Stichwort: Pressekodex und die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten

In einer Diskussion auf Facebook antwortet die beteiligte Westfalenpost  auf die Frage einer Leserin („von einem Deutschen“ –> muss das nun extra erwähnt werden?[1])

„Ja, da die Nationalität des Beschuldigten eine relevante Informationen – egal um welche Nationalität es sich handelt. Weshalb sollte man das der Öffentlichkeit verschweigen?“[2]

Mir ist beim Lesen des Artikels und der nachfolgenden Diskussion nicht klar geworden, aus welchen Gründen die Nationalität des Beschuldigten eine relevante Information ist. Ist sie nur in diesem Fall wichtig (relevant) oder grundsätzlich? Und wie hat die Redaktion eventuell abgewogen?

Sei’s drum. Ich habe mir die entsprechende Ziffer des Pressekodex durchgelesen und zitiere sie an dieser Stelle:

„Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten (gültig seit 22.03.2017)
In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Die Praxis-Leitsätze zur Richtlinie 12.1 finden Sie hier“ (Anmerkung PDF)

Im Artikel der Westfalenpost heißt es einleitend: „Ein Jugendlicher sticht auf einen Algerier ein. Vorausgegangen sind derbe Provokationen.“ und weiter unten im Text „vom[sic!] einem Deutschen (16) aus Olsberg mit Messerstichen verletzt“.

Der Pressekodex sagt: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“

Ich frage mich also, worin das „begründete öffentliche Interesse“ besteht.

In den Praxis-Leitsätzen zur Richtlinie 12.1 lese ich unter anderem:

„Reine Neugier – egal ob angenommen oder tatsächlich vorhanden, egal, ob individuell oder kollektiv – ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungsentscheidungen. Auch die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Quellen, etwa durch Behörden, entbindet die Redaktionen nicht von ihrer eigenständigen presseethischen Verantwortung.“

Das bedeutet auch, dass sich eine Redaktion nicht darauf berufen kann, dass die Formulierung beispielsweise aus der Polizeimeldung übernommen wurde. Eine „eigenständige presseethische Verantwortung“ wird gefordert.

Zum Schluss der Leitsätze werden die Redaktionen auf Folgendes hingewiesen:

„Stets hilfreich ist es, wenn Leser die Entscheidung der Redaktion aus dem Beitrag selbst heraus nachvollziehen können.“

Ich persönlich kann die Entscheidung der Redaktion aus dem Beitrag selbst heraus nicht nachvollziehen, aber vielleicht übersehe ich etwas.

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[1] https://www.facebook.com/WestfalenpostBrilon/posts/2176204699088846?comment_id=2176805255695457&comment_tracking=%7B%22tn%22%3A%22R0%22%7D

[2] https://www.facebook.com/WestfalenpostBrilon/posts/2176204699088846?comment_id=2176805255695457&reply_comment_id=2177236635652319&comment_tracking=%7B%22tn%22%3A%22R8%22%7D

2 Gedanken zu „Stichwort: Pressekodex und die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten“

  1. Ich habe auch absichtlich die Frage gestellt, ob die Nationalität des „Deutschen“ erwähnt werden musste. Ich wollte nicht WIEDER einmal die ausländische Nationalität erwähnen. Das ergab sich diesmal. Und darauf folgte selbstverständlich ein Kommentar, der mich quasi ins rechte Licht rückt.

    Meines Erachtens ist die Erwähnung der Nationalität hier auch nicht erforderlich, sondern ein Verstoß gegen den Pressekodex. Öffentliches Interesse sehe ich als nicht gegeben. Es ging hier nicht um Gruppen, die aus irgendwelchen in öffentlichem Interesse liegenden Gründen aufeinander los gehen.

  2. @S N

    Ich sehe ebenfalls a) kein begründetes öffentliches Interesse und b) “Stets hilfreich ist es, wenn Leser die Entscheidung der Redaktion aus dem Beitrag selbst heraus nachvollziehen können.” nicht gegeben.

    Die Begründung der Westfalenpost ist schwach:

    “Ja, da die Nationalität des Beschuldigten eine relevante Informationen – egal um welche Nationalität es sich handelt. Weshalb sollte man das der Öffentlichkeit verschweigen?”

    Die Westfalenpost begründet nicht, sondern setzt einfach die Nationalität als „relevant“. Motto: Die Nationalität ist relevant, weil sie relevant ist, was in dieser Form ein Zirkelschluss wäre.

    Auf diese schwache (Nicht-)begründung eine rhetorische Frage folgen zu lassen („Weshalb sollte man das der Öffentlichkeit verschweigen?“), ist beinahe schon dreist.

    Wahrscheinlich haben sie die PM der Polizei kopiert und sich um den Rest keine (ausreichenden) Gedanken gemacht.

    In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf einen Blogbeitrag vom Januar diesen Jahres hinweisen:

    „Wann sollen JournalistInnen die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? Die neue Richtlinie des Presserats verleitet zu Zirkelschlüssen und Framing.“

    https://www.schiebener.net/wordpress/wann-sollen-journalistinnen-die-herkunft-von-tatverdaechtigen-nennen-die-neue-richtlinie-des-presserats-verleitet-zu-zirkelschluessen-und-framing/

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