egons mECKErn: Kopfnoten hin – Kopfnoten her. Politiker versuchen sich auf Kosten des Bildungssystems zu profilieren

KopfnoteMarsberg. (egon) Als ich 1957 eingeschult wurde, erhielt ich ein Zeugnisheft für die acht Jahre meiner gesamten Volksschulzeit. In dieses Heft wurden alle Zeugnisse eingetragen und über die ganze Volksschulzeit hätte sich an den Zeugnisformularen nichts geändert. Heute erstellen wir in den Schulen unsere Zeugnisse in Eigenarbeit mit dem Computer. Doch wenn man meint, dass dies praktischer wäre, dann irrt man.

Es ist so gut wie nie möglich, das Formular aus dem letzten Schuljahr zu übernehmen. Jedes Jahr gibt es neue Formulare, weil die Kommunalpolitiker etwas an den Schulen ändern (Namen, Zusammenschluss mit anderen Schulen), weil an unserer Schule die Schulleitung wechselte und weil die Landesregierung das Bildungssystem „revolutioniert“, beispielsweise indem sie

  • Englisch als Fach ab Klasse 3 einführt,
  • die Schuleingangsphase einführt,
  • Englisch nun auch ab dem 2. Halbjahr im ersten Schuljahr einführt,
  • Kopfnoten einführt,
  • die Anzahl der Kopfnoten reduziert,
  • in Kürze Kopfnoten wieder abschafft,
  • Kopfnoten wahrscheinlich wieder einführt, wenn die Minderheitsregierung im NRW-Landtag scheitern sollte.

Wie soll in den Schulen verlässlich gearbeitet werden, wenn eine Schulreform oder eine Änderung die andere jagt. Die Schule braucht auch eine gewisse Ruhe, damit sich etwas entwickeln kann. Doch ehe es sicher ist, ob eine Reform gut oder schlecht war, wird schon die nächste Reform gestartet. Jede politische Partei will zeigen, dass sie die bessere Bildungspolitik macht und ändert das System ohne Rücksicht auf die Verträglichkeit. Hauptsache wir zeigen, dass wir besser sind und es anders machen. Ganz schlimm wird es mit der Reform des dreigliedrigen Schulsystems, die uns jetzt bevorsteht. Wird es in Zukunft noch Hauptschulen geben? Bleibt die Realschule bestehen? Wenn es hier das gleiche Hin und Her oder ein gleich großes Durcheinander gibt, ist die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems äußerst gefährdet.

Die Misere unseres Bildungssystems wird von vielen Seiten beklagt. Es darf nicht sein, dass sich Politiker auf Kosten unseres Bildungssystems profilieren wollen. Wir wünschen uns durchdachte und diskutierte Vorgaben, nach denen wir über längere Zeit verlässlich arbeiten können, alles andere setzt die Qualität unseres Bildungssystems aufs Spiel. So wie es die Regierungen zur Zeit machen, macht man keine gute Schule.

Die Politiker lassen die Qualität der Schulen überprüfen, angeblich um die Qualität zu steigern. Aber die Schulen können nicht besser sein, als es das System zulässt. Wir sollten auch einmal die Qualität unserer Bildungspolitiker überprüfen.

(Juli 2010)

Der Autor:

Egon Retaiski, Jahrgang 1951, arbeitet seit 1978 als Lehrer an Förder-, Haupt- und Grundschulen im Raum Brilon-Marsberg. Er engagiert sich seit 20 Jahren in der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), ist Vorstandsmitglied des GEW-Kreisverbandes Hochsauerland, Mitglied im Örtlichen Personalrat für Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen und Ersatzmitglied im Bezirkspersonalrat für Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen bei der Bezirksregierung in Arnsberg.

2 Gedanken zu „egons mECKErn: Kopfnoten hin – Kopfnoten her. Politiker versuchen sich auf Kosten des Bildungssystems zu profilieren“

  1. Die Liste von Neuerungen lässt sich noch fortsetzen:

    Zentrale Abschlussprüfung in der 10 wird für die Fächer Englisch, Mathe und Deutsch eingeführt. Im kommenden Jahr wird diese Prüfung am Gymnasium wieder abgeschafft. Die Prüfung lässt sich nicht mit den verkürzten Abiturjahrgängen verbinden.
    Eine „Evaluation“ dieser Prüfung hat es von Seiten der Behörde meines Wissens bisher nicht gegeben, obwohl diese doch immerhin 50% der Endnote in dem jeweiligen Fach ausmacht.
    12 Jahre zum Abitur (G8) und alles was damit zusammenhängt: Teilweise massive Kürzungen der Stundentafel in fast allen Fächern (außer Sport). In Geschichte fällt beispielsweise ¼ des Unterrichts in der Sekundarstufe I weg, die Inhalte wurden nicht gekürzt.
    Nachmittagsunterricht ohne entsprechende personelle und sachliche Ausstattungen.

    Geblieben ist lediglich die erbärmlich Ausstattung unserer Schulen:

    Es fehlen Beamer, Overhead-Projektoren, Computer, Internet-Zugänge.
    Telefonate mit Eltern können nicht in der Schule geführt werden, denn dafür gibt es keinen Raum. Telefone im Lehrerzimmer haben meist keine Verbindung nach außen.
    Es fehlen Arbeitsplätze, bzw. Arbeitsräume. Für Lernstudios und andere potemkinsche Dörfer existiert keine Betreuung und Aufsicht, sodass diese inzwischen häufig in einem bedauernswerten Zustand sind.
    Die Lehrer haben einen Sitzplatz im Lehrerzimmer (Stuhl und Tisch). Die meiste Schreibtischarbeit wird zu Hause erledigt, am eigenen Computer, gedruckt am eigenen Drucker – aber das ist ja alles steuerlich absetzbar… Gearbeitet wird im eigenen Arbeitszimmer (nicht mehr absetzbar).

    Die Arbeitsbedingen an den Schulen sind für Lehrer und Schüler gleichermaßen unzeitgemäß. Viele Eltern würden unter solchen Bedingungen nicht arbeiten wollen. Aber für Kinder und Lehrer sind sie gut genug? Nein, eigentlich sollten gerade unsere Kinder die besten Arbeitsbedingen vorfinden. Und beim Lernen braucht man Zeit zum Üben und Verlässlichkeit, was den äußeren Rahmen angeht. All das fehlt momentan.

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