Pressemitteilung der Piraten Dortmund: Wir brauchen keine Diskussion „Inklusion gegen Förderschule“, wir brauchen für jedes Kind den richtigen Lernort.

Monika Pieper (rechts) und Ruth Klauck (links) besuchen den Unterricht in Klasse drei. (foto: piraten)
Monika Pieper (rechts) und Ruth Klauck (links) besuchen den Unterricht in Klasse drei. (foto: piraten)

Dortmund. (piraten_pm) Monika Pieper, die bildungspolitische Sprecherin der Piraten im Landtag, besuchte am 12. September die Georgschule in Dortmund, nach eigenen Angaben eine „Förderschule eigener Art.“

Neben dem schönen Gebäude fällt sofort die ruhige, entspannte Lernatmosphäre auf. In Klasse 3 üben sechzehn Kinder das Schreiben, das Thema Ackerbau steht im Mittelpunkt des Projektunterrichts. In der Eurythmiestunde üben die Kinder, den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen und ihre Bewegung zu koordinieren. Ein Schüler der Klasse 9 führt durch das Gebäude und beantwortet geduldig alle Fragen. Schön, wenn Kinder sich in einer solchen Umgebung entwickeln können.

Das ist allerdings nicht immer ganz einfach. Im Gespräch mit einer Mutter wird deutlich, wie schwierig es sein kann, wenn Eltern sich für die Georgschule entscheiden. Das betrifft besonders die Schuleingangsphase, wenn Eltern ihr Kind nahtlos von der Kita in die Förderschule einschulen wollen. Die gesetzlichen Regelungen sehen das nicht vor. Zunächst sollen alle Kinder in die Grundschule eingeschult werden.

Pieper: „Dies ist für viele Kinder auch der richtige Weg. Wenn jedoch ein erhöhter Förderbedarf offensichtlich ist und die Eltern sich für eine Förderschule entscheiden, müssen auch diese Eltern ernst genommen werden, denn wer kennt ein Kind besser, als die Eltern. Da ist dann allerdings von dem viel gepriesenen Elternwillen keine Spur. Das Kind soll es zuerst in der allgemeinen Grundschule „versuchen“. Dort herrschen oft Bedingungen, z.B. sehr große Klassen, die zu hoffnungsloser Überforderung führen. Angst, Rückzug und andere psychische Probleme sind dann häufig die Folge. Der „Versuch“ ist gescheitert.“

Nadja Reigl, Vorsitzende der Piraten Dortmund und Mitglied im Rat der Stadt Dortmund, stimmt zu: „Es ist völlig unverständlich, warum ein Kind erst in der Grundschule versagen muss, damit es an eine Förderschule wechseln darf, um dort eine angemessene Unterstützung zu bekommen. Durch die demotivierenden Erfahrungen an der Grundschule wird den Kindern und ihren Lehrkräften das Schulleben im Anschluss noch zusätzlich unnötig erschwert. Diese Gleichmacherei bei der Einschulung macht es unmöglich, ein Kind von Beginn an optimal und individuell zu fördern. Die Stadt Dortmund muss den Elternwillen ernst nehmen und für jedes Kind den individuell besten Lernort bereitstellen.“

7 Gedanken zu „Pressemitteilung der Piraten Dortmund: Wir brauchen keine Diskussion „Inklusion gegen Förderschule“, wir brauchen für jedes Kind den richtigen Lernort.“

  1. Ich finde es gar nicht schlecht, dass alle Kinder gemeinsam in der Grundschule unterrichtet werden und einzelne nicht bereits vor dem Eintritt in die 1. Klasse auf Förderschulen geschickt werden. Nach welchen Kriterien soll das entschieden werden, und wer trifft die Entscheidung?

    Wenn die Bedingungen an den Grundschulen nicht so sind, dass alle Kinder möglichst gut gefördert werden, dann wäre es Aufgabe von Kommunen, Eltern und den Parteien, dafür zu sorgen, dass genau diese Bedingungen geschaffen werden:
    Kleinere Klassen, angenehme Gebäude, realistische Anforderungen sowie angstfreie Räume.

    Stattdessen setzt die bildungspolitische Sprecherin der Piraten auf eine private Waldorf-Förderschule. Eine solche Schule liegt für viele Kinder in NRW gar nicht in erreichbarer Nähe – glücklicherweise, mag man denken. Denn das gemeinsame Lernen aller Kinder in der Grundschule (und von mir aus gern darüber hinaus) sollte das Ziel einer Partei sein, die Bildungspolitik für alle Kinder machen will. Hier bedienen die Piraten die Interessen der Waldorf-Schulen und der Eltern, die diese Schulform favorisieren. Das ist ein bisschen wenig.

  2. Die Piraten habe sich also entschieden, die anthroposophische Pädagogik zu unterstützen.

    Doch was ist das überhaupt, „anthroposophische Pädagogik“, die „Waldorfpädagogik“? Sicher nicht das, was die Piraten mit den Allgemeinplätzen ihrer „Pressemitteilung“ anpreisen.

    Hören wir doch einmal, wie sich die Georgschule selbst darstellt, und vergleichen das mir der Einschätzung des Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan T. Hopmann.

    Die Georgschule, aus „Pädagogik als Hilfe zur ‘Menschwerdung des Menschen‘“, Zitat:

    „Die Georgschule als Freie Waldorfschule für Erziehungshilfe arbeitet auf der Grundlage der von Rudolf Steiner (1861 – 1925) entwickelten Pädagogik und Heilpädagogik.

    Im Sinne des anthroposophischen Menschenbildes entwickelt sich das Kind ganz heitlich als leibliches, seelisches und geistiges Wesen. Daher muss Pädagogik Hilfe sein zur Entfaltung der individuellen Persönlichkeit. Diese hängt nicht einseitig von der kognitiven Entwicklung des Kindes ab, sondern insbesondere von seiner seelischen Reifung, seiner Willens- und Gemütsbildung. So kann sich, ausgehend vom Aufbau einer Handlungsmöglichkeit (1. Jahrsiebt, über den Aufbau eines differenzierten Seelenlebens (2. Jahrsiebt) im 3. Jahrsiebt mit dem „Erwachsenwerden“ die Möglichkeit der Urteilsfähigkeit herausbilden.

    Diese seelisch-geistige Entwicklung ist nach R. Steiner allgemeingültig. (…)“

    Diese „ALLGEMEINGÜLTIGE (sic!) seelisch-geistige Entwicklung“ nennt man in der Waldorfpädagogik „Jahrsiebtelehre“. Dazu befrage ich Prof. Hopmann im Interview:

    „(…)

    Lichte: noch einmal zur Jahrsiebtelehre – von 0–7 Jahre wird der physische Leib entwickelt, von 8–14 Jahre der Ätherleib, von 15–21 Jahre der Astralleib, vom 21 Lebensjahr an endlich das „Ich“ – erst dann ist der Mensch ein Mensch. Was sagen Sie zu Steiners Mensch aus dem Esoterik-Baukasten?

    Hopmann: Wir leben in einer freien Gesellschaft. Also hat jede/r das Recht, jeden Unfug zu glauben. Nur sollten sich Eltern, die ihr Kind einer Waldorfschule anvertrauen, darüber im klaren sein, dass sie dann einer Pädagogik vertrauen, die ein heilloses Gebräu esoterischer Glaubenssätze über Drüsen, Zahnentwicklung, astrologischen Einflüsse und ähnliches ist, das von der modernen Kinderpsychologie und der aktuellen Lehr-Lern-Forschung durchweg als durch nichts begründbarer Unsinn abgelehnt wird. Entschiedene Waldorfianer wird das nicht anfechten: Wie alle Sekten sind sie gegen widersprechende Wissenschaft immun.

    (…)“

    Das soll hier erst einmal als Beispiel genügen, um zu zeigen, wie aus der schönen, heilen Waldorfwelt „etwas anderes“ wird: Wollen Eltern wirklich, dass der „Ätherleib“ und „Astralleib“ ihres Kindes vom anthroposophischen Waldorfpädagogen „bearbeitet“ wird?

    Wer sich – schnell – über wesentliche Aspekte der Waldorfschule informieren möchte, lese einfach das vollständige Interview mit dem Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan T. Hopmann:

    „Man kann nicht nur ein ‘bisschen’ Waldorf sein“

  3. … ergänzend zum Interview mit Prof. Hopmann über die Waldorfpädagogik (siehe Kommentaroben), hier noch ein Blick in die Realität einer Waldorfschule:

    „‘Ich würde mein Kind nie an einer Waldorfschule anmelden’

    Heidrun G. war ein Jahr lang Lehrerin an einer Waldorfschule im Ruhrgebiet. Heute unterrichtet sie an einer staatliche Schule und blickt kritisch auf ihre Zeit als Waldorfschullehrerin zurück.

    Es war die Größe, die G. an ihrer Waldorfschule als erstes auffiel: Die Größe der Klassen. „Ich hatte Klassen mit fast 40 Kindern, da ist ein vernünftiger Unterricht kaum möglich. Man kann in so einer großen Gruppe nicht auf die Probleme einzelner Kinder eingehen.“

    (…)

    „Die Waldorfpädagogik legt keinen Wert darauf, an den wissenschaftlichen Diskursen der Pädagogik teilzunehmen. Man hat ja Steiners Lehre.“ Waldorfschulen, das würden viele Eltern unterschätzen, seien vor allem die Schulen der anthroposophischen Bewegung.

    (…)

    In den unteren Klassen haben die Kinder Epochenunterricht über Zwerge und Gnome gehabt. Atlantis und Sagen waren Stoff im Fach Geschichte.

    (…)

    G. bestätigt einen Bericht des ZDF-Magazins „Frontal 21“ [aus dem Jahre 2009], in dem die Qualifikation von Waldorflehrern bezweifelt wurde:

    „Bis in die achte Klasse hinein unterrichtete der Klassenlehrer bei uns alle Fächer – niemand kann so etwas qualifiziert leisten. Vor allem Waldorflehrer nicht, von denen viele keine wissenschaftliche Ausbildung haben …“

    (…)“

    zum vollständigen Artikel: http://www.ruhrbarone.de/ich-wurde-mein-kind-nie-an-einer-waldorfschule-anmelden“/1952

  4. … und hier der Hinweis auf den Bericht einer Mutter, die über die Erfahrungen ihres Sohnes in einer Waldorfschule des Ruhrgebiets berichtet.

    Ich habe 2015 noch einmal mit der Mutter telefoniert: Der Sohn bereitete sich auf das Abitur vor – an einer öffentlichen Schule …

    Hier nur ein kurzer Auszug über die in der Pressemitteilung der Piraten angepriesene „Eurythmie“:

    „Wie gut sind Waldorfschulen?

    (…)

    Der ganze Schulablauf ist sehr stark strukturiert – ritualisiert – und lässt für Freiheit keinen Raum. Man will ja „den Willen stärken“. Mit meinem heutigen Wissen sage ich: die Kinder und Jugendlichen werden manipuliert – zu tun, zu denken und zu glauben, was die Waldorfschule will. Eigene Wünsche, Meinungen und Gefühle werden unterdrückt: Du gehst in eine Schule, die dich willentlich zum Zwangsschlaf verurteilt … auf dass, wenn du Glück hast, vielleicht ein Mensch aus dir wird … der dann auch noch mit beiden Beinen im Leben stehen soll … Die eigene Persönlichkeit wird untergraben, hat nicht in Erscheinung zu treten.

    Das ist in allen Fächern so, wird für den Außenstehenden aber vielleicht am deutlichsten an der ‘Eurythmie’. Einem Fach, das nach Waldorf-Aussage, von den meisten Schülern geliebt wird. Bei der Eurythmie sollen Sprache und Musik durch Bewegungen ausgedrückt werden. Dabei gibt es, wie immer bei Waldorf, von Rudolf Steiner fest vorgegebene Gebärden für jeden Sprachlaut. Freiheit gibt es nicht, haben die Sprachlaute doch eine „kosmische“ Bedeutung, die bei ihrer Wiedergabe strengstens beachtet werden muss. Mein Sohn empfand die Eurythmie eher irdisch „als schwul sein“ oder „schwul werden“. Er gab sein Bestes, weil er ja vom System und vom Lehrer dazu gezwungen wurde. Es ist heute wie ein Befreiungsschlag für ihn, in der öffentlichen Schule keine Eurythmie mehr zu haben. Sich keine Gedanken mehr darüber machen zu müssen, ob er „noch richtig tickt“, so mein Sohn. Wenn man sich nicht voll auf die Eurythmie konzentriert, so die Lehrerin, hat „man sich mit dem Stoff nicht richtig verbunden“. Dann wird ‘Heileurythmie’ verordnet. Einen Grund dafür findet der Waldorflehrer immer, wenn er denn nur will: das Kind ist dann „unkonzentriert“, „zu ruhig“, „im Bewegungsablauf zu langsam“, egal … . Einige wenige Krankenkassen bezahlen die ‘Heileurythmie’, wenn nicht: „Bitte zahlen sie aus der eigenen Tasche, denn …“, so wird es einem plausibel gemacht, „die Waldorfschule will doch nur das Beste für Ihr Kind!“ Wie sich das Kind bei den Übungen vorkommt, was es dabei empfindet, spielt überhaupt keine Rolle. Es folgen die üblichen Erklärungen nach dem Muster: „Rudolf Steiner hat gesagt …“.

    (…)“

    zum vollständigen Bericht: http://www.ruhrbarone.de/wie-gut-sind-waldorfschulen/3101

  5. … falls sich jemand an der direkten Ausdrucksweise des vorherigen Kommentars stört – „Mein Sohn empfand die Eurythmie eher irdisch ‘als schwul sein’ oder ‘schwul werden’“ – hier dasselbe in anderen Worten:

    „WALDORFSCHULE – Tanzen in wallenden Kleidern

    Wer das durchgestanden hat, den kann nichts mehr schrecken

    DIE ZEIT, 17.2.2011, von Julian Hans

    Eurythmie ist ein eigenes Kapitel. Es soll Schulen geben, an denen Schüler das wirklich gern machen. Bei uns wurde sie mehrheitlich als Erniedrigung empfunden. Man versetze sich in die Lage eines pubertierenden Jungen, der gerade beginnt, seine Männlichkeit zu entdecken. Wie fühlt der sich, wenn man ihn zwingt, sich ein wallendes Kleid überzustreifen und zu Gedichten zu tanzen? Im besten Fall hat das einen Effekt wie in Johnny Cashs Song ‘A Boy Named Sue‘: Wer das durchgestanden hat, den kann nichts mehr schrecken.”

    zum vollständigen Artikel: http://www.zeit.de/2011/08/Waldorfschule-Selbsterfahrung/seite-2

  6. Ich sehe es genauso wie @Johanna und finde es befremdlich, dass im Jahr 2016 in Deutschland so etwas diskutiert werden muss. Leider wird bei uns das Fahrrad gerne nicht nur einmal sondern mehrfach neu erfunden. Da gibt es einen alten Spruch: „Wir bauen auf und reißen nieder, Arbeit gibt es immer wieder.“ Wenn sie wenigstens etwas lernen würden in den Schulen (welchen Schultyps auch immer). Über 50 000 unbesetzte Lehrstellen in diesem Jahr, weil die Bewerber nicht die geeigneten Schulabschlüsse haben, bzw. nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können… (Wenn sie dafür in seltsamen Kostümen zu Gedichten tanzen können wird das wohl auch keinen Ausbildungsbetrieb überzeugen.) Ich finde das wirft kein gutes Licht auf die Bildungspolitik in diesem Land im Allgemeinen und auf die Pädagogen im Besonderen. In Bayern wird gefordert auch diese in den Betrieben einzustellen und es einmal zu versuchen? Versuch macht klug – aber auch ohne den gibt es genügend Jugendliche die ein oder zwei Lehrstellen einfach so schmeißen. Geht halt leider nicht zu wie im Privat-TV in epischer Breite vorgegaukelt. Aber auch der Zustand der Schulen sollte mal zur Sprache kommen. In einem so reichen Land baufällige Schulen, erbarmungswürdige sanitäre Bedingungen, nicht genügend Lehrmittel, kein vernünftiges, gesundes Schulessen, Stundenausfall aller Orten etc. Da werden die Jugendlichen schon mal super auf das Leben vorbereitet.

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