Mexico City – Erster Tag

Jeder lese, solange es für ihn kurzweilig bleibt; ansonsten hat er auch nichts verpasst im Leben.
(Sprüche und Wendungen eines alten chinesischen Meisters)

Samstag, der 31.1.2009

Beim Landeanflug
Beim Landeanflug

Auf dem Hinflug, der seltsamerweise nahezu Grönland streifte und über Kanada in die USA eindrang, die bis zu Arkansas zu weiten Teilen vereist erschienen, und dem Mississippi zum Golf vom Mexiko folgte – während des Hinflugs las ich ein deprimierendes und grausiges Buch, Harald Welzers „Die Täter“ (2005).

Ich hatte es am Tag vorm Abflug in der Bonner Filiale der Büchergilde Gutenberg als obligatorischen Vierteljahrseinkauf kurzerhand aus der Sachbuchabteilung wegen des aus der Sozialpsychologie bekannten Autornamens geschnappt, ohne recht darauf zu achten, was ich kaufte, das mich da wahrlich kalt erwischte.Das Buch versucht in sozialpsychologischer Sicht, die Verbrechen der Nazis wider die Menschlichkeit, insbesondre den Massenmord an den Juden, zu verstehen. Die fatale Psychologie der Gruppendynamik derjenigen 3000 Mann starken Sonderkommandos, der Polizeibataillone und der Waffen-SS-Einheiten, die seit dem Frühjahr 1941 mit der Wehrmacht in Massenerschießungen ca. 500.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordeten, bewirkte u.a. auch, dass sich die Täter im Reinen mit ihrem Gewissen wähnten! – so eine These Welzers. Ein düsteres Fazit zieht Welzer damit, dass die Massenmörder in ihrem Referenzrahmen des Rassenwahns und völkischen Denkens mit gutem Gewissen, ja im Glauben ihres moralischen Anstands mordeten. – Die Lektüre hinterließ mich doppelt perplex: Zum einen hatte hatte ich mich längere Zeit nicht mehr intensiver mit dem Thema beschäftigt, und dieses Buch ist wirklich wuchtig in der Dimension des Schreckens auch im Vergleichsrahmen der Holocaust-Literatur. Außerdem befand ich mich nun gerade auf dem Weg in mein neues Leben, auf zum präkolumbianischen, kolonialen und v.a. modernen Mexiko.

Auch beim Anflug auf diese Stadt behindern Wolkenbänke, gezackte Dreiecke in stahlblau und -grau, die wiederum den Rumpf eines großen, kalten, blauen Dreiecks bilden, das in den amorphen Raum des Himmels sticht, die Sicht, bis unten die Metropole in orange-farbigen Lichtern glimmt. Die Zacken erinnern an Flaschenscherben auf Mauerkronen zur Abschreckung von Einbrechern. In Lateinamerika ist es wohl kulturell zu verstehen, wenn der Innenraum als Privatsphäre durch hohe Mauern geschützt wird, denn der Einbrecher kommt bekanntlich mit der Waffe in der Hand wie alle anderen auch zur Tür herein.

Ein Häusermeer bis zum Horizont, feurig und riesig bleckt der Brand an die den Talkessel einfassenden Berge. Hier ist der Moloch dabei zivilisatorische Grenzen zu überschreiten und die Natur unter der bebauten Stadtfläche verschwinden zu lassen. Die gigantische Größe der versiegelten Fläche lässt an Kunststädte des Science-Fiction-Genres á la „Metropolis“ oder „Matrix“ denken. Selbst die Hochhäuser, etwas größere Spielsteine im Gewusel der Avenidas, verschmelzen in der horizontalen Masse der Stadt, mit ihrem Geflirre und Geflacker, die die getriebene Metropole verheißen.

In der Pension
In der Pension

Vom Flughafen holte mich Monika ab, eine zukünftige Arbeitskollegin aus der Verwaltung, deren Eltern 1920er Jahren nach Mexiko einwanderten. Sie spricht Deutsch mit leichtem Akzent, aber so gut wie eine Muttersprachlerin. Die Stadtautobahn vom Flughafen her ist in typisch gelbem Licht lateinamerikanischer Beleuchtung gebadet und die erste Reihe Häuser an der Fahrbahn in buntem Gewimmel der Lichter erleuchtet. Endlich bin ich wieder in einer Großstadt.

Auf der Fahrt zur Pension, wo ich untergebracht werden sollte, verblüfft die gute Luft, die an eine europäische Metropole erinnert, jedenfalls mit dem Smog z.B. in Buenos Aires oder Asunción nicht zu vergleichen ist. Die Stadtverwaltung hat offensichtlich in den letzten zehn Jahren intensiv die alten Dreckschleudern aus dem Verkehr gezogen, führt regelmäßig Abgasuntersuchungen durch und baut Filter in die Industrieanlagen im nördlichen Speckgürtel ein. Bei Smogalarm gibt’s das aus Santiago de Chile bekannte Programm, dass an geraden Tagen nur Nummernschilder mit gerader Endziffer und an ungeraden gerade umgekehrt fahren dürfen.

Teil 2 erscheint am Dienstag um 17 Uhr.