Martin R. Textor, „Zukunftsorientierte Pädagogik: Erziehen und Bilden für die Welt von morgen“. Kleinkarierte ideologische Auseinandersetzungen hinter uns lassen.

Rezensent Detlef Träbert: " " (foto: träbert)
Rezensent Detlef Träbert: „Zukunftsfähige Kinder“ (foto: träbert)

Es ist ein lustiger, alter Spontispruch: „Wir sind Schüler von heute, die in Schulen von gestern mit den Methoden von vorgestern auf die Welt von morgen vorbereitet werden sollen.“

Darüber darf man gerne lachen, und mancher mag beruhigt denken, dass die Methoden in der Schule von heute mittlerweile ja wirklich nicht mehr von vorgestern sind. Aber taugen sie zur Vorbereitung auf die Welt von morgen?

Zukunftsorientierte Pädagogik für Familie, Kita und Schule
Martin R. Textor kennt sich mit dieser Frage aus. Der promovierte Pädagoge und Zukunftsforscher hat sich intensiv mit Zukunftsentwicklungen beschäftigt und skizziert in seiner jüngsten Publikation*) eine zukunftsorientierte Pädagogik für Familie, Kita und Schule.

Wandel von Gesellschaft, Familienleben, Kindheit und Jugend
In der ersten Hälfte des Buches beschreibt Textor, wie die Welt von morgen aussehen wird. Dabei zeigt er nicht nur die Trends in der Entwicklung von Bevölkerung, Wirtschaft, Technologie und Arbeitsleben auf, sondern auch die Gewichtsverschiebungen in der internationalen politischen Landschaft. Vor allem aber schildert er den absehbaren Wandel von Gesellschaft, Familienleben, Kindheit und Jugend.

Kompetenzen, die die heutigen Kinder erwerben sollten
Für all diese Bereiche benennt Textor Kompetenzen, die die heutigen Kinder erwerben sollten, um zukünftig in einer gegenüber heute dramatisch veränderten Welt erfolgreich zurechtzukommen. Die 26 Kompetenzen samt Unterpunkten fasst der Autor im kurzen zweiten Teil des Buches tabellarisch in drei Bereichen zusammen: personale und emotionale, soziale und kommunikative sowie kognitive und lernmethodische Kompetenzen. Diese für sich genommen schon sehr eindrucksvolle Liste wird durch die Auflistung zusätzlicher Wissensbereiche ergänzt.

Pädagogische Praxis in Familie, Kita und Schule nicht ausreichend
Aus dieser Zusammenstellung wird unmittelbar ersichtlich, dass die pädagogische Praxis in Familie, Kita und Schule bei weitem nicht ausreicht, um unsere Kinder hinreichend auf die Zukunft vorzubereiten. Wie wir diese Praxis verändern können, führt Textor im dritten Teil seines Buches aus.

Zwangsläufige Veränderungen der Institutionen und Lernkultur
Er beschreibt anschaulich, konkret und differenziert, welche Aufgaben Familie, Kita und Schule erfüllen müssen, um für die Welt von morgen zu erziehen und zu bilden. Daraus ergeben sich zwangsläufig Veränderungen der Institutionen. So wird Schule im gebundenen Ganztag arbeiten müssen, auch wenn die Bildungsinhalte nach exemplarischen Gesichtspunkten ausgewählt werden und das Methodenlernen im Vordergrund steht. Traditionelle Bewertungsverfahren müssen zu einer lernförderlichen Feedback-Kultur und das selektive Schulsystem muss zu einem inklusiven weiterentwickelt werden, denn wir können es uns nicht länger leisten, die Bildung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher im bisherigen Ausmaß zu vernachlässigen.

Kleinkarierte ideologische Auseinandersetzungen hinter uns lassen
„Zukunftsorientierte Pädagogik“ von Martin R. Textor ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Familien- und Bildungspolitik, aber auch zur Reflektion unserer täglichen pädagogischen Praxis. Die dargestellten Tatsachen und absehbaren Entwicklungen rufen uns zwingend dazu auf, kleinkarierte ideologische Auseinandersetzungen hinter uns zu lassen und uns endlich den Erfordernissen von Schulentwicklung, Frühförderung und Familienunterstützung zu stellen.

Emanzipatorischen Selbstzweck von Bildung schützen
Dabei kann man sich selbstverständlich darüber streiten, ob der Autor wirklich alle zukunftsrelevanten Kompetenzen erwähnt hat. Ganz sicher muss man diskutieren, wie wir bei aller notwendigen Zukunftsorientierung das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ (Janusz Korczak) und den emanzipatorischen Selbstzweck von Bildung schützen, was am Ende des Buches nur angerissen wird. Auf jeden Fall müssen wir anfangen, das Leben unserer Kinder im Morgen zu bedenken … jetzt!

*) Martin R. Textor: Zukunftsorientierte Pädagogik: Erziehen und Bilden für die Welt von morgen. Wie Kinder in Familie, Kita und Schule zukunftsfähig werden, Norderstedt (Books on Demand) 2012, 132 S., 11,50

© 2012 by Dipl.-Päd. Detlef Träbert
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3 Gedanken zu „Martin R. Textor, „Zukunftsorientierte Pädagogik: Erziehen und Bilden für die Welt von morgen“. Kleinkarierte ideologische Auseinandersetzungen hinter uns lassen.“

  1. Mal eine grundsätzliche Frage, da dieses Stichwort auch in diesem Artikel fällt: warum brauchen wir Ganztagsschulen?
    Bitte plausible Gründe!

  2. Zum Thema Ganztag äußerte sich der Haushaltssprecher der Winterberger CDU-Fraktion Andreas Pieper in seinen Ausführungen zum Haushalt am 22.03.2012:

    „Es gibt übrigens keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass Ganztagschulen (sic!) eine bessere Bildung vermitteln, es findet lediglich eine bessere Betreuung statt. Aber gerade dies hat negative Auswirkungen auf die nachmittägliche Arbeit in unseren Vereinen. Soll demnächst die Ausbildung unserer Jungfeuerwehren abends und an den Wochenenden stattfinden?“

  3. Ganztagsschulen entlasten vom Hausaufgabenstress, wegen dem es in jeder zweiten Familie mit Schulkindern regelmäßig Streit gibt.
    Sie ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, ihr enormes Pensum in einem rhythmisierten Tagesablauf zu bewältigen, in den Musisches und Bewegung besser integriert werden können.
    Sie tragen zur Reduzierung sozialer Ungleichheit im Bildungswesen bei, worin wir in Deutschland international leider Spitze sind.
    Ganztagsschule für alle (= „gebundene Ganztagsschule“) ist international die übliche Form von Schule und trägt zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.

    Johannas Pieper-Zitat stellt eine Behauptung dar, die sich weder be- noch widerlegen lässt, da „Ganztagsschule“ in Deutschland sehr unterschiedlich organisiert ist. Wenn Herr Pieper die in NRW übliche „offene Ganztagsschule“ meint, hat er mit seinem Betreuungsargument Recht – wobei die Betreuung im Hort vor Einführung der OGSn meist besser war.
    Die Vereinbarkeit von Schule und Verein ist mit der gebundenen Ganztagsschule gut möglich, denn es sind im Normalfall nur drei Nachmittage bis 16 Uhr mit Schule belegt. Der Rest ist frei, und Hausaufgaben gibt es dann nicht mehr viel.

    Wenn Schule zukunftsfähig sein soll, müssen wir schon ein wenig umdenken, denn mit der Schule von heute behindern wir die Zukunftschancen unserer Kinder.

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