CDU-Fraktion Winterberg schaut in die Zukunft, George Bernard Shaw soll helfen

Oversum
Oversum in Winterberg, ohne Vergangenheit aber mit Zukunft? (foto: zoom)

In Winterberg ist es seit einiger Zeit populär, offizielle oder halboffizielle Schreiben oder Reden mit Zitaten großer Männer zu schmücken.

Zitate und Aphorismen, also Sinnsprüche, stehen mehr oder weniger zusammenhanglos da und sollen etwas sagen, was der Autor nicht direkt sagen möchte.

Hier ein aktuelles Beispiel:
Andreas Pieper, Fraktionsvorsitzender der CDU-Winterberg, zitiert in seiner Haushaltsrede den irischen Schriftsteller George Bernard Shaw:

Wir werden nicht durch die Erinnerung an unsere Vergangenheit weise, sondern durch die Verantwortung für unsere Zukunft. 

In dem von A. Pieper verwendeten Zusammenhang soll das Zitat den Wunsch der CDU-Winterberg unterstreichen, doch bitte die Vergangenheit ruhen zu lassen um nach vorne zu blicken. O-Ton Pieper:

“Ich habe bewusst auf einen detaillierten Rückblick der bald zu Ende gehenden Ratsperiode verzichtet. Wichtiger ist mir der Blick in die Zukunft.”

Die Zukunft ist uns allen wichtig, aber gerade was die Winterberger Ratspolitik angeht und insbesondere die Entscheidungen des Bürgermeisters, könnte ein Blick in die Vergangenheit einen erheblichen Zuwachs an Weisheit bringen.

Shaw war übrigens Sozialist (wussten Sie das, Herr Pieper?) und war sicher nicht der Meinung, man könne seiner Verantwortung für die Zukunft ohne die Kenntnis der Vergangenheit gerecht werden.

We are made wise not by the recollection of our past, but by the responsibility for our future.

Ich verstehe dies Zitat so, dass nur derjenige Weisheit erlangt, der mit dem Wissen um die Vergangenheit seiner Verantwortung für die Zukunft gerecht wird. Das Gegenteil von: die Vergangenheit verdrängen und sich seiner Verantwortung entziehen.

Im Internet finden sich zahllose Shaw-Zitate. Genau wie bei diesem Zitat fehlen oft Quellenangaben, so dass die von Herrn Pieper zitierten Zeilen nicht zweifelsfrei G.B. Shaw zugeordnet werden können. Das gilt auch für folgendes Zitat:

„The more I see of the moneyed classes, the more I understand the guillotine.“

11 Gedanken zu „CDU-Fraktion Winterberg schaut in die Zukunft, George Bernard Shaw soll helfen“

  1. Die vielen Bonmots von Herrn Pieper sind mir regelmäßige Glanzpunkte in den sonst so tumben Verlautbarungen aus dem Fichtenweg. Geistesblitze großer Denker. Nicht auf eigenem Mist gewachsen, aber immerhin. Schwache Hoffnungsschimmer.
    Ein Dank jedenfalls an Herrn Pieper und insbesondere an die dicke Zitate- und Aphorismensammlung in seinem Bücherregal! Ehre wem Ehre gebührt.

    Allerdings gilt es noch am richtigen Umgang mit Zitaten und Zitierenden zu feilen. Entsprechend schreibt selbst Shaw (der peinlicherweise tatsächlich ein Sozialist war):
    „Beware of false knowledge. It is more dangerous than ignorance.“

    Übrigens, @Johanna:
    Das Guillotine-Zitat tauchte vor einiger Zeit schon einmal in diesem Blog auf. Dass sich meine Unflätigkeiten so in Ihr Unterbewusstsein einbrennen, hätte ich mir nie träumen lassen. 😉

  2. Auch dieses ist einschlägig, insbesondere weil es im Zusammenhang mit einem eitlen Renommierprojekt, einer eingebildeten Unfehlbarkeit, einer Sozialisierung von Verlusten und einer eigentümlichen Auffassung von Transparenz und Rechtschaffenheit steht:

    Erst hatten wir kein Glück und dann auch noch Pech.
    Gerhard Cromme

    1. Nicht Cromme, sondern der Fußballer Jürgen Wegmann. http://www.rp-online.de/sport/fussball/verbale-fouls-und-fehlpaesse-der-fussball-profis-aid-1.1669707

      Unter den weiteren Redewendungen habe ich zweifelhafte/falsche Quellen gesehen. Das geht leider überhaupt nicht.

      Ich habe daher den Kommentar mit den langen Liste von Redewendungen nicht freigeschaltet.

      Noch etwas:
      Den Satz von Klabund muss man in seinem Zusammenhang lesen und nicht einfach aus dem kleinen Gedicht herausreißen http://gutenberg.spiegel.de/buch/2548/22

      Mir reicht es schon, wenn sich bei den zahlreichen Reden, die ich in meinem Leben hören musste, die Redner in den Aphorismen- und Redensammlungen für alle Zwecke bedienen, um vor ihrem Publikum eine „bella figura“ zu machen, hier im Blog sollte man sie schon in sparsamen Dosen und quellenkritisch einsetzen. Zur Not tun es auch eigene Gedanken 😉

  3. Also ganz richtig heißt es wohl: „Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.“ Aber Fußballern sollte man grundsätzlich kein Mikro unter die Nase halten, um einen vernünftigen Satz zu erzwingen. Sie sollen halt Tore schießen oder halten. 🙂

  4. Oh, vergebene Müh! Dabei war alles im ehrlichen Bestreben um eine Bereicherung der nächsten Haushaltsrede und eine Fokussierung auf das Bürgerwohl. So muss Herr P. weiterhin auf sich allein gestellt bleiben beim Sprücheklopfen. Das Glück sei mit ihm!

    Nebenbei: Die vermeintlich zweifelhaften/falschen Quellen sind mir unerklärlich angesichts von Zitaten von Epiktet über Kurt Tucholsky, Friedrich Nietzsche und Alfred Herrhausen bis Goethe. Entweder bei Google ruckelts oder Ihre Zitatesammlung wurde im DDR-Staatsverlag aufgelegt.

    Egal, aber bitte, bitte keinen Fußballer. Hier eine beispielhafte Quelle:
    „…1,8-Milliarden-Konzernverlust fragt, sagt Cromme: „Erst hatten wir kein Glück und dann auch noch Pech.“ Und erntet Lacher.“
    http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/heimliche-herrscher-der-lange-arm-des-gerhard-cromme/6476120.html

    1. Der Herr Cromme hat sich 2012 beim Fußballer Jürgen Wegmann (=<2001) bedient.

      Im Übrigen habe ich an anderer Stelle schon geschrieben, dass man diesen Aphorismensammlungen nicht ungeprüft über den Weg trauen darf.

  5. ad Klabund:

    Isolierte Deutung der Strophe:
    Fehlendes Rückgrat im NS-Regime.

    Kontextualisierte Deutung der Strophe als Teil eines Gedichts und in die Neuzeit übertragen:
    Betriebener Proporz, Autoritätenverehrung und fehlendes Rückgrat in heutigen politischen Entscheidungs- und Verwaltungsgremien, die sich beispielsweise mit der Nellius-Initiative auseinanderzusetzen haben.

    Mit Verlaub: Das passt aus meiner Sicht sehr wohl, war durchaus mit Bedacht gewählt und keinesfalls geguttenbergt.

    1. Klabunds Gedichtesammlung „Die Harfenjule“ ist 1927 erschienen: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2548/22 ist eine Neuauflage von 1989.

      1927 gab es zwar schon reichlich Nazis, aber noch kein Nazi-Regime, auf das sich das Gedicht hätte beziehen können. Die bespotteten Herrschaften waren in den Kriegen des 19. Jahrhunderts und betagt im WK I „zu Hause“.

  6. An Dr. jur. Gerhard Cromme und nicht etwa an irgendeinen Fußballer (@nofretete hat es sehr schön und vor allem zutreffend formuliert mit dem Mikro, vielen Dank!) denken Vorstände in Deutschlands Chefetagen, wenn sie mit diesem inzwischen geflügelten Wort ein gescheitertes Projekt kommentieren. Entsprechend auch die unterschiedliche Diktion, die von mir sehr gewissenhaft übernommen wurde.

    Auch wenn Klabund (nebenbei: das Gesamtwerk ist entgegen der Unterstellungen geläufig, ein klein wenig belesen bin ich nun doch) seine Zeilen offensichtlich während der Weimarer Republik und mit Blick auf die Kriege des 19. Jahrhunderts und den WK I sowie deren (in ihren schweren Traumata verhafteten, was Klabund ausgerechnet als wohlgemerkt Kriegsuntauglicher, früh Kriegsbegeisterter und recht später Kriegsgegner nicht gelten lassen will) Veteranen formulierte, so eignen sie sich wie viele andere literarische Werke dennoch für eine zeitübergreifende und/oder ausschnittsweise Deutung.
    Eine Geistesübung mithin, die die Sinne schärft und Zeitgenössisches aus neuem Lichte betrachten und werten lässt. Eine Form des kritischen Denkens.

    In diesem Sinne ist es keineswegs abwegig oder gar mit einem Denkverbot zu belegen, für das Gedicht und/oder eine Strophe einen Bogen in die Zeit von 1933-1945 und sogar in die heutige Zeit zu ziehen.

    Inwieweit man sicherlich keine Übereinstimmungen, allerdings manche Verhaltensspiegelung von Menschen in unterschiedlichen historischen Konstellationen wahrnimmt und Assoziationen entwickelt, ist eine Frage der subjektiven Perzeption und muss mithin dem einzelnen Leser vorbehalten bleiben. Wir alle leben unter dem gleichen Himmel, haben aber nicht alle den gleichen Horizont.

    Zur konkreten Person und zum Zeitraum 33-45 bieten in der Strophe enthaltene Schlüsselwörter wie „Rückgrat überhaupt zu haben“ (Anbiederung an das System im Privaten wie im Beruf („im Leben wie daheim im Laden“) oder „völkische Paraden“ (Rolle des NS-Liedguts) und selbst „alte Knaben“ (Phase nach der Entnazifizierung/Rehabilitation in späterer Lebensphase) mehr als ausreichend Handhabe.

    Zur möglichen Relevanz von Strophe und Gesamttext auch für die heutige Zeit verweise ich auf obige Andeutungen.

    1. Bitte biegen sie sich nicht alles zurecht. Das ist nun wirklich absurd. Scharfes Denken geht anders. Ich habe keine Zeit, mich mit teilweise absurd benutzten Zitaten und Links zu beschäftigen. Es raubt mir die Zeit und trägt zu nichts bei.

      Wenn Sie etwas zur Diskussion beitragen wollen, schreiben Sie doch bitte mehr in Richtung „Subjekt, Prädikat, Objekt“. Dann geht eine Menge Luft aus den Texten.

      Wenn Sie das nicht wollen, eröffnen Sie bitte ein eigenes Blog. Die Textmasse reicht jedenfalls aus.

  7. @zoom

    „…, eröffnen Sie bitte ein eigenes Blog. Die Textmasse reicht jedenfalls aus.“

    Bingo! 🙂

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