Sonntagmorgen – Kopf aufräumen, Schwimmen und Ballaballa-Balkan

Gepflegte Langeweile in Winterberg, Kurpark mit Oversum: Teletubby-Land (foto: zoom)

Heute räume ich das Dachstübchen auf: Klimakrise, Inflation, Wohnungsnot, soziale Frage, Ukraine-Krieg, USA, Ballaballa Balkan… alles muss raus. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint – ein unverschämtes Sommerwetter Anfang Juni.

Seit gestern hat das Freibad in Siedlinghausen geöffnet. Freibäder werden immer kleiner oder weniger und sollten kräftig unterstützt werden. Daher habe ich dieses Mal eine Familiensaisonkarte gekauft. Weil Winterberg selbst sein Freibad vor Jahr und Tag durch eine Ferienhaussiedlung ersetzt hat, ist Siedlinghausen die einzige Möglichkeit zum Bahnenschwimmen an der frischen Luft im Stadtgebiet. Es sei denn, ihr wollt im Hillebachsee (Niedersfeld) herumplanschen.

Wenn ich geschwommen bin und die schlechten Gedanken verbannt habe, werde ich mir die neue Folge des Ballaballa-Balkan Podcasts „für Polemik und Palaver vom Ballaballa-Balkan […] mit dem grimmigen „Kroaten“ Danijel Majic und dem Nationalismusbehinderten Krsto Lazarevic“[1] anhören.

Denn nichts ist unaufgeräumter als der Balkan, zumindest in meiner Vorstellung, und das ist schlecht.

Das Bild vom Kurpark in Winterberg hilft mir, mich in einen Zustand gepflegter Langeweile zu versetzen.

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Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=r9Of8LJne18
Ähnlichkeiten des Teletubby-Landes mit dem Kurpark in Winterberg sind rein zufällig.

Carpe Diem – den Sonntag überstehen wir.

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[1] Das c mit Akzent in den beiden Nachnamen kann ich in WordPress leider nicht darstellen.

Kurz gebloggt: Julie Michelle Brustmann von der Mobilen Flüchtlingshilfe im Rock Café Meschede

Julie Michelle berichtet von den Hilfsaktionen in den Flüchtlingslagern. (foto: zoom)
Julie Michelle berichtet engagiert von ihren Hilfsaktionen in den Flüchtlingslagern. (foto: zoom)

Im November vorigen Jahres hatte ich hier im Blog über die Projekte von Julie Michelle berichtet.

Die Flüchtlingskrise hätte sie von Anfang an berührt, sagte Julie damals. Sie könne nicht verstehen, dass Menschen in Europa Hunger leiden und bei immer kälter werdenden Temperaturen im Freien nächtigen müssen. Und das in Europa, auf dem Kontinent, der maßgeblich für Wohlstand stehe.

Jeder Mensch sei gleich viel wert -unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion- und es wäre wünschenswert, dass dies wieder etwas mehr in den Vordergrund rücke. Sie hätte gewusst, dass die europäischen Regierungen auf solch einen Ansturm nicht vorbereitet gewesen wären, die Lage anfänglich unterschätzt hätten. Die Flüchtlinge bräuchten unbürokratische und schnelle Hilfe.  Sie wolle mit ihrer Gruppe „Mobile Flüchtlingshilfe“ aktiv werden.

„Wow!“, habe ich damals gedacht. Geht das? Kann man das bringen, als junger Mensch knapp über 20, vernetzt über Facebook und andere soziale Medien? Ohne Vereine, Parteien und Organisationen?

Am vergangenen Samstag haben wir uns erneut getroffen, auf einer Informationsveranstaltung der Falken im Rock Café Meschede.

Julie nahm uns mit auf eine Reise durch die Flüchtlingscamps.

Eindrucksvolle Routen, selbstorganisierte Hilfe für die Flüchtlinge.
Eindrucksvolle Routen, selbstorganisierte Hilfe für die Flüchtlinge.

Das Panorama reichte von Folter in Bulgarien hin zu Flüchtlingen, die in Busse geknüppelt werden. Und dann wieder positiv, Flüchtlinge, die dankbar für Essen, Matrazen, Schlafsäcke und Zelte sind.

„Jede Nacht sind wir in Idomeni die Gleise hoch und runter gelaufen, um zu sehen, wer Schlafsäcke und Zelte brauchte.“

Menschen im Schlamm. Durchnässte Zelte, verfaulte Matrazen, 20 Dixie-Klos für Tausende.
Menschen im Schlamm. Durchnässte Zelte, verfaulte Matrazen, 20 Dixie-Klos für Tausende. Frankreich. Calais.

Die Spenden haben Julie, Christian und Vera über Facebook-Aufrufe bekommen. Wenn es dringend war, erhielten sie bis zu 9000 Euro pro Woche für Hygieneartikel und Essen.

Die Entscheidungen, was für das Geld gekauft wurde, fielen nach Bedürfnislage vor Ort: „Unsere Essenspakete waren manchmal super-süß“, berichtet Julie. Wir mussten das Geld für viele Menschen ausgeben, also lieber schlecht und viel als vegan und teuer.“

Die Flüchtlinge wollen nicht zurück in den Krieg.
Die Flüchtlinge wollen nicht zurück in den Krieg.

Wie wird es weitergehen nach dem Deal mit der Türkei?

„Sie werden neue Wege finden“, meint Julie. Die geschlossenen Grenzen verlagerten nur das Problem. „Sie werden kommen, auch über das Meer, und es wird wieder Tote geben.“

Ende April will die Mobile Flüchtlingshilfe wieder Richtung Griechenland. „Wenn es Idomeni noch gibt, dann dahin.“

Die Flüchtlinge haben es geschafft, die Helfer warten.
Die Flüchtlinge haben es geschafft, die Helfer warten.

Die Mobile Flüchtlingshilfe plant, einen Verein zu gründen. Schön wäre auch ein eigener Bulli. Die Website ist geplant, aber vor lauter Hilfsaktionen kämen sie einfach nicht dazu, sich um die „Homebase“ zu kümmern.

Solange und bis dahin läuft alles hier zusammen:

https://www.facebook.com/MobileFluechtlingshilfe

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Julie, Vera und Christian organisieren seit Oktober 2015 Hilfsfahrten zu den Flüchtlingsrouten entlang der EU Grenzen.

Spendenkonto:
Julie Michelle Brustmann
IBAN: DE 88 4165 1770 0000 5933 01
BIC: WELADED1HSL
Verwendungszweck: KONVOI

Gesucht: Unterstützung und Spenden für die „Mobile Flüchtlingshilfe“ – junge Olsbergerin will Flüchtlinge auf dem Balkan unterstützen.

Julie will und wird es schaffen: Hilfskonvoi zu den Flüchtlingen auf dem Balkan(foto: zoom)
Julie will und wird es schaffen: Hilfskonvoi zu den Flüchtlingen auf dem Balkan (foto: zoom)

„Wenn dir nach mehreren Tagen Marsch durch das südöstliche Europa das Geld ausgeht, wenn du nichts mehr zu essen und zu trinken hast und für die kalte regnerische Nacht kein Dach über deinem Kopf findest … worauf hoffst du dann?

Auf Hilfe!“

Die junge Olsbergerin Julie Michelle Brustmann ist gemeinsam mit Christian Ludwig (Würzburg) und Vera Hoxha (Bochum) aktiv geworden und hat das Projekt „Mobile Flüchtlingshilfe“ gegründet.

Bis zum 21. November 2015 wollen die drei jungen Leute einen Kleintransporter organisieren, ihn mit Zelten, Isomatten, Schlafsäcken sowie Lebensmitteln füllen und sich dann einem der vielen Hilfskonvois Richtung Balkan anzuschließen.

Am 23. November soll es losgehen, fünf Tage später wollen sie wieder zu Hause sein.

Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie eine Crowdfunding-Seite eingerichtet, die Presse informiert, und versuchen momentan Sponsoren und Spender zu mobilisieren.

Wir treffen uns am Samstag in der Cafeteria des Josefsheims in Bigge. „Wieviel Geld braucht ihr?“, frage ich sie.  Die Antwort kommt ohne zu zögern: „Kalkuliert haben wir 2500 Euro, davon ungefähr die Hälfte für das Auto, Benzin und Maut, die andere Hälfte für die eigentlichen Hilfsgüter, Lebensmittel, Wasser, Rettungsdecken …“

Julie spricht vom Winter, der jetzt kommt. Dass die Not auf der Flüchtlingsroute jetzt immer größer werde. „Es wird immer schlimmer, es wird kalt.“

Nach der Schule habe sie als Assistentin für körperbehinderte Menschen in Heidelberg gearbeitet, im Sommer jedes Jahr Festival-Jobs gemacht. Da habe sie auch den 22-jährigen Christian Ludwig kennengelernt, Dozent für Erste Hilfe und Notfallmaßnahmen.

Als dritte im Bund sei seit Freitag Vera aus Bochum dazu gekommen. Die passe gut ins Team, weil sie im Marketing gearbeitet habe.

Die Flüchtlingskrise hätte sie von Anfang an berührt, sagt Julie. Sie könne nicht verstehen, dass Menschen in Europa Hunger leiden und bei immer kälter werdenden Temperaturen im Freien nächtigen müssen. Und das in Europa, auf dem Kontinent, der maßgeblich für  Wohlstand stehe.

Ihre Informationen tauschen viele Hilfskonvoi-Gruppen, so auch Julie und Christian, über Facebook aus. Allein die Kölner Gruppe „Support for Refugees on the Run“ habe inzwischen 2500 Mitglieder.

In ihrem Informations-Flyer schreiben Julie und Christian:

„Jeder Mensch ist gleich viel wert -unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion- und es wäre wünschenswert, dass dies wieder etwas mehr in den Vordergrund rückt. Wir wissen, dass die europäischen Regierungen auf solch einen Ansturm nicht vorbereitet waren, die Lage anfänglich unterschätzten und nun versuchen ihr Bestes zu geben. Doch ist das momentan augenscheinlich nicht genug. Diese Menschen brauchen jetzt unbürokratische und schnelle Hilfe. Das haben wir erkannt und wollen aktiv helfen!“

Inzwischen gebe es für die Aktion Helfergruppen in Schweinfurth, Würzburg und im Sauerland.

„Die großen offiziellen Hilfsorganisationen mag ich nicht“, sagt Julie bestimmt. Da gehe zu viel Geld in den Verwaltungsapparat. Ich frage sie, warum ich ausgerechnet ihr trauen solle. Wer kontrolliere, was mit den Spenden passiere?

„Alle Kontoauszüge werde ich auf Facebook posten“, sagt Julie, alles solle völlig transparent sein.

Wir haben uns fast eine Stunde unterhalten und ich traue Julie die Balkanfahrt mit Christian und Vera zu, frage zum Schluß:

„Was ist, wenn ihr das Geld nicht zusammenbekommt?“

„Dann strecken wir es vor!“

Hier geht es zur Facebook-Seite „Mobile Flüchtlingshilfe“:
https://www.facebook.com/MobileFluechtlingshilfe

Spendenseite auf Better Place:
https://www.betterplace.org/de/projects/35204

Wer direkt auf  des Spenden-Konto von Julie überweisen möchte:
> Julie Michelle Brustmann
> IBAN: DE 88 4165 1770 0000 5933 01
> BIC: WELADED1HSL
> Verwendungszweck: KONVOI

Gastbeitrag: Wie die Wirtschaftsflüchtlinge den Syrienkrieg befeuern

Er hörte schon vor einigen Wochen eine Geschichte über Flüchtlinge, Islam und den Balkan, die sich sehr interessant anhörte und ein Grundmuster des deutschen Flüchtlingsdiskurses in Frage zu stellen geeignet ist. Denn in Deutschland wird seit einiger Zeit breit für die Akzeptanz von Kriegsflüchtlingen – insbesondere aus Syrien – als legitimen Schutzsuchenden getrommelt.

(Ein Gastbeitrag, heute zuerst bei Erbloggtes erschienen.)

Guter Flüchtling, böser Flüchtling

Man kann die Bereitschaft zu ihrer Aufnahme – trotz fehlender Asylberechtigung – als common sense ansehen. Infratest dimap ermittelte zuletzt 96% Zustimmung für diese Flüchtlingskategorie:

Kriegsflüchtlinge top, Armutsflüchtlinge flop

Die Kehrseite der Medaille ist, dass zugleich eine andere zahlenmäßig gewichtige Flüchtlingskategorie in der Öffentlichkeit delegitimiert wird: Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge werden von der Bundesregierung über die Leitmedien bis in die Fußgängerzonenumfrage um so düsterer gezeichnet, je stärker Kriegsflüchtlinge strahlen sollen. Gespielt wird das Stück: Guter Flüchtling, böser Flüchtling.

Die Darstellung von faulen Schmarotzern und Sozialstaatsbetrügern, die nichts anderes wollen als sich aus Steuergeldern zu bereichern, besagt, dass sogenannte Westbalkan-Staaten ihre Arbeitslosen auf Deutschland, speziell Bayern, abwälzen und ihnen damit den hochverdienten anstrengungslosen Wohlstand streitig machen, den die Mitgliedschaft in der regionalen Einheitspartei gewährt. Jedenfalls, so die CSU, müssten Westbalkanbewohner umgehend und ohne Einzelfallprüfung abgeschoben werden, sobald sie die Grenze zum Königreich der Himmel zur Vorstufe zum Paradies – “illegal” – überschritten haben. Unbeachtlich, dass etwa die Bürger von Bosnien und Herzegowina oder Albanien drei Monate jedes Halbjahres visumfrei in der Europäischen Union Urlaub machen können[1]: Sie müssen weg.

Bevölkerungsstrukturen des Westbalkan

Ethnische Zuordnung des Westbalkans laut CIA, 2008

Die Zuordnung von Staatsbürgerschaft, Volkszugehörigkeit, Abstammung, Religion und Wohnsitz ist auf dem Westbalkan nicht unproblematisch. Weil das den jeweiligen Führern mißfiel, waren “ethnische Säuberungen” im 20. Jahrhundert ein beliebtes Mittel der Unmenschlichkeit. Für das Verständnis der folgenden Geschichte ist primär wichtig, dass auf dem Westbalkan ein recht großer Bevölkerungsanteil muslimischen Glaubens ist, und zwar insbesondere in Albanien, in Kosovo und in Bosnien und Herzegowina, etwas weniger in Mazedonien und Montenegro.

Albaner in Europa, CC-BY 3.0 Albopedian at it.wikipedia

Zudem handelt es sich dabei um Länder mit starker Auswanderungs-Geschichte: Die Mehrheit aller Albaner beispielsweise lebt außerhalb von Albanien und Kosovo, bei den Bosniern ist es ähnlich. Unter bosnischen Muslimen, seit 1993 wieder Bosniaken genannt, wurden zur Zeit des Bosnienkrieges, in dem der Staat Bosnien und Herzegowina in seiner Existenz und die bosnischen Muslime an Leib und Leben bedroht waren, Bande in islamische Länder, und wohl auch zu dschihadistischen Organisationen geknüpft. Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel über “Mudschahedin im Bosnienkrieg”.

Gebiete mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit laut Wikipedia, CC-BY-SA User:Scooter20
Gebiete mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit in Europa laut Wikipedia, CC-BY-SA User: Scooter20

Man kann es wohl nicht als Zufall abtun, dass die Länder Europas, in denen es Gebiete mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit gibt, die schlechtesten Chancen haben, in die EU aufgenommen zu werden. Durch diese Region kommen nun Syrienflüchtlinge, und die ehemaligen Ländereien des Habsburgerreiches bemühen sich, ihrem einstigen imperialen Anspruch als “christliches Bollwerk” gegen die “Türkengefahr” weiter gerecht zu werden. Bei vor Bürgerkrieg Fliehenden mag man dabei noch Mitleid haben. Aber Flüchtlinge vom Westbalkan selbst sind den christlichen Landen ein Graus – die eingangs zitierte Umfrage zeigt es ja.

Bosnienmission – 20 Jahre nach dem Bosnienkrieg

Wenn man sich dieser Tage mit Bosniaken unterhält, kann man folgende Geschichte erzählt bekommen:

In Bosnien werde eigentlich eine europäisierte Version des Islam gepflegt. Man trinke Alkohol, trage hingegen kaum Kopftücher. Aber etwa seit dem Bosnienkrieg bemühten sich strenggläubige muslimische Gruppen, insbesondere Wahhabiten, um Einfluss auf die Muslime Bosniens. Sie betrachteten diese teilweise als Ungläubige, die (re)missioniert werden müssten. Bosnien sei arm, der saudi-arabische Wahhabitismus aber reich. Also richteten Wahhabiten mit viel Geld aus Saudi-Arabien – und von Wahhabiten aus Westeuropa – Missions-Zentren in Bosnien ein. Dort machten sie Bosniaken Angebote, denen gemeinsam sei, dass diese im Gegenzug wahhabitische Lehren anerkennen sollten.

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage erschien es für manche Bosniaken als die beste Möglichkeit, ihre Familie zu ernähren, sich solchen Wahhabiten anzunähern. Eigentlich seien ja viele bosnische Muslime in Folge des Bosnienkriegs kriegsmüde. Aber zu den Predigten der Wahhabiten gehörte auch die Pflicht zum Dschihad. Als Wahhabiten vor einigen Jahren Angebote zu ökonomischer Unterstützung prekär lebender muslimischer Familien machten, wenn man sich im Gegenzug zur Pflicht zum Heiligen Krieg bekenne, hätten manche Bosniaken dies als eher theoretische Verpflichtung eingeschätzt. Die Taliban seien keine Wahhabiten, und im Irak gegen die USA (und für Saddam Hussein) zu kämpfen, habe damals auch nicht als heilige Pflicht gegolten.

Als aber der “Islamische Staat” (IS) in Syrien und im Irak Fortschritte machte, forderten die Wahhabiten von ihren Gemeindemitgliedern die Erfüllung ihrer Pflicht zum Dschihad ein: Der Druck, nach Syrien zu gehen und dort zu kämpfen, sei immer weiter erhöht worden. Dabei schreckten die Wahhabiten auch vor Gewalt nicht zurück, weil Muslime, die nicht ihren angeblichen Pflichten nachkämen, ebenfalls als zu bekämpfende Ungläubige anzusehen seien.

Was an dieser Geschichte wie genau stimmt, lässt sich von hier aus schwer sagen. Aber schon einige Jahre alte österreichische Zeitungsreportagen widersprechen solchen Darstellungen zumindest nicht: Wenn im Februar 2010 rund 600 bosnische Polizisten mit schwerem Gerät ein ganzes Dorf einnehmen mussten und davon sprachen, “damit ein Terrorcamp zerstört” zu haben, das sich von der Außenwelt abgekapselt habe, dann erinnert das frappierend an christliche oder sonstige Erlösungssekten, die besonders in den USA immer wieder durch Abschottung und Gewalt gegen den Staat Schlagzeilen machen.

Bosniaken im Dilemma

Wie stellt sich nun die Entscheidungssituation für Bosniaken in wahhabitischen Kreisen dar? Im eigenen Umfeld können sie mit ihren Familien nicht bleiben, da sind die Wahhabiten, die die Männer in den Krieg schicken wollen, und die wissen, wo sie wohnen. Umzug in Bosnien ist auch nicht so eine tolle Option: Die wirtschaftliche Lage ist nicht berauschend, und groß genug, um sich da verstecken zu können, ist das Land auch nicht. Und 600 Polizisten – soviele braucht man wohl, um sich gegen bewaffnete Wahhabitengruppen zur Wehr zu setzen – gibt es auch nicht überall. Also Auswandern – aber wohin? Die EU empfängt Bosniaken nicht gerade mit offenen Armen. In muslimische Länder? In der Türkei herrscht doch auch ein Kulturkampf um den wahren Islam, nicht ganz ohne Sympathien für die frommen Syrienkämpfer gegen Assad – und gegen die Kurden.

Spitzt der Druck in der Heimat sich weiter zu, bleiben letztlich nur noch zwei Optionen übrig: Entweder man flieht mit seiner Familie in die EU – oder man gibt dem wahhabitischen Drängen nach und zieht nach Syrien in den Dschihad. Die Familie daheim wird dann wahrscheinlich von den Wahhabiten unterstützt, auch nach dem Märtyrertod im heiligen Krieg.

Welche dieser beiden Optionen die EU-Flüchtlingspolitik bevorzugt, ist offensichtlich: “Wirtschaftsflüchtlinge” müssen weg, das sind die bösen “Schmarotzer”, Bosnien ist “sicher”. Deutschland setzte das Land im November 2014 auf die Liste “Sicherer Herkunftsstaaten”, um Asylanträge von dort noch schneller als “offensichtlich unbegründet” ablehnen zu können. Vier Wochen nach Antragstellung sei man wieder zurück in Bosnien.[2] Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) will man sicherstellen, dass die Botschaft “Asylantrag in Deutschland aussichtslos” auch auf dem Westbalkan ankommt, organisiert daher sogar Werbekampagnen vor Ort:

“Denn es gehe bei der Liste der sicheren Herkunftsstaaten gar nicht so sehr um die Verfahrensvereinfachung in Deutschland, sondern um die Signalwirkung in Richtung der Herkunftsländer, heißt es dort. Gerade die Symbolpolitik ist also gewollt. Ziel ist es, in den Ländern möglichst griffig die Botschaft zu verbreiten, dass sich ein Asylantrag in Deutschland nicht lohne.”[3]

Aktuell will die EU-Kommission die Liste “sicherer Herkunftsstaaten” EU-weit vereinheitlichen und dabei gleich den ganzen Balkan für sicher erklären.[4] In der EU lautet das Motto: Abschiebung nach Bosnien, keine weiteren Fragen. In Deutschland gilt das dann künftig auch für Albanien, Montenegro und Kosovo.[4]

Gottes Krieg und Deutschlands Beitrag

Es sind also nicht nur die Waffenlieferungen, mit denen Europa (allen voran Deutschland) die Kriege und Bürgerkriege der Welt befeuert. Auch für den Zustrom an Kämpfern leistet die europäische Politik ihren Beitrag – und produziert auf diesem Weg weitere Kriegsflüchtlinge. Und was mit einem Bosniaken passieren würde, der aus den Reihen des IS desertiert und es bis vor die Tore der Europäischen Union schafft, mag man sich gar nicht ausmalen.

Wie sich die aktuelle Stauung von Flüchtlingen auf dem Balkan, wo die Grenzen abgedichtet werden sollen, auswirken wird, ist kaum abzusehen, ebensowenig was etwa in Bosnien passiert, wenn der Hauptstrom der Flüchtlinge von EU-Ländern wie Ungarn und Kroatien dorthin abgelenkt sein wird. Wie werden wahhabitische Missions- und Rekrutierungsorganisationen dann agieren? Und wie würde sich eine saudische Finanzierung von Flüchtlingslagern um Syrien herum auswirken, die deutsche Politiker nun großtönend fordern? Was wären die Nebenfolgen, welche missionarischen Ziele würden von welchem Erfolg gekrönt?

tl;dr: Indem Europa verzweifelte “Wirtschaftsflüchtlinge” vom Westbalkan abweist, versorgt es den IS in Syrien mit neuen Rekruten, die dann weitere Kriegsflüchtlinge produzieren.

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