Rezension: Streikende Kinderseelen

Wenn die Kinderseele streikt (Buchcover)

Dieses Buch war dringend notwendig! Nicht wegen Corona – Kinder- und Jugendpsychiater Michael Elpers hatte es schon vor der Pandemie konzipiert.

Im Nachwort begründet er: „Meine Motivation resultiert vielmehr daraus, dass in den letzten Jahren immer mehr Familien unsere Praxis aufgesucht haben – … Hinzu kommt, dass sich der Schweregrad vieler Erkrankungen verstärkt hat“ (S. 269). Als Praktiker mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung will der Autor also unabhängig von der Pandemie seine Einsichten an Eltern sowie Betreuungs- und Erziehungsprofis weitergeben – und das gelingt ihm hervorragend!

In sieben Kapiteln breitet er die ganze Fülle der seelischen Probleme von Kindern und Jugendlichen aus: von AD(H)S, Autismus und Depression über Mobbing und Leistungsdruck bis zur stark gestiegenen Spielsucht und dem Risikofaktor „soziale Medien“. In der Praxis, die er gemeinsam mit zwei Kolleginnen führt, suchen jährlich rund 4.000 Familien Rat und Hilfe. Rund ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland hat psychische Probleme – vor rund 20 Jahren war es noch ein Fünftel! Und aktuell hat die Corona-Pandemie zu einer weiteren Steigerung dieser Quote beigetragen.

Diese gravierende Steigerung liegt an den gesellschaftlichen Quellen für psychische Erkrankungen: instabile Familienstrukturen, konfliktreiche Trennungen oder Suchterkrankungen der Eltern; schulischer Leistungsdruck; soziale Ausgrenzung und Mobbing; übermäßiger Handy- und Medienkonsum. Daneben gibt es „natürlich“ organische Ursachen und Erbfaktoren, die seelische Erkrankungen auslösen. Wie Michael Elpers das alles beschreibt, ist ganz konkret. An seinen Fallbeispielen kann man sich nicht nur Auffälligkeiten wie beispielsweise Tic-Störungen oder Autismus sehr gut vorstellen, sondern versteht auch, warum und in welcher Weise derartige Probleme die schulische Unterrichtssituation beeinflussen. So wächst das Verständnis bei Leserinnen und Lesern für die Belastung von Schulklassen und die enormen Anforderungen an ihre Lehrkräfte.

Michael Elpers gelingt es dank seiner klaren, auch für Laien verständlichen Sprache, komplexe Sachverhalte wie die Arbeitsweise der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie oder aktuelles neurobiologisches Grundwissen anschaulich zu vermitteln. Reaktionen wie ein „Ach so ist das!“ oder „Endlich begreife ich, warum …“ werden häufig die Lektüre begleiten. Und Eltern werden erleichtert sein, in einem der immer wieder in den Text eingestreuten Kästen zu lesen: „Die Annahme, dass psychische Erkrankungen zum allergrößten Teil auf mangelnder oder falscher Erziehung beruhen, trifft nicht zu“ (S. 154). Und ein paar Zeilen weiter: „Was aber zutrifft: Unser Erziehungsverhalten hat sehr wohl einen Einfluss auf den Verlauf einer psychischen Erkrankung“ (ebd.). Derartige Zusammenhänge werden so konkret und anschaulich erläutert, dass Jede und Jeder sie versteht. Nur selten gelingt es Fachautoren, wissenschaftliche Sachverhalte derart gut verständlich und dennoch differenziert aufzubereiten wie in diesem Buch. Es ist nicht nur informativ, sondern auch sehr hilfreich und leicht lesbar – ein Bestseller in spe!

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*) Dr. med. Michael Elpers: Wenn die Kinderseele streikt. Warum immer mehr Kinder psychisch erkranken und wie wir sie schützen können, Weinheim (Beltz) 2021, 278 S., € 20,-

Rezension: Generation Greta

Generation Greta – eine Rezension von Detlef Träbert (Bild: Buchcover)

Es gibt Bücher, die das sehr menschliche Schicksal teilen, ins Rampenlicht zu treten – und kaum wahrgenommen zu werden. So ging es auch „Generation Greta – Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist“ von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht. Ihr Buch erschien unmittelbar vor der Leipziger Buchmesse 2020, die jedoch eine Woche zuvor abgesagt worden war, und wurde deswegen medial anfangs kaum beachtet.

Nun aber, wo die allgemeine Berichterstattung der Medien nicht mehr ausschließlich um Corona kreist, ist es an der Zeit, sich mit diesem Titel zu beschäftigen und damit auch diejenigen medial wieder aus der Versenkung zu holen, über die es Auskunft gibt: die Generation der bis 20-Jährigen.

Dass Greta Thunberg gemeinsam mit Luisa Neubauer und zwei belgischen Mitstreiterinnen vor Kurzem ein medial viel beachtetes Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte, zeigt die herausragende Bedeutung der jungen Generation im Umgang mit der Klima-Thematik. Auch eine Pandemie darf nicht verhindern, dass Politik und Gesellschaft sich mit dieser zentral wichtigen Problematik befassen.

Doch „Generation Greta“ thematisiert nicht das Klima, sondern zeichnet ein Porträt der Jugend von heute, die so massiv auf die Straße geht wie noch keine Generation bisher. „Noch nie zuvor hatten junge Menschen in solch einem Maß das Gefühl, keine Zeit mehr verlieren zu dürfen“ (S. 9). Die aktuellen politischen Planungen reichen allenfalls bis ins Jahr 2050 – da wird die Greta-Generation noch ihr halbes Leben vor sich haben.

Die Klimapolitik und die Haltung der heutigen Jugend dazu bildet die inhaltliche wie auch formale Klammer des Buches und steht im Zentrum des ersten wie auch des letzten Kapitels. Dazwischen thematisieren die beiden Autoren anhand von Shell-, JIM- oder World-Vision-Kinderstudie und anderen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen das Verhältnis der jungen Leute zu ihren Eltern, ihre Parteienverdrossenheit oder ihre Chancen in der aktuellen Arbeitswelt.

Insgesamt zwölf Kapitel porträtieren die Generation Greta umfassend und sehr gut lesbar. Allerdings mag der Stil nicht jedem gefallen, wenn – ähnlich wie in einer TV-Doku – einzelne Jugendliche stellvertretend für ihre Generation mit persönlichen Statements zum großen Ganzen zitiert werden. Doch immerhin werden so beispielsweise Probleme des deutschen Schulwesens und des Einflusses der sozialen Herkunft auf Bildungschancen plakativ in den Fokus gerückt.

Dabei wird deutlich, dass „Generation Greta“ doch keine allgemeingültige Zuschreibung für die ganze „Generation Z“ sein kann, denn die von Greta Thunberg ausgelöste Protestbewegung wird überwiegend von Schülerinnen höherer Bildungsgänge getragen. Deren Organisationsfähigkeit gibt Hinweise auf Mängel im Schulwesen, die sich auch in der Corona-Krise deutlich zeigen: Die Ausstattung mit modernen elektronischen Medien ist an unseren Schulen ungleich verteilt und ein Manko vor allem für die unteren sozialen Schichten.

Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht haben nach „Die heimlichen Revolutionäre“ (Beltz 2014) mit „Generation Greta“ ihr zweites gemeinsames Buch vorgestellt. Angesichts der bereits offenkundigen existenziellen Probleme bezüglich Klima und Umwelt ist es ihre bisher wichtigste Publikation. „Wer die Generation Greta ernst nimmt, kommt nicht umhin zu denken: Hätten wir doch früher auf sie gehört. Denn das Klima ist erst der Anfang“ (S. 254), heißt es an deren Ende.

In der Tat: Wir haben keine zweite Erde im Kofferraum. Als Jane Fonda diesen Gedanken formulierte, waren manche der heute umweltaktiven Jugendlichen noch nicht einmal geboren.
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*) Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht: Generation Greta. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist, Weinheim und Basel (Beltz) 2020, 271 S., € 19,95 (E-Book: € 18,99)

Detlef Träbert: Was verbessert die Konzentration beim Lernen?

„Konzentration kann durch Training verbessert werden.“ (Buchcover)

Was verbessert die Konzentration beim Lernen? Ermahnungen wie „Nun pass aber mal auf!“ oder „Gestern hast du es doch noch gekonnt!“ helfen gar nichts. Konzentration ist nun mal keine reine Willenssache.

(Autor: Dr. Jochen Klein, www.kreiselhh.de, Hamburg)

Die gute Nachricht ist: Konzentration kann durch Training verbessert werden.

„Konzentration – der Schlüssel zum Schulerfolg“ erklärt anschaulich und verständlich, was Konzentration ist, wie sie gefördert und beim Lernen ganz praktisch unterstützt werden kann.

Wie immer bei Sachbuchautor Detlef Träbert gibt es eine Fülle von Tipps, Übungen und Spielen. Dies alles verknüpft mit Fragebögen, anregenden Zitaten und wissenschaftlichen Erkenntnissen ergibt einen hilfreichen und leicht lesbaren Ratgeber.

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Detlef Träbert: Konzentration – der Schlüssel zum Schulerfolg, Dreieich (MEDU Verlag) 2020, 188 S., € 14,95

Rezension: Hamsterrad Schule

Raus hier! Beim „Hamsterrad Schule“ geht das jedoch nicht, denn es herrscht Schulpflicht. (Bild: Buchcover)

Recherchiert man den Begriff „Hamsterrad“ in einer Internet-Suchmaschine, findet man zahllose Fotos, Montagen und Cartoons mit der immer gleichen Botschaft: Raus hier! Beim „Hamsterrad Schule“ geht das jedoch nicht, denn es herrscht Schulpflicht. Also brauchen wir andere Lösungen, wenn Schulkinder in Problemen feststecken. Wie die aussehen könnten, beschreibt Schulpsychologe Benedikt Joos in „Hamsterrad Schule. Lösungen im Beratungsdreieck Eltern – Schüler – Lehrkraft“. *)

Der Untertitel benennt das Konzept, das Joos als Grundlage seiner schulpsychologischen Arbeit vorstellt. Immer noch werden nämlich allzu oft Lösungen für Lern- bzw. Schulprobleme nur beim „Symptomträger Schüler“ gesucht. Das führt viel zu häufig zu einer Verschärfung und Verfestigung von Problemen sowie zu unnötigen Brüchen in der Schullaufbahn.

Der von Joos dargestellte Ansatz hingegen ist kooperativ und profitiert von einer wertschätzenden Grundhaltung aller Beteiligten. Statt den Fokus auf Defizite und Mängel beim Schulkind zu richten, geht es dem Autor um die Inter-System-Perspektive: Ein Problem liegt nicht allein beim Kind, sondern immer zwischen Schüler*in, Eltern und Lehrkraft.

In diesem systemischen Konzept nehmen beratende Personen, ob Schulpsycholog*in, Beratungslehrer*in oder Schulsozialarbeiter*in, die vermittelnde Rolle zwischen den Problembeteiligten ein. In vielen Fällen muss dieses Konzept überdies mit zusätzlichen Kooperationspartner*innen erweitert werden, wenn etwa das Jugendamt, Ärzt*innen, Erziehungsberatung oder weitere Instanzen aufgrund der individuellen Problemstellung erforderlich sind.

„Hamsterrad Schule“ schafft es bei sehr übersichtlichem Umfang und wahrem Taschenbuchformat, die systemische Beratung in ihren Grundzügen klar und verständlich darzustellen. Anhand von konkreten Fallbeispielen verdeutlicht Joos die Arbeitsweise nach diesem Konzept auf der Basis von Empathie und Wertschätzung, Neugier und Allparteilichkeit des Beraters sowie Stärkung der Eigenverantwortung aller Beteiligten.

Darüber hinaus eröffnet der Autor im Schlusskapitel Perspektiven für eine Verbesserung von Beratung bei Schulproblemen durch die Vernetzung von Schulpsychologie, Beratungslehrkräften und Schulsozialarbeit, verbunden mit der Forderung nach dem dringend nötigen weiteren Ausbau der Beratungsstrukturen, also vor allem nach mehr Personal.

Das Buch ist wie gemacht für all jene mit stressigem Alltag, die in Schulen oder mit Schüler*innen arbeiten; auch engagierte Eltern werden von seinem Inhalt profitieren, zumal die Lektüre bei geringem Zeitaufwand äußerst anregend wirkt.

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*) Benedikt Joos: Hamsterrad Schule. Lösungen im Beratungsdreieck Eltern – Schüler – Lehrkraft, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2020, 86 S., € 12,– (E-Book: € 9,99)

Rezension: Morgengrauen – oder wie Schule bunter wird.

Morgengrauen – eine Rezension von Detlef Träbert (Bild: Buchcover)
Wenn ein Buch „Morgengrauen“ *) betitelt wird, ist das doppeldeutig. Es kann auf das „Grauen am Morgen“ hinweisen oder darauf, dass gleich anschließend ein sehr schöner, erfreulicher Tag beginnen wird.

Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser, was der Autor wohl beabsichtigt, wenn sein Untertitel „Ein Buch über Schule … und wie sie sein könnte“ lautet? „Ich habe anders gearbeitet in der Schule“, schreibt Rolf Robischon auf S. 36. Das klingt hoffnungsvoll und nach konkreten Möglichkeiten.

Wie viele Menschen, die die Schule bereits hinter sich haben, erinnern überwiegend Positives? Wer Schulkind bei Rolf Robischon war, gehört jedenfalls zu diesem kleinen, vom Schicksal begünstigten Kreis. Über 40 Jahre lang hat sich der – mittlerweile längst pensionierte – Grundschulrektor als Lernbegleiter verstanden und nicht als (Be-)Lehrer.

Er hat Material entwickelt, dass Kindern selbsterklärend das Lernen ermöglicht und heute noch erhältlich ist. Lernen im Gleichschritt? „Kinder lernen nicht in kleinen Schrittchen, nicht der Reihe nach, nicht gleichzeitig und schon gar nicht das Gleiche“, lautet ein zentraler Satz seines aktuellen Buches. Jeder weiß das – und dennoch arbeitet Schule fast überall immer noch gleichschrittig.

Im Grundschulbereich gibt es immerhin Ansätze für jahrgangsübergreifendes Lernen. Zaghaft probieren wenige Mittelstufen-, Sekundar- oder Gemeinschaftsschulen (die Begriffe sind in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich) neue Lernformen aus. Die Masse der Schüler/-innen jedoch muss nach wie vor die Schule bewältigen, anstatt einfach begeistert lernen zu dürfen.

„Im Lehramtsstudium werden Lehrerinnen und Lehrer nicht dazu ausgebildet, Kindern und Jugendlichen ihr Lernen einfach frei zu geben und es nur zu begleiten“ (S. 83), konstatiert der Autor. Rolf Robischon hat das auch nirgendwo studiert – er hat es einfach gemacht. Er hat seine Konsequenzen daraus gezogen, dass Kinder nur wenig lernen, wenn sie nicht miteinander reden und sich nicht bewegen dürfen. Er hat irgendwann angefangen, Schüler nicht mehr zu fragen, sondern sich von ihnen fragen zu lassen. Bald wollten sie viel mehr wissen als Kinder im konventionellen Unterricht.

Er hat Material für die wesentlichen Lernbereiche selber konzipiert und auf eine Fibel verzichtet. Filmaufnahmen eines Erziehungswissenschaftlers der PH Freiburg belegen, dass Robischons Arbeitsweise erfolgreich war. Doch das Misstrauen dagegen blieb bei der Schulaufsicht bestehen, während der „Lernhelfer“ zu Tagungen und Kongressen eingeladen wurde, um sein Konzept weiterzugeben. Erst zwei Jahre vor seinem Ruhestand hörte die Dauerüberwachung aus der Schulaufsicht auf – kommentarlos.

„Morgengrauen“ ist mit seinen 87 Seiten ein dünnes Bändchen. Eine Gebrauchsanweisung für Lehrende auf der Suche nach neuen Wegen ist es nicht, eher ein Wegweiser. Es zeigt die Richtung, in die man gehen kann, aber nimmt einem keine Entscheidungen ab, lässt auch Umwege zu, erspart einem nicht die eigenen Erfahrungen. Robischon empfiehlt: „Fang einfach nacheinander an: Bestrafe Kinder nicht. Und sag ihnen das. Strafe ist sinnlos. Kinder sind für sich selber verantwortlich“ (S. 40).

Diese Haltung lässt ihnen ihre Eigenverantwortung: „Wer sich vornimmt, Kinder grundsätzlich nicht zu bestrafen, nimmt ihnen gegenüber eine andere Haltung ein, als sie vorher war. Ich begebe mich auf gleiche Augenhöhe.

Ich weiß nicht mehr alles besser und schon vorher“ (a.a.O.), erläutert der Autor seine Position. Gleichzeitig wird im Kapitel „Ein Schulvormittag mit Robischon“ (S. 67-81) deutlich, wie viel Verantwortung er mit der Gestaltung des Umfeldes im Lernraum selber wahrnimmt, wie er die Abläufe strukturiert, mit welchen Ansätzen er die Kinder zu Lernaktionen anregt.

Robischons strukturiert-antipädagogische Vorgehensweise wird so zu einem konstruktiven Beispiel, wie man Schule anders, menschlicher machen kann.

„Wenn Kinder lernen dürfen, was sie wollen, lernen sie alles, was ihnen erreichbar ist.“ Wer diesen Satz nach der Lektüre des Buches noch einmal bedenkt, begreift, dass Kinder Subjekte ihres eigenen Lernens sind. Wer sie als Objekt von Belehrung sieht, wird immer und immer wieder mit Motivations-, Konzentrations- und Disziplinproblemen zu kämpfen haben. Es liegt also an uns selber, ob „Morgengrauen“ eher für das Grauen am Morgen oder den Beginn eines schönen, erfreulichen Tages steht.

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*) Rolf Robischon: Morgengrauen. Ein Buch über Schule … und wie sie sein könnte, Leipzig (tologo) 2019, 87 S., € 14,90 (als eBook € 12,99)

Rezension: „Geborgen, mutig, frei“. Was Kinder stark macht – ein Erziehungsratgeber

Geborgen, mutig, frei  – das Buch (Foto: Titelseite)

Im Bereich der Erziehungsratgeber finden sich nur selten besondere Perlen. „Geborgen, mutig, frei“ *) ist jedoch ein solches Schmuckstück, wenn es auch nicht auf den ersten Blick so wirkt.

Das Buch ist nämlich recht dick – 352 Seiten könnten manche Leser/-innen abschrecken, zumal der Preis von € 26,- zwar sehr angemessen ist, aber dennoch höher liegt, als Taschenbuchkonsumenten gewohnt sind. Dafür hält man ein richtiges, gebundenes Buch in den Händen, das einen mit seinem Gewicht dazu animiert, sich in Ruhe gemütlich in den Sessel zu versenken. Für die Lektüre in Bus oder Straßenbahn eignet sich die (zudem deutlich preiswertere) eBook-Version sicherlich besser.

Zum Schmuckstück trägt natürlich auch das schwarz-weiße Titelfoto bei: Zwei Mädchen, die im Wasser spielen – eine wunderbare Gegenlicht-Aufnahme voller Dynamik. Weitere derartige Fotos von Alain Laboile finden sich vor jedem einzelnen Text und tragen ihr Teil dazu bei, dass man die insgesamt 47 Artikel von Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund mit Denkpausen unterbricht. Die sind wichtig, denn jeder einzelne Artikel ist einem anderen Thema gewidmet. Es sind ausgewählte Beiträge der beiden Autoren aus dem auflagenstarken Schweizer Elternmagazin „Fritz+Fränzi“.

Da geht es beispielsweise um den Mut, den es erfordert, Kindern Freiräume zu schenken, um das kindliche Trödeln, den Umgang mit kindlichen Ängsten, die Förderung von Selbstständigkeit oder die Mitbestimmung.

Ein Teil der Beiträge bezieht sich auf kindliches Verhalten im Vorschulalter, ein anderer Teil auf schulische Themen, wieder andere stellen altersübergreifende Fragen in den Mittelpunkt.

So hat mich beispielsweise der Artikel „Etwas mehr Optimismus, bitte!“ (S. 67 ff.) sehr beeindruckt. Er thematisiert den Sachverhalt, dass Optimisten in unserer Kultur häufig für realitätsfremd und naiv gehalten werden. Doch wer eine pessimistische Grundhaltung vertritt, verstärkt negative Gefühle und Sichtweisen übermäßig. Dagegen stellt die Forschung fest: „Menschen mit einem gesunden Optimismus leben länger, sind körperlich fitter, haben glücklichere Beziehungen, sind erfolgreicher, kommen mit Enttäuschungen besser zurecht und packen Probleme aktiver an“ (S. 68).

Darum stellt der Artikel auch zwei Methoden vor, die Eltern helfen können, sich selbst und ihrem Kind zu einer positiveren Weltsicht zu verhelfen. Eine davon ist die „Was ist gut gelaufen?“-Übung aus der positiven Psychologie: Beim abendlichen Gute-Nacht-Sagen kann das Kind drei Kleinigkeiten vom Tag erzählen, die Freude gemacht haben. Mutter oder Vater dürfen auch von eigenen schönen Erlebnissen erzählen. Sie lenken mit diesem Brauch, der allerdings keine allabendliche Pflichtübung werden sollte, die Aufmerksamkeit ihres Kindes auf die positiven Aspekte des Lebens. Natürlich ist das Verfahren empirisch überprüft, so wie alle Tipps und Anregungen in „Geborgen, mutig, frei“ einen seriösen, wissenschaftlichen Hintergrund aufweisen.

Das ist auch beim wichtigen Themenkreis „Mobbing“ so, wo nicht nur Eltern informiert und zu einem konstruktiven Eingreifen angeregt werden. Einer von insgesamt vier Artikeln dazu wendet sich speziell an Lehrkräfte und stellt ihnen die „No Blame Approach“-Methode so detailliert vor, dass jede Leserin, jeder Leser danach handeln könnte.

Außerdem verweist der Artikel auf ein Video zur Methode für Grundschulkinder, das auf www.biber-blog.com angeschaut werden kann. Auf dieser Website findet man etliche weitere Kurzfilme, auf die einzelne Artikel bei Gelegenheit aufmerksam machen, ob zum Modelllernen, dem Umgehen mit eigenen Ängsten oder der Entwicklung von mehr Selbstständigkeit.

„Geborgen, mutig, frei“ ist also wirklich ein Schmuckstück, sehr klar und verständlich geschrieben, konkret, hilfreich, vielseitig. Es lässt nichts aus, was im Erziehungsalltag mit Kindern zum Problem werden könnte. Dabei sind die Artikel gleichzeitig stets unterhaltsam, humorvoll, oft auch lustig – an manchen Stellen konnte ich ein lautes Auflachen nicht unterdrücken. Der Verweis auf weiterführende Hilfen, wo nötig, die kompakten Kurztipps am Ende mehrerer Artikel oder auch ein Ringelnatz-Gedicht an passender Stelle – das alles trägt zu einer genauso unterhaltsamen wie nützlichen Lektüre bei. Und das Beste: Das Buch belehrt nirgends, aber man lernt auf jeder Seite hinzu.

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*) Fabian Grolimund, Stefanie Rietzler: Geborgen, mutig, frei. Wie Kinder zu innerer Stärke finden, Freiburg (Herder) 2019, 352 S., € 26,- (als eBook € 19,99)

Buchbesprechung
Konrad, oder: Bei Anruf Schock – ein Jugendroman von Helga Lezius

„Konrad, oder: Bei Anruf Schock“ ist ein Buch, das vor allem zwischen 10 und 12 Jahren Freude macht. (Buchcover)
„Konrad, oder: Bei Anruf Schock“ ist ein Buch, das vor allem zwischen 10 und 12 Jahren Freude macht. (Buchcover)

Konrads Zukunft sieht positiv aus. Mirays Freundin wird das nächste Schuljahr in den USA verbringen, so dass er sich auf mehr Zeit mit ihr freuen kann. Und er wird richtig tanzen lernen.

(Eine Buchbesprechung unseres Autors Detlef Träbert)

Aber sein bester Freund Lenni zieht mit seiner Mutter und ihrer Chefin Ina sowie Willi nach Berlin – er wird sie alle sehr vermissen. So endet der dritte Konrad-Band von Helga Lezius – fröhlich entspannt und gleichzeitig spannend, weil in der Zukunft alles möglich ist. Doch vor diesem Ende ist die Geschichte noch viel spannender!

Konrad und der gehbehinderte Lenni bekommen den Auftrag, sich ein bisschen um die alte Frau Krämer zu kümmern, die in der Nachbarschaft von Inas Frisiersalon wohnt. Weil sie umgeknickt ist und nun einen Gips ums Bein trägt, braucht sie jemanden, der für sie einkaufen geht. Die beiden Jungs freunden sich rasch mit der alten Dame an, die allein lebt und sich von ihnen Granny nennen lässt.

Während Konrad und Lenni unterwegs sind, erhält Granny einen Anruf von einem Mann. Er nennt sich Fred, so wie ein Freund ihres Enkels Matthew, der in den USA lebt, sich aber schon viele Jahre lang nicht mehr gemeldet hat. Matthew habe sie besuchen wollen, sei jedoch in New York schwer verunglückt. Nun liege er im Krankenhaus und brauche Geld für die Behandlung, denn er habe alles für die Überfahrt ausgegeben. Eine sehr unwahrscheinliche Geschichte – das merkt Granny selbst, als sie sie Konrad und Lenni erzählt. Nun soll in einer halben Stunde ein Mann kommen,der morgen nach New York fliegt, um 1.000 Euro abzuholen. Granny hat jedoch in ihrem Geheimversteck, einer Spardose in Form einer Konservenbüchse, gerade mal 400 Euro. Konrad überzeugt sie, den Abholer auf etwas später zu vertrösten, während er sich verstecken und den Mann fotografieren will. Das klappt leider nicht, aber am nächsten Tag kommt der Mann wieder, gerade als Konrad auf der Toilette sitzt. Lenni lässt ihn herein, verlässt aber anschließend die Wohnung und schließt von außen ab. Konrad ruft vom Bad aus mit seinem Handy die Polizei, die rasch kommt und den Betrüger festnimmt. Die 400 Euro aus dem Geheimversteck schenkt die dankbare Granny den beiden Jungs.

Eine abenteuerliche Geschichte ist das, die beim Lesen fesselt und einen vor Spannung kaum loslässt. Natürlich besteht sie auch nicht nur aus dem hier geschilderten Erzählkern, sondern enthält Zutaten, die Kinder und Jugendliche kennen: eine Bande, die vor allem Lenni immer wieder nachstellt; ein ausgesprochen strenger Mathelehrer; eine Notfall-Sirene, um sich in einer bedrohlichen Situation helfen zu können. All das mischt die Autorin geschickt zusammen, so dass man sich leicht in Konrads und Lennis Situation hineinversetzen kann.

„Konrad, oder: Bei Anruf Schock“ ist ein Buch, das vor allem zwischen 10 und 12 Jahren Freude macht. Der Verlag gibt es in mehreren Versionen heraus. Neben dem Taschenbuch gibt es eine Ausgabe im Großdruck sowie das Mini-Buch und zwei eBook-Formate..

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*) Helga Lezius: KONRAD oder Bei Anruf Schock, Hohen Neuendorf bei Berlin (AAVAA Verlag) 2017, 143 S., € 11,95 (Jugendroman)

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Helga Lezius: „Auf die Geschichte des dritten Bandes kam ich durch wiederholte Zeitungsberichte über den Enkeltrick. Ich stellte mir vor, dass die Kooperation von jung und alt da sehr helfen könnte.“ (foto: traebert)

Interview mit der Autorin (D.T. = Detlef Träbert; H.L. = Helga Lezius):

D.T.: Frau Lezius, kennen Sie Konrad persönlich? Oder Lenni?

H.L.: (Lacht) Naja, auf Konrad kam ich durch einen Zeitungsbericht über einen Unfall mit einem Schulbus, wo ein Junge tatsächlich beherzt eingegriffen hatte und dann von der Polizei öffentlich für seinen Mut gelobt wurde. Der Junge sah so aus, als würde das Lob der Polizei viel für ihn bedeuten. Und Kinder wie Lenni lernte ich kennen, als ich nach der zweiten Lehramtsprüfung zunächst in der Schule für Körperbehinderte unterrichtete. Damals fiel mir auf, dass die meisten der dortigen Kinder eigentlich immer fröhlich waren und so herzlich lachen konnten, wie eben Lenni. Auch heute erlebe ich, wie die Gehandicapten in dem integrativen Sambaorchester meiner Tochter immer gute Laune mitbringen. Das berührt mich sehr.

D.T.: Was hat sie eigentlich dazu gebracht, Kinderkrimis zu schreiben?

H.L.: Brrrr – keine Ahnung. Ich habe immer gerne geschrieben und bin deshalb nach der Pensionierung bei den Zeitschreibern gelandet, einem Nürnberger Projekt, bei dem interessierte Leute biografische oder auch zeitgeschichtliche Texte verfassen und zum Beispiel vor Schulklassen oder Seniorengruppen lesen. Jetzt hatte ich einfach mehr Zeit zum Schreiben und das genieße ich sehr. Und als mir dann Konrad „begegnete“, entstand die erste längere Geschichte.

D.T.: Sie lesen gerne aus Ihren Konrad-Büchern vor Schulkindern. Wie reagieren die auf seine Abenteuer? Und was möchten Sie ihnen dabei vermitteln?

H.L.: Vermitteln möchte ich einfach die Freude am Lesen und an Büchern. Schon als Lehrerin war es mir ein zentrales Anliegen, dass die Kinder gerne lesen und gerne Geschichten schreiben. So habe ich nach den Lesungen ab und zu einen der Kurztexte aus „Kurz und bündig – Die schnellsten Geschichten der Welt“ vorgelesen und sie damit unmittelbar angeregt, selber zu schreiben.
Inhaltlich war im ersten Buch Mobbing das Thema, das nach wie vor ein großes Thema in und um Schulen ist, wie mir ein Heilpädagoge gerade wieder bestätigte. Im zweiten Buch ging es dann um Inklusion. Bei den Körperbehinderten habe ich nämlich Kinder kennen lernen dürfen, die heute noch darunter leiden, dass sie nicht viel mehr lernen durften, als die Sonderschule ihnen anbot.
Auf die Geschichte des dritten Bandes kam ich durch wiederholte Zeitungsberichte über den Enkeltrick. Ich stellte mir vor, dass die Kooperation von jung und alt da sehr helfen könnte.

D.T.: Konrads Freunde werden nach Berlin ziehen und er selbst kommt im nächsten Sommer schon ins siebte Schuljahr. Haben Konrad-Krimis da noch eine Perspektive?

H.L.: Oh, Ich hätte schon Ideen. Sehr gerne würde ich das Tanzen in den Mittelpunkt stellen. Viele Jungen haben Interesse daran, aber gleichzeitig wird es in der klassischen Form von männlichen Jugendlichen abgelehnt. Mal schauen, wann mich die Konrad-Muse ein nächstes Mal küsst.

D.T.: Möchten Sie nicht auch mal ein Buch für Erwachsene verfassen? Ihre Artikel für die Zeitschrift „Humane Schule“ haben doch auch einen literarischen Anspruch.

H.L.: Hm, da müsste mir mal ein erwachsener Konrad oder Lenni begegnen. Bisher habe ich da noch keine Idee für erwachsene Leser. Auch bin ich ja immer noch bei den Zeitschreibern. Und mein großes Thema ist und bleibt die Schule, die humane Schule. Sie nimmt einen großen Raum ein in meinen Leben, früher als Lehrerin, heute als Autorin.

D.T.: Frau Lezius, herzlichen Dank für das Gespräch!

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Konrad I und II sind nicht mehr im Buchhandel erhältlich, können aber über die Autorin bezogen werden: lezius-ahs@web.de

Rezension: Mehr Freude am Lernen!

Kein dicker Schinken, sondern 140 Seiten kreative Kost für Eltern. Auch für Lehrerinnen und Lehrer geeignet. (foto: zoom)

Eigentlich ist es seltsam: Geklagt wird viel über die geringe Anstrengungsbereitschaft bei einem Großteil der Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Fehlende Leistungsmotivation, kaum Lust, null Bock – Begriffe für das Phänomen gibt es massenhaft.

Bücher, die Eltern und Lehrkräften konkrete und praktikable Hilfestellungen für dieses Phänomen anbieten, existieren nur wenige. Doch jetzt ist „Mehr Freude am Lernen! So motivieren Sie Ihr Kind“ (MEDU Verlag Dreieich) erschienen. Es wurde von Detlef Träbert verfasst, einem Diplom-Pädagogen mit großer Erfahrung in der Elternarbeit.

Träbert wird einigen Leserinnen und Leser ein Begriff sein. Einige Bücher und Aphorismen von Detlef Träbert haben wir hier besprochen. Detlef Träbert ist darüber hinaus auch Autor dieses Blogs.

Seit Jahren stehe ich in regem Austausch dem Autoren vieler Ratgeber-Bücher rund um die Schule. Mir selbst hat er auch schon bei pädagogischen Fragen persönlich mit Tipps und Anregungen zur Seite gestanden.

Sprachlich klar und sehr anschaulich erklärt der Autor in seinem neuen Buch, was Leistungsmotivation ausmacht und warum es zu Motivationsproblemen kommen kann. Wichtig sind ihm die Einbeziehung der Eltern und Lehrer.

Einen großen Raum nehmen die Problem rund um die Hausaufgaben ein. Ein Thema, welches bei uns in Nordrhein-Westfalen an Ganztagsschulen, wo Hausaufgaben mehr und mehr durch schulische Lernzeiten ersetzt werden, nicht mehr die bestimmende Rolle spielen sollte.

Viele Tipps für die Gestaltung der häuslichen Lernumgebung können allerdings von Lehrerinnen und Lehrern an Schulen mit Lernzeiten kreativ auf den Unterricht umgemünzt werden.

So sind beispielsweise Leistungsmotivation, Selbstwertgefühl und Frustrationstoleranz auch in der Schule nicht zu unterschätzende Faktoren, die den täglichen Unterricht beeinflussen.

Dialoge und Situationen, die Träbert im Elternhaus beschreibt, lassen sich -hier seien die Ritualisierung der Arbeitssituation und emotionale positive Zuwendung genannt- vielfach auf Schulsituationen übertragen.

In den letzten Kapiteln des Ratgebers findet man Fragebögen zum Schulleben, zur Schulangst und zur Selbstbeobachtung, die sich mit wenigen Anpassungen auf den eigenen Schulalltag und/oder den Alltag des eigenen Kindes anpassen lassen.

Ein Teil des vierseitigen Fragebogens mit dem Motto „Wie macht Schule Spaß?“

„Kinder und Jugendliche mit Motivationsproblemen brauchen kraftvolle und lebendige Erwachsene“, heißt es am Ende des Buches. Die Lektüre weckt hoffentlich bei allen Leserinnen und Lesern frische Energie und Kreativität im Umgang mit Problemen rund um die Schule.

„Mehr Freude am Lernen!“ will dazu motivieren, unmotivierte Schulkinder nicht aufzugeben, sondern sie fantasievoll und tatkräftig zu unterstützen.

Die Chancen stehen gut.

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Detlef Träbert: Mehr Freude am Lernen! So motivieren Sie Ihr Kind, Dreieich (MEDU Verlag) 2016, 148 S., € 12,95

„Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen“ – eine Rezension

Rezensent Detlef Träbert: Computer müssen Kindern nicht schaden. (foto: traebert)
Rezensent Detlef Träbert: Computer müssen Kindern nicht schaden. (foto: traebert)

Georg Milzner (siehe auch das Interview hier im Blog) ist nicht nur Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, sondern auch ein beeindruckend vielseitiger Autor. Aus seiner Feder stammen psychologische Fachpublikationen genauso wie biografische Essays und Lyrikbände.

(Detlef Träbert, Referent und erfolgreicher Autor von pädagogischen Ratgeberbüchern und Autor unseres Blogs, hat diese Rezension zuerst in der Mai-Ausgabe[1] von „Humane Schule“, der nicht-kommerziellen Zeitschrift des Bundesverbandes Aktion Humane Schule e.V., veröffentlicht. Nachdruck hier mit Genehmigung der Herausgeber.)

Georg Milzners jüngstes Buch jedoch wendet sich gezielt an alle, die sich für die Auswirkungen der Computerwelt auf unsere Kinder interessieren, und trägt den Titel „Digitale Hysterie“. Darin erklärt er laut Untertitel: „Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen“.

Damit stellt Milzner sich gegen den Mainstream. Während zahlreiche Autoren, darunter so prominente wie Manfred Spitzer, vor der „Computerisierung der Kindheit“ (S. 19) warnen und Medienabstinanz für die Kleinen fordern, stellt er einen Widerspruch in der öffentlichen Haltung fest. Im Gegensatz zur Medienkritik steht nämlich die immer intensivere Forderung nach Internetnutzung auch in der Schule. Diese Widersprüchlichkeit findet sich dann bei Eltern, die selber den ganzen Tag an elektronischen Medien arbeiten, aber ihre Kinder aus Sorge vor schädigenden Wirkungen möglichst fern davon halten wollen.

„Digitale Hysterie“ enthysterisiert diesen Widerspruch ganz sachlich. Leitmotiv von Milzners Buch und dem Text vorangestellt ist ein Zitat aus „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells: „Wir übersehen oft, dass geistige Beweglichkeit der Lohn für dauernde Veränderungen, Gefahren und Sorgen ist.“ In zehn Kapiteln macht der Autor Mut zur geistigen Beweglichkeit und vor allem dazu, sich den technologischen Veränderungen unserer Zeit zu stellen und die Kinder angemessen beim Umgehen damit zu begleiten.

Bei aller Sachlichkeit im Anliegen ist der neue Milzner großartig zu lesen. Schließlich ist der Autor auch Therapeut und bringt immer wieder konkrete Beispiele aus seiner Praxis ein. Außerdem schreibt er einen herrlich lockeren, leicht lesbaren Stil, ohne den Lesefluss mit Fachsprache zu behindern. Gleichzeitig schafft Georg Milzner es, die umfangreiche Thematik übersichtlich zu gliedern. Jede Kapitelüberschrift macht neugierig: „Machen Computer uns dümmer?“ – „Wie gefährlich sind Computerspiele?“ – „Wie gefährlich sind Facebook & Co.?“ Und im Schlusskapitel erklärt er: „Was Kinder im digitalen Zeitalter von uns brauchen“.

Die Absicht einer ernsthaften, konstruktiv beratenden Haltung wird also gleichzeitig locker umgesetzt. Dazu trägt auch bei, dass der Autor eigene Erfahrungen mit etlichen Spielen für dieses Buch gesammelt hat. So kann er nachvollziehen, was daran faszinierend wirkt, und er kann vor allem sachlich begründet beurteilen, welche Einflüsse von Ihnen ausgehen. Am Ende weist Georg Milzner darauf hin, „ … dass die Balance zwischen medialer Kompetenz und Selbstkompetenz die große Herausforderung des kommenden Jahrzehnts werden wird“ (S. 242). Hysterisch geführte Mediendebatten weden dabei nicht hilfreich sein, denn „das Computerproblem ist im Kern gar kein technisches Problem. Es ist ein Problem des kuturellen Wandels. Es ist ein Beziehungsproblem. Und letzten Endes ein Problem bezüglich des Umgangs mit uns selbst“ (ebd.).

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*) Georg Milzner: Digitale Hysterie. Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen, Weinheim (Beltz) 2016, 255 S., € 18,95

[1] siehe auch hier im Blog.