Hochsauerland: Assinghausen und die Geschichte der Familie Löwenstein

Das sogenannte „Judenhaus“ in Assinghausen um 1930 (Foto: Dr. Karl Weiken)

Dorfgeschichte Perspektive I

Zur Jahrtausendwende veröffentlichte „Der Arbeitskreis Dorfgeschichte“ aus Assinghausen eine Fleißarbeit. Die rund 850 Seiten starke, bebilderte, fest gebundene Geschichtsaufarbeitung mit dem Titel „Assinghausen im Freien Grund“ erschien pünktlich zum großen Festakt anlässlich der Ersterwähnung des Ortes vor 700 Jahren. Eine wichtige und wertvolle Arbeit.

Menschen, Ortsansichten, Kirche und Kapelle, Wohnhäuser, Besitzverhältnisse, Festberichte und -bilder, Persönlichkeiten wie der Heimatdichter Friedrich Wilhelm Grimme und der Maler Joseph Guntermann, etliche Pastoren, Lehrer und Schützenkönige, aber auch Schülerinnen und Schüler und noch viel, viel mehr fanden Erwähnung und Platz in „Geschichte & Geschichten“.

Den Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Korrektheit haben die fleißigen Forscher und Autoren vermutlich nicht für sich reklamiert. Wie auch? Dann hätten weder Ausdauer noch Zeit und erst recht nicht die 850 bedruckten Seiten ja bei weitem nicht gereicht. Trotzdem schade! Manches aus der Geschichte des kleinen Ortes bleibt wahrscheinlich weiter im Dunkeln.

Dorfgeschichte Perspektive II

Selbstverständlich kann ich überhaupt nicht beurteilen, welche Geschichtsbausteine in der Dorfchronik fehlen und welche womöglich einseitig oder falsch dargestellt sind. Schließlich liegt das liegt ja auch im Auge des Betrachters. Mögen mir die Assinghauser Geschichtsforscherinnen und -forscher einen Kritikpunkt nachsehen. Vielleicht wissen sie beim nächsten Punkt schon was ich meine?

Seite 233/234, Haus Nr. 38 „Judenhaus“ …

… Der Anfang von der Geschichte des „Judenhauses“ ist mit der Angabe „1792 – 1809 Falck Maier oder Falkmeyer“ gemacht. Jedoch es fehlt das Ende.

Zwar geht es mit den Angaben mehrerer Daten und Namen der Bewohner bis einschließlich 1914 weiter. Doch mit dem ersten Kriegsjahr des WK I reißt die Geschichte abrupt ab, abgesehen von dem Foto des Hauses auf Seite 234. Das Bild ist auf „um 1930“ datiert.

Andere Quellen

Dank Google und Co. erfuhr ich, was die Dorfchronik verschweigt. Was ich im Internet gelesen habe und jeder nachlesen kann, ist eine vorwiegend traurige Geschichte mit einem unglücklichen Ende.

Knüpfen wir an das Jahr 1914 an. Die damaligen Hausbewohner des „Judenhauses“ in Assinghausen waren Hermann Löwenstein, seine Frau Hannchen geb. Weidenstein und ihre vier Kinder Julius, Selma, Siegfried und Berta. 1915 wurde noch Tochter Emma geboren. Sehr wahrscheinlich lebte zu dieser Zeit im „Judenhaus“auch noch Lina Löwenstein, eine unverheiratete Schwester des Familienvaters. Hermann Löwenstein verdiente den Lebensunterhalt mit Viehhandel und einer Metzgerei. Er und seine Kinder müssen es dann bald sehr schwer gehabt haben. Hannchen starb im Februar 1919. Das älteste Kind war mit 13 Jahren Halbwaise, das jüngste mit 3 Jahren.

Was geschah in den 1930er und 1940er Jahren?

In Assinghausen geschah das was überall in Deutschland „einfach so passierte“. „Sieg Heil“, die Nazis übernahmen das Regiment.

9./10. November 1938: Reichskristallnacht.

Zwischenbemerkung:

Meine Großmutter erzählte mir vor vielen Jahren, auch das „Judenhaus“ in Assinghausen wäre in der Reichsprogromnacht demoliert worden. Die Löwensteins seien nette Leute gewesen. Jeder hätte bei ihnen „anschreiben“ dürfen.

Hermann Löwenstein um 1933 (Foto: Dr. Karl Weiken)

Judenhass

Februar 1939: Deportation von Siegfried Löwenstein (Vernichtungslager Auschwitz)

Juni 1939: Tod von Hermann Löwenstein in Assinghausen

Vermutlich 1939: Deportation von Lina Löwenstein

Lina Löwenstein um 1933 (Foto: Dr. Karl Weiken)

Januar 1942: Deportation von Julius Löwenstein (KZ Riga)

?: Deportation von Selma Rosenstein geb. Löwenstein (ab Kassel ins Ghetto von Riga)

?: Deportation von Berta Goldschmidt geb. Löwenstein (von Frankfurt a.M. nach Auschwitz)

?: Deportation von Emma Klein geb. Löwenstein (Vernichtungslager Auschwitz)

„Judenhaus“

1939: Nach dem Tod von Hermann Löwenstein und der Deportation seines Schwester Lina wurde das Haus an die Familie Tüllmann verkauft.

Tüllmanns Haus, genannt „Kleinecordts“, lag in unmittelbarer Nachbarschaft des „Judenhauses“. (Unweigerlich kommt mir der Gedanke, was der neue Besitzer, vermutlich war es August Tüllmann, wohl für das „Judenhaus“, sein Inventar und das Grundstück bezahlt haben mag.)

1953: Das „Judenhaus“ brennt ab.

2015: An der Grimmestraße in Assinghausen werden zum Gedenken an die Familie Löwenstein „Stolpersteine“ verlegt.

Was ist von Familie Löwenstein geblieben?

Ist es mehr als die Erinnerungsfetzen der letzten Zeitzeugen, die „Stolpersteine“ und drei Fotos?

Hat wenigstens ein Mitglied der Familie Löwenstein aus Assinghausen Deportation und Krieg überlebt? Es wurde erzählt, einer der Söhne hätte nach dem Krieg in Bigge gelebt? Ob das stimmt? Ich weiß es nicht!

Gegen das Vergessen

Hier noch die Links zu meinen „anderen“ Quellen:

http://www.olsberg-live.de/Portal:_Juden_im_ehemaligen_Amt_Bigge

https://www.assinghausen-live.de/2015/stolpersteine-an-der-grimmestrasse-verlegt/

https://www.schiebener.net/wordpress/der-juedische-friedhof-in-olsberg-bigge-ein-anfang/

Die Dorfchronik „Assinghausen im Freien Grund“ ist meines Wissens leider nicht online.

PS: Die Fotos sind aus den 1930er Jahren von Dr. Karl Weiken in Assinghausen aufgenommen worden.

11 Gedanken zu „Hochsauerland: Assinghausen und die Geschichte der Familie Löwenstein“

  1. Es gibt Angaben zu den Töchtern Hermann Löwensteins. Tochter Emma verheiratete sich offenbar nach Sundern:

    „Selma Löwenstein *22.05.1908 in Assinghausen verh. mit Felix Rosenstein Deportiert ab Kassel Riga Ghetto.

    Berta Löwenstein *10.12.1913 in Assinghausen verh. mit Goldschmidt Frankfurt a.M. Auschwitz Vernichtungslager

    Emma Löwenstein *25.06.1915 in Assinghausen verh. mit Hugo Klein Sundern Auschwitz Vernichtungslager“

    Vielleicht finden sich ja in Sundern Hinweise über das Schicksal des Ehepaars Klein? Vielleicht hatten sie Kinder?

    Von Belecker Wurzeln der Assinghauser Löwensteins ist mir nichts bekannt. Aber das heißt ja nichts.

    Hier noch die Quellenangabe:
    http://www.olsberg-live.de/Portal:_Juden_im_ehemaligen_Amt_Bigge

  2. die photos bewegegen mich sehr. wer war der photograph und was war sein motiv?

    „anschreiben lassen“ kenne ich aus meiner familiengeschichte, aus prekären zeiten. dazu gehört „hintenrum einkaufen“, also an der hintertür, auch außerhalb der öffnungszeiten, ohne mitwisser. für kaufleute ein großes risiko, aber eben auch ein zeichen für vertrauen und menschenkenntnis. kleine welten, die funktionierten. heute unvorstellbar.

  3. @tino
    „wer war der photograph und was war sein motiv?“

    Der Photograph war offenbar ein kluger, vorausschauender und vielseitig interessierter Mensch.

    Die drei Aufnahmen sind Bestandteil einer größeren Foto-Serie von Prof. Dr. Karl Weiken. Er dokumentierte damit vornehmlich die älteren Bewohner und die Fachwerkhäuser des Dorfes Assinghausen im Sauerland.

    Klick:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Weiken

  4. Noch eine Geschichte

    Uniform macht Eindruck

    Fast ausnahmslos überall in Deutschland gingen in der Progromnacht vor 80 Jahren Synagogen, Bet- und Versammlungsräume der jüdischen Mitbürger in Flammen auf.

    Fast überall. Doch in der seinerzeit östlichsten Stadt Deutschlands, blieb das jüdische Gotteshaus vor den Brandschatzungen der Nazi-Schergen wie durch ein Wunder verschont.

    Das Wunder vollbrachte der zuständige Landrat. Er war am 9. November 1938 – so wie vermutlich alle seiner Amtskollegen – per Fernschreiben von der NSDAP-Führung über die bevorstehenden Aktionen gegen die Juden in Kenntnis gesetzt worden. Die Information war verbunden mit dem Hinweis, nichts dagegen zu unternehmen.

    Doch dieser Landrat ließ sich von dem „Wink“ nicht beeindrucken. Er zog seine Wehrmachtsuniform, die eines Majors der Reserve, an und fuhr sofort in das Städtchen.

    Unter Androhung des Gebrauchs seiner Pistole konnte er die „Kulturschande“ (seine Bezeichnung für das Progrom) im letzten Moment noch verhindern. So blieb die Synagoge der östlichsten Stadt Deutschlands unzerstört, als einzige von allen Synagogen in Ostpreußen.

    Der mutige Landrat hieß Dr. Wichard von Bredow.
    Die Stadt hieß Schirwindt.
    Schirwindt gibt es nicht mehr.

    Die Quellen:
    Jodeglienen – Moosheim – Chronik eines ostpreußischen Dorfes
    Chronik des ostpreußischen Grenzkreises Schloßberg/Pillkallen

  5. „Er und seine Kinder müssen es dann bald sehr schwer gehabt haben.“

    Was soll das heißen?

    Der ganze Artikel ist eine Ansammlung von Mutmassungen, das ist nur ein Beispiel.

    1. @Sockenpuppe

      Aha, Witwer mit kleinen Kindern haben also Ihrer Ansicht nach ein unbeschwertes, sorgenfreies, leichtes Leben?

  6. @ G. Joch-Eren

    weiß ich, wie sie gelebt haben? Nein.

    wissen Sie es?

    Gibt es irgendein Zeugnis? Dokument? Oder ist Geschichte …?

  7. „Knüpfen wir an das Jahr 1914 an. Die damaligen Hausbewohner des „Judenhauses“ in Assinghausen waren Hermann Löwenstein, seine Frau Hannchen geb. Weidenstein und ihre vier Kinder Julius, Selma, Siegfried und Berta. 1915 wurde noch Tochter Emma geboren. Sehr wahrscheinlich lebte zu dieser Zeit im „Judenhaus“auch noch Lina Löwenstein, eine unverheiratete Schwester des Familienvaters. Hermann Löwenstein verdiente den Lebensunterhalt mit Viehhandel und einer Metzgerei. Er und seine Kinder müssen es dann bald sehr schwer gehabt haben. Hannchen starb im Februar 1919. Das älteste Kind war mit 13 Jahren Halbwaise, das jüngste mit 3 Jahren.“

    Der Artikel stellt Fragen und weist auf offene Stellen in der Geschichtsschreibung des Dorfes Assinghausen hin. Das finde ich gut.

    Die zitierte Mutmaßung ist eine klar erkennbare Mutmaßung.

  8. @ zoom

    „Die zitierte Mutmaßung ist eine klar erkennbare Mutmaßung.“

    Danke für die Bestätigung. Und wie soll ich das jetzt finden?

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