Das Wetter war heute einfach nur zu gut, und mich hat es auf’s Fahrrad getrieben. Kleine Fluchten. Ab nach Hessen. Auf nach Marburg.
Marburg – das ist die Stadt, wo an einem warmen sonnigen Oktobersonntag gefühlt 99,9% der Menschen auf der Straße nicht aus Marburg kommen, sondern aus einem Reiseführer und dem Studentenwerk.
Und hej, wir kommen ja auch nicht aus Hessen, sondern aus dem Hochsauerland. Zum Glück war der Fledermaustunnel in Bromskirchen noch nicht für die Wintersaison geschlossen.
In Marburg haben wir wie schon so oft im Café Vetter gesessen und uns ansonsten durch die Stadt treiben lassen. Hinauf auf’s Schloss und wieder hinunter.
Auf dem Weg zur Lahn mussten wir auch noch ein Rätsel zu lösen versuchen: „Was studierst du?“
Keine Ahnung, was man studiert, wenn man als „Reproduktion einer kranken Gesellschaft“ vor sich hin vegetiert. Jura? BWL? Oder Kunstgeschichte? Wer weiß das schon?
Auf dem Heimweg, diesmal mit dem Auto, haben uns die 18 Uhr-Nachrichten kurz vor Frankenberg erwischt.
Unsere Autorin Nadja Thelen-Khoder forscht zu Zwangsarbeitern, Lagern und Nachkriegsgeschichte in und um Meschede.
Insbesondere mit Hilfe des ITS in Bad Arolsen hat sie viele „unbekannte“ Gräber auf dem sogenannten „Franzosenfriedhof“ entziffert und Personen – zu Grunde gerichtete und ermordete Zwangsarbeiter- zugeordnet.
Schlimm: das Freibad des AquaOlsberg hat ab heute bis zum Mai 2018 geschlossen. Ich schwöre, dass auf meinem letzten Gang zum Beckenrand selbst der Himmel weinte. Es beginnt die dunkle und trostlose Zeit im Hochsauerland.
Nach 64 Bahnen hab ich mich unterzuckert ins Café Deimel gerettet, ein Bauernfrühstück weggegabelt und die „Geschichte des Kapitalismus“ von Jürgen Kocka beendet.
Ich weiß nach der Lektüre, dass er wahrscheinlich weiter geht, dieser Kapitalismus, der alte Schlawiner.
„AfD wirkt“, sage ich und warte auf die nächsten Begriffe, die die Rechtspopulisten der bürgerlichen Mitte in den Rachen stopfen.
Erfrischend klar war heute Morgen das Tagesgespräch „Wie gespalten ist unser Land?“ im WDR 5 mit Sergej Lochthofen, dem ehemaligen Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen. Lochthofen ist ein kluger Kopf, dessen Meinung und Argumenten man zuhören sollte.
Was habe ich heute noch gelernt?
Vielleicht das: man kann in einem Café mühelos ein halbes Buch beliebiger Dicke durchlesen, vorausgesetzt man vergisst alle digitalen Medien zu Hause.
Wie hätte ich sonst als Kind die meisten Karl May Bände lesen können? Muße beginnt stets/oft mit öder Langeweile.
Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah
Ich bin heute Morgen in Bochum aufgewacht, die Sonne schien und die Straßen waren leer, sodass wir schnell und ohne Staus ins Hochsauerland zurückfahren konnten.
Gestern hatte es fürchterlich geplästert. Im Regen sieht Bochum deprimierend aus. In einer Kneipe im „Bermuda3eck“ haben wir uns etwas zu Essen und Trinken bestellt.
Es war eine dieser „Locations“, wo die Bestell-Zombies nur noch auf ihre Smartbestelltablets gucken und manchmal nicht mehr merken, dass man auch noch eine zweite Bestellung aufgibt.
„Wo bleibt meine Currywurst?“
„Die haben Sie doch gar nicht bestellt, das weiß ich 100%ig!“
„Habe ich aber!“
Zeugin bestätigt.
„Haben Sie nicht!“
Ich habe schwer über die Wahrnehmungsstörung des Kellners nachgedacht. Er war anscheinend nach dem ersten Teil unserer Bestellung derart in sein Bestell-Gerät vertieft, dass er nichts mehr mitbekommen hat.
Aufmerksamkeitsstörung.
Nun ja, ich denke, dass der junge Mann irgendein angelernter Wicht ohne Kellner-Qualifikationen ist. Er konnte einfach nicht zuhören, sondern ab einem bestimmten Punkt nur noch auf sein „Device“ tippen.
Falls sich jemand fragt, warum die Kunden nicht wiederkommen – denkt darüber nach.
Ich habe mir dann meine Currywurst an einer Pommesbude geschossen. Draußen an Stehtischen essen, das mag ich gern, aber die beiden Nazis (ja, das waren Nazis) am Nachbarstehtisch beunruhigten meine Begleitung. Ich persönlich höre Nazigesprächen normalerweise sehr interessiert und ausdauernd zu.
Die letzte Aufführung von „Cosmopolis“ wurde in der Jahrhunderthalle gegeben. Die Ruhrtriennale ist zu Ende. Ich habe über die Jahre drei Aufführungen gesehen: „Accatone“ in Dinslaken, „Geld“ in Duisburg und jetzt eben „Cosmopolis“.
Was soll ich sagen? Johan Simons ist speziell. Seine Stücke haben mich weder enttäuscht noch überzeugt. Ich denke noch darüber nach, woran es liegen könnte.
Cosmopolis gestern – 50/50. Meiner Partnerin gefiel es, mir weniger. Leider habe ich weder das zugrundeliegende Buch von Don DeLillo noch die Verfilmung gesehen.
Nun gut, es mag erstaunlich sein, dass DeLillo in seinem Werk die Finanzkrise vorweggenommen hat, aber die Wiederaufbereitung in der Jahrhunderthalle hat inhaltlich nichts Neues geboten.
Spielplatzambiente – Spielplatz Finanzkapital. Passt schon, aber was jetzt? Ein Finanzjongleur, der zwischen Sex-Phantasien, Prostata-Untersuchungen und Todessehnsucht mit seinem letzten Investitionscoup sein Vermögen und das Kapital seine Frau seit 22 Tagen („altes Kapital“) pulverisiert – nix Neues.
Während also ein Teil der Familie den Daumen gehoben hat, senkt sich meiner tendenziell nach unten. Das Gute an dieser Konstellation besteht darin, dass wir in der nächsten Zeit noch produktiv streiten können.
Ich habe in der Vergangenheit Pressemeldungen (PMs) auch der Parteien veröffentlicht. Bis zu den Wahlen ist allerdings Schluss damit. Die PMs haben zur Zeit keinen großen Nachrichtenwert.
Ich vermisse die offensive Auseinandersetzung mit den Positionen der politischen Gegner. In wenigen Tagen werden mit großer Wahrscheinlichkeit Nazis in den Bundestag einziehen.
PM dazu von CDU, SPD, FDP, GRÜNE usw. ?
Fehlanzeige.
Tut mir leid, liebe Freundinnen und Freunde der demokratischen Parteien. Ihr seid Hasenfüße und versteckt euch hinter Phrasen anstatt aktiv gegen Rechts zu kämpfen.
Ein weiterer Bericht über eine Betriebsbesichtigung oder einen Stadtrundgang?
Brauchen wir im Blog nicht.
Ihr habt nicht gekämpft, ich hoffe, dass die Demokratie trotzdem keinen Schaden nimmt.
Wer mit der SPD am Wahlabend leiden(?) will, beachte folgende PM:
Einladung zur Wahlparty der Sauerländer SPD in Starkes Bierstube
Am Sonntag, den 24. September 2017 findet in der Bierstube Starke am Markt in Brilon ab 17.30 Uhr die Wahlparty der Sauerländer SPD statt. Nach einem anstrengenden aber auch spannenden Wahlkampfmarathon wollen die Mitglieder der SPD sowie alle interessierte Bürgerinnen und Bürger gemeinsam feiern und den Wahlabend vor dem Bildschirm verfolgen.
Gezeigt werden die Fernsehsendungen zur Bundestagswahl und die Ergebnisse für Bund, NRW und das Sauerland. Für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt. „Alle aus Nah und Fern sind dazu herzlich eingeladen! Ich freue mich auf euer und Ihr Kommen!“ so der heimische Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese.
Nach einer Woche in meiner zweiten Heimat, abseits des Blogs, wage ich mich mit einer kleinen Anzeige zurück in die Blogosphäre. „Do it for the lulz!“ erwischte mich auf einem Streifzug durch das Hamburger Schanzenviertel.
Erbloggtes, die/den die LeserInnen aus der Diskussion über Plagiate bei akademischen Titeln kennen sollten(!), hatte sich Gedanken über Sinn und Unsinn des Bloggens gemacht.
„Er bloggte sich zeitweise um Nachtschlaf, Gesundheit, Wohlbefinden. Aber warum? Warum bloggt jemand? Warum bestimmte Themen? Angelika Schoder hat ironisch vorgeschlagen: „Mach es für die Reichweite!“, um damit eine Position in einer Twitter-Debatte zu kritisieren, die sich um Arbeit und Bezahlung in der Wissenschaft und im Internet dreht.“
Seit vielen Jahren haben wir die Ruhrtriennale neben den Ruhrfestspielen als feste Größe in unserem Jahreskalender. Bislang habe ich die „kleinen Fluchten“ aus dem Hochsauerland noch nie bereut. Jeder Theater- oder Musikabend, jede Lesung, war bereichernd.
Dienstbare Geister erzählt von zwei gegenläufigen Migrationsbewegungen: 1905 verlässt eine mittellose junge Frau Berlin und wandert in die deutsche Kolonie Kamerun aus. Ihr sozialer Aufstieg geschieht auf Kosten der einheimischen Nachbarn und Bediensteten, die beharrlich und vergeblich Widerstand gegen die Deutschen leisten – unter anderem gegen Landraub und Zwang zur Arbeit mit der Peitsche.
2015 bricht ein junger Mann aus Kamerun Richtung Deutschland auf. Er sieht für sich keine Alternative zum reichen Europa. Durch beharrliche Selbstausbeutung erkämpft er sich in Berlin schließlich eine feste Stelle. Zunehmend verliert er die Verbindung zu seiner Heimat. Aber eines Tages soll er seiner Chefin einen Dienst erweisen und gegen seinen Willen einen Auftrag in Kamerun übernehmen.
Reinhören:
Europas Kolonialgewalt und die Folgen als Parallelmontage.
Die Geschichten werden zeitgleich in zwei nebeneinander liegenden Räumen erzählt. Das Publikum teilt sich und wechselt nach dem ersten Durchlauf den Raum, um die andere Zeitebene zu hören. Der jeweilige Nebenraum macht sich immer wieder akustisch bemerkbar. Die Kolonialzeit greift wie ein Poltergeist ins Heute, umgekehrt hört man in der Kolonialgeschichte Vorboten einer Zukunft, die an heute erinnert.
Endlich wieder zu Hause. Hier kann man sich von der Rückfahrt aus dem Urlaub erholen.
Seit wir mit Google Maps unsere Fahrstrecke fast in Echtzeit verfolgen können, machen die Staus richtig Spaß. Fahren wir in die rote Linie rein oder nehmen wir Googles Alternativvorschlag über die Landstraße? Wir diskutieren, ob sich der Stau gerade auf- oder abbaut. Uihh! Stau, und der wird bei Google gar nicht angezeigt. Frischer Auffahrunfall, von drei Spuren auf eine.
Den Verkehrsfunk kann man getrost vergessen. Da stimmen nur wenige Angaben. Ich vermute, die Radiostationen bringen das Zeug nur noch, um HörerInnen zu binden.
Auf der Autobahn ist Google für mich unschlagbar. Die einzig wahre Alternative ist für mich, seit die Zugfahrpläne nur noch groben Schätzungen entsprechen, das Radfahren.
Also in dieser Reihenfolge:
1. Rad
2. Bahn
3. Auto
Sei’s drum. Bin wieder im Sauerland und orientiere mich vorsichtig im lokalpolitischen Raum. Den Stapel Reklamezeitungen habe ich (sorry!) ungelesen in die blaue Papiertonne geworfen. Wird morgen abgeholt.
Am 5. August 2008 habe ich die ersten kleinen Versuche unternommen, das Blog zu starten. Somit hat dieser Webauftritt vor vier Tagen in aller Stille seinen 9. Geburtstag gefeiert und befindet sich nun im 10. Lebensjahr.
Ich würde gerne ein schlaues Fazit ziehen, kann es aber nicht, daher nur ein paar Gedanken.
Blogs oder Weblogs bzw. Webtagebücher habe ich in den vergangenen Jahren kommen und gehen sehen. Der große Gedanke der Vernetzung und rückgekoppelten (politischen) Diskussion, so er denn nicht nur bei mir im Kopf war, ist meiner Meinung nach gestorben, obwohl es auch heute noch viele interessante Blogs gibt.
Diskussionen finden zum großen Teil auf Facebook, Twitter und Co statt. Heftig, aber trotzdem flüchtig, verschwinden die Inhalte oft schon nach Tagen oder Stunden im großen Rauschen der kommerziellen Plattformen, die das Erregungspotenzial ihrer UserInnen abschöpfen.
Auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise konnte ich Facebook nicht mehr ertragen. Ich meldete meinen Account ab. Jetzt bin ich zwar wieder ON, aber aus politischen Gründen. Wer sich für Politik interessiert, kann den Marktplatz der Meinungen nicht meiden, nur weil dort betrunkene Nazis in die Ecken kotzen.
Zurück zum Blog. Leider hat sich bei mir im letzten Jahr ein Überdruss an Lokalpolitik eingeschlichen. Ich weiß, dass das nicht gut ist für ein Blog, welches „Politik, Medien und Kultur“ als thematisches Motto führt.
Es hat mir mal Spaß gemacht, Medienkritik zu versuchen/veranstalten/schreiben, aber die geballten Schützenfestartikel unserer Lokalpresse haben mich erstickt.
Was die Lokalpolitik angeht, hatte ich ebenfalls einige Illusionen. Die größte Illusion war die Hoffnung, dass die SPD im schwarzen Sauerland eine Oppositionspartei sei, die ein Interesse daran habe, (öffentlich) nach §21 GG an der politischen Willensbildung mitzuwirken.
Das hört sich beim ersten Korrekturlesen sehr negativ an.
Warum mache ich trotzdem weiter?
Erstens: das Blog hat sehr aufmerksame LeserInnen.
Zweitens: das Blog hat gute KommentatorInnen.
Drittens: das Blog hat sehr gute AutorInnen.
Viertens: das Blog ist inzwischen mehr als ich.
Fünftens: das Blog bleibt, denn eigentlich musste ich mir nur kurz den Frust von der Seele schreiben.
Sechstens: Politik, Medien und Kultur sind heute spannender denn je.
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