Ich hatte mir für den jetzigen Hamburg-Besuch nur kleine Ziele vorgenommen. Morgens über den Goldbekmarkt in Winterhude zu schlendern, gehörte zum Plan.
Aber den Mittelpunkt des Tages bildete ein kleiner Lauf um die Außenalster. Auf der 7,5-Kilometer-Runde habe ich wie stets eine Menge Bilder geknipst.
Die Moschee liegt ziemlich nah am Beginn der Runde im Uhrzeigersinn Richtung Jungfernstieg.
Die Läuferinnen und Läufer ändern von Mal zu Mal ihr Verhalten. Heute hatten viele von ihnen ihr iPhone am Oberarm befestigt; sieht irgendwie lustig aus, wird aber nicht mehr nötig sein, wenn wir alle unsere Chips implantiert haben.
Derweil laufe ich weiterhin mit Pocket-Kamera und Haustürschlüssel durch die Gegend, ohne meine Körperfunktionen zu tracken. Von der linken Alsterseite aus gesehen stammt folgendes Bild:
Nett war es abends in der Hafencity. Ich habe mir sagen lassen, dass viele Brautpaare die Szenerie für ihre Hochzeitsfeiern nutzen. Scheint zu stimmen.
Uns war es egal. Wir haben am Osaka-Kai zwei leckere, dafür aber auch sehr teure Biere getrunken und uns überlegt, welches Wohnung in der Hafencity wir vom heutigen Lottogewinn kaufen wollen.
Leider hat der Lottoschein für 5,75 Euro, der allererste in meinem Leben, einen Return von 0,00 Euro gebracht. War wohl nix, so einfach bekommt man die Riester-Rente anscheinend nicht aufgestockt.
Schwimmbad, Fahrrad, Kino und nebenbei noch eine Menge Kleinigkeiten erledigt. Der zweite Tag in Hamburg ist nach Plan gelaufen.
Im Stadtparkbad beträgt die Länge einer Bahn 107 Meter. Die Zählerei – 5 Doppelbahnen- war angenehm reduziert und die Wassertemperatur mit 20°C angemessen.
In einem See fühlen sich 20°C wärmer an als in einem normalen Schwimmbecken – warum auch immer. Besser hätte ich meinen Vormittag in der Großstadt nicht verbringen können.
Dann wollte ich auf jeden Fall noch das Stadtrad Hamburg ausprobieren.
Schon im Sauerland hatte ich mich über das Internet mit Bahncard und Kreditkarte registriert.
Das Konzept ist genial. Im gesamten Hamburger (Innen-) Stadtbereich gibt es Radverleihstationen, an denen man Fahrräder sehr unkompliziert ausleihen und an jeder anderen Station wieder abgeben kann – alles voll digitalisiert, no humans needed, bis auf den Radfahrer/die Radfahrerin selbst.
Die erste halbe Stunde kostet nichts, jede weitere Minute 8 Cent bzw. 6 Cent für Bahncard-Besitzer wie mich.
Zum Abaton-Kino habe ich vom Goldbekplatz in Winterhude bis zum Salvador-Allende Platz nahe der der Universität jeweils 20 gemütliche Minuten benötigt. Kosten hin und zurück insgesamt: 0,00 Euro.
Die beiden Räder hatten funktionierendes Licht, der Sattel ließ sich leicht verstellen und technisch waren sie dem Radfahren in der Großstadt Hamburg angemessen.
Bleibt noch der Kinobesuch. Mit Jimmy’s Hall hat der alte Trotzkist Ken Loach mal wieder einen Film hingelegt, der alle ZuschauerInnen links von Ayn Rand berühren wird.
Ab Dezember 2014, so die WP in einem Bericht vom 5. August, könnten im Winterberg Skigebiet Schneekanonen in Betrieb gehen, die auch bei Plusgraden Schnee produzieren.
Natürlich geht es hier nicht nur um Winterberg, Winterberg ist ein Puzzlestück in einem großen Spiel: Wie die amerikanische Wirtschaftszeitung Bloomberg Businessweek berichtet, ist die Produktion von künstlichem Schnee mittlerweise ein milliardenschwerer Industriezweig geworden.
Die Hälfte der Österreichischen Skigebiete wird mit „falschem“ Schnee besprüht. Dabei benötigen die Skikanonen rund 468 Liter Wasser pro m² des teuren Weiß, dies entspricht ca. 200.000 Liter für gut die Hälfte eines Fußballfeldes. (Im Original: 500 000 gallons/acre of artificial snow)
Schneemacher in den Alpen verbrauchen laut Bloomberg Businessweek inzwischen mehr Wasser als Wien, eine Stadt mit 1,7 Mio. Einwohnern.
Dennoch können selbst in den Alpen herkömmliche Skikanonen eine auf Wintersport basierende Wirtschaft nicht mehr sichern. Die Schneeproduzenten traditioneller Bauart sind zu anfällig für Störungen. Sie benötigen Frost. Luftfeuchtigkeit über 70% mögen sie ebenso wenig wie Wind.
Schon vor einiger Zeit begannen Pitztal und Zermatt, die Vakuum-Technik der Firma IDE-Technology einzusetzen. Die Liftbetreiber können mit Hilfe dieser Technik Schnee bei jeder Außentemperatur produzieren. Auf chemische Zusätze kann nach Angaben der Firma verzichtet werden.
Waren die Schneemacher in Österreich noch riesig, so soll in Winterberg die neue, kleinere Variante der bereits in den Alpen und Nordamerika eingesetzten Snowmaker getestet werde, ein Schneemacher mit dem Namen „Snow2go“.
Zur Anlage gehört ein „Freezer“ von der Größe eines Containers. Er kühlt das Wasser herunter. Im Kühlraum, so IDE, wird das Wasser einem Vakuum ausgesetzt. Das Vakuum lässt einen kleinen Teil des Wassers verdunsten, während das übrige Wasser gefriert und eine Wasser-Schnee Mischung ergibt.
Diese Mischung wird anschließend vom „Freezer“ in die „Snow Gun“ gepumpt, welche das Wasser von den Schneekristallen trennt.
Nach Angaben der Firma IDE kann der “VIM 100 All Weather Snowmaker” pro Tag 200 m³ hochwertigen Schnee bei jeder Außentemperatur produzieren.
(Zur Verschaulichung: Wollte man beispielsweise 100 m mal 100 m beschneien, so erhielte man nach einem Tag eine 2cm hohe Auflage. Bei 4,5° C könnte der Schneemacher 112 Tonnen Schnee herstellen.)
Der Stromverbrauch liegt ungefähr beim Sechsfachen einer regulären Schneekanone. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Künstlicher Schnee verbraucht enorme Mengen an Wasser und Energie.
Durch die Unabhängigkeit der Schneeproduktion von der Außentemperatur könnte schnell der Wunsch bei Liftbetreibern, Hoteliers und Skibegeisterten aufkommen, die Skisaison bereits im Herbst beginnen zu lassen und bis in das Frühjahr auszudehnen.
Wintersport völlig unabhängig von der Jahreszeit scheint eine durchaus realistische Option geworden zu sein. Die Frage stellt sich: Wollen wir, will Winterberg Ski-Tourismus um jeden Preis?
Wie die WP heute berichtet, liebäugeln Winterberger Liftbetreiber mit neuen Schneemachern.
Die Rettung für die Sauerländer Mittelgebirge versprechen sie sich vom IDE All Weather Snowmaker, denn es sei “Never too warm for snowmaking”, niemals zu warm um Schnee zu produzieren, so die Israelische Firma IDE.
Über die Entwicklung des Schneemachers berichtete das Amerikanische Wirtschaftsblatt “Bloomberg Businessweek” Anfang 2014 unter der Überschrift: “How Israeli Snowmakers Are Saving Alpine Skiing”:
Wie Avraham Ophir Skilaufen lernte
IDEs Technologie Chef und selbsternannter „bester Skiläufer“ Avraham Ophir erzählt der amerikanischen Zeitschrift die lange und interessante Geschichte, wie er Schneeproduzent wurde.
Ophir wurde in Ostpolen geboren, sein Vater war Fabrikant, dessen Firma stellte Terpentin her. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Ophirs Heimat zunächst zwei Wochen von den Deutschen okkupiert, dann kamen die Russen. Sein Vater, Kapitalist, wurde inhaftiert und in ein Gulag in Nordsibirien gebracht. Die übrige Familie kam als Angehörige eines Gefangenen nach Südsibirien.
Dort musste Ophir Skilaufen lernen. Sie hätten zwei einfache, aber sehr stabile Holzlatten genommen und ein Lederband darum gebunden. Ihre normalen Schuhe hätten sie in die Lederschlaufe gesteckt. So gelangten die Kinder damals zur Schule.
Wie Avraham Ophir zum Schneemacher wurde
Die Geschichte des Schneemachens begann ebenfalls in Sibirien. In Russland gab es einen jüdischen Ingenieur namens Alexander Zarchin, ein Zionist. Doch er war nicht nur Zionist, sondern auch Techniker und die Sowjets hätten ihn deswegen ins Lager geschickt, in den selben Gulag wie Avrahams Vater.
In Sibirien ist es sehr kalt und im Sommer regnet es selten. Der Gulag lag in der Nähe des Arktischen Ozeans. Für das Arbeitslager wurde Trinkwasser benötigt. Also hätten sie Tore geöffnet und Seewasser in eine Lagune umgeleitet. Am Ende des Sommers hätten sie die Tore wieder geschlossen. Das Wasser in der Lagune wäre gefroren.
Wenn Meerwasser gefriert, trennen sich Wasser und Salz. „Eiskristalle aus Seewasser sind reines Wasser,“ erklärte Ophir.
Als nun der Sommer zurückkehrte und die Oberfläche zu tauen begann, pumpten Zarchin und die übrigen Gefangenen die salzhaltige Flüssigkeit aus der Tiefe der Lagune. Während sie pumpten, maßen sie den Salzgehalt und wenn er niedrig genug war, schlossen sie die Tore und ließen die Sonne den Rest des Eises schmelzen und gewannen so Trinkwasser.
Stolz erklärte Avraham Ophir gegenüber der Bloomberg Businessweek “So you see, need is the father of invention.“ (Not(wendigkeit) ist der Vater der Erfindung.)
Nach dem Krieg gelangte Ophir zunächst nach Polen und dann über die Alpen und Italien nach Israel. Zarchin, sein zukünftiger Chef, floh aus dem Gulag nach Israel, wo er schnell als Erfinder bekannt wurde.
Zarchin entwickelte zunächst eine Entsalzungsverfahren, basierend auf seinen Erfahrungen in Sibirien.
Er bildete den Sibirischen Frost mit Hilfe einer Vakuum-Kammer nach. Wenn der Druck unter 4 Millibar fällt, wird aus Salzwasser Eis und es verliert sein Salz. Er erhielt das Patent auf dieses Verfahren, welches in der Wüste Israels eine große Rolle für die Wassergewinnung spielt.
Erst sehr viel später, 2005, erkannte Ophir durch einen Zufall die Möglichkeiten der Technologie bei der Scheeproduktion. In Südafrika kühlte die IDE Vakuum-Eismaschine die tiefste Goldmine zwei Meilen unter der Erde.
Bei einer Besichtigung sah Ophir einen Berg an Schnee, der in der Afrikanischen Hitze produziert worden war. Er ließ sich Ski bringen, fand sie in Johannesburg und fuhr im Alter von 72 den Berg hinab. Nun ließ er einen Spezialisten kommen, der ihm die Qualität des Schnees bestätigte.
IDE lud Dutzende von Skigebiets-Verantwortlichen nach Südafrika, ließ zwei Schneeberge bauen und verbrachte zwei Tage mit den “guys” (Jungs), man aß gemeinsam, trank und anschließend hatte IDE die ersten beiden Aufträge: Zermatt und Pitztal.
Soweit der Bericht in Bloomberg Businessweek.
Hier einige Links zu Verfahren, Hintergründen und Folgen. Die Liste bietet einen ersten Einstieg und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Es wird sechs mal mehr Energie verbraucht als bei den Schneekanonen. (Die WELT)
Kenner und Freunde der friesischen Inseln wissen natürlich, dass es sich bei Nebel und Norddorf um zwei Gemeinden der Nordseeinsel Amrum handelt.
Im Friesen-Cafe empfehlen wir die Friesentorte – was sonst? Das für Friesland tyische Uthlandhaus besteht aus Mauerwerk aus rotem Ziegelstein (nicht zu sehen), Reetdach sowie weiß- oder blaugestrichene Fensterrahmen und Türen (gut zu erkennen).
Früher waren Stall und Wohnraum innerhalb des Gebäudes untergebracht. Das Haus bot durch eine tragende Holzkonstruktion im Inneren eine zusätzlichen Schutz bei schweren Sturmfluten.
Der Kniepsand ist der Insel Amrum vorgelagert, ein 15 km langer und bis zu 1,5 km breiter Sandstrand, der als natürlicher Küstenschutz dient. Durch diesen Sandstreifen, der Dünen und Meer voneinander trennt, muss der Amrumurlauber oft große Entfernungen zurücklegen, bis er endlich in die kühle Nordsee eintauchen kann. Denn jeder Nordseeurlauber weiß:
Bi de Ebbe is de wader nich dor, wenn dat wader weder dor is hebt wi Flut. Dat is so wi dat is.
Der Emscherradweg ist an manchen Stellen ziemlich schlecht beschildert. Viele Ausschilderungen sind für einen Fernreise-Radler völlig sinnlos. Was sollte mir beispielsweise „Alt-Oberhausen 3,2 km“ sagen, wenn ich zum Gasometer, zum Landschaftspark Nord oder einfach nach Bochum Stadtmitte will?
Dann gibt es im Ruhrgebiet ein weiteres Problem. Du kannst niemanden nach dem Weg zu einem entfernteren Ziel fragen und erwarten, dass du eine eindeutige Antwort bekommst. In seinem Flickenteppich von Städten und Ortsteilen blickt der Ruhrgebietler selber nicht mehr durch.
Da stand ich also gestern an der schlecht ausgeschilderten Ecke und wollte mich auf der Karte informieren, wie ich den nun weiterradeln müsste. Ich kann Karten lesen. Ich bin ein Mensch des analogen Zeitalters. Ich bin da richtig gut drin.
Aber die Graffiti auf der sehr detaillierten Karte hatte aus der HOAG-Tafel (siehe Bild) einen für mich unleserlichen Datenmüll gemacht.
Mensch, war ich sauer!
Zum Glück saß da noch ein älteres Ehepaar, selber Radler, auf einer Bank. Die beiden waren sehr nett, sie konnten mir auch nicht weiterhelfen, der Landschaftspark wäre sehr wahrscheinlich nicht leicht zu erreichen. Sie waren halt Einheimische.
In einem sokratischen Dialog konnte ich die Frau davon überzeugen, dass mein Gefühl, geradeaus weiterzuradeln, durchaus nicht völlig abwegig wäre.
In diesem Sinne positiv bestärkt, radelte ich geradeaus, um sofort nach 20 Metern links abzubiegen. Nach Gefühl und … angekommen 🙂
Vielleicht wollte mir der Graffiti-Künstler sagen, dass ich mich nicht auf schnödes Kartenwerk, sondern auf meine Gefühle verlassen sollte – und auf die Kommunikation mit netten Ehepaaren oder anderen ahnungslosen „Ruhris“.
Seit einigen Jahren radele ich den Emscherradweg entlang. Jede Tour war und ist leider von Baustellen und Umleitungen geprägt. Dazwischen gibt es zwar immer wieder nette Abschnitte, aber man muss den Radweg mit Geduld und Nachsicht befahren, sonst wird das nichts.
Eigentlich ist der Emscher Radweg ein Spiegel des Ruhrgebiets – viel Scheiße, aber da findest auch ’ne Menge Gold drin. Musst Du nur suchen.
Auf dem Weg von Dortmund nach Duisburg bin ich erst in Herne auf den Emscher-Radweg gestoßen. Das Ding oszilliert zwischen Rhein-Herne-Kanal und Emscher. Man landet mal hier und mal dort.
Der Radweg führt entlang des Kanals am CentrO in Oberhausen und am Gasometer vorbei. High Times für einen notorischen Konsumverweigerer wie mich.
Die Brücke zum Kaisergarten schwankt und macht den Fußgängern deswegen Spaß. Ein Gimmick über dem Rhein-Herne-Kanal.
Politik war heute auch, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr, weil in der Jugendherberge Duisburg-Meiderich eine Stunde Internet 1,50 € kostet.
Nur soviel: Mein Vater hatte im Rhein Herne Kanal schwimmen gelernt und auch heute waren wieder viele Schwimmerinnen am und im Wasser. Die werden vielleicht nicht so leicht in der Ostsee ertrinken.
Winterberg plane seinen niederländischen Besuchern die Maut zu erstatten. Tourismusdirektor Beckmann „vreest dat Nederlanders die een kort bezoek aan Winterberg brengen, straks wegblijven. Nederland is goed voor dertig procent van de toeristen die het populaire wintersportgebied jaarlijks bezoeken“.
So wie der deutsche Verkehrsminister seine Landsleute entlasten wolle, möchte es Beckmann auch den Niederländern angedeihen lassen:
„Beckmann overweegt de tolprijs te compenseren met tegoedbonnen voor Nederlandse gasten: „Als onze verkeersminister Duitsers compensatie belooft, dan doen wij dat voor Nederlanders.”“
Auch wenn sich Beckmanns Schnellschuss fix als juristisch nicht haltbarer Nonsens herausstellen sollte, hat die Meldung in den sozialen Medien eingeschlagen und mit wenig Aufwand Aufmerksamkeit und Reklame für Winterberg erzeugt.
Dieser Artikel ist der 32. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute begegnen wir den Zeugen Jehovas und wählen zwischen Oppenheimer Krötenbrunn und Liebfrauenmilch.
Hola a todos!
„Sprechen Sie Deutsch?“ Eine Frage, die mir eher selten in meinem Supermarkt um die Ecke gestellt wird. Vor allen Dingen nicht auf Deutsch. In der Regel werde ich an der Kasse gefragt, ob mein Besuch angenehm war, ich alles gefunden habe oder ob ich noch mein Handy aufladen möchte. Nur einmal fragte mich ein Kassierer, ob ich Mexikanerin sei. Das hat mich doch überrascht, denn ich sehe nach wie vor so offensichtlich nicht-mexikanisch aus. Ich verneinte und fragte, warum er mich das fragen würde. Na, ich würde ja jetzt schon länger hier einkaufen und brächte immer meinen Stoffbeutel mit. Und da habe er sich gefragt, warum ich das mache, es gebe doch Plastiktüten.
Da die meisten doch erkennen, dass ich so offensichtlich keine Mexikanerin bin, wurde ich dann wohl auch vor einigen Tagen gefragt, ob ich Deutsch spräche. Ich stand vor den Weinregalen und habe mich genau in dem Moment gefragt, warum es in Mexiko nur zwei deutsche Weinsorten im Angebot gibt: Oppenheimer Krötenbrunnen und Liebfrauenmilch. Ich habe schon einige mexikanische Bekannte zum Lachen gebracht, wenn ich ihnen die Namen übersetzt habe. Bei Liebfrauenmilch muss ich unweigerlich an Muttermilch denken und wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Traubenverschnitt, der damals billig bei Aldi verkauft wurde. Aber da kann ich mich auch täuschen.
Aber meinen Ohren habe ich schon getraut, als ich die Frage hörte, mich umdrehte und eine lächelnde Frau hinter mir stand. Ich nickte. „Das ist ja toll“, entfuhr es ihr und ihr Lächeln wurde noch breiter. Sie hatte einen ziemlich großen Mund und auf dem zweiten Blick erinnerte sie mich auf einmal ein wenig an Angelina Jolie. Nur, dass Angelina Jolie sich bestimmt nie so anziehen würde.
Alles war ein wenig unförmig und zu weit. Eine orangene Parkajacke, die fast bis zu den Knien ging und bestimmt allen Witterungen standhält sowie ein olivgrüner, wadenlanger Rock. Sie sei aus Hamburg, war schon einmal für ein Jahr in Puebla und sei nun für zwei Monate in der Hauptstadt. Was sie denn machen würde, fragte ich. Sie mache Entwicklungsarbeit. Nun wurde ich neugierig und fragte nach, für welchen Entwicklungsdienst sie denn arbeite. Nun wurde das Lächeln ein wenig schmaler und sie sagte ernsthaft, nun, wir alle haben doch Lebensfragen, auf die wir keine Antworten haben. Mir fiel spontan keine ein. Sie schwang ihren Rucksack vom Rücken und drückte mir einen deutschsprachigen Flyer in die Hand. Ich schaute auf das Blatt: Was mache ich bei Trauer? war das Thema. Dann drehte ich den Flyer um. Tatsächlich, es waren die Zeugen Jehovas.
Ich schaute die Frau etwas irritiert an: Entwicklungsarbeit? Ja, sie bauten gerade eine Gemeinde hier in der Nähe auf. Auch ich sei herzlich zur Bibelstunde eingeladen. Auf Deutsch. Dafür böten sie auch Deutschkurse an. Deutschkurse? Für wen? Na, für die Mexikaner. Ich versuchte, das mal auf die Reihe zu kriegen: Über 90 Prozent der Mexikaner sind katholisch, Kirchenaustritte gibt es fast nicht, dafür haben die Mexikaner nach der Missionierung durch die Spanier ihre eigene Form des Katholizismus geschaffen. Und mit dem scheinen sie nach wie vor gut zurechtzukommen.
Ob sie denn bislang Erfolg gehabt hätten? Dieser Frage wich sie ein wenig aus. Dafür stellte sie mir die Gretchenfrage. Ich wollte nicht gerade jemanden, der mich vor zwei Minuten angesprochen hat, meine ganze Sicht auf die Welt mitteilen und zögerte ein wenig mit der Antwort. Na ja, ich habe da schon meine Zweifel, schwurbelte ich rum.
Da zog sie die Bibel aus ihrem Rucksack und sagte, hier stünden die Antworten auf alle Fragen des Lebens. Auch auf Zweifel. Sie las mir eine kurze Passage aus dem Johannesevangelium vor. Irgendwie ging es um das Böse. Sie interpretierte die Stelle dahin, dass Gott gar nicht gewollt habe, dass die Menschen sterben. Ich machte mhmm, da ich das zum ersten Mal so gehört hatte und mir vorstellte, wie die Welt aussehe, wenn tatsächlich noch nie jemand gestorben wäre. Keine schöne Vorstellung. Wie viel Platz hätte dann wohl jeder?
Um meine Zweifel noch weiter zu entkräften, ließ sie ihren Rucksack auf den Boden fallen. Mittlerweile war sie beim Du angekommen. „Was glaubst du, warum der Rucksack auf den Boden gefallen ist?“ fragte sie. „Die Schwerkraft? Die Erdanziehung?“ fragte ich rhetorisch zurück. „Na, hat Gott das nicht toll gemacht?“ „Was?“ „Die Erdanziehung. Stell dir mal vor, der Rucksack würde schweben.“
Ja, warum haben sich eigentlich Philosophen und ich weiß nicht wer sich jahrhudertelang mit Gottesbeweisen rumgequält, wenn es doch so einfach ist. Sie drückte mir noch ein paar Prospekte in die Hand und dazu ganz feste die Hand, ich sei herzlich eingeladen und lächelte mich noch einmal an. Dann ging sie. Ich stand wieder unentschlossen vor dem Weinregal und dachte kurz darüber nach, ob ich nicht wirklich mal dahin soll, wenn sie dort noch weitere amüsante Gottesbeweise präsentieren sollten. Aber eine Sekunde später wusste ich, dass ich nicht dahin gehen würde. Und auch, welchen Wein ich kaufen würde.
Dieser Artikel ist der 32. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Wir lesen allerdings heute die Geschichte einer gualtemaltekischen Frau, die eng verwoben ist mit der Erzählung über die sozialen und politischen Verhältnisse in Guatemala, diesem wunderschönen zentralamerikanischen Land. Viel Spaß!
Hola a todos!
Maria Antonieta ist eine kleine, drahtige Frau, die mit einem unheimlichen Tempo vorangeht. Ihr Alter lässt sich schwer schätzen: Sie kann alles zwischen 39 und 49 sein. Kennengelernt habe ich sie im kleinen Dorf Chilásco, rund 200 Kilometer nordöstlich der guatemaltekischen Hauptstadt.
In meinem Reiseführer aus Deutschland stand nämlich, man könne von hier aus eine wunderschöne Nebelwald-Wanderung zu einem der längsten Wasserfälle Zentralamerikas machen. Man müsse sich nur bei einem Posten einschreiben, umgerechnet 2,50 Euro zahlen und schon könne man auf eigene Faust loslaufen.
Nun standen wir in der Dorfmitte, kein Hinweis nirgends auf einen Wasserfall und ließen uns von den Bewohnern anschauen, die in ihren Hauseingängen saßen. Wir fielen schon deswegen auf, weil es auf der staubigen Straße kein weiteres Auto gab. Wir fragten, wo denn der Weg zum Wasserfall sei. Und die vorherige Behäbigkeit löste sich in Betriebsamkeit auf.
Als Erstes kamen zwei Chicos auf ihren Fahrrädern. Dann sagte uns ein Mann, Moment, gleich käme noch eine Frau und wir entschieden uns, dass uns die Frau zeigen sollte, von wo aus wir starten können. Wir fuhren mit ihr wieder aus dem Ort heraus. An einem Feldweg standen noch ein paar Häuser. Dort konnten wir auf einem Grundstück das Auto abstellen und wir entschieden uns, die Frau doch als Begleiterin mitzunehmen. Denn wohin es gehen sollte, konnte man auch von hier aus nicht erkennen.
Maria Antonieta preschte voran, in Gummischlappen, Rock und Bluse. Ihre langen Haare klemmte sie während des Gehens mit einer Klammer zusammen. Wir fragten nach dem Kassenhäuschen. Maria Antonieta schüttelte den Kopf. Das gäbe es nicht mehr. Der Plan, den Wasserfall touristisch zu nutzen sei furchtbar schiefgegangen.
Die Dorfbewohner hätten Angst vor den Ausländern. Wieso das denn? Sie hätten Angst, dass ihnen die Kinder geklaut würden. Was zunächst absurd klingt, hat leider einen realen Hintergrund: Allein 2007 wurden in Guatemala 4300 Kinder zur Adoption freigegeben. „Hauptabnehmer“ sind die USA und Kanada. Aber auch nach Europa gelangen Kinder aus Guatemala – die meisten nicht legal. Um dem ein Riegel vorzuschieben, wurde im Dezember 2007 ein Gesetz erlassen, dass jede Adoption an eine staatliche Organisation bindet. Kritiker monieren, dass sich seitdem die Korruption lediglich von privaten Anwälten zu staatlichen Funktionären verschoben habe. Offizielle Zahlen gibt es aber nicht. Aber der „Einkaufspreis“ eines Kindes soll zwischen 30 und 250 US-Dollar liegen. Anwälte und Funktionäre sollen bis zu 70 000 US-Dollar kassieren. Ein Riesengeschäft.
Sind denn Kinder aus dem Dorf verschwunden? Maria Antonieta schwieg und nickte leicht. Hat sie auch Angst? Maria Antonieta schüttelte den Kopf. Nein, bereits ihre Eltern hätten an ausländische Besucher Zimmer vermietet. Aber die seien auch nicht aus Chilásco gewesen. Hier gebe es viel Streit. Auch um Ländereien und Besitzansprüche. So habe einer einen Teil des Weges zum Wasserfall für sich beansprucht und mit einem Stacheldrahtzaun gesichert.
Ja, und wie sollen wir dann zum Wasserfall? Einfach über den Zaun klettern. Allein bei dem Gedanken wurde mir unwohl. Denn ich habe mir als Zwölfjährige bei genau so einer Aktion die Hand aufgerissen. Davon zeugt eine lange Narbe über meinen linken Mittelfinger.
So hing ich dann auch wie ein nasser Sack auf dem Zaun, während Maria Antonieta mir nichts, dir nichts drüber war. Nach einer gefühlten Ewigkeit und zig Versuchen, die beste Haltung zum Drüberkommen zu finden, war ich dann auch endlich auf der anderen Seite. Nach zweieinhalb Stunden kamen wir an. Endlich die erste Pause. Die Maria Antonieta wohl gar nicht brauchte, denn sie hatte weder Essen und Trinken dabei. Ich bot ihr eine Flasche Wasser an. Maria Antonieta nahm einen Schluck und erzählte: In der Osterwoche hätte es ganz gut ausgesehen, Japaner seien dagewesen und einmal habe sie die Tour zweimal an einem Tag gemacht. Das hieß, sie war zehn Stunden unterwegs. Viele Touristen kämen ja nicht mehr.
Sonst sammelt sie die Dosen, die die Leute so wegschmeißen. Die Gemeinde zahle ihr je Kilo umgerechnet zwanzig Cent. Keine sinnlose Idee. Ich habe selten ein so zugemülltes Land wie Guatemala gesehen. Einmal sah ich, wie ein Mann säckeweise Müll in einen Fluss warf.
Darüber hinaus versuche sie mit anderen Frauen und mithilfe von Mikrokrediten, die sie von der Gemeinde bekämen, Projekte anzuschieben, meist kleine Handwerksbetriebe. Ich fragte, was denn die Männer machen würden. Sie habe einen guten Mann, wehrte sie sofort ab. Er würde auf dem Feld arbeiten. Vieler ihrer Freundinnen und Bekannten hätten aber nicht dieses Glück.
Ob sie denn Kinder habe? Sie nickte, lächelte auf einmal zaghaft. Wie viele? Neun. Ich verstummte. Daraufhin zeigte sie mir die Anzahl auch noch einmal mit den Fingern. Ich erwiderte, dass ich sie schon verstanden habe. Und dachte: Verstehen tue ich es aber trotzdem nicht. Der Jüngste sei jetzt drei, der Älteste 26.
Dann sprudelte es aus ihr heraus: Es sei schrecklich. Nicht die Schwangerschaften, nicht die Geburten, sondern, dass sich alle immer streiten müssten. Der eine gönnt dem anderen die Tortilla nicht. Es überstieg meine Vorstellungskraft: Wie soll man denn auch täglich so viele satt kriegen? Dann die eine Tochter: Die Lehrer sagten, sie solle studieren und Maria Antonieta hat keine Idee, wie das gehen soll. Ich sage ihnen immer, sie müssten Geld verdienen, alles andere geht nicht.
Vielleicht gibt es die Möglichkeit eines Stipendiums, schlug ich zögerlich vor. Maria Antonieta schaute mich ein wenig traurig an: Sie sollen ja lernen, aber studieren? Nein, sie müssen doch Geld verdienen. Und ich sage den Mädchen immer: Werdet nicht zur Gebärmaschine, so wie ich. Mein Mann wollte ja auch nur zwei, drei. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, warum es dann noch sechs oder sieben mehr geworden sind.
Im Dorf habe ich jedenfalls keine Apotheke oder Arztpraxis gesehen. Und mit dem Wagen in die nächste Stadt sind es rund zwei Stunden. Nach der rund fünfstündigen Wanderung mussten wir einen Preis mit ihr aushandeln. Uns fiel es nicht schwer, ihr umgrechnet 20 Euro zu geben. Vielleicht hatte sie damit mal eine Woche keine Schwierigkeiten, all die Bäuche an ihrem Tisch satt zu kriegen. Maria Antonieta hatte Tränen in den Augen und umarmte uns. Ich war ein wenig beschämt.
Auf dem Rückweg kurz vor dem Zaun hatte ich ihr meine Narbe am Finger gezeigt. Sie zeigte auf eine Narbe an ihrem rechten Knie. Die sei von einem Sturz an diesem Zaun. Da war sie im achten Monat schwanger. Mit ihrem hoffentlich letzten Kind. Maria Antonieta ist jetzt 45. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass es doch keine zehn werden.
Ich hoffe, euch allen geht es gut! Muchos saludos, Marion
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