208 ermordete sowjetische und polnische Zwangsarbeiter, ein besonderes Erbe und die Grabsteine auf dem „Franzosenfriedhof“ in Meschede-Fulmecke.
Teil 1 einer persönlichen Dokumentation.

Der Waldfriedhof Fulmecke (fotos: thelen-khoder)

Wenige Monate vor ihrem Tod erzählte mir meine Mutter, in ihrem Geburtsort, den ich nur von Erzählungen und zwei Beerdigungen her kannte, seien wenige Tage vor Kriegsende russische Zwangsarbeiter im Wald ermordet und „verbuddelt“ worden.

(Unsere Autorin Nadja Thelen-Khoder hat sich intensiv mit der Geschichte der russischen Zwangsarbeiter im Sauerland beschäftigt. Ihre Dokumentation liegt als PDF vor und kann hier als Gesamtdokument heruntergeladen und gelesen werden.)

Wenige Wochen nach der Befreiung hätte man sie gefunden, und die Bevölkerung habe an den Leichen vorbeigehen müssen. Sie, ihre Schwester und ihr zukünftiger Schwager seien dabei gewesen, wirklich schlimm.

Mein damals 17-jähriger Onkel habe sehr geweint. Richtig und auch gut sei es von den Amerikanern gewesen, die Menschen dazu zu zwingen, Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Niemand hätte sagen können, er habe „von all dem nichts gewußt“.

Der Ort des Geschehens, so meine Mutter, hieße Langenbachtal. Langenbachtal also – ein besonderes Erbe meiner Mutter. Von russischen Zwangsarbeitern hatte sie ihr ganzes Leben lang erzählt, und davon, daß es unmöglich gewesen war, „von all dem nichts gewußt“ zu haben. Sie jedenfalls habe im Alter 18 Jahren eine Menge gewußt.

Ihr Vater, der ein halbes Jahr nach meiner Geburt starb, war damals Arzt, und sie habe ihm mehrfach geholfen, die eiternden Geschwüre „auszuschaben“; sie habe oft die Arme oder Beine festgehalten, während mein Großvater die kranken Zwangsarbeiter behandelte. Aber daß russische Zwangsarbeiter noch wenige Tage vor Kriegsende im Langenbachtal ermordetet worden waren, hatte sie nicht erzählt.

Sobald ich konnte, fuhr ich in den Arnsberger Wald und fand die Toten nach einigem Suchen in Meschede auf dem Waldfriedhof, der auch „Franzosenfriedhof“ genannt wird, weil er im Ersten Weltkrieg für die etwa 20000 Kriegsgefangenen aus Frankreich angelegt worden war.

Eigentlich hätte ich keine Chance gehabt, die ermordeten der Massaker vom 20. bis zum 23. März 1945 zu finden. Nichts deutete darauf hin, daß die Opfer der drei „Massenerschießungen“ von Suttrop (57 Menschen), Eversberg (80 Menschen) und dem Langenbachtal (71 Menschen) alle hier lagen. Nicht die Bezeichnung des Ortes als „Kriegsgräberstätte“, nicht der Eingang mit dem großen Tor, nicht die Tafel hinter dem Eingang und auch nicht die sechs steinernen Platten mit den verschiedenen Angaben, wie viele Tote an der jeweiligen Stelle liegen:

Sechs steinerne Platten (fotos: thelen-khoder)

Woher hätte ich beispielsweise wissen können, daß hier die 80 Ermordeten von Eversberg liegen?

 

„HIER RUHEN 80 SOWJETISCHE BÜRGER, DIE IN DER SCHWEREN ZEIT 1945 FERN VON IHRER HEIMAT STARBEN.“ (foto: thelen-khoder)

Es war nur die angekündigte Stele ganz, ganz hinten in der Ecke, die etwas erzählte. Zuerst habe ich sie gar nicht gesehen;

„Zuerst habe ich die Stele nicht gesehen.“ (foto: thelen-khoder)

ganz, ganz hinten stand sie,

Kreuz und Stele (foto: thelen-khoder)

und erst, als ich dicht davor stand, erfuhr ich, was in etwa „passiert“ war:

HIER RUHEN RUSSISCHE BÜRGER, BESTIALISCH ERMORDET IN FASCHISTISCHER GEFANGENSCHAFT. EWIGER RUHM DEN GEFALLENEN DES GROSSEN VATERLÄNDISCHEN KRIEGES 1941 – 1945 (foto: thelen-khoder)

Gott sei Dank hatte die Sowjetunion damals daran gedacht, daß die meisten Deutschen kein Russisch können und hatte den Text auch übersetzt anbringen lassen, sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch.

Diese Stele besteht aus drei Seiten, und auf jeder steht der Text in einer der drei Sprachen. Leider konnte ich nur Teile so photographieren, weil mir das Gebüsch im Nacken saß. Aber man erkennt es ja auch so.

Die drei Seiten der Stele sind hier zu erkennen. (foto: thelen-khoder)

Daß auf dem „Franzosenfriedhof“ keinerlei Hinweis auf Französisch zu finden war, fand ich außerordentlich bedauerlich. Gott sei Dank gibt es wunderbare Bücher, und aus zweien möchte ich hier zitieren: Das erste ist die zweibändige Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. Auf S. 631f fand ich das gesuchte Massaker im Langenbachtal:

Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. (screenshot: thelen-khoder))

„In den Tagen des 20./23. März 1945 wurden in Warstein im Langenbachtal, in dem heute zu Warstein zählenden Ort Suttrop im Kattensiepen sowie in der Eversberger Heide insgesamt 208 überwiegend russische Zwangsarbeiter ermordet. Die Täter waren in Warstein stationierte SS-Truppen, die Opfer stammten aus Zwangsarbeiterlagern in der Schützenhalle in Warstein sowie in einer Suttroper Schule.

Nach der Befreiung mußten auf Veranlassung der alliierten Truppen ortsansässige Nationalsozialisten die Leichen exhumieren und die Einwohner der Orte an den Toten vorbeidefilieren. Die 71 in Warstein erschossenen Menschen wurden ursprünglich unweit des Tatortes im Langenbachtal beerdigt – man spricht heute noch von den ,Russengräbern’ – und 1964 auf den ,Franzosenfriedhof’ in Meschede überführt, wo schon 1947 die Mordopfer aus der Eversberger Heide beigesetzt worden waren. Ebenso wurden die Toten aus Suttrop nach dem Krieg exhumiert und auf den Mescheder Friedhof überführt. Ein damals von der Sowjetunion errichteter Obelisk ist heute auf dem Friedhof der Westfälischen Kliniken in Warstein zu finden, ebenso ein ähnlicher zweiter Obelisk auf dem Mescheder Friedhof.“

Teil 2 folgt in Kürze

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