Für Fritz Bauer und Ilona Ziok. Zum „Dreher-Gesetz“ von 1968

„Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von  2010. (Filmplakat CV Films)

Am 14. April 2019 hieß ein Beitrag in „Titel Thesen Temperamente“ der ARD „Thriller um einen deutschen Justizskandal. ,Der Fall Collini’ nach Ferdinand von Schirach im Kino“. Zur Sendung steht geschrieben:

„1968 wurde das sogenannte Dreher-Gesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen. Eduard Dreher, zur Nazizeit als Staatsanwalt tätig, hatte als hoher Ministerialbeamter ein Gesetz verfasst, das zahlreiche Kriegsverbrechen als Totschlag und nicht als Mord bewertete – wodurch viele Taten von Nazi-Tätern auf einmal als verjährt galten und straffrei blieben. Ein Justizskandal, der Pate für die Verfilmung dieser Geschichte stand.“

Dem „Filmtipp“ („Der Fall Collini. Drama, Thriller, Deutschland 2019, Regie: Marco Kreuzpaintner, mit Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach und anderen, FSK: 12 Jahre, ab 18. April im Kino) will ich einen weiteren hinzufügen.

Den Filmen „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Die Akte General“ und „Im Labyrinth des Schweigens“ ging ein Film voraus: „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von 2010. Der international hoch gerühmte Film (2), den man in Deutschland nicht „normal“ kaufen kann (3), beinhaltet die Kapitel „Adolf Eichmann“, „Der Remer-Prozess“ und „Ernst Achenbach“; über den Coup von Eduard Dreher wird ausführlich berichtet. Auf den Seiten zum Film (4) läßt sich vieles nachlesen.

Und ich werde nicht müde, die kleine aber feine Schrift des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer zu bewerben, dem wir unter anderen die Gerichtsverhandlung gegen Adolf Eichmann (und damit Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“) und den Auschwitz-Prozeß zu verdanken haben (und so vieles Andere mehr):

Fritz Bauer: „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“, Frankfurt am Main 1965.

Auch dieses Büchlein war ein halbes Jahrhundert lang nicht „normal“ im Buchhandel zu kaufen, ist aber inzwischen neu bei der Europäischen Verlagsanstalt erschienen.

Dies ist eine Liebeserklärung an Fritz Bauer und Hannah Arendt und an das Filmteam: Buch und Regie Ilona Ziok, Schnitt Pawel Kocambasi, Schnittassistenz Olmo Pini und Carolin Mader, Kamera Jacek Blawut, Ton Manuel Göttsching, Mischung Hansi Jüngling, Produktionsleitung Myriam Abeillon, Dokumentation Dr. Thymian Bussemer, Redaktion SR Dr. Michael Meyer und Andrea Etspüler (Der Film ist eine CV Films Produktion in Koproduktion mit dem Saarländischen Rundfunk), Produzenten Manuel Göttsching und Ilona Ziok.

Institutionen kann man nicht lieben, aber ihnen danken. Als Partner werden auf der Internetseite genannt: Informations- und Presseamt der BRD, Friedrich Ebert Stiftung, Otto Brenner Stiftung, Hessische Filmförderung, Filmstiftung und Saarländischer Rundfunk.

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Anmerkungen:

(1) https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/schirach-fall-collini-100.html
(2) https://www.berlinale.de/external/de/filmarchiv/doku_pdf/20106770.pdf
(3) zu bestellen bei CV Films, Postfach 330152, 14171 Berlin, 030 / 23627167, cvfilmsberlin[at]aol.com
(4) http://www.fritz-bauer-film.de/ge/index.htm

7 Gedanken zu „Für Fritz Bauer und Ilona Ziok. Zum „Dreher-Gesetz“ von 1968“

  1. Liebe Nadja Thelen-Koder!

    Vielen Dank für Ihren wichtigen Beitrag.

    Wie sagte der große Fritz Bauer:

    „Das Leben hat dann einen Sinn, wenn man für Freiheit, Recht und Brüderlichkeit eintritt.“

    Fritz Bauer war und ist für mich eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, an die sich dieses Land stets mit Stolz und Dankbarkeit erinnern sollte!

    Hier ist der Film „TOD AUF RATEN“:

    https://www.youtube.com/watch?v=jbg1uGMeosE

    Ich empfehle auch (weil alle selbst gelesen und gesehen):

    Fritz Bauer
    „Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961-1968“
    2-DVD

    „Auschwitz vor Gericht Strafsache 4 Ks 2/63“
    (Die Ermittlung. Der Prozess. Das Urteil.)
    2 Dokumentationen von Rolf Bickel und Dietrich Wagner
    2-DVD

    „Der Frankfurter Auschwitz-Prozess“
    Eine Dokumentation von Rolf Bickel und Dietrich Wagner
    DVD (Hessischer Rundfunk)

    Ronen Steinke
    „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“
    Buch (Piper Verlag)

    Werner Renz
    „Fritz Bauer und das Versagen der Justiz“
    Buch (CEP Europäische Verlagsanstalt)

    Für zusätzliche Information verweise ich auf:
    https://www.fritz-bauer-institut.de/

    Ein friedvolles, mitmenschliches Osterfest!

    Am Ende zitiere ich gern noch einmal den Frankfurter Generalstaatsanwalt des Menschenrechts:

    „Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, ‚Nein‘ zu sagen.“

    und:

    „Die Auseinandersetzung mit unserer jüngsten Vergangenheit erfordert gewiss ein Wissen um Fakten, aber das genügt nicht, nötig ist auch der Versuch ihrer Deutung, ohne die keine Folgerung und keine Lehre gezogen werden können.“

  2. Ich habe gerade einen interessanten Text von Bodo Ramelow entdeckt:

    https://www.bodo-ramelow.de/aktuell/article/2019/10/18/bekenntnisrituale/

    „Tatsächlich ist aber zu meiner Freude etwas neu hinzugekommen. Das Wissen über die Person Fritz Bauer, den mutigen Generalstaatsanwalt aus Hessen, ist gewachsen und ein wunderbarer Dokumentarspielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ hat seit seiner Entstehung im Jahr 2015 zu einem enormen Zuwachs an Wissen über sein Leben und Wirken gebracht. In der Zwischenzeit hatten wir auch die große Fritz-Bauer-Ausstellung im Thüringer Landtag und ein weiterer Dokumentarfilm hat sehr eindrucksvoll das Leben von Fritz Bauer zurück in den öffentlichen Raum geholt. Ich bin glücklich darüber, dass endlich dieser Teil der westdeutschen Geschichte im Nachkriegsdeutschland ebenso dem Vergessen entrissen wurde, wie mit großer Aufmerksamkeit und zu Recht das Unrecht in der DDR immer wieder beleuchtet und auf die Tagesordnung gehoben werden muss. Bevor ich aber im Einzelnen meine Sicht auf die Dinge einordne und mit historischen Fakten verbinde, möchte ich mich allgemeinen Bekenntnisritualen zuwenden.“

    Der Artikel ist wesentlich länger und imo sehr lesenswert. Ich schreibe das, obwohl ich ihn aus Zeitmangel nur überflogen habe.

    Gründliches Lesen folgt ….

  3. Das Bundesfinanzministerium veröffentlicht am 02.11.2019 in der Serie „Aufrechte Demokraten“ eine Fritz Bauer gewidmete Briefmarke.

    https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Bilderstrecken/Sondermarken/Programm_2019/Briefmarken_Programm_2019/1911_Fritz_Bauer.html

    Das eindrucksvoll gestaltete Postwertzeichen zeigt neben dem Portrait von Fritz Bauer das Zitat „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“.

  4. @gp

    Es hat bei mir eine lange Zeit gedauert, bis der Inhalt der Seite geladen wurde.

    Aber ja, jetzt sehe ich die Marke. Wert 270 cent.

    Sehr gut! Ich werde sie kaufen.

    Hoffentlich gibt es sie im Sauerland.

  5. Ein Freund schrieb mir gerade passend zum Thema:

    “ … in der Arte-Mediathek läuft „Der Staat gegen Fritz Bauer“ bis 3.11. (Der Staat gegen Fritz Bauer | ARTE).

    https://www.arte.tv/de/videos/052359-000-A/der-staat-gegen-fritz-bauer/

    Übrigens erfuhr ich beim Lesen der Klarsfeld-Biografie, dass Karl Schiller (SPD, Bundeswirtschaftsminister in der Großen Koalition der 60er) NSDAP-Mitglied war – so steht das im Oberstufenbuch Sozialwissenschaften bei Wirtschaftstheorien nicht. Unter welchen Stein man auch guckt, flitzt das Ungeziefer …“

    Und dann ging es weiter:

    „Auf einer Wikipedia-Seite habe ich mir heute erst einmal die Bundestagsmitglieder angeschaut, die in der NSDAP Mitglied waren (Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder, die nach Mai 1945 politisch tätig waren – Wikipedia). Eine lange Liste. Kiesinger allerdings fällt als einer der wenigen auf, die sofort, also im Mai 1933, eingetreten sind, Karl Schiller erst 1937, was auf keine Überzeugung von Beginn an als auf Opportunismus vor dem Karrieresprung hinweist, den Schiller dann nach seiner Habilitation (1939) mit seinen Plänen zur wirtschaftlichen Ausbeutung der annektierten Kriegsgebiete im Parteiapparat auch hatte. Also strickte Schiller an der kriegswichtigen Strategie mit, mit der die Nazis bekanntlich einen Fehler des 1. WK vermieden, die Kriegsfront und vor allem die Bevölkerung im Deutschen Reich irgendwann so auszumergeln und aushungern zu lassen, dass der Durchhaltewille erlahmen würde. Interessant wäre ja auch die Verstrickung von Schillers Plänen in die Methode der Zwangsarbeit.

    Indem Schiller zur Zeit der Großen Koalition Bundeswirtschaftsminister war, während Brandt Außenminister, lässt Schiller an Brandts Aura (Widerstand im Exil) partizipieren, zumindest für mich, der ich nicht wusste, welche politischen Wegmarken Schiller zuvor zurückgelegt hat. So sonnt sich Schilelrs Conterfei-Abbildung im Sowi-Buch NRW, in dem er als Beispiel für eine antizyklische Konjunkturpolitik in einem Interview-Auszug von 1967 Ludwig Erhardt entgegengesetzt wird, in einem Lichte des Aufbruchs der Jugend, für den sein damaliger Parteifreund Brandt stand. – Hinsichtlich Brandt stellt sich mir auch die Frage, warum er eigentlich mit diesen Leuten, Kiesinger und Schiller, in ein Kabinett ging. Aber vielleicht ist das eine Frage, auf die du (nach dem letzten Diskussionsabend) und Beate Klarsfeld antworten würden: Was interessiert mich bei Politikern, ob sie ehrlich von dem überzeugt sind, was sie propagieren. Denn darauf kommt es an, was sie bewirken. In diesem Sinne stieg Brandt vielleicht in die Schlangengrube, um Verhältnisse zu ändern.“

    1. „Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat.“

      Konrad Adenauer

      19. 10. 1953 – Bundeskanzler Konrad Adenauer beruft den Juristen Hans Globke zum Staatssekretär. Globke war unter Hitler an der Ausarbeitung der Nürnberger Rassegesetze beteiligt. Globke bleibt bis 1963 im Amt.

      Elite bleibt Elite: „Nazi? Na und?“

      Die übernommenen Nazis waren auch äusserst wertvoll für die USA: Raumfahrt, Rüstungsindustrie, Geheimdienst, etc.

      weiß nicht, ob man sich darüber noch aufregen kann und sollte …

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