Mexico City – Vierter Tag: Diana nackt im Brunnen

Jeder lese, solange es für ihn kurzweilig bleibt; ansonsten hat er auch nichts verpasst im Leben.
(Sprüche und Wendungen eines alten chinesischen Meisters)

Dienstag, der 3. Februar 2009

Die Innenstadtautobahn
Die Innenstadtautobahn

Heute ging es nachmittags wieder durch die begehrten Stadtviertel Polanco und La Condesa, die beide um den Chapultepec-Park gelegen sind, auch bis nach Cuauhtémoc, das aber nördlicher gelegen vom Circuito Interior, dem Innenring der Stadtautobahn, eingefasst ist und damit weniger attraktiv.

Cuauthémoc erinnerte mich stark an Asunción bzw. entsprechende ganze Städte in Südamerika: Die Häuser recht niedrig, ein- oder zweistöckig, zum Teil im spanischen Kolonialstil, um der Armseligkeit Etikette zu verleihen. Meine Maklerin allerdings meinte, dass ein Viertel wie Cuauhtémoc früher tatsächlich schöner als heutzutage war und nur heruntergekommen sei. Außerdem warnte sie vor diesem Barrio wie auch vor der Zona Rosa, da dort Erdplatten zusammenstießen, was im Falle eine Erdbebens besonders gravierend sei – jede Stadt hat ihr kollektives Ventil bei frei flottierenden Ängsten – hier der omnipräsenten vor Unsicherheit im privaten und wirtschaftlichen Leben.

In La Condesa
In La Condesa

Die Arbeit einer Maklerin spielt sich zwischen Straßenschluchten und Handygesprächen beim Fahren ab, was übrigens alle Autofahrer ebenso praktizieren. Nach dem langen Wochenende, der Montag war Nationalfeiertag, tobte der Verkehr ab fünf Uhr abends und man brauchte von einem zum andern Stadtteil ziemlich lange, wofür wir sonst am Feiertag fünf oder zehn Minuten unterwegs waren.

Als wir auf der Paseo de la Reforma, dem Prachtboulevard, entlangfuhren und auf die Gloriette zu, eine Art mexikanischer Siegessäule, auch mit Goldengel wie in Berlin, der ebenfalls ein Wahrzeichen der Stadt ist, „Angel de la Independencia“, passierten wir den Dianabrunnen. Aus dem Springbrunnenbecken erhebt sich eine Statuette der Diana mit Bogen empor, seit den späten 70er Jahren wieder nackt wie Gott sie schuf. Dieses Brunnenmotiv wurde 1940 vom Präsidenten Avila Camacho installiert, und zum Vorbild für die damalige Statue saß die Geliebte des Direktors der Pemex Ölgesellschaft Modell. So vermögen sich die Schönen und Reichen im öffentlichen Raum zu verewigen. Jedoch 27 Jahre später, wo doch die junge Generation den Aufstand gegen die verkrustete Prüderie der etablierten bürgerlichen Wohlanständigkeit, den Pief und Mief, probte, entrüstete sich die Gattin des Präsidenten Diaz Ordaz 1967 so sehr gegen die nackten Brüste und den sicht- und schlimmer noch imaginierbaren Venushügel der Diana, dass sie die Statue am liebsten gleich selbst vom Sockel gestoßen hätte. Den Bildersturm fing noch rechtzeitig der damals amtierende Bürgermeister Corona del Rosal auf, der die Statue nicht entsorgen, sondern in einen Park einer Seitenstraße der Paseo de la Reforma verbannte, wo Diana gut und gern 15 Jahre verbrachte. Nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn” verschleppte Rosal Diana schließlich in sein Heimatdorf Ixmiquilpan im südlichen Bundesstaat Hidalgo, wo sie überdimensioniert auf dem Dorfplatz in einem Brunnen plantscht. Währenddessen erzürnten sich die Hauptstädter der Taktik des Aus-den-Augen-aus-dem-Sinns zum Trotz und forderten die Diana zurück in ihren Brunnen, woraufhin die städtische Obrigkeit mit einiger Verzögerung eine Kopie anfertigte und in den Brunnen setzte. Diese Kopie wird bis heute als hässlicher Abklatsch gewertet, die Proportionen stimmten irgendwie nicht, der Venushügel sei zu schamhaft geraten, die Rundungen nicht naturalistisch getroffen, kurz, was kommen musste: je mehr etwas pönalisiert und tabuisiert wird, desto mehr steht es im Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Was vorher kein Defeño so recht wahrgenommen hatte, ist bis heutigentags steter Gesprächanlass, fährt der Hauptstädter an seiner Diana vorbei. So ist des Präsidenten Gattin der Aetheon, der von der Meute zerrissen wird, weil sie zuerst die nackte Diana beim Baden mit Hintergedanken gesehen hat.

Paseo de la Reforma
Paseo de la Reforma

Einige Straßenblöcke weiter, in Polanco, ziert die Calle Horacio Ecke Arquimedes übrigens der an sich zum Diana-Motiv gehörende Hirsch, in den sie Aetheon zur Strafe verwandelte – hier auf der Horacio sind es sogar zwei Hirsche. Wo sind Aetheons Hunde? Der Platz müsste auch noch zu finden sind. – Die derzeitige „Diana und Aetheon”-Ausstellung in Düsseldorf um den Grenzgang bei Nacktheit zwischen konservativer, bürgerlicher Kontemplation des vereinzelten Subjekts im Museum und modernem Voyeurismus in den Medien sowie Irrgängen und Holzwegen im Grenzland, also der Düsseldorfer Ausstellung um das Verhältnis zwischen Kunst und Porno, hätte um eine Anekdote aus México D.F. reicher sein können.

Die Architektur der Stadt ist atemberaubend grotesk und bizarr; hier passt nichts zusammen und will es auch nicht. Monumentales als Spiegelung der erstarrten PRI-Herrschaft und ihrer Vorgeschichte steht neben dem Pluralismus des Schmelztiegels dieser Metropole.

Teil 5 erscheint Sonntag um 8 Uhr morgens.