Terror in Oslo – von armen Rittern, reduzierten Terroristen, Vietnamkriegsveteranen und geduldigem Wiederaufbau. Ein Artikel von Lotta Suter in „der Freitag“.

In der aktuellen Ausgabe des Freitag beschäftigt sich Lotta Suter unter dem Titel “Keine Zeit für Ritter” (Titel in der Online-Ausgabe: Weiß, christlich, skrupellos) mit den Reaktionen auf die Attentate in Oslo.

Die Autorin unterscheidet zunächst zweierlei Umgang mit den Taten von Oslo: erklären oder ausgrenzen. Auf beides „müssen wir aber nicht hereinfallen“, rät sie.

Sie distanziert sich kurz von den verschiedenen Strategien der Abwehr, um sich dann im übrigen Artikel gegen das „Erklären“ zu wenden.

Superlative des Grauens vs. reduzierter Terrorist

Lotta Suter nimmt sich dazu zunächst die “linkeren unter den Kommentatoren” vor, die “auch noch” diesen “Massenmord unvorstellbaren Ausmaßes” als Ausdruck “bestimmter gesellschaftlicher Konstellationen” verstehen. Als Beispiel nennt Lotta Suter Gary Younge, US-Korrespondent des Guardian, dem sie vorwirft, Anders Breivik „zum Resultat einer bestimmten europäischen Wirtschafts- und Immigrationspolitik reduziert“ zu haben.

Gern würde der Leser erfahren, welche „bestimmten“ Konstellationen Gary Younge meint und welche „bestimmte“ Politik den Terroranschlag herbeigeführt haben soll. Doch darüber gibt die Autorin keine Auskunft, obwohl sie dem Autor doch immerhin eine vereinfachende Sicht der Dinge vorwirft.

Im Guardian findet sich bisher kein Kommentar des „linkeren“ Kommentators zu diesem Thema. Er ist jedoch auch Kolumnist des US-amerikanischen Magazins The Nation. Dort erschien unter dem Titel „Europe’s Homegrown Terrorists“ am 25. Juli 2011 ein Kommentar von Younge.

Gary Younge beschäftigt sich darin mit der unterschiedlichen Wahrnehmung von islamistischer und rassistischer Gewalt in Europa. Rassismus und Faschismus seien die wahre Bedrohung der Europäischen Demokratie.

Nach Younge waren Multikulturalismus und Immigration politisch nicht gewünscht. Das erfolgreichste Buch in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ist der Verkaufsschlager von Thilo Sarrazins. Integration sei nicht an den Immigranten gescheitert, sondern am Rassismus und den daraus für Immigranten resultierenden ökonomischen und akademischen Nachteilen.

Am Ende seines Kommentar schreibt Younge:

Breivik was from a particularly vile strain of that trend. But he did not come from nowhere. And the anxieties that produced him are growing. Fascists prey on economic deprivation and uncertainty, democratic deficits cause by European Union membership and issues of sovereignty related to globalization. Far right forces in Greece, for example, are currently enjoying a vigorous revival. When scapegoats are needed they provide them. When solutions are demanded they are scarce.

Vor dem Hintergrund der zahlreichen Probleme und Krisen in Europa ist dies sicher eine diskussionwürdige Einschätzung.

Michael Moore hat in seinem Film „Bowling for Columbine“ zudem auf den Zusammenhang von staatlicher Kriegsführung nach außen und terroristischer Gewalt im Inneren hingewiesen, ein Aspekt, der im Zusammenhang mit Oslo bisher noch keine Rolle spielte.

Vietnam oder Irak?

Doch nun zurück zu Lotta Suter. Sie vergleicht Breivik mit anderen weißen Terroristen. Nebenbei bemerkt: Timothy McVeigh war keinesfalls, wie von Frau Suter behauptet, Vietnamveteran. Am Ende des Krieges in Südostasien war der Attentäter von Oklahoma gerade sieben Jahre alt.

Armer Ritter und Wiederaufbau

Weiter unten schreibt Suter:  „Arme Ritter wie Anders Breivik agieren nie rein zufällig…“. Wie kommt man darauf, Anders Breivik als „Armen Ritter“ zu bezeichnen? Das Bild ist gänzlich misslungen, verharmlosend und einfach nur geschmacklos.

In den folgenden Zeilen empfiehlt Lotta Suter die sorgfältige Analyse emotionaler und politischer Hintergründe, schränkt diese jedoch gleich wieder ein, denn „vollständig verstehen können muss man einen Massenmörder aber nicht.“ Die Autorin gesteht „uns“ (sie spricht ständig von „uns“ und „wir“) das Erschrecken zu, aber dann „kehren wir hoffentlich zurück zum geduldigen und einigermaßen vertrauensvollen Wiederaufbau einer offenen Gesellschaft.“

Wieso  „Wiederaufbau“? Hatten wir in Europa schon einmal eine offene Gesellschaft, die nun wieder aufgebaut werden soll? Das ist ein sehr schönes Bild, mit der Realität hat es aber leider wenig zu tun.

UPDATE: Timothy McVeigh wird nun in der Online-Ausgabe des „Freitag“ richtig als Golfkriegveteran bezeichnet.

Acht aphoristische Assoziationen zu den Ereignissen vom 22. Juli 2011 in Norwegen

Überzeugungstäter sind zweifellos.

* * *

Aus niederen Beweggründen zu töten, ist Mord;
ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ist das Töten aus vermeintlich edlen Motiven.

* * *

Wenn man bedenkt,
dass Denken eine spezifisch menschliche Fähigkeit ist,
dann ist es höchst bedenklich,
wie unmenschlich Menschen denken können.

* * *

Ideen suchen Anschluss, eine Ideologie schließt aus.

* * *

Blinder Hass erlaubt keine Einsicht.

* * *

Menschen brauchen Menschen –
manche nur, um sie unmenschlich behandeln zu können.

* * *

Mensch zu sein gelingt nicht jedem.

* * *

Vernachlässigt eine Gesellschaft wertvolle Haltungen,
entwickeln ungehaltene Menschen
Werte verachtende Überzeugungen.

© 27. Juli 2011 by Detlef Träbert, Pädagoge und Aphoristiker

Umleitung: Von Elias Canetti zur Blendung in Medien und Politik.

Ein grauer Sonntag am Rhein bei Voerde (foto: zoom)
Ein grauer Sonntag am Rhein bei Voerde (foto: zoom)

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„Ich bin voller Hass – und das liebe ich“ Ein Buch zum Thema

ich-bin-voller-hass
Eichborn Verlag, Berlin 2009

Eric Harris (18) und Dylan Klebold (17) richteten am 20. April 1999 in der Columbine High School in Littleton, Colorado ein Blutbad an. Sie töteten 12 Schüler und einen Lehrer. Anschließend erschossen sie sich selbst. Sie wählten den Jahrestag von Hitlers Geburtstag.

Die Amerikanische Justiz hat Dokumente wie Videoaufnahmen, Schulaufsätze, Einträge im Internet und Tagebuchaufzeichnungen der Mörder sowie die Vernehmungsprotokolle zugänglich gemacht.

Joachim Gaertner hat diese Dokumente ausgewertet, übersetzt und sie in dem Dokumentarischen Roman Ich bin voller Hass – und das liebe ich. Aus den Original-Dokumenten zum Massaker an der Columbine Highschool verarbeitet.

Die Dokumente zeichnen ein Bild von zwei widersprüchlichen, von Gewalt, Waffen und Mord faszinierten jungen Männern, selber ausgegrenzt und gleichzeitig rassistisch. Erschreckend sind die immer wieder formulierten Tötungsfantasien und im Gegensatz dazu die „politisch korrekten“ und meist gut bis sehr gut benoteten Aufsätze und Essays.

Im ersten Auszug beschreibt Eric Harris sein mangelndes Selbstbewusstsein, seine Unsicherheit gegenüber Frauen und gleichzeitig seine Bewunderung für den Nationalsozialistischen Staat. Im zweiten hier abgedruckten Text problematisiert der Sheriff von Jefferson County die widersprüchliche Rolle von Medien und Polizei.

Eric Harris, Journal, 17.11.1998, (S. 143)

Ich habe immer gehasst, wie ich aussehe. Ich mache mich über Leute lustig, die aussehen wie ich, manchmal ohne drüber nachzudenken, manchmal nur, um mich selbst schlecht zu machen. Daher kommt ein großer Teil meines Hasses, dass ich praktisch kein Selbstbewusstsein habe, speziell was Mädchen und Aussehen und so was betrifft.
HASS! Ich bin voller Hass – und das liebe ich!!
ICH HASSE MENSCHEN, und sie hätten besser Angst vor mir, wenn sie wissen, was gut für sie ist. Yo, ich hasse, und ich nehme an, ich will dass sie es wissen. Ja, ich bin ein Rassist, und ich habe nichts dagegen. Nigger und scheiß Latinos sind selber schuld, aber ich bin auch sehr rassistisch gegenüber White-Trash-Scheiße. Sie verdienen den Hass.
Übrigens kann ich nicht genug kriegen von der Swastika, der SS und dem Eisernen Kreuz. Hitler und seine Jungs haben ein paar Mal Scheiße gebaut, und das hat sie den Krieg gekostet, aber ich liebe, woran sie glaubten und wer sie waren, was sie taten und was sie wollten.
Weißt du was – vielleicht muss ich einfach mal flachgelegt werden.

Ted Mink, Sheriff Jefferson County, Interview, 18.10.2006 (S. 174)

Die Medien und wir, die Polizei, haben Eric Harris und Dylan Klebold so berühmt gemacht. Wir haben sie zu Stars gemacht. Und das war das, was sie immer wollten. Sie haben es sogar selbst in den Videos gesagt. Sie wussten genau, dass sie berühmt werden würden. Und was passiert? Die Medien und wir haben sie berühmt gemacht.

Der Autor fragt in seinem Nachwort, ob es sinnvoll ist, „solche Täter-Dokumente“ zu veröffentlichen, sieht jedoch darin die Voraussetzung, um „im Gestrüpp dieser Texte (…) nach Alternativen, nach Möglichkeiten zu suchen“.

In diesem Sinne ein empfehlenswertes Buch zu einem leider wieder sehr aktuellen Thema.

Anders B., der moderne Timothy McVeigh?

Norwegisches Idyll
Norwegisches Idyll (archiv: chris)

In seinem hier verlinkten Artikel weist Werner Jurga auf die Parallelen zwischen Oslo 2011 und Oklahoma City 1993 hin. In beiden Fällen morden männliche Staatsbürger mit rechtsextremer Gesinnung aus Hass.

Der Osloer Tatverdächtige Anders B., so berichtet die ARD, habe „nationalistische Gesinnung sowie eine ‚antiislamische‘ Haltung offenbart. Der Verdächtige habe Postings auf einer Webseite für christliche Fundamentalisten veröffentlicht”.

Timothy McVeigh, der das Regierungsgebäude in Oklahoma City zerstörte und dabei 168 Menschen tötete, wurde später dafür hingerichtet.  Er sympathisierte ebenfalls mit rechtsextremen und antisemitischen Positionen (Der 9. September stand noch bevor, eine antiislamische Haltung spielte eine noch geringe Rolle).

Dazu kamen bei McVeigh die eher US-typischen Ingredienzien wie Begeisterung für Waffen und  Kriegserfahrung. Laut BBC hat ihn sein Einsatz im Irakkrieg 1992 gelehrt, seine Gefühle auszuschalten. Als wichtiger Katalysator für seinen Hass erwies sich sein zunehmender Hass gegen die US-Regierung.

Ihn prägte die Belagerung und anschließende Zerstörung des Geländes der Protestantischen Sekte Branch Davidians in Waco durch das FBI.  Bei dem Sturm auf das Gelände starben 76 Menschen. McVeigh war voller Hass und wollte Rache.

Anders B., der mutmaßliche Attentäter von Oslo, ist die moderne, europäische Variante von Timothy McVeigh. Er fühlt sich  von Einwanderern und dem Islam bedroht. Die WELT am Sonntag hat seine Interneteinträge ausgewertet: Anders B. will einen christlichen, national geprägten Staat. “ Der entscheidende Kampf sei nicht mehr Kapitalismus gegen Kommunismus, sondern Internationalismus gegen Nationalismus,“ so die Einschätzung des mutmaßlichen Mörders.

Wie tödlich die Verquickung von übersteigertem Nationalismus, Intoleranz und fundamentalistischer religiöser Orientierung sein kann, haben beide Attentate gezeigt.