Mexico: Reise zu einem mythischen Ort – Acapulco

Klippen-Chicos im Abendlicht vor dem großen Absprung. (fotos: koerdt)
Klippen-Chicos im Abendlicht vor dem großen Absprung. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der 14. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute sehen wir bezaubernde  junge Männer und lesen grausige Geschichten über die Vergangenheit eines von Mythen umwobenen magischen Ortes. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

!Hola a todos!

 

Wozu sind Mythen da? Richtig, um sie zu zerstören. Wenn es sich um mythische Orte handelt, fährt man dorthin, um festzustellen, dass das alles gar nicht so magisch, toll oder wie auch immer superlativisch ist: Acapulco.

Acapulco ist die mit Abstand hässlichste Stadt, die mir bislang in Mexiko unter die Augen gekommen ist. Acapulco, war das keine Verheißung in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts?

Der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie
Geht man heute durch das Zentrum, stellt man fest, dass das letzte Jahrhundert wahrlich lange zurückliegt. Irgendwo ist immer ein bisschen Verfall, der Gestank von Urin setzt sich in der Nase fest. Flaniert man den Malecon entlang, fällt der Blick auf die gegenüberliegende Seite der Bucht: Dort reihen sich die Hotelhochhäuser, in denen sich die US-Amerikaner und die Europäer verbarrikadieren. Mit den Einheimischen wollte man sowieso nie etwas zu tun haben, denn der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie – man nannte Acapulco auch das Süd-Hollywood. Der Tourismus suchte 1959 nach dem Sturz Batistas ein neues Tropenparadies, da Kuba nun nicht mehr infrage kam. Teddy Stauffer, ein Schweizer Swing-Musiker, hatte es bereits 1946 in das Fischerdorf verschlagen und durch seine Kontakte bzw. Affären mit einigen Hollywoodstars schaffte er es, Stars und Starlets an die Pazifikküste zu locken.

Die Bucht von Acapulco - in diesen Hochhäusern verstecken sich die US-Amerikaner und Europäer vor den Einheimischen.
Die Bucht von Acapulco – in diesen Hochhäusern verstecken sich die US-Amerikaner und Europäer vor den Einheimischen.

Warum Johnny Weissmüller nicht von den Klippen sprang
Johnny Weissmüller ließ sich gleich ganz hier nieder; das Hinterland war ihm bereits vertraut, da einige Tarzanfilme in der dortigen Flora gedreht wurden und in denen er seinen in Jodelwettbewerben trainierten Schrei zum Besten gab. Mehrmals musste er davon abgehalten werden von dem Felsen La Quebrada zu springen. Dort, wo die weltberühmten sogenannten Clavadisten (Klippenkunstspringer) über 30 Meter gekonnt in die Tiefe bzw. dortige Untiefe (das Wasser hat dort nur eine Höhe zwischen 3 und 4 Metern) des Ozeans eintauchen. Diese drahtigen, jungen Chicos stehen meist in einer Familientradition. Schon Papi und Opi waren Klippenspringer und so sind die Jungs seit Kindesbeinen mit dem Felsen, der Bucht und der Brandung vertraut (was bei Herrn Weissmüller weiß Gott nicht der Fall war). Heute fällt auf, dass bei den Vorführungen fast ausschließlich einheimische Touristen dem Spektakel beiwohnen. Denn wenn es Ausländer überhaupt noch nach Acapulco zieht, dann nur nach den zwei D´s: „Dorado“ und „Diamante“.

Das ist nicht mein neuer Chico-Harem, sondern die mutigen, drahtigen Jungs, die sich familientraditionsgemäß von dem Felsen "La Quebrada" in Acapulco kunstvoll in die Tiefe stürzen. (fotos: koerdt)
Das ist nicht mein neuer Chico-Harem, sondern die mutigen, drahtigen Jungs, die sich familientraditionsgemäß von dem Felsen „La Quebrada“ in Acapulco kunstvoll in die Tiefe stürzen.

Einheimische fluchen auf die Drogenmafia und Kriminalität
An diesen Küstenabschnitten stehen die Luxushotels und es besteht kein Grund, den Hotelkomplex zu verlassen. Unterhält man sich ‚mal mit den Einheimischen, so fluchen sie auf die Drogenmafia und deren Kriminalität, die es in den letzten 15, 20 Jahren geschafft hat, weitgehend den Tourismus für die zahlungskräftigen Ausländer zu zerstören. Erst Anfang April ist ein großes Warengeschäft von den Narcotraficantes in Brand gesteckt worden, inklusive seiner Kunden. Wöchentlich gibt es Tote und nach wie vor wird davor gewarnt, sich abends im Zentrum aufzuhalten. Viel zu sehen bekommt man sowieso nicht im Zentrum, höchstens die Festung Fuerte de San Diego erinnert daran, dass Acapulco der Umschlagplatz für den Handelsverkehr zwischen China, den Philippinen und Spanien war. Hier landeten dann auch die ersten Mangos und Zimt auf mexikanischem Boden. Der blühende Handel kam aber schon im 18. Jahrhundert zum Erliegen, da England die Handelsvorherrschaft im südostasiatischen Raum übernahm.

Die Strandidylle von Pie de la Cuesta
Wie weit weg kommt einem dagegen die Strandidylle von Pie de la Cuesta vor. Der Ort liegt nur 10 Kilometer westlich von Acapulco, aber atmosphärisch kommt er einem Lichtjahre entfernt vor. Die Brandung ist stark, die Wellen meterhoch und somit hat sich der Ort nie als Badeparadies durchsetzen können. So ist – neben dem Tosen der Wellen – Ruhe eigentlich das vorherrschende Geräusch. Strandverkäufer bieten Mango am Stiel mit Chili an, ab und an wagt sich jemand in die Wellen vor, einige, kleine Restaurants bieten frischen Fisch an. Teils sind die Gebäude an der Strandseite verfallen, die zeigen, dass die einstige Attraktivität Acapulcos nicht bis hierher strahlte.

Pelikane und Marabus
Überquert man die Hauptstraße öffnet sich auf der anderen Ortsseite die Lagune Coyuca. Dort kann man sich mit einem Bötchen zu einer Insel schaukeln lassen, unterwegs bekommt man mit etwas Glück die einheimische Fauna zu Gesicht: Pelikane oder Marabus.

Für eine Yacht und Champagner hat es nicht gereicht, dafür aber fürs Abendessen (links im Bild an der Angel) - kleine Schlauchbootpartie mit Dosenbier auf der Lagune de Coyuca. Dort, wo Rambo bereits ein paar Vietnamesen und Russen zur Strecke gebracht hat.
Für eine Yacht und Champagner hat es nicht gereicht, dafür aber fürs Abendessen (links im Bild an der Angel) – kleine Schlauchbootpartie mit Dosenbier auf der Lagune de Coyuca. Dort, wo Rambo bereits ein paar Vietnamesen und Russen zur Strecke gebracht hat.

Hier wurde Rambo II gedreht
Der Bootsführer versäumt es in der Regel auch nicht, auf das kulturelle Highlight hinzuweisen, das die Lagune zu bieten hat: schließlich wurde hier 1985 Rambo II gedreht. Der schon damals oscargekrönte Sylvester Stallone konnte an diesem Ort zusammen mit seinem Drehbuchautoren, dem später oscargekrönten James Cameron, ideale Bedingungen vorfinden, um die krude Geschichte zu erzählen, wie der stoisch-stumpf bemimte John Rambo US-Kriegsgefangene aus den Klauen der Vietnamesen (die übrigens im Film japanische Uniformen aus dem Zweiten Weltkrieg tragen) und Sowjets befreit, heldenhaft mit Guerillataktik und archaischer Bewaffnung – freche filmische Umkehrung der Tatsachen zur Verfestigung der reinwaschenden US-Stereotype der Kriegsgräuel an den Vietnamesen. Pie de la Cuesta bietet nämlich nicht nur Mangrovenwälder, sondern auch eine Militärbasis, die für die Dreharbeiten genutzt werden durfte.

Eliminierung politischer Gegner – in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen
Was der Bootsführer nicht erwähnt, ist, wofür die Militärbasis ein Jahrzehnt vor den Dreharbeiten genutzt wurde: nämlich zur Eliminierung politischer Gegner. Mario Arturo Acosta Chaparro Escápite ist ein mittlerweile pensionierter Brigadegeneral, der in den 70er Jahren Leiter der Policía Judical (der politischen Polizei) war (zunächst in Pie de la Cuesta, anschließend in dem Bundesstaat Guerrero). In dieser Zeit verschwanden Frauen und Männer, die von der Regierung des Bundesstaates als Guerilleros betrachtet wurden. Ziel war es die Asociación Cívica Nacional Revolucionaria (Gewerkschaft der revolutionären nationalen Zivilisten) und die Partido de los Pobres (Partei der Armen) zu zerschlagen. Ob diese Verschwundenen überhaupt in einem Zusammenhang mit diesen Organisationen standen, war nicht immer geklärt. Klar ist jedoch, dass sie von Acosta auf der Militärbasis erschossen und anschließend in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen wurden. In dem Zeitraum von 1975 bis 1979 sind fast 150 Fälle dokumentiert.

Militärbasis genutzt,  um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln
Des Weiteren nutzte Acosta die Militärbasis um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. Der Schmuggel flog bei einem Tankstopp im Norden von Mexiko auf; der Pilot gestand, dass es zahlreiche Flüge von der Militärbasis aus gegeben hätte. Auch dieser Pilot verschwand spurlos. – 2002 wurde Acosta zusammen mit einem Wegbegleiter zu 15 Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Mal in der Geschichte Mexikos, dass so hochrangige Militärs zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Acosta wurde aber nicht für das Verschwinden bzw. die Ermordungen der „Guerilleros“ verurteilt, sondern wegen „Vergehen gegen die Gesundheit“. Der Prozess wegen der „Verschwundenen“ (Desapericidos) wurde wegen Verfahrensfehler aufgehoben, und Acosta konnte bereits 2007 das Gefängnis wieder verlassen und erhielt alle Rechte zurück. Und wahrscheinlich damit auch eine fette Pension.

MexikanischesMilitär nicht der Hort der Menschenrechte
Bis heute ist die Militärbasis Sperrgebiet. Hier endet dann der Strandspaziergang, man blickt die beiden jungen Soldaten an, die einen freundlich winkend darauf hinweisen, dass man nicht weitergehen dürfe, und hofft, dass die unmenschlichen Grausamkeiten der Vergangenheit angehören. Dennoch gilt bis heute das mexikanische Militär nicht als Hort der Menschenrechte.

Ich hoffe, euch geht es allen gut und ich höre ‚mal wieder etwas von euch!

Muchos saludos desde México,

Marion