208 ermordete sowjetische und polnische Zwangsarbeiter, ein besonderes Erbe und die Grabsteine auf dem „Franzosenfriedhof“ in Meschede-Fulmecke.
Teil 1 einer persönlichen Dokumentation.

Der Waldfriedhof Fulmecke (fotos: thelen-khoder)

Wenige Monate vor ihrem Tod erzählte mir meine Mutter, in ihrem Geburtsort, den ich nur von Erzählungen und zwei Beerdigungen her kannte, seien wenige Tage vor Kriegsende russische Zwangsarbeiter im Wald ermordet und „verbuddelt“ worden.

(Unsere Autorin Nadja Thelen-Khoder hat sich intensiv mit der Geschichte der russischen Zwangsarbeiter im Sauerland beschäftigt. Ihre Dokumentation liegt als PDF vor und kann hier als Gesamtdokument heruntergeladen und gelesen werden.)

Wenige Wochen nach der Befreiung hätte man sie gefunden, und die Bevölkerung habe an den Leichen vorbeigehen müssen. Sie, ihre Schwester und ihr zukünftiger Schwager seien dabei gewesen, wirklich schlimm.

Mein damals 17-jähriger Onkel habe sehr geweint. Richtig und auch gut sei es von den Amerikanern gewesen, die Menschen dazu zu zwingen, Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Niemand hätte sagen können, er habe „von all dem nichts gewußt“.

Der Ort des Geschehens, so meine Mutter, hieße Langenbachtal. Langenbachtal also – ein besonderes Erbe meiner Mutter. Von russischen Zwangsarbeitern hatte sie ihr ganzes Leben lang erzählt, und davon, daß es unmöglich gewesen war, „von all dem nichts gewußt“ zu haben. Sie jedenfalls habe im Alter 18 Jahren eine Menge gewußt.

Ihr Vater, der ein halbes Jahr nach meiner Geburt starb, war damals Arzt, und sie habe ihm mehrfach geholfen, die eiternden Geschwüre „auszuschaben“; sie habe oft die Arme oder Beine festgehalten, während mein Großvater die kranken Zwangsarbeiter behandelte. Aber daß russische Zwangsarbeiter noch wenige Tage vor Kriegsende im Langenbachtal ermordetet worden waren, hatte sie nicht erzählt.

Sobald ich konnte, fuhr ich in den Arnsberger Wald und fand die Toten nach einigem Suchen in Meschede auf dem Waldfriedhof, der auch „Franzosenfriedhof“ genannt wird, weil er im Ersten Weltkrieg für die etwa 20000 Kriegsgefangenen aus Frankreich angelegt worden war.

Eigentlich hätte ich keine Chance gehabt, die ermordeten der Massaker vom 20. bis zum 23. März 1945 zu finden. Nichts deutete darauf hin, daß die Opfer der drei „Massenerschießungen“ von Suttrop (57 Menschen), Eversberg (80 Menschen) und dem Langenbachtal (71 Menschen) alle hier lagen. Nicht die Bezeichnung des Ortes als „Kriegsgräberstätte“, nicht der Eingang mit dem großen Tor, nicht die Tafel hinter dem Eingang und auch nicht die sechs steinernen Platten mit den verschiedenen Angaben, wie viele Tote an der jeweiligen Stelle liegen:

Sechs steinerne Platten (fotos: thelen-khoder)

Woher hätte ich beispielsweise wissen können, daß hier die 80 Ermordeten von Eversberg liegen?

 

„HIER RUHEN 80 SOWJETISCHE BÜRGER, DIE IN DER SCHWEREN ZEIT 1945 FERN VON IHRER HEIMAT STARBEN.“ (foto: thelen-khoder)

Es war nur die angekündigte Stele ganz, ganz hinten in der Ecke, die etwas erzählte. Zuerst habe ich sie gar nicht gesehen;

„Zuerst habe ich die Stele nicht gesehen.“ (foto: thelen-khoder)

ganz, ganz hinten stand sie,

Kreuz und Stele (foto: thelen-khoder)

und erst, als ich dicht davor stand, erfuhr ich, was in etwa „passiert“ war:

HIER RUHEN RUSSISCHE BÜRGER, BESTIALISCH ERMORDET IN FASCHISTISCHER GEFANGENSCHAFT. EWIGER RUHM DEN GEFALLENEN DES GROSSEN VATERLÄNDISCHEN KRIEGES 1941 – 1945 (foto: thelen-khoder)

Gott sei Dank hatte die Sowjetunion damals daran gedacht, daß die meisten Deutschen kein Russisch können und hatte den Text auch übersetzt anbringen lassen, sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch.

Diese Stele besteht aus drei Seiten, und auf jeder steht der Text in einer der drei Sprachen. Leider konnte ich nur Teile so photographieren, weil mir das Gebüsch im Nacken saß. Aber man erkennt es ja auch so.

Die drei Seiten der Stele sind hier zu erkennen. (foto: thelen-khoder)

Daß auf dem „Franzosenfriedhof“ keinerlei Hinweis auf Französisch zu finden war, fand ich außerordentlich bedauerlich. Gott sei Dank gibt es wunderbare Bücher, und aus zweien möchte ich hier zitieren: Das erste ist die zweibändige Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. Auf S. 631f fand ich das gesuchte Massaker im Langenbachtal:

Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. (screenshot: thelen-khoder))

„In den Tagen des 20./23. März 1945 wurden in Warstein im Langenbachtal, in dem heute zu Warstein zählenden Ort Suttrop im Kattensiepen sowie in der Eversberger Heide insgesamt 208 überwiegend russische Zwangsarbeiter ermordet. Die Täter waren in Warstein stationierte SS-Truppen, die Opfer stammten aus Zwangsarbeiterlagern in der Schützenhalle in Warstein sowie in einer Suttroper Schule.

Nach der Befreiung mußten auf Veranlassung der alliierten Truppen ortsansässige Nationalsozialisten die Leichen exhumieren und die Einwohner der Orte an den Toten vorbeidefilieren. Die 71 in Warstein erschossenen Menschen wurden ursprünglich unweit des Tatortes im Langenbachtal beerdigt – man spricht heute noch von den ,Russengräbern’ – und 1964 auf den ,Franzosenfriedhof’ in Meschede überführt, wo schon 1947 die Mordopfer aus der Eversberger Heide beigesetzt worden waren. Ebenso wurden die Toten aus Suttrop nach dem Krieg exhumiert und auf den Mescheder Friedhof überführt. Ein damals von der Sowjetunion errichteter Obelisk ist heute auf dem Friedhof der Westfälischen Kliniken in Warstein zu finden, ebenso ein ähnlicher zweiter Obelisk auf dem Mescheder Friedhof.“

Teil 2 folgt in Kürze

Geschichtstalk im Super7000 … da freue ich mich drauf

Manchmal zweifele ich an mir. Statt in der Dorfkneipe zu sitzen und mein Glas zu heben, lese ich Geschichtsseiten im Internet und finde das auch noch interessant.

Prost!

Schon lange verfolge ich das Projekt „Public History Weekly“ (wöchentliche öffentliche Geschichte). Aufmerksame LeserInnen werden wissen, dass ich viele Artikel in der „Umleitung“ verlinke.

Vielleicht liest sogar jemand dort mit. Ich bin der Meinung, dass Geschichte, historisches Bewusstsein, noch nie so wertvoll war wie heute, auch wenn in den „PISA-Kompetenz-Zeiten“ mehr über MINT und Wirtschaft (oft nur) geschwafelt wird.

Lange Rede kurzer Sinn. Ich freue mich auf ein neues Projekt, den „Geschichtstalk im Super7000„, der am 14. September 2017 losgeht.

Vielleicht haben auch andere an Geschichte interessierte Menschen hier im Sauerland und anderswo Lust sich dort einzuklinken.

Der Geschichtstalk im Super7000
Worum geht es?

Der Geschichtstalk im Super7000 startet am 14. September 2017 als neues interaktives Gesprächsformat im Internet, wenn man so will: eine neuartige „Talkshow“. Namhafte Historiker_innen aus allen Epochen und das Internet diskutieren über drängende Themen der Public History.

Wir greifen Themen aus aktuellen öffentlichen Debatten auf und klopfen sie auf ihre Bedeutung für das Geschichtsbild in der Gegenwart ab. Wer geht öffentlich mit Geschichte um und wie? Wer sind die tonangeben­den Meinungsmacher_innen des Geschichtsbewusst­seins?

Wir senden live im Internet und laden alle Geschichtsin­teressierten zur Teilnahme an der Diskussion ein – live als Gesprächstpartner_in über Twitter, auf Facebook, aber auch langfristig auf unserem Weblog. Die Rück­kopplung mit unserem Publikum ist ein zentraler Bestandteil der Sendung.

Wir wollen keine reinen Fachgespräche über wissenschaftliche Fragen in einer geschlossenen Expertenrunde führen. Wir diskutieren aus der Sicht professioneller Histori­ker_innen mit unterschiedlichen Schwerpunkten über Themen, die heute ein breites Publikum mit Geschichte in Berührung bringen.

Quellen:

https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/der_geschichtstalk_im_super7000?nav_id=7192

https://gts7000.hypotheses.org/

Das ist vom Tag geblieben: The Funny Fountain

Ein Bild bleibt am Ende des Tages. Heute ein Teil des Neptunbrunnens im Schloss Frederiksborg. (foto: zoom)

Wir hatten nicht geplant zum Schloss Frederiksborg zu fahren oder gar anzuhalten, aber das mächtige Bauwerk in Hilleröd stand auf dem Weg nach Louisiana im Weg.

Nicht zu übersehen. Anhalten. Angucken. Hängenbleiben. Noch mehr gucken.

Am unterhaltsamsten fand ich den Neptunbrunnen. Jede Figur spritzt aus irgendeinem Gerät Wasserstrahlen in alle möglichen Richtungen. Das ganze Ensemble erinnerte mich, warum auch immer, an Monty Pythons Flying Circus.

Ich habe also den Brunnen „The Funny Fountain“ getauft.

Ansonsten verhält es sich laut dänischer Tourismuswebsite ungefähr so:

„Im äußeren Schlosshof steht der Neptun Springbrunnen, der als Symbol für Dänemarks Status als führende Ostseemacht in den frühen Jahren der 1600er errichtet wurde. Der Meeresgott Neptun ragt an der Spitze der Fontäne empor und Fama, die Göttin des Gerüchts, ist auch unter den vielen Figuren des Springbrunnens vertreten. Der heutige Springbrunnen ist eine Kopie der originalen Fontäne, die vom Holländer Adrian de Vries um etwa 1617 geschaffen wurde. Die originalen Figuren wurden 1658-1660 während des Krieges gegen Schweden von den Schweden gestohlen und stehen heute im Park am Drottingholm Schloss in Schweden.“

Quelle: http://www.diedaenischeriviera.de/de/diedanischeriviera/national-historische-museum-schloss-frederiksborg

Umleitung: vom NRW-Medienminister über Stamokap und den „Tod von Mehmet Scholl“ zu 25.000 78rpm Schellack-Platten und mehr.

Lampe, Licht und Wolken – irgendwo (foto: zoom)

NRW-Medienminister: Den „Bock zum Gärtner“ gemacht? … deutschlandfunk

Stamokap! Stamokap? Das Kapital und die Politik: Über eine Theorie, die mehr als nur drolliger Restbestand der westlinken Geschichte ist … neuesdeutschland

UCD historian attacks German war revisionism: Academic accuses leading German historian of flirting with neo-Nazi thinking … TheIrishTimes

„Tod von Mehmet Scholl“, „Explosion in Nordkorea“: Wie Leo Fischer das Zeit Magazin kurzzeitig zur Fake-News-Schleuder machte … meedia

Neue Schulministerin in NRW: Lehrermangel? Ist plötzlich gar nicht mehr so schlimm … welt

Musik ohne Ende: Internet Archive digitalisiert 25.000 78rpm Schellack-Platten … schmalenstroer

Eines Tages bringe ich die Technik um! – Doch manchmal gilt auch das euphorische Sprüchlein „Technik, die begeistert“ … revierpassagen

Umleitung: eine kleine Kreuzfahrt durch das Netz – ohne Diesel!

Hafenblick jenseits der Aufregungen in der Politik. (foto: zoom)
Hafenblick jenseits der Aufregungen in der Politik. (foto: zoom)

A radical proposal for the Democrats: I have this crazy idea that America really needs a political party that supports labor, women, and minorities, and that is dedicated to helping all people rise up … pharyngula

Scaramucci und all die anderen Typen oder: Ich mag mir nicht mehr die Namen von drittklassigen Kaspern merken … revierpassagen

Halbleiterblasen sind es – nicht Filterblasen! Kennen Sie den Begriff des Halbleitermanagers? Das ist einer, der alle Befehle von oben nach unten durchstellt, aber keine Mitarbeiterinformationen (Warnungen, Klagen, Unstimmigkeiten, Unzufriedenheit, tatsächlich gemessene Abgaswerte) nach oben meldet … scilogs

Amnesie International (Satire!): „… nicht weiter verfolgen wolle, um so kurz vor der Wahl den inneren Frieden der Bundesrepublik zu erhalten. Die Christsozialen hätten dabei an eine vollständige Straffreiheit aller Beteiligten in sämtlichen Automobilkonzernen des…“ … zynaesthesie

Die SPD stellt ihren Kanzlerkandidaten bloß: Schulz: Auf verlorenem Posten … postvonhorn

Marburg – Bethaus, Schule, Metzgerei: Zur Feier von 700 Jahren Judentum organisiert die Universitätsstadt einen Spaziergang … juedischeallgemeine

Ortstermin am Südkreuz: Die automatische Gesichtserkennung beginnt … netzpolitik

Die Gesellschaft braucht Wächter! Es wurde mal wieder die Erlösung für Journalisten verkauft, und die liegt angeblich in einem „konstruktiven Journalismus“ … charly&friends

Bevor ihr denkt, dass ich mich aus dem Bloggen verabschiedete …

John Isaacs, "I used to think ...", 2004
John Isaacs, „I used to think …“, 2004, Ausstellung (2017) Weserburg Bremen, Museum für moderne Kunst. (foto: zoom)

Wegen einer kleinen Radtour von Kassel über Bremen nach Hamburg hatte ich eine Woche lang keinen Zugang zu meinem Computer. Das Blog ließ ich veröden.

Es macht keinen Spaß auf einem kleinen Tablet zu schreiben. Außerdem ist eine Radtour dazu da, Rad zu fahren, Menschen zu begegnen und die Seele baumeln zu lassen.

Das Bild „I used to think …“ habe ich am schlimmsten Regentag der vergangenen Woche, dem Dienstag, in der Weserburg in Bremen aufgenommen. Dort, im Museum für moderne Kunst, ist zur Zeit unter anderem die Ausstellung „Proof of Life“ zu sehen.

Mir hat sie sehr viel Spaß(!) bereitet. Kunst muss unterhalten und zum Denken anregen. Meine Meinung.

Zur Radtour, zu Bremen und zur Weserburg komme ich vielleicht noch einmal im Blog zurück, obwohl ich das nicht versprechen möchte, denn die Zeit flieht und schon morgen rast eine andere Sau durch unser Leben und erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit.

Revolutionäre! Aufpassen! =>>

Gavin Turk, Death of Marat, 1998. Lebensgroße Vollplastik, die den Tod des Marat von J. L. David (1793) „re-inszeniert“. (foto: zoom)

„Notierungen aus dem katholischen Hinterland“
Leseprobe aus der Werkausgabe des Mescheder Schriftstellers Georg D. Heidingsfelder (1899-1967)

Georg D. Heidingsfelder (1899-1967) (bildarchiv: peter bürger)

Meschede. (pm) Vor einem halben Jahrhundert starb im Sauerland der Publizist Georg D. Heidingsfelder (1899-1967), der während der Adenauer-Ära 1949-1963 als linkskatholischer Nonkonformist und Mitstreiter Reinhold Schneiders in Erscheinung getreten ist.

Ein Artikel aus seiner Schreibwerkstatt, veröffentlicht Mitte Juni 1953, zog eine zweimalige Vernehmung bei der Kripo „wegen Staatsgefährdung und Beleidigung des Bundeskanzlers“ nach sich.

Heidingsfelders Kernthemen waren die Soziale Frage, die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus und der Frieden. Seine Ablehnung von Militarismus, Wiederbewaffnung, Wehrpflicht und Atombomben-Theologie fiel kompromisslos aus.

Zuletzt konnte er fast nur noch in Blättern veröffentlichen, die als „kryptokommunistisch“ galten. Die Verweigerung gegenüber der katholischen Einheitsfront führte zu große Anfeindungen im eigenen kirchlichen Milieu.

Der brotlos gewordene Mescheder Schriftsteller versuchte schließlich, als Fabrikarbeiter seine Familie zu ernähren.

In diesem Sommer ist eine zweibändige Gesamtausgabe seiner publizistischen Arbeiten erschienen (überall auch im Buchhandel vor Ort bestellbar):

GEORG D. HEIDINGSFELDER (1899-1967)

Gesammelte Schriften. Band 1.
Eine Quellenedition zum linkskatholischen Nonkonformismus der Adenauer-Ära.
Norderstedt: BoD 2017 – ISBN: 978-3-7431-3416-4
(Paperback; 400 Seiten; Preis: 13,90 Euro)
https://www.bod.de/buchshop/gesammelte-schriften-band-1-georg-d-heidingsfelder-9783743134164

 

Gesammelte Schriften. Band 2.
Eine Quellenedition zum linkskatholischen Nonkonformismus der Adenauer-Ära.
Norderstedt: BoD 2017 – ISBN: 978-3-7448-2123-0
(Paperback; 428 Seiten; Preis: 13,99 Euro)
https://www.bod.de/buchshop/gesammelte-schriften-band-2-georg-d-heidingsfelder-9783744821230

 

Im Mai 1954 veröffentlichte Heidingsfelder unter Pseudonym die nachfolgenden „Notierungen aus dem katholischen Hinterland“, die eine durchaus ungewöhnliche Sichtweise der Nachkriegszeit im kölnischen Sauerland vermitteln (Leseprobe):

 

Unsere kleine Kreisstadt hat den Nazismus und den Krieg im großen und ganzen recht gut überstanden. Natürlich, ein paar Mitbürger sind im KZ umgekommen, drei davon waren Kommunisten und die beiden übrigen Juden. Die Schäden durch Bomben und Artilleriebeschuß sind inzwischen fast alle behoben. Überall ist aus den Ruinen das alte Leben auferblüht.

Auch unser altes Gotteshaus, das die Bomben und das Feuer bis auf die Grundmauern zerstört hatten, ist längst wieder aufgebaut. Es ist genau so wiedererstanden, wie es war: als ob nichts gewesen wäre. Das ist die Kunst der Restauratoren. Sogar die Kreuzwegbilder, riesige „Ölschinken“, wie manche siebengescheite Kritikaster sie abschätzig nannten, wurden ganz im alten Stil wieder gemalt. Unser Pfarrer hatte nicht umsonst 1939 in seinem ersten Brief an uns, seine katholischen Soldatenpfarrkinder, ins Feld geschrieben: „Wir bleiben die alten!“ Er hat sein Wort in jeder Hinsicht gehalten. Sein Gotteshaus steht da wie einst, und er predigt auch wie einst.

Aber auf diesem katholisch-konservativen Fundament sprießt doch auch Neues empor, z.B. unsere neue Kirche, die erst vor ein paar Monaten fertig geworden ist. Strahlend weiß steht der Bau auf seinem Hügel. […] Wenn jetzt am Samstagabend zu den vier Glocken unserer alten Pfarrkirche die vier neuen läuten, so nimmt man die geringe Dissonanz im Ton gerne hin, weil man von dem Bewusstsein erfüllt wird, dass es aufwärts geht, auch auf dem religiösen Sektor. Jetzt fällt schon auf 1100 Einwohner unserer Kreisstadt eine Glocke – eine Verhältniszahl, die nicht leicht anderswo erreicht werden dürfte.

Der herrschende katholische Geist macht unsere Kreisstadt auch zu einem überragenden CDU-Stützpunkt. Die christlichen Mehrheiten sind hier immer Zwei-Drittel-Mehrheiten. Nur kurz nach 1945, als im Lande noch die Sozialdemokraten die Macht hatten, wählten unsere christkatholischen Stadtväter einen „Roten“ zum Bürgermeister, weil der bei der Regierung, wo es die Gelder gab, Einfluss haben musste. Mittlerweile ist auch hier wieder alles in Ordnung. Wir haben einen gutkatholischen CDU-Bürgermeister; der rote Mohr hat seine Schuldigkeit getan …

Der französische Kardinal Suhard meinte einmal, das taktische Christentum sei eine recht bedenkliche Sache; aber der Mann hatte wohl wenig Kontakt mit den Realitäten hier zu Lande; um zu wissen, dass die Christenheit ohne kluge Taktik verloren wäre. Es ist kein Grundsatz verletzt, wenn eine katholische Mehrheit einen Sozialdemokraten zum Bürgermeister macht, nur weil der mehr Geld herbeischaffen kann. Im Gegenteil: die besten Grundsätze können ja immer erst dann realisiert werden, wenn Geld da ist. Man muss Realpolitiker sein, das ist es, was den Katholizismus fördert.

In unserer Kreisstadt gibt es lokalpatriotisch-katholische Traditionen, die seit Menschengedenken im Volk verwurzelt sind, z.B. die „Integration“ des Schützenfestes in das Fronleichnamsfest. Das ist freilich eine Sache, die der Außenstehende so wenig würdigen kann wie ein Ketzer den politischen Katholizismus. Ein solcher Außenstehender hat sich in der Nazizeit darüber gewundert, dass den Weltenheiland, wenn er in der Monstranz aus der Kirche getragen wurde, der gleiche Präsentiermarsch empfing wie ein wenig später den meist nicht mehr ganz nüchternen Herrn Kreisleiter der NSDAP. Nun, bei uns sind weltliche Macht und Kirche eben immer „integriert“ gewesen, und wenn auch der Kreisleiter nichts geglaubt hat, so war er doch die Obrigkeit, die zum Schützenfest gehört, zu dem andererseits auch Jesus Christus und seine Kirche gehören. Was der Mensch zusammengefügt hat, das darf auch Gott nicht trennen.

Wir haben ja nun wieder einen katholischen Bürgermeister, der aus der richtigen Partei kommt, wie sich’s gehört, und so kann am Schützenfest nichts mehr getadelt werden: es wird wieder gefeiert, wie wir es gewohnt sind seit Urzeiten: zusammen mit dem Fronleichnamsfest. Der Pfarrer soll ja, kurz nach 1945 einmal geäußert haben, dass man beide Feste doch lieber trennen sollte –, aber was hat kurz nach 1945 (bis zur Währungsreform) nicht alles in den Köpfen herumgespukt! Gut, dass sie nun wieder in Ordnung gekommen sind und so denken, wie es sich nach dem Geiste der Tradition gehört.

Wenn die Schützen in tadelloser weißer Hose, mit Spießen ausgerüstet, neben dem Allerheiligsten einherschreiten, so ist das ja wie ein Symbol aus der EVG [Europäischen Verteidigungs-Gemeinschaft]: hier wird die Verteidigung des Herzens des Abendlandes, nämlich des Christentums demonstriert, den Bürgern zur Ehr, den Antichristen zur Lehr. Die katholischen Schützenbrüderschaften sind ja religiöse Bruderschaften, stets nach einem Heiligen benannt, und wissen, was sie dieser Stunde schuldig sind. Wenn jetzt wieder, bei der Erhebung der Monstranz zum Segen, die Böller krachen, so lacht jedes wehrfreudigen Katholiken Herz: Unsere Kirche soll auch nie von den Kanonen getrennt werden! Auch dies ist eine ewige Union. Und schließlich sind Kirche, Wehrkraft und Bier ein treudeutschchristlicher Dreiklingklang, der in der Volksseele gründet. Solange es katholische Schützenbrüder gibt, wird daran nicht gerüttelt werden.

***
Es sind ja meistens Verleumdungen von Ketzern oder missgünstigen Außenseitern, wenn gesagt wird, dass es beim Schützenfest zu Auswüchsen komme, die nicht verantwortet werden könnten. Ja, es ist wohl schon mal der und jener vom Schützenfest nicht mehr ganz kerzengerade nach Hause gegangen und er hat vielleicht dabei auch keine Prozessionslieder gesungen; aber diese Dinge kommen das ganze Jahr jede Samstag- und Sonntagnacht vor und davon wird ja auch weiter kein Aufheben gemacht! Wenn da früh um drei gegröhlt wird: „Die Fahne hoch …“ oder „O du fröhliche, o du selige …“, dann weiß doch jeder, dass das dem katholischen Charakter unserer Kreisstadt nicht den geringsten Abbruch tun kann. Was nachts geschieht und mit besoffenem Kopf, das ist so gut wie nicht geschehen. Und weiterhin: Wir sind doch keine Puritaner, sondern vollblütige Bürger, die, wie man so gut sagt, mit beiden Beinen im Leben stehen. Und diese Beine, so dünn sie auch geworden waren durch die Hungerkuren nach 1945, sind längst wieder die starken Säulen, auf denen ein massiger Körper aufruhen kann. Wenn wir auch nicht zu den Bärten der Väter vor 1914 zurückgekehrt sind, zu ihren Bäuchen haben wir zurückgefunden. Und es ist unter uns keiner, der nicht seinen Mann im Leben zu stehen wüsste. Und darauf kommt es schließlich an, das ist das entscheidende Kriterium: kirchentreu und lebensstark.

Wenn wir, wie manche sagen, im übrigen so tun, als ob nichts gewesen wäre, so sind wir dazu durchaus berechtigt. Wir sind doch eigentlich nie richtige Nazis gewesen. Auch wer in der Partei war, war stets auch in der Kirche. Und wer sich von gewissen exponierten Kirchenämtern zurückzog, der tat es doch nur, um seine katholische Beamtenposition nicht für einen Ketzer oder gar Atheisten frei zu machen. Der Pater Direktor unseres katholischen Gymnasiums ist nur aus taktischen Gründen Pegeh [NSDAP-Parteigenosse] geworden, und der Gerichtsdirektor hat nur darum den Vorsitz im Kirchenvorstand für die Zeit des tausendjährigen Reiches niedergelegt, damit er weiter christkatholisch rechtsprechen konnte. Mit der Seele und dem Glauben hatte das alles gar nichts zu tun, weshalb wir nach 1945 gar keine Notiz mehr davon genommen haben. „Als ob“ diese taktischen Manöver der Klugheit von irgendeiner Bedeutung sein könnten! Wir haben sie hinter uns geworfen und wollen auch nicht, dass darüber noch geredet wird …

Umleitung: Sprengsignale – „Nach dem dritten Hornsignal ist das Schießen beendet! dreimaliges Kurzes Blasen“

Am Abbruch zum Steinbruch in Hildfeld: Warnschilder auf der Niedersfelder Hochheide (foto: zoom)

Eklat im Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre: Linke und Grüne werfen der Regierung ein Täuschungsmanöver vor. Ihr Votum zum Abschlussbericht bleibt womöglich aber unter Verschluss … welt

Eklat bei NSA-Untersuchungen: Koalition unterdrückt Votum von Grünen und Linken … berlinerzeitung

Dieselgate-Abschlussbericht: Angriff auf die Fakten … taz

Dieselgate: Fünf Mitarbeiter von Volkswagen werden von den USA wegen des Abgasskandals international gesucht … welt

Amerika jagt VW-Manager mit Interpol: Ein früherer Manager von Volkswagen sitzt in den Vereinigten Staaten schon in Haft. Nach fünf weiteren ehemaligen Führungskräften wird nun wohl auf der ganzen Welt gesucht … faz

Krischer zum VW-Abgasskandal: „Man will hier ein Staatsversagen kleinreden“ … deutschlandfunk

„Politik ist eine hure!!!!!“: Psychogramm der AfD im Sinkflug … spiegel

Verschwörungstheorien sind alt wie die Menschheit: Wie entstehen Verschwörungstheorien und warum verbreiten sie sich? … scilogs

Witzwort in der NS-Zeit: Machtergreifung, Alltagsrepression, Ausbeutung von Zwangsarbeitern … harbuch

Public History with Tweets: Über Public History twittern … publicHistory

Politische Kultur: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Politik reagiert nur noch auf „Genehmes“ … doppelwacholder

Roteres Rot hat man noch nirgendwo gesehen: „Rupprecht Geiger. Farbe tanken“ im Kunstmuseum Bochum … revierpassagen

Der „Verbraucher“: Im Alltag der Worte fällt einem vieles nicht mehr auf. Einfache Begriffe wirken bei näherem Hinsehen fast schon abgründig. Wir alle sind Konsumenten und werden im Wirtschaftsdeutsch Verbraucher genannt. Was macht ein Verbraucher? … endoplast

Umleitung: Prinz Rupi, Documenta, Schulfrust und Inklusion, Flipped Classroom, Verschwörungstheorien, eine Automobil-Ausstellung von 1963 und mehr.

Ich musste zwei Mal hingucken, bevor ich es lesen konnte. (foto: zoom)

Oelde-Berlin-Kassel-Siedlinghausen. Ich muss jetzt endlich das magische Viereck beleben und den jüngsten Rundbrief von Ruprecht Frieling mit zwei Hinweisen gehörig ausschlachten.

Prinz_Rupi schreibt: „Älterwerden sei nichts für Feiglinge, heißt es. Nun, für besonders mutig habe ich mich nie gehalten. Deshalb bedanke ich mich bei allen, die mir den offiziellen Eintritt in das Rentenalter mit ihren wundervollen Glückwünschen, Fotos, Gedichten und Geschenken versüßt und erleichtert haben. Alte Säcke schwelgen gern in Erinnerungen.

Das gilt auch für mich: Wer am 29. Juni zufällig in der Nähe vom Literaturmuseum Haus Nottbeck ist, den lade ich herzlich zu meiner Lesung »Als der Beat nach Westfalen kam« ein“:

„Frieling erzählt, wie der Beat in den 60er Jahren die westfälische Provinz eroberte und den Generationenkonflikt schürte. Er erinnert an die damalige Szene, deren Einfluss viele Jugendliche zu einem Bruch mit den verstaubten Konventionen ihrer Elterngeneration bewegte.

Frieling spiegelt eine Zeit, in der die als »Negermusik« kritisierte Beatmusik die Jugend elektrisierte und viele Eltern und Pädagogen in die Verzweiflung trieb“ … kulturguthausnottbeck

Documenta14 verwandelt Kassel in Gesamtkunstwerk: Der „alte Sack“ hat zudem einen guten Beitrag zur Documenta in Kassel verfasst.

„Die 14. Documenta, die am 10. Juni in Kassel beginnt, wird für die nächsten 100 Tage wieder der stärkste Publikumsmagnet werden, den die größte und wichtigste europäische Kunstschau alle fünf Jahre für sich reklamiert. Akkreditierte Journalisten hatten vorab drei Tage lang die Möglichkeit, sich die Objekte, Installationen, Fotografien, Videos, Performances und Gemälde von Künstlern aus aller Welt in Ruhe anzuschauen …“

Gute Bilder, guter Text. Hier geht es zum Artikelruprechtfrieling


Jetzt aber weiter mit der gewohnten Umleitung.

Knappe schwarz-gelbe Mehrheit in NRW: Laschets letzte Hürde … postvonhorn

Schulfrust wegen Inklusion: Die Macht der wütenden Eltern … spiegel

Flipped Classroom – Mode oder Methode? FC für den Mathematikunterricht insbesondere der S1 weitestgehend ungeeignet … dunkelmunkel

Muslimische Antiterror-Demo kleiner als erwartet: Zum Kölner Protest gegen Gewalt im Namen des Islam kamen nur 1000 Teilnehmer … neuesdeutschland

Aliens, Satan, CIA: Verschwörungstheorien und ihre Wirkung … scilogs

Vom Wesen der Demokratie. Oder: Das Übel Facebook … unkreativerweblog

Grenzen im Kopf: Die mexikanische und die Berliner Mauer … publicHistory

Veruntreuungen in Altenhagener SPD ziehen weitere Kreise: Ermittlungen gegen Timo Schisanowski … doppelwacholder

TV-Nostalgie: Nachlese zur Internationalen Automobil-Ausstellung von 1963 … revierpassagen

Antisemitismus-Debatte: BILD, WDR, Arte und dann ist da noch die Dokumentation

Als ich heute in den Abendhimmel starrte, las ich parallel ein paar Rezensionen über den „Anitisemitismus-Films“, die ich hier teile. (foto: zoom)

BILD, WDR, Arte und dann ist da noch die Dokumentation, die im Fernsehen nicht gezeigt wird, aber doch auf YouTube gefunden werden kann. Zur Not kann man sich die Doku mit Hilfe der zahlreichen Download-Tools auch auf die Festplatte oder wo auch immer hin kopieren und sie in Ruhe anschauen. Einmal, zweimal, dreimal … willkommen im digitalen Zeitalter.

Ich habe sie mir angeschaut und finde sie gelungen, Na ja, fast gelungen, denn es kann sich noch nicht um eine Endredaktion handeln, dafür gibt es noch zu viele Mängel wie  fehlende Übersetzungen und flapsige Bemerkungen. Bis zu einer Endredaktion wären sie imho leicht zu beheben und zu ergänzen.

Mich interessiert es nicht, ob der Film von BILD oder wem auch immer durchgestochen wurde. Ich halte die öffentlich-rechtlichen Medien für mangelhaft, aber ihre Zerschlagung wünsche ich nicht.

Hier ein paar Links, die sich lohnen, nachdem man sich die Doku angeschaut hat:

Die Filmemacher haben das Wort: Eine Stellungnahme von Joachim Schroeder, der mit Sophie Hafner die Dokumentation „Auserwählt und Ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ gemacht hat … tapferimnirgendwo

Debatte um Arte-Doku: Politologe kritisiert linken Antisemitismus … deutschlandfunkkultur

Das Gerede vom Strick: Zur Debatte um die TV-Doku »Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa« … neuesdeutschland

TV-Dokumentation zu Antisemitismus – Mit Elan ins Minenfeld: Übten Arte und WDR Zensur, als sie entschieden, eine Dokumentation über Antisemitismus nicht auszustrahlen? Kaum – der Film hat schlicht handwerkliche Mängel. Die Lösung von Bild.de, ihn unfertig doch zu zeigen, ist keine … spiegel

Antisemitismus? Gibt es nicht! Antisemitismus wird in Deutschland beschönigt: als Satire oder Israelkritik. Dass die Dokumentation „Ausgewählt und Ausgegrenzt“ nicht gezeigt wird, hat andere Gründe … zeit