„70 Jahre danach: MASSENMORDE AN ZWANGSARBEITERN IM SAUERLAND VOR KRIEGSENDE“ – Dokumentation über die Massaker im Raum Meschede/Warstein (20.-22 März 1945) und die Geschichte des „Mescheder Sühnekreuz“ erschienen

Ein US-Soldat zeigt Anfang Mai 1945 dem Warsteiner Bürgermeister Peter Struif die 71 Leichen der im Langenbachtal ermordeten Menschen (Repro Archiv P. Bürger; Aufnahme von U. Hillebrand in den 1980er Jahren bei der US-Army angefordert).
Ein US-Soldat zeigt Anfang Mai 1945 dem Warsteiner Bürgermeister Peter Struif die 71 Leichen der im Langenbachtal ermordeten Menschen (Repro Archiv P. Bürger; Aufnahme von U. Hillebrand in den 1980er Jahren bei der US-Army angefordert).

Insgesamt 208 unschuldige Menschen aus der Sowjetunion und Polen wurden zwischen dem 20. und 22. März im Raum Meschede/Warstein von deutschen Soldaten ermordet. Die willkürlich ausgewählten Opfer waren weibliche und männliche Zwangsarbeiter sowie zwei kleine Kinder.

(Presseinformation Christine-Koch-Archiv am Museum Eslohe)

Zu diesem Kriegsendphase-Verbrechen im Sauerland ist jetzt in der Internetreihe des Christine-Koch-Archivs am Museum Eslohe eine 216 Seiten starke Publikation erschienen. Diese Gemeinschaftsarbeit von Jens Hahnwald (Arnsberg) und Peter Bürger (Eslohe/Düsseldorf) kann jeder kostenlos hier im Netz abrufen.

Anhand des erst Ende 1957 eröffneten ersten Gerichtsverfahrens gegen beteiligte Täter rekonstruiert der Historiker Jens Hahnwald die grausamen Ereignisse und beleuchtet Reaktionen in der Nachkriegsgesellschaft.

Kennzeichnung „Ost“ für Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion (Bilddatensatz von Doc.Heintz – Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons [1]
Kennzeichnung „Ost“ für Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion (Bilddatensatz von Doc.Heintz – Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons [1])
Im Frühjahr 1945 zogen Zwangsarbeiter-Trecks, zumeist unter Bewachung, durch das Sauerland gen Osten. Die hungrigen Menschen bettelten oder versuchten, sich Rüben aus dem Feld auszugraben. Plünderungen sind hingegen für diese Zeit nicht belegt. Der im Sauerland stationierte Stab einer „Division zur Vergeltung“ dachte in Kategorien des Rassenkrieges im Osten. Er ließ – wie es hieß „präventiv“ – 208 unschuldige Russen und Polen aus Durchgangslagern in der Warsteiner Schützenhalle und Suttroper Schule ermorden und in drei Massengräbern einscharren.

Anders als bei den direkt nach Kriegsende entdeckten Verbrechen in Warstein und Suttrop wurden die Mordopfer zwischen Eversberg und Meschede erst 1947 ausgegraben. Ein katholischer Männerkreis zeigte sich so erschüttert, dass er unter Mitwirkung von Geistlichen beider Konfessionen am 4. Mai 1947 ein vier Meter hohes Eichenkreuz zur „Sühne“ für den Mord an den 80 sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern errichtete. Ein sich anschließender öffentlicher Aufklärungsabend im Kloster am Ort wurde von unbelehrbaren Nationalisten zu einer Radau-Veranstaltung umfunktioniert.

Der Mescheder Publizist Georg D. Heidingsfelder notierte danach in einem frühen Bericht u.a.: „Militaristen ließen hören, dass >an Stelle der achtzig besser achtzigtausend Russen umgebracht worden wären<.“ Das Leid der Zwangsarbeiter und der verbrecherische Krieg mit insgesamt 20 Millionen Toten in der Sowjetunion spielten keine Rolle. Einige Schreier meinten, die „Rechnung“ sei durch das Schicksal deutscher Kriegsgefangener beglichen.

Das „Mescheder Sühnekreuz“ zum Gedenken an 80 ermordete „russische Zwangsarbeiter“ nach seiner Ausgrabung im November 1964 mit den Spuren von Äxten, Feuer, Erdlagerung seit 1947 sowie verwitterter Inschrift (Archiv Peter Bürger).
Das „Mescheder Sühnekreuz“ zum Gedenken an 80 ermordete „russische Zwangsarbeiter“ nach seiner Ausgrabung im November 1964 mit den Spuren von Äxten, Feuer, Erdlagerung seit 1947 sowie verwitterter Inschrift (Archiv Peter Bürger, Foto: Franz Petrasch jun.).

Das Gedenkkreuz war zu diesem Zeitpunkt schon längst durch Äxte und Feuer geschändet worden. Es musste aufgrund großer Feindseligkeit in der katholischen Kleinstadt nur kurz nach seiner kirchlichen Weihe für lange Zeit in ein geheimes Erdgrab versenkt werden.

Es folgten erst sehr viel später die Ausgrabungsaktion junger Leute (1964), die sichtbare Aufstellung in einem Kirchenraum (1981) und die – nach langem Ringen der pax christi-Gruppe durchgesetzte – historisch zutreffende „Beschriftung“ des Mescheder Sühnekreuzes (1985). Die denkwürdige Geschichte dieses religiösen Mahnzeichens hat Peter Bürger anhand von Archivunterlagen bis weit in die 1980er Jahre nachgezeichnet.

Ein Dokumentarteil mit zahlreichen Originalquellen und Zeitzeugenberichten ermöglicht es den Lesern, die Darstellung der beiden Autoren zu überprüfen und sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Ohne Kenntnis der Geschichte, so meinen die Herausgeber, fehlt uns eine wichtige Orientierungshilfe zur Gestaltung von Gegenwart und Zukunft.

Die kostenlos abrufbare Internetpublikation:
P. Bürger / J. Hahnwald / G.D. Heidingsfelder (†): „Zwischen Jerusalem und Meschede“. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte des „Mescheder Sühnekreuzes“. (= daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 76.) Eslohe 2015. [216 Seiten]
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2076.pdf

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Dokumentation:

Der aus Bainghausen (ehemals Kirchspiel Hellefeld) gebürtige Jurist Dr. Franz Aßmann (gest. 1969) ist bis 1933/1934 Leiter des Amtsgerichts in Bottrop gewesen. „Dort wurde er durch nationalsozialistischen Einfluss aus seinem Amt entfernt, da er Juden zu ihrem Recht verholfen hatte.“ (Michael Senger) Nach einer halbjährigen Zwangspause war Aßmann wieder als Landgerichtsrat in Essen tätig. 1943 zog er als Ausgebombter nach Hellefeld und wirkte fortan als Verwaltungsrichter in Arnsberg. In der Ausstellungsdokumentation „Das Hakenkreuz im Sauerland“ (1988) ist ein Bericht Aßmanns aus dem Jahr 1945 veröffentlicht worden, in dem es zum Elend der durch das Sauerland ziehenden Zwangsarbeitertrecks u.a. heißt:

Da hatte man diese Menschen zu Hunderttausenden, ja zu Millionen aus ihrer fernen Heimat ins Land geschleppt, hatte sie wie die Sklaven zur Arbeit gezwungen, bei schlechter Ernährung und ebensolcher Unterbringung; und als man sie nicht mehr brauchen konnte, jagte man sie auf die Straße und überließ sie ihrem Schicksal. Wie viele mögen an den Straßenrändern elend umgekommen sein! Sind wir ein Kulturvolk? Wer in jenen Tagen hier an der Kreuzung gestanden hat oder an unseren Fenstern und die Straße, hauptsächlich die nach Altenhellefeld führende, beobachtet hat, der muss die Frage verneinen, der kann nur, was ich so oft, was ich vor allem nach jenem Sturm auf die Synagoge gesagt habe, wiederholen: „Es ist eine Schmach, ein Deutscher zu sein!“

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[1] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostarbeiter.jpg#mediaviewer/File:Ostarbeiter.jpg

GEMEINFREIE BILDER IM INTERNET ZU DEN MASSAKERN

Mass Graves Suttrop 1945
Deutsche Zivilisten (vermutlich vorrangig örtliche NSDAP-Mitglieder) graben nach Weisung der US-Amerikaner die nahe Suttrop am 3.5.1945 gefundenen 57 ermordeten „Russen“ aus. (U.S. Signal Corps – Yad vashem Photo Archive – Archial Signature 2545 http://collections.yadvashem.org/photosarchive/en-us/37089_36524.html)

Mass Grave identification
Identifikationsversuch bei einem der 57 am 3. Mai 1945 nahe Suttrop exhumierten Mordopfer.
(Bild: U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto 80466
http://collections.ushmm.org/search/catalog/pa11274)

Mass Grave outside
Eine sauerländische Mutter zieht, ihre Kinder schützend, an dem am 3.5.1945 nahe Suttrop entdeckten Massengrab der ermordeten 57 Frauen und Männer vorbei. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto 08197 http://collections.ushmm.org/search/catalog/pa1085040)

German_man_holding
Ein deutscher Zivilist hält den im Massengrab bei Suttrop am 3. Mai 1945 ausgegrabenen toten Säugling in den Händen. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto #80118 http://www.ushmm.org/search/results/?q=80118)

US Captain Massgrave_Suttrop
Am Massengrab „russischer Zwangsarbeiter“ nahe Suttrops. Ein Captain der US-Army nimmt Informationen zur Identifikation eines Mordopfers auf. Aufnahme vom 3. Mai 1945. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Photograph 80470 http://collections.ushmm.org/search/catalog/pa11279)

Refugees_identify_suttrop
Deutsche Zivilisten suchen auf Weisung der US-Amerikaner nahe Suttrop bei den am 3.5.1945 exhumierten Massenmordopfern nach Identitätspapieren. (U.S. Signal Corps – Yad vashem Photo Archive – Archial Signature 2545 http://collections.yadvashem.org/photosarchive/en-us/37089_37904.html)

Suttrop_graves
Sauerländische Zivilisten heben Einzelgräber aus für die am 3.5.1945 im Suttroper Massengrab aufgefundenen 57 ermordeten Menschen aus der Sowjetunion. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum Photograph 80471 http://collections.ushmm.org/search/catalog/pa1085055)

3 Gedanken zu „„70 Jahre danach: MASSENMORDE AN ZWANGSARBEITERN IM SAUERLAND VOR KRIEGSENDE“ – Dokumentation über die Massaker im Raum Meschede/Warstein (20.-22 März 1945) und die Geschichte des „Mescheder Sühnekreuz“ erschienen“

    1. @gp
      Das hoffe ich auch und hoffe, dass die Forschungen Eingang in die Lehrpläne der Schulen finden bzw. schon gefunden haben und weitere (junge) HistorikerInnen, zu eigenen Forschungen anregen.

      Sehr gute Arbeit leistet auch das Team um @Digitalpast – nicht nur, aber auch auf Twitter:

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