einige ältere Herren versammelten sich vor dem Nationaltheater. Die Farben ihrer Mützen und eine dezente Scherpe verrieten sie als Burschenschafter.

Vor Goethe und Schiller baute sich der Paulinerchor Jena auf und sang los. Die Burschenschafter mit Anhang hatten deutlich mehr Zuhörer als die engagierten Vorleser am Vortag.

Schillers leerer Sarg

Alles hat seinen Preis, auch der Besuch der Sarkophage von Goethe und Schiller und dies, obwohl der Sarg von Schiller leer ist. Seit 2008 steht nun fest, dass in Schillers Sarg die Gebeine von drei verschiedenen Menschen ruhten, keiner von ihnen mit dem Namen Schiller. Überhaupt gibt es keine sterblichen Überreste, die dem großen Dichter zugeordnet werden können. Der leere Sarg kann für 3,50€ besichtigt werden.

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Grab der Familie Goethe auf dem Historischen Friedhof.

Wir begnügten uns mit dem Grab der Familie Goethe an der Friedhofsmauer des Historischen Friedhofs. Der große Goethe selbst ruht neben dem leeren Sarg Schillers in der Fürstengruft, dafür findet sich hier eine Grabplatte für „Wilhelmine Bachstein die langjährige treue Dienerin der v. Götheschen Familie“. Das ist doch mal was.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Für den letzten Tag unseres Weimar Besuchs haben wir uns das dunkelste Kapitel der Stadtgeschichte aufgehoben, das ehemalige KZ-Buchenwald. Es regnet und stürmt. Vom Hauptbahnhof starten wir. Hier kamen bis 1944 die KZ-Häftlinge in Güterzügen an.

Mit dem Bus fahren wir zu dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslager. Jetzt wird mir klar, warum es ‚Buchenwald‘ heißt. Warum habe ich bisher nie darüber nachgedacht?

Wir gehen über das unwirtliche Gelände, durch das Tor mit der eisernen Inschrift „Jedem Das Seine“, vorbei an Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen, weiter  zum Krematorium. Gehen in den Raum der Pathologie, wo den Toten die Goldzähne gezogen wurden, vorbei an den Verbrennungsöfen, der Leichenkammer, in der Urnen anfangs wahllos mit Asche gefüllt und auf Anfrage an die Hinterbliebenen geschickt wurden. Später unterblieb auch dies.

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Messlatte als Teil einer „Genickschussanlage“.

Wir gehen hinab in den Leichenkeller, dem die Toten über eine Rutsche einverleibt wurden, in dem Lebende an Hacken aufgehängt wurden, von dem aus die toten Leiber mit dem offenen Aufzug zu den Verbrennungsöfen hochgezogen wurden. Wieder nach oben an die frische Luft, vorbei an der Gedenktafel für den an dieser Stelle ermordeten Ernst Thälmann.

Ja, schrecklich, aber irgendwie ist das ja bekannt. Und dann kommt doch noch eine weitere Grausamkeit, so wunderlich unglaublich perfide, dass man an der Menscheit fast verzweifeln möchte, ob so viel Gemeinheit.

Eine „Genickschussanlage“. Für die Häftlinge sah es aus, als kämen sie zu einer ärztlichen Untersuchung. Wenn sie sich mit dem Rücken an die Leiste lehnten, an der ihre Größe hätte abgelesen werden können, dann schob sich durch den engen, kaum sichtbaren Spalt eine Waffe und erschoss den ahnungslosen Menschen.

In der ehemaligen Effektenkammer des KZ findet sich eine umfangreiche und sehr informative Ausstellung.  Wir mussten jedoch zurück in die Stadt, zum Bahnhof, denn der Zug fuhr pünktlich ab.

7 Gedanken zu „Weimar. Eindrücke aus einer Stadt zwischen Kultur und Barbarei“

  1. @Chris
    Schöner Bericht. Dazu passt die Sendung, die gerade im Radio lief. Lohnt sich:

    „Wie werde ich ein guter Deutscher?
    Die Antwort darauf sucht ein Türke in Weimar
    Von Gerd Brendel

    Özgür Erkök hat seinen deutschen Freund geheiratet. Der türkische Künstler will deshalb mehr erfahren über die deutsche Kultur und über „interkulturelle Kompetenzen“. Er macht sich auf den Weg nach Weimar und stellt dort seine Frage: Wie werde ich ein guter Deutscher?“

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/laenderreport/2125687/

  2. Weimar ist eine der, wenn nicht die schönste Stadt in Mitteldeutschland. Chris hat eine gute Wahl getroffen und uns schöne Impressionen übermittelt. Nicht umsonst hat die Stadt die Anerkennung als „UNESCO Welterbestätten Klassik Weimar und Bauhaus Weimar und Dessau“. Wäre Chris mit dem Auto dort gewesen, hätte er die Schlösser Belvedere, Tiefurt und Ettersburg nicht verpassen dürfen. Das „Deutsche Nationaltheater Weimar“, von Goethe höchstselbst vor mehr als 200 Jahren gegründet, ist immer einen Besuch wert. Namhafte Regisseure und Schauspieler geben sich dort die Klinke in die Hand. Weimar ist jedoch nicht nur wegen der Klassik eine reizvolle Stadt. Wegen der vielen, intelligenten jungen Leute hat diese Stadt eine besondere Vitalität. Die Hochschule für Musik Franz Liszt und die Bauhaus-Universität Weimar bilden Semester für Semster die künftigen Eliten in diesen Bereichen aus. Eine Studentenstadt hat immer ein anderes Flair als eine „nur“- Touristenstadt. Wer im Sommer noch eine Städtetour plant – das war mein Tipp (angeregt durch Chris).

  3. @nofretete:
    Gute Idee! Plane ja gerade meine Sommer-Radtour und werde jetzt Weimar in Betracht ziehen.

  4. @ zoom

    Wie wär’s denn mit Verona? Dort kannst du dir dann die Frage stellen, ob du selber, Zitat „nofretete“, „Elite“ bist, oder doch nur, Zitat Goethe, „Volk“:

    http://www.textlog.de/6764.html

    „J.W. Goethe, ‘Italienische Reise’ (1829)

    Verona.

    Amphitheater

    Verona, den 16. September.

    Das Amphitheater ist also das erste bedeutende Monument der alten Zeit, das ich sehe, und so gut erhalten! Als ich hineintrat, mehr noch aber, als ich oben auf dem Rande umherging, schien es mir seltsam, etwas Großes und doch eigentlich nichts zu sehen. Auch will es leer nicht gesehen sein, sondern ganz voll von Menschen, wie man es neuerer Zeit Joseph dem Zweiten und Pius dem Sechsten zu Ehren veranstaltet. Der Kaiser, der doch auch Menschenmassen vor Augen gewohnt war, soll darüber erstaunt sein. Doch nur in der frühesten Zeit tat es seine ganze Wirkung, da das Volk noch mehr Volk war, als es jetzt ist. Denn eigentlich ist so ein Amphitheater recht gemacht, dem Volk mit sich selbst zu imponieren, das Volk mit sich selbst zum besten zu haben (…)“

  5. Merci zoom@, das mach ich, jeden Tag den der liebe Gott schafft. Aber, nur zur Erklärung „nofretete“- „die Schöne kommt“… Ägypten fordert sie zurück.- Zu Recht , wie ich meine… Und keine Ahnung wieviel Sauerländer sie gesehen haben. Trotzdem Tipp am Schluß: Hinfahren, solange es möglich ist ! Berlin.. den Rest spar ich mir

  6. @zoom:
    Für die Sommer-Radtour empfehle ich Erfurt als Ziel, mit Abstechern/Pausen nach/in Gotha, Arnstadt, Naumburg und Weimar.

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