„Marodierende russische Zwangsarbeiter“ – ein wenig Vorgeschichte.

Ein dunstiger Juni-Morgen: Eversberg mit der St.-Johannes-Evangelist-Pfarrkirche
Ein dunstiger Juni-Morgen: Blick vom Bergfried der Burgruine auf Eversberg mit der St.-Johannes-Evangelist-Pfarrkirche

In der katholischen Pfarrkirche des kleinen Ortes Eversberg im Hochsauerland bin ich vor ein paar Tagen auf die Geschichte der Zwangsarbeiter in Meschede gestoßen (siehe hier).

Üble Geschichten von Mord und Totschlag werden noch heute in den Orten des Hochsauerlandes über die „marodierenden russischen Zwangsarbeiter“ tradiert, doch die Vorgeschichte wird manchmal vergessen zu erzählen oder nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben, weil die an eventuellen Verbrechen Beteiligten und ihre Kinder und Kindeskinder noch leben.

Einen ersten Einstieg in die Geschichte der Zwangsarbeiter in und um Meschede im Hochsauerlandkreis bietet die Broschüre „Kriegsende – Die Stunde Null“ des Stadtarchivs Meschede.

Ich zitiere im Folgenden einige Abschnitte. Vielleicht interessiert sich der ein oder die andere Leserin für das Thema, liest die ganze Broschüre und forscht weiter.

Zwei Monate vor der Befreiung durch die Alliierten:

Nach gerichtlichen Untersuchungen sind die 80 Russen und Polen
unter dem Vorwand, sie seien Plünderer, erschossen worden. Am Abend
des 22. März 1945 wurden sie zu einem angeblichen Arbeitseinsatz
in drei oder vier Transporten zum Exekutionsplatz gefahren. Mit Hilfe
von Sprengmunition war am Nachmittag eine 30 x 6 m große und 1,50
m tiefe Grube unweit der heutigen Kriegsgräberstätte ausgehoben
worden. Dort angekommen, mussten die Männer Mäntel, Decken,
Brotbeutel und Ausweispapiere ablegen.
„Jetzt erkannten sie, was ihnen für ein Schicksal bevorstand. Sie
wurden unruhig, ließen sich aber in die Grube hineinführen und mit
dem Gesicht zur Wand aufstellen“, erinnerte sich später ein Zeuge vor
Gericht. „Die Soldaten traten jeweils hinter einen Arbeiter und …“
Nachdem die Leichen notdürftig mit Erde zugeschaufelt waren,
ging das Kommando zur Straße zurück und wartete auf den nächsten
Transport. „Bei einem Schub versuchte ein Mann zu fliehen, wurde
aber mit einem Feuerstoß niedergestreckt. Die anderen jammerten
und weinten“ ( ebenda, S. 25).

Aus welchen Gründen waren die ganzen „Fremden“ in Meschede und Umgebung? Sie wurden beispielsweise in den Honsel-Werken gebraucht:

Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse während der ersten
Kriegsjahre verlief für die Stadt Meschede recht günstig.
Da Industrie, Handwerk und Gewerbe ihre Kapazität voll ausnutzen
mussten und einheimische Arbeitskräfte zum Wehrdienst eingezogen
wurden, holte man ausländische Arbeiter, Kriegsgefangene und Zivilarbeiter.

Die Zwangsarbeiter, Russen, Franzosen und Polen wurden in
Lagern untergebracht.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang, vor allem im Hinblick auf
den späteren Luftkrieg, ist die beachtliche Industrie in dieser Zeit. Eine
bedeutende Rolle spielten die Honsel-Werke / Leichtmetallwerke.

Schon in den Jahren vor der Mobilmachung war die Umstellung von
Friedenserzeugnissen auf Rüstungsindustrie eingeleitet worden. Die
Honsel-Werke konnten sich dadurch ungeheuer vergrößern und erlang-
ten für die Rüstung zunehmende Bedeutung. Die normale Beschäftig-
tenzahl steigerte sich in den letzten Kriegsmonaten auf 3.500 …

2400 Ausländer sollen zeitweise im Lager der Honsel-Werke gelebt
haben (S. 2 – 4).

Die Lebensbedingungen waren unmenschlich:

Als Zwangsarbeiter mussten sie das Rad der gigantischen Hitler-
schen Rüstungsindustrie mit in Schwung halten, in Zechen und Gie-
ßereien, auf Bauernhöfen und in Hydrierwerken schuften. Oft unter
menschenunwürdigen Umständen, schamlos ausgenutzt, eingepfercht
in Lagerbaracken. Tausende waren den unmenschlichen Belastungen
nicht gewachsen, sahen ihre Heimat nie wieder. Da z. B. die Lebens-
mittelzuteilungen an die ausländischen Arbeiter meist weit unter denen
der deutschen Bevölkerung lagen, erreichte die Sterblichkeitsziffer unter
den Ostarbeitern eine erschreckende Höhe (S. 8 )

Ich höre an dieser Stelle auf zu zitieren.

Sollte jemand weitere über die Informationen in der Broschüre hinausgehende glaubwürdige Berichte kennen, wäre ich für einen Hinweis dankbar.