„Suche Frieden“ und finde die staatstreue Christenlehre
Der Katholikentag in Münster zeigt erneut, dass von den Großkirchen ein Widerspruch gegen die Militarisierung der deutschen Politik nicht zu erwarten ist

Brot und Frieden (grafik: www.friedensbilder.de)

Zu Recht wird der Katholikentag 2018 mit dem Motto „Suche Frieden …“ und ca. 90.000 Teilnehmenden in Medien und kirchlichen Gremien als ein erstaunlicher Erfolg bewertet.

(Gastbeitrag von Peter Bürger)

Der Katholik Horst Seehofer, der in Opposition zum Papst eine rechtspopulistische Flüchtlingspolitik etablieren will, kam trotz Zusage allerdings nicht nach Westfalen. Seine „Anreise“-Probleme wurden mehrheitlich als Angst vor Buhrufen gedeutet.

Zwei Protagonisten, ZdK-Präsident Thomas Sternberg und Kardinal Reinhard Marx, haben in Münster von dem dort versammelten Kirchenvolk hingegen viel Rückhalt bekommen. Wenn die Beifallskundgebungen und Programmschwerpunkte zählen, wird das Kirchenschiff hierzulande einen offenen Kurs Richtung Ökumene und Synodalität halten. Für die Herrschaft eines klerikalen Männerbundes unter Ausschluss der Frauen und wahnhafte Projekte der Priesterselbstanbetung in zentralisierten Mega-Gemeinden gibt es keine Akzeptanz mehr.

Trotz des fast flächendeckenden Traditionsabbruchs in katholischen Landschaften kann wohl keine Rede davon sein, dass der Katholizismus als soziales und politisches Phänomen bereits tot wäre. Vielleicht ist das Zeitfenster, in dem eine Transformation der letzten traditionellen Milieus auf Zukunft hin gelingt, doch noch nicht ganz geschlossen? Ein Urteil in dieser Sache fällt schwer, zumal das Münsterland nicht repräsentativ ist. Auch nach einem durchgreifenden Sprechsprachenwechsel hält sich oft über Jahrzehnte der Eindruck, das alte Idiom wäre nach wie vor sehr lebendig. Der Schein trügt, und das wird dann manchmal wie über Nacht offenbar.

(1) „Keine Kritik der Politik“!?

Möglicherweise wäre ich als katholischer Pazifist zu optimistisch von Münster nach Hause gefahren, wenn mir nicht eine improvisierte Passage in der Abschlusspredigt von Kardinal Reinhard Marx geholfen hätte, mein Unbehagen am Friedensprogramm der Großveranstaltung besser zu verstehen. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz sprach auf dem Schlossplatz über Jesu Auftrag an seine Jünger und kam zum Kern:

„Der Friede, die Liebe, die Versöhnung, das, was von vielen verlacht wird, von denen, die meinen, mit militärischer Macht und mit kühler Überlegung würden wir alleine den Frieden gewinnen. Das alles mag notwendig sein. Ich mach’ keine Kritik der Politik hier – im Gegenteil. Ich bemühe mich immer wieder, dankbar zu sein und bin es auch, für alle, die sich engagieren. Aber wir als Christen wissen auch, es braucht einen Überschuss, es braucht ein >Mehr an Hoffnung< […].“
(Kardinal Reinhard Marx, Predigt vom 13. Mai 2018)

Hier wird es auf den Punkt gebracht, was als gleichsam amtliche Linie des überaus bunten Kirchentags auf allen Fernsehbildschirmen ansichtig werden sollte. Die römisch-katholische Kirche in Deutschland will kein Urteil abgeben über das grundlegende Konzept „militärischer Macht“, welches nach Ansicht der maßgebenden Köpfe ja „notwendig sein mag“ und offenkundig auch als taugliches – wenngleich nicht als alleiniges – Mittel der „Friedensgewinnung“ (!) betrachtet wird. Die Kirche will die herrschende Politik in unserem Land keineswegs kritisieren: „im Gegenteil“! Dankbarkeit wird angestrebt. Die Christen wollen über das (benedizierte) Bestehende hinaus aber noch irgendwie einen „Überschuss“, ein „Mehr an Hoffnung“ einbringen.

Kardinal Reinhard Marx predigte – erfrischender Weise – in Münster nicht in Form einer theologischen Vorlesung. Dass der Terminus „Welt“ in den johanneischen Schriften der Bibel nicht einfach neutral den irdischen Lebens- und Gestaltungsraum bezeichnet, sondern eher ein ganz bestimmtes Programm der menschlichen Zivilisation, ist ihm bekannt. An anderer Stelle heißt es nämlich in seiner Predigt,

„dass wir als Zeuginnen und Zeugen des österlichen Lebens, des österlichen Friedens nie ganz aufgehen in der Logik der Welt, des Messens, des Verbrauchens, des Benutzens, des Herrschens und der Macht; dass mitten in dieser – ich möchte einmal sagen – alten Welt, die keine Zukunft hat, die neue Welt aufbricht – und […] wie in einem dynamischen Prozess von der Explosion der Osternacht aus in die ganze Weltgeschichte hineinreicht.“

Sollen wir in der „Logik des Benutzens, des Herrschens und der Macht“ nur „nie ganz aufgehen“? Oder sollen „wir Christen“ der Logik einer in den Augen Jesu endgültig veralteten „Welt“, die der Menschheit jede Zukunft verbaut, nicht vielmehr Widerstand entgegensetzen – durchaus auch mit Hilfe „kühler Überlegung“? Die Abschlusspredigt von Münster, beim Wort genommen, vermittelt den Regierenden in Deutschland wohl kaum das Gefühl, einer „alten Welt, die keine Zukunft hat“, verhaftet zu sein. Die implizite Botschaft lautet vielmehr: Wir Christen machen keine Revolte! Unser Land zählt ja zu den Guten …

(2) Für welches politische „Engagement“ sollen wir dankbar sein?

Wofür nun sollen wir dankbar sein – ohne dabei eine „Kritik der Politik“ anzugehen? Statt dem Frieden in der Welt zu dienen, sorgt Deutschland im Welt-Quartett der erfolgreichsten Rüstungsproduzenten dafür, dass seine Waffen und andere Kriegsproduktionen auf dem ganzen Globus zum Tötungseinsatz gelangen (Jemen und Afrin inklusive). Wege und Umwege des Exports sind unerfindlich. Die Rüstungslobby engagiert sich im Parteiengefüge und ist im Militärministerium gleichsam institutionell verankert. Der Absatz auf dem Weltmarkt mit hohen Stückzahlen beschwingt die technologische Entwicklung und die eigene Aufrüstung. Durch „militärische Ertüchtigung“ in fernen Ländern (z.B. „Sahel-Zone“) will man sich Einfluss auf der Erdkugel sichern. Profitable Kriegsindustrie und Politik lassen sich mitnichten trennen. Deshalb glauben die Menschen schon lange nicht mehr den Versprechungen, es sollten in Deutschland die Rüstungsexporte ernsthaft reglementiert und zurückgefahren werden: „Leere Worte mehren nur den Schmerz!“

Die verheerende Bilanz der Auslandseinsätze des Militärs, bei denen z.B. auch nach Jahrzehnten (!) zuvor ausgebildete und ausgestattete Waffenträger als Gewaltakteure in Erscheinung treten, wird verschleiert. Zu erwarten wäre zumindest bei Endlos-Einsätzen der Bundeswehr eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung. Man befragt stattdessen lieber eigene Experten, d.h. die Funktionäre des irrationalen Militärkomplexes. Soldaten, die bei ihrer Heimkehr in Psychiatrien eingeliefert werden, mögen dagegen von ihren Erfahrungen lieber schweigen. Es interessiert sich sowieso niemand für sie, auch nicht die Amtskirchen.

Geh mir aus der Sonne! Die Militarisierung der deutschen Politik (grafik: friedensbilder.de)

Inzwischen gehört es gleichsam zur Staatsräson, dass die eigene Militärdoktrin mit der Sicherung geostrategischer und geo-ökonomischer Machtinteressen, mit freien Märkten, Meeren und Handelswegen sowie mit der Abwehr (!) von Flüchtlingen aus Elendsregionen zu tun hat. Spätestens ab 2006 haben tausende Christinnen und Christen von unten die großen Kirchen aufgerufen, eine solche Militarisierung der deutschen Politik öffentlich anzuklagen. Ich gestehe, dass ich auf dem Katholikentag in Münster vollends die Hoffnung verloren habe, die derzeitigen Kirchenleitungen in Deutschland samt „Laiengremien“ könnten sich in diesem Zusammenhang doch noch zur einem friedensethischen Klartext durchringen.

Bezogen auf das Feld der als humanitär, menschenrechtlich, philanthropisch etc. deklarierten Interventionen ist absehbar, dass die Denkfigur „bellum iustum“ (Doktrin des „gerechten Krieges“) in einschlägigen Ethik-Werkstätten reanimiert wird. – Man betreibt Militärethik und nennt es Friedensethik. – Ein Beitrag ausgerechnet in der aktuellen Mai-Ausgabe der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“ macht schon mal den Anfang. Derweil gibt es aber gar keine großangelegten Anstrengungen, eine taugliche – also nichtmilitärische – Infrastruktur zur vorbeugenden Verhinderung von Massenelend und Genozid zu entwickeln. Die Kirchen hätten genügend Sachverstand zur Verfügung, um zu erkennen, dass für eine praktische „Schutzverantwortung“, die wirklich Menschen rettet statt zur Legitimation des global agierenden Kriegsapparates beizutragen, allenfalls „Portokassen“ (Hans von Sponeck) zur Verfügung stehen. Im Kongo z.B. droht für 400.000 Kinder der Hungertod. Das wissen die untätigen Länder aber nicht erst seit letzter Woche.

Obwohl das Weltgefüge von Hegemonie sich im rasanten Wandel befindet und man sich punktuell auch vom „Mad Man“ in Washington distanziert, soll weiterhin nach den absurden – ja menschenverachtenden – Paradigmen des letzten, nicht mehr lange aufrecht zu erhaltenden Imperial-Gefüges agiert werden. Unverdrossen sollen zuvor selbst produzierte Terroristen gejagt und vermehrt werden – in alle Ewigkeit.

Die militarisierte Weltpolitik raubt der menschlichen Zivilisation jede Perspektive (und alle Ressourcen) zur Lösung der drängenden Zukunftsfragen. Sie ist mit dem Überleben der menschlichen Gattung schier unvereinbar. Doch diese Grundsatzfrage wird nicht gestellt! Die Entwicklung einer intelligenten Alternative für die Weltgesellschaft erfordert zwingend eine Umwidmung aller militärischen Budgets. Solches steht freilich nicht auf der Tagesordnung und wird auch nicht geschehen, solange durch Krieg und Todesindustrien tausendfache Milliardenprofite erzielt werden können.

Mit dauerhaftem Frieden, das wissen die Aktionäre von Konzernen für Tötungstechnologie (z.B. Rheinmetall), lässt sich einfach nicht genug Geld verdienen. Diese Sache ist so unwichtig, dass es nicht einmal ein Friedensministerium gibt. Eine eigentliche Friedensforschung, die sich von der Esoterik militärischer Beherrschungswissenschaften fernhält, findet nach wie vor nur in Hinterhofwinkeln statt.

Der von Schauermärchen über schlechte Ausrüstung und Mangelausstattung in allen staatstragenden Medien flankierte Kurs heißt: Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung. Das gilt auch für die Europäische Union, die ihr Projekt einer gemeinsamen Kriegsgüteragentur mit einer „Permanenten Strukturierten Militärkooperation“ zum Ziel führen wird und schon lange keine Friedensvisionen mehr hervorbringt. „Quantensprünge“ in Milliardenhöhe stehen bei den Ausgaben für Kriegstechnologie an.

Zumindest das zementierte Festhalten der Regierungsparteien an der deutschen Atombombenteilhabe und an der damit einhergehenden Missachtung eigener Vertragsverpflichtungen sollte noch als Beispiel genannt werden. Der Papst hält bereits Produktion und Besitz dieser ultimativ menschenverachtenden Waffen für verwerflich. Hätte Kardinal Reinhard Marx nur an diesem einen Punkt in seiner Predigt konkret gesprochen und eine „Kritik der Politik“ gewagt, so wäre das „Mehr der christlichen Hoffnung“ vor dem Münsterischen Schloss für ein riesiges Fernsehpublikum glaubhaft unter Beweis gestellt worden.

Noch sind die beiden großen Kirchen in Deutschland gemeinsam stark genug, eine erfolgreiche Bewegung zur Aushebung der atomaren Mordlager in Büchel und zum Ausrufen einer Friedensoffensive in Gang zu setzen. Doch ihr sogenanntes Spitzenpersonal will mehrheitlich lieber Ruhe, hohe Staatskirchengehälter und Staatsempfänge.

(3) Der Ruf zum friedenspolitischen Paradigmenwechsel blieb in Münster aus!

Der gastgebende Ortsbischof von Münster hat sich auf dem Katholikentag am 10. Mai immerhin für die Renaissance einer breiten Friedensbewegung im öffentlichen Raum ausgesprochen und eine symbolische Waffenvernichtung gewünscht. Im „Münsteraner Manifest“ des Zentralkomitees der Katholiken, das Leute mit rechtskatholischen Tendenzen gezielt abschreckt, konnte man am gleichen Tag eine moderate Kritik an nahen Kriegsprofiten nachlesen. Die zuerst von Anhängern des Militärparadigmas erfundene Losung für eine „neue deutsche Weltverantwortung“ wird von den Autoren wohl zumindest vorrangig als Verantwortung für Diplomatie, politische Lösungen und zivile Konfliktlösung verstanden. Doch warum wählten sie trotzdem die 2014 auf einer Münchener „Sicherheits“-Konferenz kanonisierte Überschrift?

Einen drängenden Ruf an die Politik in Deutschland, endlich von der bankrotten militärischen Heilslehre zu lassen und einen durchgreifenden Paradigmenwechsel zugunsten einer rationalen Weltfriedenspolitik einzuleiten, gab es in Münster nicht. Diese Leerstelle sticht ins Auge. Direkt einen Tag nach Ende des Katholikentags sandten Kanzlerin und Militärministerin das Signal aus, es solle der Kurs der weiteren Aufrüstung in Deutschland verfolgt werden. Vorfahrt für „Panzer“ – und Kriegskonzerne.

(4) Die Weltkirche ist weiter

Im April 2016 haben Friedensarbeiterinnen und Friedensarbeiter aus der ganzen Welt, vorzugsweise aus Kriegs- und Krisengebieten, auf dem internationalen katholischen Kongress „Nonviolence and Just Peace“ in Rom allen im Christentum tradierten Ideologien zur Rechtfertigung militärischer Gewalt eine Absage erteilt und die empirisch belegbare Überlegenheit von Konzepten der aktiven Gewaltfreiheit auch im politischen Raum ins Zentrum gerückt. Der Ausgangspunkt: Die hochgerüsteten Staaten sollen innerhalb der einen menschlichen Familie auf der Erde teilen statt zu töten. Es sei endlich zu lernen, dass gerechte Verhältnisse, solidarische Lebenswirklichkeiten und eine Kultur der Achtsamkeit unter den Menschen ein Land stark machen, während Militarisierung und Waffen nur wachsende Unsicherheit bewirken.

Die japanische Bischofskonferenz hat sich die Abschlusserklärung dieser Konferenz ganz zu eigen gemacht. Es folgte als bekräftigende Antwort eine päpstliche Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 mit dem Titel „Gewaltfreiheit: Stil einer Politik für den Frieden“. Der Ruf von Friedensbotschaftern aus der ganzen Weltkirche, die unselige Lehre vom sogenannten „gerechten Krieg“ expressis verbis aufzugeben, ist nicht auf taube Ohren gestoßen. Zwischenzeitlich hat Bischof Franziskus von Rom in einem als Buch veröffentlichten Interview mit dem Soziologen Dominique Wolton erklärt: „Wir müssen das Konzept vom >gerechten Krieg< heute überdenken. Kein Krieg ist gerecht. Das einzige, was gerecht ist, ist der Frieden.“

Die römisch-katholischen und protestantischen Kirchenleitungen in deutschen Landen haben via Predigt, Hirtenwort und Militärseelsorge bei zwei massenmörderischen Weltkriegen assistiert. Wohl in kaum einem anderen Land der Erde ist die neuere Kirchengeschichte so extrem durch Tribute an die Religion des Kriegsgötzen besudelt worden. Es wäre im dritten Jahrtausend an der Zeit, dass die reiche katholische Kirche in Deutschland ein von Militärkontexten unabhängiges friedenstheologisches Institut ins Leben ruft und Anschluss findet an die weltkirchliche Entwicklung unter Franziskus. Überzeugend kann heute allein eine Ökumene sein, die dazu führt, dass beide Großkirchen in Deutschland sich – eingedenk ihrer schändlichen Vergangenheit – ausdrücklich von aller staatskirchlichen Politik- und Militärassistenz emanzipieren und vor aller Welt gemeinsam zu Friedenskirchen erklären.