Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern: Winterberg will sich anscheinend seiner historischen Verantwortung stellen

Das Projekt Stolpersteine
Das Projekt Stolpersteine (muster website demnig)

Heute Nachmittag lag das Mitteilungsblatt der Stadt Winterberg vom 24. Juli 2015 in unserem Briefkasten.  Abgedruckt ist dort die „Niederschrift über die 6. Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am Dienstag, 16. Juni 2015“.

In sperrigem Gremiendeutsch lese ich hoch erfreut auf Seite 39:

Ein Ausschussmitglied der CDU fragt an, ob seine Anregung aus der Ausschusssitzung am 03.02.2015 zur Errichtung von Stolpersteinen in Gedenken an die Juden im Stadtgebiet Winterberg bereits verwaltungsseitig aufgegriffen sei. Da dies bisher noch nicht geschehen ist, wird aus der Diskussion festgehalten, dass
• eine Auseinandersetzung mit diesem Thema wichtig sei,
• es nicht unbedingt Stolpersteine sein müssten
• und ggf. eine Alternative gefunden werden könne, um der respektvoll der Opfer der NS-Zeit zu gedenken
Das Thema soll in einer der nächsten Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses ausführlicher behandelt werden.
Werner Eickler, Bürgermeister

Abgesehen davon, dass das Protokoll keinerlei inhaltliche Argumente enthält, ist allein die Tatsache, dass sich die Stadt Winterberg anscheinend der Geschichte der Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern stellen will, bemerkenswert.

Bürger und die Stadt selbst haben, wenn man den spärlichen Aufarbeitungen folgt, vor über 75 Jahren von der Vertreibung und Ermordung der Winterberger Juden profitiert (siehe hier im Blog).

Winterberg wird gut daran tun, seine Geschichte historisch(!) aufzuarbeiten und das nicht nur als Verwaltungsakt. Es ist verfrüht zu sagen, dass „es nicht unbedingt Stolpersteine sein müssten. Aus welchem Grund sollte „ggf. eine Alternative gefunden werden“?

Vielleicht hülfe es, sich an der Arbeit der Stadt Olsberg zu orientieren und sich beim dortigen Arbeitskreis Stolpersteine zu informieren.

4 Gedanken zu „Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern: Winterberg will sich anscheinend seiner historischen Verantwortung stellen“

  1. „Aus welchem Grund sollte `ggf. eine Alternative gefunden werden´?“
    Weil es auch jüdische Stimmen gibt, die Demnigs Stolpersteine-Projekt kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Siehe hierzu die mitunter heftigen Auseinandersetzungen in München:
    http://www.sueddeutsche.de/muenchen/gedenken-an-opfer-des-holocausts-muenchen-streitet-ueber-stolpersteine-1.2254630
    https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine#Kontroversen
    Insofern ist es klug, dass der Winterberger Ratsausschuss dieses „Gegebenenfalls“ protokolliert. Die Meinung der zuständigen Jüdischen Gemeinde bzw. eines anderen „zuständigen“ Opferverbandes sollte eingeholt werden.

  2. @ Werner Jurga

    „mit Füssen treten“

    war mein erster Gedanke beim ersten Stolperstein, den ich gesehen habe –

    wenn man wirklich erinnern wollte, warum nicht für jeden Einzelnen ein richtig grosser Gedenkstein in der Hauswand?

    an manchen Häusern in Berlin wäre dann die ganze Hauswand Gedenken –

    ( wenn die Fenster vermauert werden müssen, erinnert sich vielleicht wirklich jemand )

  3. Hallo miteinander @Werner Jurga @Andreas,

    danke für die Kommentare. Wir sind gar nicht, wenn überhaupt, weit auseinander.

    Mir ging es nicht um Stolpersteine vs. etwas anderes, sondern erst einmal darum, dass die Geschichte der Winterberger Juden weiter aufgearbeitet wird, und natürlich wäre es wichtig Kontakt zu „Opferverbänden“, jüdischen Gemeinden und den Nachfahren der emigrierten jüdischen Winterberger aufzunehmen.

    Irgendjemand (ein Winterberger) hat mir mal erzählt, dass nach dem Krieg eine Gruppe dieser Emigranten in die USA hatte Winterberg besuchen wollen. Es wäre ihnen aber von Seiten der Stadt gesagt worden, dass dies nicht möglich(?)/erwünscht(?)/passend(?) wäre. Das müsste aber noch belegt werden.

    Die Nachbarstädte Winterbergs (Meschede, Medebach, Hallenberg, Marsberg, Olsberg …) haben sich schon länger mit diesem Teil ihrer Geschichte beschäftigt. Olsberg wird als nächste Stadt Stolpersteine verlegen.

    Zu allererst muss die Geschichte aufgearbeitet werden, dann wird man weiter sehen können.

    Hier der Abschnitt auf Wikipedia Abruf 25.07.9.30 unter Winterberg:

    Unter dem Druck der Nazis wurde 1937 der Verkauf der „Winterberger – Branntwein- und Liquörfabrik“ durchgeführt. Während der Sohn der Eigentümer in die USA auswandern konnte, wurden die Eltern im Zweiten Weltkrieg in Riga und im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig ermordet. Von einer zweiten Familie, die sich von einem Textilgeschäft ernährte, konnten die beiden Kinder vor Kriegsausbruch in der Schweiz und in Großbritannien in Sicherheit gebracht werden. Die Eltern jedoch wurden 1943 in Auschwitz umgebracht. Das Vermögen der Familie wurde „beschlagnahmt“ und „versteigert“. Eine dritte Familie, eine Jüdin und ihre halbjüdische Tochter, beide katholischen Glaubens, wurden 1944 in ein Arbeitslager verschleppt und haben den Krieg und die Verfolgungen überlebt. Von den überlebenden Juden „Winterberger“ ist keiner mehr zurückgekehrt.[19] Weitgehend verborgen liegt der jüdische Friedhof im Ostteil der Kernstadt.

    [19] Nikolaus Schäfer: Juden in Winterberg. In: De Fitterkiste. 4 (1992)

    Der Rechtsanwalt Schäfer hat ein Buch über die Medebacher Juden geschrieben.

    Seinen Aufsatz in der Fitterkiste habe ich auch hier im Blog eingearbeitet:

    http://www.schiebener.net/wordpress/winterberg-und-seine-juedischen-mitbuerger-gibt-es-etwas-aus-der-nazi-zeit-aufzuarbeiten/

    Das PDF ist hier zu lesen:

    http://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2015/05/Fitterkiste199204.pdf

Kommentare sind geschlossen.