Gemeinschaftsschule statt Realschule? Ein „Hammer-Angebot“ der neuen Landesregierung. Welche Kommune ist dabei?

Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule: Realschule Ascheberg (foto: zoom)
Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule: Realschule Ascheberg (foto: zoom)

Am vergangenen Freitag hatte das nordrhein-westfälische Kabinett die von Schulministerin Sylvia Löhrmann vorgelegten Eckpunkte für das Modellvorhaben „Gemeinschaftsschule“ gebilligt. Unter dem Titel „Startschuss für NRW-Gemeinschaftsschule“ hat das Ministerium gestern Informationen an „die Leitungen der öffentlichen und privaten Schulen“ sowie an die Bezirksregierungen, Schulträger, am Schulleben beteiligte Verbände und Organisationen und Lehrervertretungen herausgegeben, die es in sich haben. Kleinere Klassen, bessere Bezahlung, Absenkung der Lehrerarbeitszeit, Ganztag und eine  größere Bildungsbreite für die Schülerinnen und Schüler.

Anmerkung: KritikerInnen der Gemeinschaftsschule können sich beispielsweise hier bei der weltonline mit Munition versorgen. Ich stelle erst einmal die inhaltlichen Positionen des Schulministeriums dar.

Warum Gemeinschaftsschule?

Die Gemeinschaftsschule biete den Schulträgern bei zurückgehenden Schülerzahlen vor allem im ländlichen Raum die Möglichkeit, ein wohnortnahes umfassendes Schulangebot auch mit gymnasialen Standards vor Ort zu erhalten. Gleichzeitig würden die Voraussetzungen für ein längeres gemeinsames Lernen geschaffen: die Bildungswege der Schülerinnen und Schüler würden an der Gemeinschaftsschule länger offen gehalten. Ziel der neuen Konzeption sei es, die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des Schulwesens zu erhöhen und die Kinder letztlich zu besseren Schulabschlüssen zu führen.

Welche Ziele?

Ziel des Modellvorhabens sei es, zu erproben, wie durch längeres gemeinsames Lernen in der Sekundarstufe I die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des Schulwesens erhöht werden könne und Kinder dadurch zu besseren Abschlüssen geführt werden können. Außerdem solle erprobt werden, wie im Hinblick auf die demografische Entwicklung und der sich wandelnden Abschlussorientierung der Eltern weiterhin ein wohnortnahes Schulangebot ermöglicht werden könne.

Zeitdauer der Erprobung

Sechs Jahre beginnend mit dem Schuljahr 2011/2012 (01.08.2011). Danach auslaufend für die während des Versuchszeitraums eingeschulten Schülerinnen und Schüler.

Welche Schulen können unter welchen Voraussetzungen teilnehmen?

Grundlegende Vorgaben:

  • In der Regel Schule der Sekundarstufe I
  • In der Regel gebundener Ganztag, ausnahmsweise offene, flexible Angebote
  • Errichtung in der Regel durch Zusammenführung bestehender Schulen
  • Gewährleistung auch gymnasialer Standards
  • Integrierter Unterricht in Klassen 5 und 6
  • Ab Klasse 7 oder später Unterricht in integrierter oder kooperativer Form (Einrichtung von schulformspezifischen Bildungsgängen)
  • Erreichbarkeit aller für die Sekundarstufe I vorgesehenen Abschlüsse (Anerkennung der Abschlüsse muss gesichert sein)
  • Eigene gymnasiale Oberstufe oder Kooperation mit Gymnasium oder einer anderen Gemeinschaftsschule mit Sekundarstufe II und/oder Gesamtschule und/oder Berufskolleg, das den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife ermöglicht
  • Abitur nach 9 Jahren (G 9); bei herausragenden Leistungen Übergang nach der Sekundarstufe I in die Qualifikationsphase möglich

Kleinere Klassen

Für eine Gemeinschaftsschule sind 4 Parallelklassen pro Jahrgang wünschenswert, mindestens erforderlich sind 3 Parallelklassen pro Jahrgang (Sicherung wohnortnaher Beschulung im ländlichen Raum).
Mindestklassengröße bei Errichtung 23 Schülerinnen und Schüler statt der gesetzlich ansonsten vorgesehenen Mindestklassengröße von 28 Schülerinnen und Schülern. Klassenfrequenzhöchstwert beträgt für die integrative Form 25; in der kooperativen Form ab Kl. 7 zur Erreichung vertretbarer Klassengrößen 29. Der Klassenfrequenzrichtwert beträgt 24 Schülerinnen und Schüler. Diese Werte orientieren sich an der Hauptschule. Sie tragen der Heterogenität der Schülerschaft Rechnung und berücksichtigen, dass in der Gemeinschaftsschule unterschiedliche Schulformen zusammenwachsen.

Lehrerarbeitszeit

Die Lehrkräfte haben unabhängig von ihrem Lehramt eine Pflichtstundenzahl von 25,5. Dies entspricht der Pflichtstundenzahl an der Gesamtschule und am Gymnasium.

Bezahlung Lehrerinnen und Lehrer

  • Sie orientiert sich an der Bewertung der Ämter an Gesamtschulen:- Als Eingangsämter können der Gemeinschaftsschule A 12-Stellen (gehobener Dienst) und A 13-Stellen (höherer Dienst; bis zu 33 v.H.) zugewiesen werden.
  • Für die Schulleiterinnen und Schulleiter sind – je nach Ausbauzustand der Schule – Ämter der Besoldungsgruppe A 15, A 15 mit Zulage und A 16 vorgesehen.
  • Für die stellvertretenden Schulleiterinnen und Schulleiter ergeben sich Ämter der Besoldungsgruppe A 14 mit Zulage, A 15 und A 15 mit Zulage.
  • Als allgemeine Beförderungsämter ergeben sich für die Lehrkräfte des gehobenen Dienstes die Besoldungsgruppe A 13 und für den höheren Dienst die Besoldungsgruppen A 14 und A 15.
  • Ab einem bestimmten Ausbauzustand werden darüber hinaus spezifische Beförderungsämter zur Verfügung gestellt entsprechend der Ausbringung vergleichbarer Funktionen an Gesamtschulen.

Stellensituation und Fortbildung

Stellenzuschlag in Höhe von 0,5 Stunden je Klasse wegen des erhöhten Differenzierungs-/Förderbedarfs.
„Versuchszuschlag“ in Höhe von 0,5 Stellen pro Schule wegen des erhöhten Schulentwicklungsaufwands.
Zusätzliches Fortbildungsbudget in Höhe von 2.500 EUR pro Schule wegen des erhöhten Fortbildungsbedarfs.

Zeitplan

  • Beratung von Kommunen, die sich am Modellversuch beteiligen wollen läuft
  • Abstimmung mit Nachbarkommunen 10 – 11/2010
  • Entscheidung der Schulkonferenzen unter 10 – 11/2010
  • Entscheidung der kommunalen Gremien über Beteiligung an dem Schulversuch 11/2010
  • Antragstellung über BR an MSW Eingang MSW bis 31.12.2010
  • Entscheidung MSW bis spätestens Mitte 01/2011
  • Organisationsentscheidung Schulträger bis Anfang 02/2011
  • Bestellung komm. Schulleitung durch BR bis Mitte 02/2011 (Anmeldeverfahren)
  • Anmeldeverfahren 02/2011
  • Org. + päd. Vorber. Erstes Schuljahr ab 01/2011 (Zeitpunkt Genehmigung)
  • Personalmaßnahmen durch BR Ab 01/2011 (Zeitpunkt Genehmigung)
  • Start des Modellvorhabens 07.09.2011

Fazit:

Das Angebot kann man auf den ersten Blick kaum ausschlagen. Kleinere Klassen, 25,5 statt 28 Unterrichtsstunden im Vergleich zum Realschullehrer/in, größere Bildungsbreite für die SchülerInnen, Abitur nach G9 und als mögliches Schmankerl für die berufstätigen Eltern der gebundene Ganztag.

Interessanterweise läuft jetzt(s.o.) bereits die Beratung derjenigen Kommunen, die sich am Modellversuch beteiligen wollen.

Ist Ihre Kommune dabei?

Das gesamte Dokument mit weiteren Hinweisen ist für die interessierte Öffentlichkeit im Archiv des Schulministeriums zu lesen.

3 Gedanken zu „Gemeinschaftsschule statt Realschule? Ein „Hammer-Angebot“ der neuen Landesregierung. Welche Kommune ist dabei?“

  1. Kaum geht es um das gemeinsame Lernen, und sei es lediglich bis Klasse 6, da trommeln sie schon wieder, die Verfechter des Gymnasiums. Für den Erhalt des Gymnasiums möchte die FDP mobilisieren und polarisieren.

    Den größten Angriff auf das Gymnasium hat es meines Erachtens in den letzten vier Jahren durch die sonnig, sommerliche FDP/CDU Koalition gegeben. Mit der Verkürzung auf 8 Jahre (G8) wurde der Unterricht in fast allen Fächern gekürzt (Eine entsprechend notwendige Ausdünnung der Lehrpläne gab es nicht). Zentrale Prüfungen wurden eingeführt (und auch schon wieder abgeschafft…), deren Anforderungsniveau streckenweise deutlich unter dem sonst am Gymnasium angestrebten Niveau lag. Die verbindlichen Vorgaben für die Sekundarstufe II wurden so umfangreich, dass für eine individuelle Ausgestaltung durch die Lehrer kein Spielraum bleibt. Stattdessen immer mehr Einfluss der Ministerialbürokratie auf den Inhalt des Unterrichts, immer mehr Stoff in immer kürzerer Zeit für immer jüngere Schüler (schließlich strebt NRW die Einschulung mit 5 Jahren an).
    Wo waren denn die Verfechter des Gymnasium, als diese Angriffe auf die Standards erfolgten? Aber es geht wohl gar nicht um Standards, sondern um soziale Ab- und Ausgrenzung, darum, den eigenen Kindern die lästige Konkurrenz der sozialen Unterschichten fernzuhalten – so wie in Hamburg.

    1. @Bildungsbeobachter:
      Du beziehst Dich auf den Welt-Artikel, nicht wahr? Ich habe mir das Vergnügen gemacht, dort alle Kommentare zu lesen und hoffe, dass bei der anstehenden Bildungsdiskussion jenseits dieser galligen Selbstgefälligkeit argumentiert wird. Ich befürchte allerdings, dass die FDP, die ja zur Zeit nicht mehr zu verlieren hat als ihre 4 Prozent, mit einem Seitenblick nach Hamburg, versuchen wird, Stimmung zu machen und sich als die wahre Bildungspartei zu profilieren. Pinkwart hat ja schon bei den letzten Wahlen für sich erfolgreich sein Profil als Bildungspolitiker geschnitzt. Ich hoffe, dass die Kommunalpolitiker, Eltern, Lehrer … sich nicht in die alten ideologischen Gräben der 70er locken lassen, dass sie aber auch genau hin gucken, was in dem Angebot des Schulministeriums wirklich drin ist.
      Ich kann hier im Hochsauerland kein Gymnasium sehen, dass durch eine Gemeinschaftsschule gefährdet wäre.

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