Priester, Politiker und Dichter: Morgen wird Ernesto Cardenal 90 Jahre alt.

Rückumschlag von: Ernesto Cardenal, Wir sehen schon die Lichter, Wuppertal 1986 (foto: zoom)
Rückumschlag von Ernesto Cardenal, Wir sehen schon die Lichter, Wuppertal 1986 (foto: zoom)

Ich kann nicht beurteilen, wie Ernesto Cardenal Martínez (* 20. Januar 1925 in Granada), ein nicaraguanischer suspendierter katholischer Priester, sozialistischer Politiker und Dichter, von der Geschichte beurteilt werden wird.

Er ist einer der bekanntesten Vertreter der Befreiungstheologie und gilt neben Rubén Darío als einer der bedeutendsten Dichter Nicaraguas. Im Zuge der erfolgreichen Revolution in Nicaragua durch die Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) war er zwischen 1979 und 1987 Kulturminister von Nicaragua.

1994 verließ Ernesto Cardenal die FSLN, aus Protest gegen den seiner Ansicht nach autoritären Führungsstil von Daniel Ortega. Er stellte aber gleichzeitig klar, dass er sich weiterhin als „Sandinist, Marxist und Christ“ verstehe. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernesto_Cardenal

Sicher scheint, dass Cardenal in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einen großen Einfluss auf die westdeutsche Linke hatte und sie teilweise mit dem Linkskatholizismus versöhnen konnte.

Der Niedergang der Nicaraguanischen Revolution (Projektionsfläche vieler Träumereien – „Sandalistas“) und der aufkommende Neoliberalismus ließen das Bild von Ernesto Cardenal in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verblassen.

Vielleicht wäre es in der heutigen Ära der Renaissance der Religionen gar nicht verkehrt, lesend zu prüfen, ob seine Lyrik und die Befreiungstheologie die Zeitgeschichte überleben werden.

In der Sendung „Religionen“ auf Deutschlandradio Kultur ist gestern ein lesens- und hörenswerter Beitrag über Ernesto Cardenal erschienen: Ernesto Cardenal wird 90 – Priester, Lyriker, Revolutionär

Zum Schluss, um eine Idee vom Denken des Nicaraguanischen Priesters zu bekommen, ein paar Zitate aus Ernesto Cardenal, Das Evangelium der Bauern von Solentiname, Bd. 1, Wuppertal 1976:

Wenn wir nicht die Wahrheit sagen, dann betrügen wir – oder wir beuten andere aus (S. 19)

Wir Armen sollen von den Reichen befreit werden, und die Reichen von sich selbst, das heißt, von ihrem Reichtum. (S. 21)

… die Sünde ist der Egoismus […] Die Reichen, die leiden nie. (S. 42)

Christus dagegen sagt, das Wichtigste sei das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit oder das Reich der Gerechtigkeit, was genau dasselbe ist. Er sagt nicht, wir sollten zuerst nach einer religiösen Bekehrung trachten, alles andere würde uns von selbst zufallen. Es ist nämlich eine geschichtliche Tatsache, dasß religiöse Bekehrungen keineswegs das System der Ausbeutung abschaffen. Im Gegenteil, die Religion hat nur allzuoft dazu beigetragen, daß noch mehr ausgebeutet wurde. (S. 148)