Die „Auserwählten“ in Russland

Christliche Soldaten der Wehrmacht – eine Erinnerung zum 81. Gedenktag des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion

Deutsche Soldaten beim Vormarsch nahe der deutsch-sowjetischen Interessengrenze, 22. Juni 1941 (Foto gemeinfrei: Bundesarchiv, Bild 146-2007- 0127 / CC-BY-SA 3.0)

Der größte zusammenhängende Genozid der Geschichte wurde von deutschen Waffenträgern nebst Helfershelfern 1941-1945 ausgeführt und ist doch nicht, wie das 80. Jahresgedenken 2021 auf besonders traurige Weise gezeigt hat, Teil der „nationalen Erinnerungskultur“ in Deutschland geworden.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

1941 setzte die Wehrmacht den in Polen begonnenen „NS-Vernichtungsfeldzug gen Osten“ in der Sowjetunion mit Morden an über 20 Millionen Zivilisten (darunter drei Millionen Juden, sowie Sinti und Roma) und drei Millionen Kriegsgefangenen fort. Die großen Kirchen im Deutschen Reich predigten den Gläubigen, der Gehorsam gegenüber der staatlichen Kriegsobrigkeit sei von Gott verordnet.

Mit Blick auf Jesus von Nazareth muss man an dem Widerspruch, dem David Schmiedel in seiner Dissertation „Du sollst nicht morden“ (2017) aus religions- und geschichtswissenschaftlicher Perspektive nachgeht, irre werden: „Wie konnten christlich sozialisierte Menschen, die an einen gütigen und vergebenden Gott glaubten, einen Krieg führen, der ganze Bevölkerungsteile vernichtete und ganze Landstriche verwüstete? Wie konnten die Soldaten ihre Handlungen im Krieg gegen die Sowjetunion mit Gott rechtfertigen?“ (S. 12) Die Propaganda hatte ihnen die Bevölkerung als „slawische Untermenschen“, gelenkt von einer „jüdisch-bolschewistischen Funktionärsschicht“, vor Augen gestellt. Nachfolgend stelle ich Beispiele aus den von D. Schmiedel in seiner Studie herangezogenen Zeugnissen zusammen.

Sie opferten sich, wie Christus“

Hitler hatte am 19. September 1939 schon den Sieg über Polen in biblische Sprache gegossen: „Mit Mann und Ross und Wagen, hat der Herr sie geschlagen.“ (S. 179) Der röm.-kath. Militärpfarrer Eickhoff glaubte geschichtstheologisch, „dass die Vorsehung Deutschland vielleicht dazu ausersehen habe, die Sowjetherrschaft zu zerschlagen“ (S. 299). Es schwebte ihm aber auch „vor, eine Einigung der Kulturstaaten herbeizuführen und dann gegen den Bolschewismus mit allen Kräften zu Felde zu ziehen“ (S. 177).

Die deutschen Kirchenleitungen assistierten der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie mit einem „christlich“ aufgeladenen Kreuzzug gegen das ‚Reich der Gottlosigkeit‘. Diese religiöse Hybris, so Schmiedel, „war Teil eines militärischen, kulturellen und rassischen Überlegenheitsgefühls gegenüber den Rotarmisten und gegenüber der Bevölkerung in den besetzten Teilen der Sowjetunion. Für die christlichen Wehrmachtssoldaten, die der Verschmelzung von politischer und religiöser Ideologie anheimgefallen waren, erwuchs ihr Herrschaftsanspruch vor allem aus ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde – sie waren die Menschen, die Kinder Gottes unter den ‚Tieren‘ und ‚Dämonen‘ der Sowjetunion. … Diese Art des Denkens erlaubte es diesen deutschen Soldaten zu töten, ohne im eigenen Verständnis gegen die Gebote Gottes zu verstoßen. … Doch da die Wehrmachtssoldaten ihrer eigenen Wahrnehmung nach in der göttlichen Ordnung der Dinge über den BewohnerInnen der Sowjetunion standen, waren es folglich auch sie selbst, die für die Verbrechen des sowjetischen Systems sühnen mussten – sie waren in ihrem Selbstverständnis die Einzigen, die es – als christliche Menschen in einem von Gott verlassenen Land – konnten. Die Soldaten wurden damit zu Märtyrern, die durch ihren Tod das vom sowjetischen System angerichtete Unrecht aufhoben und Gottes Ordnung auf Erden wiederherstellten. In dieser Ausdeutung kämpften die deutschen Soldaten nicht mehr für oder gegen eine bestimmte politische Ideologie, sie kämpften für Gott und dessen Ordnung – sie opferten sich, wie Christus es getan hatte“ (S. 454).

Sie stürzten wie die Tiere über eine Regenpfütze“

Die Botschaft des „Heiligen Krieges“ wirkte als völkisch-religiöses Gemisch, wie es Leutnant Willy Fackler in einem Brief vom 18. August 1941 so zu Wort bringt: „Hier stehen Ordnung gegen Zerfall, Kultur gegen Barbarei, Seele und Geist gegen Materie, Persönlichkeit gegen Masse, im letzten Grunde – Gott gegen den Teufel. So ist dieser Kampf, weil er die Gesetze der Natur – und diese sind göttlichen Herkommens – verteidigt, ein wahrhaft heiliger Krieg. Es wird einen Sieg geben und einen Frieden, in dem die Völker dieser Erde nach ihrer Art und Leistung glücklich werden. Das Wort jenes Dichters leuchtet heute mehr denn je: ‚Am Deutschen Wesen wird einst die Welt genesen!‘“ (S. 160)

Aufhorchen lassen uns die zahllosen von David Schmiedel erschlossenen Belege für Herrenmenschentum und Antisemitismus der christlichen Soldaten: „Es gibt in den wahreren Gesichtern der Russen eine Dämonie zu Zeiten, die uns erschreckt, selbst wenn wir den H(ieronymus). Bosch kennen und ihn ernst nehmen.“ (S. 162) „Und was gibt es schon zu sehen! Juden, Holzhäuser und ärmlich aussehendes Polenvolk und ein Zeichen höherer Kultur sind nur Kirchen.“ (S. 163) „Wenn die Ordnungen durchbrochen werden, wie es geschah, bleibt doch weiß weiß und schwarz schwarz. Neger bleibt Neger. Davon ist natürlich nicht das Verhältnis berührt, das ich zum Nächsten habe, der relativ einen unvergleichlich höheren Wert hat.“ (S. 164) „Sie trägt einen Judenstern auf dem Arm und ein scheußlich jüdisches Gesicht, eins von der unangenehmen Art, so dass man ein Foto von ihr ohne weiteres in den ‚Stürmer‘ aufnehmen könnte. … Wie gesagt, sie gehört zu den typischen Judengesichtern und ist mir daher ziemlich widerwärtig.“ (S. 210) „Zum Kartoffelschälen haben wir uns etliche Jüdinnen an Land gezogen. Es waren tolle Erscheinungen dabei – eine Karikatur könnte auch nicht mehr viel dahin zutun.“ (S. 210) „Du, diese neu erfundene Aufteilung der Menschen in Juden und Arier hat doch ihr Gutes. Die Juden benehmen sich kläglich. Alte Greise ziehen vor uns jungen Sprintern hier ‚untertänigst‘ die Mütze. Pfui, das ist charakterlos. Auch die Knechtschaft soll man würdig tragen.“ (S. 211) „Diese Tage hier haben wir in einem Haus verbracht, in dem auch eine Jüdin Zuflucht gesucht hatte. Sie kauderwelschte auch Deutsch, d.h. natürlich jiddisch. Ihr Gesabbere war einfach furchtbar anzuhören.“ (S. 212) „Unvergesslich wird mir der Zug der russischen Gefangenen bleiben. 20.000 zogen an uns vorüber, ein Völkergemisch, … Sobald eine Regenpfütze auf der Straße glänzte, stürzten sie sich wie die Tiere darüber her und tranken das Dreckwasser. … ‚So hat sie der Herr geschlagen,‘ ging es mir durch den Sinn.“ (S. 436)

Die Verpflegung ist wieder gut und reichlich“

Die Aneignung der Lebensgrundlagen anderer Menschen wurde den christlichen Rekruten der Wehrmacht schon in Polen beigebracht (S. 103-104) und gilt beim Krieg gen Osten als deutsches Anrecht: „Holz nehmen wir natürlich zuerst von eingestürzten Häusern oder solchen, die nicht mehr bewohnt werden. Wenn es aber in den Winter hinein geht, so werden wohl ganze Häuser zum Bunkerbau dran glauben müssen und manches Haus auch langsam zu Brennholz zerkleinert werden. Was soll der deutsche Soldat schließlich anderes machen. Seine Sicherheit und Gesundheit muss den Belangen der Bevölkerung vorgehen.“ (S. 157) „Die Verpflegung ist wieder gut und reichlich, fast zu viel auf einmal. Auf jeden Fall wird es uns nie schlecht gehen. Die Bevölkerung hier tut mir leid. Sie hat vorher schon sehr wenig besessen. Nun wird ihnen noch vieles genommen. Natürlich muss in erster Linie das Heer versorgt sein. Ich hoffe ja, dass es nach dem Kriege, wenn auch langsam, besser wird. Der Sowjetstaat muss wirklich das Volk ausgebeutet haben.“ (S. 224) „Doch sicherlich brauchten wir die fruchtbare Ukraine als Ernährungsbasis für die weitere Kriegsführung. Das schien mir einleuchtend: Vorsorge treffen, damit die Heimat zu essen hat. Als wir dann an der ehemaligen Kirche vorbeikamen, stieg in mir wieder die Hoffnung auf, dass in einer freien Ukraine vielleicht auch wieder christliche Verkündigung möglich sei.“ (S. 299)

Solche Widersprüche in einem Atemzug – die Räuber beschreiben ohne Scham das eigene Raubhandwerk und klagen gleichzeitig den ‚ausbeuterischen Sowjetstaat‘ an oder rühmen sich als Befreier der Christenheit – sind nur durch Abspaltung des eigenen Tuns erklärbar.

Der Russe macht sich nichts aus dem Tod“

Sich christlich verstehende, auch sehr fromme Soldaten beschreiben das unentwegte Morden und Zerstören in geradezu lapidaren Wendungen: „Auf einem kleinen Platz standen viele Soldaten und redeten eifrig auf einen Juden ein … Kurz darauf hörte ich einige Pistolenschüsse.“ (S. 209) „Mit großen, tränenlosen Augen sehen die Zivilisten unserm Zerstörungswerk zu. Sie können unser Tun nicht begreifen, zumal sie uns ein paar Minuten vorher noch friedlich das Weihnachtsfest feiern sahen. Das ist ‚Woina‘ – Krieg!“ (S. 222) „Es ist das übliche[:] zerschossene Häuser, brennende Dörfer, verängstigte Zivilisten, jammernde Verwundete und viele Tote.“ (S. 233) „In den Wäldern sind Russen. Mit unseren Geschützen schießen wir auf den Waldrand. Auch Minenwerfer werden eingesetzt. Hin und wieder kommen aus den Feldern russische Soldaten heraus, um sich zu ergeben. Zum Teil werden sie von der Infanterie, die vor uns marschiert, erschossen. … Gestern, so hörten wir, hat man zweimal russische Parlamentäre erschossen, die mit weißer Fahne auf unsere Infanteristen zugekommen sind.“ (S. 246-246) „Mittags sahen wir, wie Fußsoldaten die Kornfelder und Gehöfte absuchten und flüchtige Soldaten aufscheuchten. Das gab ein lebhaftes Geknalle; denn diese Heckenschützen nahm man nicht gefangen. Statt dessen gingen die Gehöfte in Flammen auf, in denen man etliche fand.“ (S. 254) „Iwan hat anständig Federn lassen müssen. Alles junge Kerlchen, teils 15-16 Jahre, stur wie die Panzer. Wie Roboter, hören nicht auf Ruf noch sonst was. Laufen weiter stur. Man muss sie ‚umlegen‘. … Es ist übrigens erstaunlich, in welcher Menge wir neue Waffen herausgebracht haben.“ (S. 308) „Die Zivilbevölkerung hat aus dem Hinterhalt sich an diesen Kämpfen beteiligt. 20 Personen, darunter 2 Frauen, wurden standrechtlich erschossen. Das ist auch mehr wie Recht, denn was Gemeineres gibt es wohl kaum.“ (S. 258) „Es ist tatsächlich so, der Russe … macht sich nichts aus dem Tod, ist stur. Heute wurden bei uns wieder 20 von den Partisanen umgelegt, nicht einer der vorher zusammengeknickt wäre. Für die ist dieser Tod eben so wie jeder andere natürliche auch.“ (S. 259)

Die – hier nur vage angedeutete – Masse der von Schmiedel erschlossenen Dokumente zur ‚christlichen Zeugenschaft‘ des Völkermordes ist erdrückend. Wer z.B. die herangezogenen Briefpassagen des Katholiken Hans Ahrens (ND: Bund Neudeutschland) zusammenliest, findet bündische Lagerfeuerphilosophie, fromme Salven und schlimmste Abgründe zusammengebraut. Am 30./31. August 1941 schreibt dieser ND-Ritter: „Der Russe wird an eine Kuhle geführt, sieht hinein und schon jagt ihm einer eine Kugel durchs Genick, die durch den Kopf geht. Er stürzt vornüber und bekommt im Stürzen noch einen Tritt und schon liegt er auf anderen, die vor ihm in das unbekannte Jenseits befördert wurden. Ein anderer Russe springt dann herbei, schüttet Chlorkalk darüber und schon folgt der Nächste. Das ist ein hartes aber gerechtes Ende, wenn man das Vorhergehende kennt, wiewohl sich über die Methode streiten … Wenn dann letzten Endes die Fröhlichkeit diesem Dunkeln einfach nicht weichen will, so ist doch in unserem Glauben, der sagt, dass in allem ein Sinn sei, – doch: ‚Wer hat des Herrn Sinn erkannt‘! – Eine Kraft und ein Trost, wofür man nicht genug zu danken weiß“ (S. 254-255).

Am 21. März 1942 gibt Wehrmachtssoldat H. Ahrens in einem Brief dann Auskunft über seine Zeugenschaft im Angesicht der Vernichtung der Juden während des sogenannten Russlandfeldzuges: „Die Leichen, die man früher regellos auf einen Haufen warf, werden bereits, so gut es geht, aussortiert und über das halbe Tausend erschossener Juden hat man schon Kalk gefahren. Was im einzelnen noch hier geschah, – davon zu schreiben, ist nicht der rechte Ort.“ (S. 226) Deutsche Handwerksarbeit des Todes – ganz sachlich beschrieben.

Literaturnachweis

David Schmiedel: „Du sollst nicht morden“. Selbstzeugnisse christlicher Wehrmachtssoldaten aus dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Frankfurt: Campus Verlag 2017.

Kommentare sind geschlossen.