Grenzüberschreitungen im Hochsauerland: rechter AfD-Flügel vernetzt sich in Neheim

Gezielte Provokation oder Zufall? Plakate vor der Gaststätte Bühner, dem Versammlungsort der AfD in Neheim. (foto: zoom)

Die Vortragsveranstaltung „Wie frei ist die Meinungsfreiheit“ des AfD-Kreisverbandes Hochsauerland mit der vom Parteiausschluss bedrohten Höcke-Sympathisantin Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein fand am Freitag Abend nach einigem Hin und Her in der Gaststätte Bühner in Neheim statt.

Der ursprünglich angekündigte Ort, das Hotel Waldschlößchen in Voßwinkel, hatte der AfD die Räumlichkeiten gekündigt. Besitzer Peter Keitsch betonte gegenüber den Medien, bei der Buchung von einem öffentlichen AfD-Vortrag nichts gewusst zu haben.

Für die Leserinnen dieses Blogs, die mit dem Namen von Sayn-Wittgenstein nichts anzufangen wissen, folgen hier ein paar Hinweise zur Person.

Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein (* 1. Oktober 1954 als Doris Ulrich in Arolsen) ist laut Wikipedia eine deutsche Politikerin der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Sie wurde bei der Landtagswahl 2017 in den Landtag von Schleswig-Holstein gewählt und war seit dem 8. Juli 2017 Landessprecherin der AfD Schleswig-Holstein, wurde jedoch im Dezember 2018 aus der AfD-Landtagsfraktion ausgeschlossen. Am 19. Dezember 2018 erklärte sie ihren Rücktritt vom Amt der AfD-Vorsitzenden in Schleswig-Holstein.

Hintergrund für den Ausschluss seien, so Wikipedia weiter, Sayn-Wittgensteins Aktivitäten für den als rechtsextrem eingestuften Verein Gedächtnisstätte e.V. im thüringischen Guthmannshausen, für den sie am 18. Dezember 2014 in einem Schreiben um Unterstützung geworben haben soll. Ob sie Mitglied des Vereins ist oder war, sei umstritten. Nach Angaben von Andreas Speit in der taz habe sie jedoch weitere Kontakte zur rechtsextremen Szene: So habe sie zwischen 2014 und 2017 Veranstaltungshinweise verschiedener rechtsextremer Gruppen per E-Mail weiterverbreitet. Auf Nachfrage der taz bestritt Sayn-Wittgenstein diese Kontakte. Sie beabsichtige, ihr Landtagsmandat zu behalten.

Am 17. Dezember 2018 beschloss der AfD-Bundesvorstand die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens gegen Sayn-Wittgenstein und „vor dem Hintergrund mutmaßlich strafrechtlich relevanter Vorgänge“ den vorläufigen Ausschluss von der Ausübung aller Parteiämter bis zur Entscheidung des zuständigen Schiedsgerichts. Das schleswig-holsteinische Landesschiedsgericht wies den Antrag im April 2019 erstinstanzlich ab, da Sayn-Wittgenstein nicht Mitglied des Vereins Gedächtnisstätte gewesen sei und sich aus einer „einmaligen Unterstützung […] keine zwingenden Rückschlüsse auf ein noch heute andauerndes rechtsextremistisches Weltbild“ ergäben. Ferner habe sie sich in einem Zeitungsinterview und der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgericht von dem Verein und ihrer damaligen Aktion distanziert. Der AfD-Bundesvorstand beschloss daraufhin nach Informationen von Zeit Online, das Bundesschiedsgericht der Partei anzurufen.

Stand Freitag Abend schwebt das Parteiausschlussverfahren weiter über Sayn-Wittgenstein. Man tut der Referentin des Freitagabends kein Unrecht an, wenn man sie zu den Rechtsauslegern der AfD zählt.

Sie selbst bekannte in ihrem 30-minütigen Vortrag Sympathie für den „Flügel“ von Björn Höcke, distanzierte sich aber im gleichen Atemzug von einer Mitgliedschaft. Dabei muss man wissen, dass es keine „Mitgliedschaften“  in irgendwelchen Parteiströmungen gibt.

Jürgen Antoni von der AfD HSK begrüßte zu Beginn der Veranstaltung eine für Hochsauerländer Verhältnisse große Zuhörerschaft. Der Saal der Gastwirtschaft Bühner war zu klein. Zusätzliche Stühle wurden herbeigeschafft. Einige ZuhörerInnen mussten im Thekenbereich nebenan stehen.

Ich schätze grob, dass mindestens 40 Personen anwesend waren.

Sayn-Wittgenstein als Vertreterin des rechten Spektrums hatte auch Funktionäre und Mitglieder aus anderen Teilen NRWs (MK, Münster) angezogen. Aus dem Düsseldorfer Landtag war bspw. Christian Blex vor Ort.

In ihrem Vortrag griff Doris von Sayn-Wittgenstein (DSW) den Verfassungsschutz an. Bei diesem würde sie als Extremistin gehandelt, obwohl dies nicht nachgewiesen wäre.

Der Verfassungsschutz wolle, so DSW, die Meinungsfreiheit einschränken. Artikel 5 des Grundgesetzes gewähre zwar die Meinungsfreiheit, aber eine Zensur fände doch statt, und zwar besonders als Nachzensur, indem Presseprodukte, die schon auf dem Markt seien, beschlagnahmt würden.

Eine besondere Art der Zensur sei die „political correctness“. Dürfe man mit der Schere im Kopf die Begriffe „Kameradschaft“ und „Volk“ überhaupt noch benutzen?

Biologische Begriffe wie „Rasse“ würden „weggedrückt“, „Abgrenzungen“ von Migranten seien rassistisch.

Die Alliierten hätten nach dem Krieg viele Dokumente beschlagnahmt und sie seien heute immer noch unter Verschluss. Es würden „Quellen vor uns verborgen“.

Es wäre gefährlich, wenn der Verfassungsschutz Leute angriffe. Überhaupt sei der Verfassungsschutz eine Behörde, die es nur in der Bundesrepublik gäbe.

Dabei bezweifelte DSW die Existenz einer Verfassung für die Bundesrepublik, da sie ja nur „Grundgesetz“ hieße und eben nicht „Verfassung“.

Darüber hinaus stehe der Verfassungsschutz, der links oder rechts Meinungen abstrafe, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Er verkörpere den Extremismus der Mitte. Es gebe Studien, dass die Verfassungsschutzberichte verfassungswidrig seien.

Ihren Volksbegriff suchte sie über die Genetik hinaus in Geschichte, Zeit und Raum sowie der Archetypik festzumachen, kehrte jedoch zur Genetik zurück: der Ursprung des deutschen Volkes wäre in der Nachfolge des dreißigjährigen Krieges (alles ausgeblutet) zu suchen.

Der Verfassungsschutz sei eine „Waffe der Regierung“. Eine Erwähnung in den Berichten rufe „Irritationen hervor“, schrecke ab, obwohl „Feind der Regierung“ eigentlich ein Qualitätskriterium sei, welches einen Orden verdiente.

Als Rechtsauslegerin beklagte DSW, dass die identitäre Bewegung und Heimatschutzverbände sowohl beim Verfassungsschutz als auch bei der AfD gelistet seien.

Das NPD Urteil des Bundesverfassungsgerichtes begrüßte sie, weil auf diese Weise klar sei, „woran man sich zu halten habe“. Die NPD zu unterstützen sei naiv.

Doris von Sayn-Wittgenstein stellte die rhetorische Frage, ob das Bundesverfassungsgericht einem „Volk“ vorgeben könne, wie es sich selbst zu definieren habe oder ob sich dieses „Volk“ selbstbestimmt definieren könne, um dann kokett zu mutmaßen, ob sie „hier schon im schwarzen oder schwarz-braunen Verfassungsschutzbericht“ wäre.

Wer Lust hat, sich den Vortrag samt Diskussion anzuschauen, kann das auf dem Kanal eines AfDlers tun. Ich habe hier wirklich nur stückweise referiert.

https://www.youtube.com/watch?v=U7J2m7wNjEg

Mein Eindruck: Reichsbürger, Identitäre, Höcke-Flügel – alles angedeutet, aber manchmal auch nicht ausgesprochen.

In der nachfolgenden Aussprache/Diskussion wurde es dann ganz hart Steuerbord.

Zitate/Notizen

  • „Ohnesorg war eine Geschichte der Stasi.“
  • Schändungen jüdischer Friedhöfe (60er Jahre) von der Stasi
  • Verfassungsschutz am Rand einer kriminellen Vereinigung.
  • Wir sind die letzte Hoffnung für dieses Land. Eine Schande.
  • Harte Zeiten. 11 Mio von Altersarmut bedroht. Wie die russischen Mütterchen. Wer nicht hören will muss fühlen.
  • „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier an einem Bürgerkrieg vorbeikommen.“
  • Verfassungsschutz, Behörde, die nach der Gesinnung schnüffelt.
  • In den anderen Parteien: Kiffer, Pädophile und Terroristen als Mitarbeiter
  • „Wir steuern auf dramatische Gegebenheiten zu.“
  • Die BRD Gründung durch den parlamentarischen Rat – gesteuert.
  • Meinungsfreiheit nur noch gelenkt, geschult durch die Atlantik-Brücke
  • Reeducation, Kriegsschuld hat Deutschland erpressbar gemacht
  • Mehr Selbstbewusstsein zeigen, nicht zurückweichen: „wenn wir das Feld freigeben, rückt der politische Gegner sofort nach.“
  • Wenn wir mit Parteiausschlussverfahren beschädigt werden sollen, müssen wir diejenigen „chirurgisch entfernen“.
  • Eigene Leute, die Unruhe in die Partei bringen („Keller-Nazis“, Helmut Seifen LaVo NRW), das sind unsere Feinde.
  • Verfassungsschutz werde als Keule gegen Beamte benutzt. Ratschlag: „Wenn ich [als Beamter] erpressbar bin, bleibe ich in der letzten Reihe und falle denjenigen, die vorne an der Front kämpfen, nicht in den Rücken.“
  • Die Partei (i.e. AfD) werde zersetzt, wenn die Führung nicht gerecht ist.
  • Bundesrepublik durch Auschwitz als Gründungsmythos erpressbar
  • Altparteien reduzieren die ganze deutsche Geschichte auf 12 Jahre Nazi-Zeit (Hitler-Diktatur)
  • Alle, wie wir hier sind, sind nach dem zweiten Weltkrieg geboren. Wir haben keine Verantwortung.
  • Die Linken brauchen den Adolf, nicht wir.
  • Schauen Sie sich die Lehrbücher an. Geschichtsunterricht 7./8. Klasse. Wir müssen bei den Jugendlichen anfangen.
  • Sayn-Wittgenstein: Ich bin ein großer Anhänger von Verschwörungstheorien. Umerziehung ist dann gelungen, wenn wir uns selbst umerziehen. Wenn Höcke nur ein Komma falsch setzt, gibt es Geschrei.
  • Der Höcke ist ein Vordenker. Der Höcke macht eine Gratwanderung.
  • Wir werden ja schon von außen als Nazis diffamiert, aber es ist zutiefst verkommen, wenn man das bei Parteifreunden macht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
  • Nicht in vorauseilendem Gehorsam über das Stöckchen der Systempresse springen.

Um 21 Uhr war die offizielle Veranstaltung zu Ende.

Fazit: Die AFD Hochsauerlandkreis hat den äußeren Rechten in der rechten AfD ein regionales Vernetzungstreffen ermöglicht und ist damit selbst weiter nach rechts gerutscht.

Sayn-Wittgenstein hat Fußtruppen sammeln können, um Druck gegen ein drohendes Parteiausschlussverfahren auszuüben.

Ein Wort noch zum Publikum:

viele Akademiker, kein Haufen von dummen Jungs und Mädels, fanatisch, aber geschult. Der ein oder andere Nazi im Anzug.

2 Gedanken zu „Grenzüberschreitungen im Hochsauerland: rechter AfD-Flügel vernetzt sich in Neheim“

  1. „viele Akademiker, kein Haufen von dummen Jungs und Mädels, fanatisch, aber geschult. Der ein oder andere Nazi im Anzug.“

    sie waren ja auch vorher in den „bürgerlichen Parteien“ – ist es das, was Sayn-Wittgenstein meint, wenn sie vom „Extremismus der Mitte“ spricht?

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