„Politik: Das Leben zum Guten wenden“ – Im Internet ist die Biographie der streitbaren katholischen Pazifistin Irmgard Rode (1911-1989) erschienen.

Irmgard Rode (foto: buerger)
Irmgard Rode (fotoarchiv: buerger)

Im neoliberalistischen Kriegszeitalter hat man der jungen Generation – im Zuge eines allgegenwärtigen und unerträglichen „Blablablas“ – eingeimpft, Pazifisten wären passive „Weicheier“ und sentimentale Träumer.

(Gastbeitrag von Peter Bürger)

Seit geraumer Zeit versuche ich, über heimatgeschichtliche Beiträge für den nahen Raum wieder andere Zugänge zu den Friedensarbeiterinnen und Friedensarbeitern freizulegen (global-lokal).

Hier zeigt sich, dass pazifistische Nonkonformisten schon zu Beginn der Weimarer Republik als einsam dastehende Realisten vor der braunen Gefahr, dem Rassenhass und einem neuen Krieg gewarnt haben. Während sich dann eine große Mehrheit 1933 feige den Mitläufern (und Tätern) zugesellte, bewiesen insbesondere viele Pazifisten Standvermögen und Mut. Gar nicht untypisch ist auch die nachfolgend vorgestellte Nachkriegs-Biographie, in der Pazifismus und aktive Mitgestaltung konkreter Lebensräume Hand in Hand gehen.

Peter Bürger (Bearb.): „Das Leben zum Guten wenden“ – Über die Meschederin Irmgard Rode (1911-1989), zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Friedensbewegung im Sauerland. = daunlots. internet-beiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 75. Eslohe 2015. [146 Seiten]
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2075.pdf

Irmgard Rode (1911-1989) war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vielleicht die bekannteste Frau in Meschede (Sauerland). Viele sahen in ihr die Verkörperung einer Legende der Menschlichkeit. Schaut man sich im Rückblick die Zeugnisse genauer an, so kommt an einigen Stellen auch die Kehrseite des legendären Rufes zum Vorschein. Die entschiedene Parteinahme dieser Frau zugunsten der Schwachen, Benachteiligten und Opfer von Gewalt ist in der sauerländischen Kleinstadt keineswegs immer nur auf Zustimmung gestoßen.


Vor dreißig Jahren wollte eine Mescheder Schülerin im Interview von Irmgard Rode wissen, ob das vielfältige soziale Engagement in ihrem Lebensweg etwas Politisches gewesen sei. Die Antwort von damals enthält in knapper Form das Programm eines öffentlichen Wirkens, das in die üblichen Schablonen von Erfolg und Lagerdenken einfach nicht hineinpasst: „Ja, ja, ich fühlte mich immer getrieben, politisch aktiv zu sein, nicht parteipolitisch, sondern in dem Sinne, das heißt, Politik ist eine Verpflichtung, das Leben zum Guten zu wenden und in diesem Sinne etwas zu tun.“

Pazifistische Elternhäuser

Irmgard Rode, geb. Beckmann, stammte genauso wie ihr Ehemann Dr. Alfons Rode (1901-1987) aus einer katholischen und pazifistischen Lehrerfamilie in Münster-Kinderhaus. Ihr Vater Joseph Beckmann (1886-1959) war schon während der Weimarer Republik im Friedensbund deutscher Katholiken aktiv und nahm nach 1945 alte linkskatholische Kontakte – u.a. zu Pater Franziskus Stratmann OP, Nikolaus Ehlen, Josef Rüther und Walter Dirks – wieder auf.

Schon am 12. Mai 1947 trat Beckmann, Ehrenmitglied der DFG Münster, erneut der „Internationale der Kriegsgegner“ bei (der IdK-Mitgliedsausweis von Irmgard Rode trägt das Datum: 01.01.1949). Von Joseph Beckmann sind übrigens auch gepfefferte plattdeutsche Gedichte gegen den Krieg überliefert, was angesichts der vorherrschenden Themenstellungen in der heimatlichen Mundartdichtung wirklich als etwas „Besonderes“ hervorgehoben werden kann.

Gegen Ende der Weimarer Republik organisiert Alfons Rode, der spätere Ehemann Irmgard Rodes, im Rahmen der katholischen Liga in Münster den Saalschutz für Versammlungen, der sich gegen die zunehmenden Gewaltstörungen durch Nazi-Krawallmacher richtet. Rode, der promovierter Jurist ist, wird ab 1933 von den Nationalsozialisten an einer regulären Berufslaufbahn gehindert und darf nur als Gerichtssekretär arbeiten. Nach kurzen Stationen in Rietberg und Lippstadt kommt es 1937 zur Niederlassung in Meschede. Dies ist das Jahr, in dem Irmgard und Alfons Rode geheiratet haben.

Kommunalpolitikerin der ersten Stunde – Hilfe für Flüchtlinge aus Schlesien

Ab Ende 1940 und auch noch nach Niederwerfung des Nationalsozialismus muss Irmgard Rode als Mutter von drei Kindern in Meschede ohne ihren Mann die Familie durch den Alltag bringen. Umso mehr erstaunen die Nachrichten über ihre öffentliche Wirksamkeit in jener Zeit. (Hierzu zählt auch der Hinweis auf eine Mitarbeit bei der Versorgung von verwundeten Soldaten in einem Lazarett, das man gegen Kriegsende in den Gebäuden der Benediktiner eingerichtet hatte.)

Im Nachruf der Stadt Meschede wird 1989 nachzulesen sein: „Als Frau der ersten Stunde besaß sie bereits unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg das Vertrauen der damaligen britischen Besatzung. Noch bevor die Besatzer im Jahre 1948 erste freie Kommunalwahlen zuließen, beriefen sie die Verstorbene in die damalige Stadt- und Amtsvertretung Meschede. Beiden Vertretungen gehörte sie vom Zusammenbruch im Jahre 1945 bis zum Jahre 1948 an. In unermüdlichem Einsatz setzte sie sich Zeit ihres Lebens für die sozial Schwachen und die internationale Völkerverständigung ein.“

Ab 1946 kommen über Meschede viele tausend Flüchtlinge aus dem Osten ins Hochsauerland. Nach ihrer Ankunft am Bahnhof erfolgt zunächst die Unterbringung in einem denkbar primitiven Barracken-Lager auf den Ruhrwiesen. Irmgard Rode erlebt, wie bei Dunkelheit eine große Gruppe Schlesier aus dem Zug aussteigt: „Ich fühlte mich da angetrieben, etwas zu tun. Irgendwie erschütterte mich das Schicksal dieser Menschen, und ich war sozusagen eine freiwillige Helferin, die sich bemühte, ihnen zu helfen, ihre Situation zu bewältigen.“ Rode besorgte Ausstattungen für die denkbar primitiven Barracken-Lager auf den Ruhrwiesen und organisierte zusammen mit den Flüchtlingen schlesische Kulturabende. Sehr bald initiierte sie am Ort auch einen Kindergarten in Selbsthilfe-Trägerschaft von Eltern.

Internationale Begegnungsarbeit und Einsatz für die Kinder

In einer 2000 erschienenen Darstellung der Frauengeschichtswerkstatt Meschede wird das Beispiel der frühen Stadträtin Irmgard Rode als seltene Ausnahme gewürdigt: „Ihr ungewöhnliches Engagement bewirkte auch, dass sie als einzige Frau im Frühjahr 1949 für eine Delegation des Landes Nordrhein-Westfalen ausgewählt wurde, die in der für ihre intensive Selbstverwaltung bekannten Stadt Coventry die dortigen Formen der kommunalen Selbstverwaltung kennenlernen sollte. Die übrigen vier Mitglieder der Delegation waren Männer aus den verschiedensten Landesteilen Nordrhein-Westfalens, die alle mit der Demokratie in England vertraut gemacht werden sollten.“

Dass Meschede später ein bedeutsamer Schwerpunkt der internationalen Versöhnungsarbeit und des Jugendaustausches geworden ist, hängt aufs engste mit den Initiativen Irmgard Rodes zusammen. Sie war Leitgestalt der „Freunde der Völkerbegegnung“ und maßgebliche Initiatorin eines Internationalen Kinderhauses in der Kreisstadt. Dieses Kinderhaus begann als Nachhilfenetzwerk für Schüler aus sogenannten Gastarbeiterfamilien. Die Einrichtung eines festen Domizils erfolgte später ohne Genehmigung, fast als eine Art Hausbesetzung. Das Jugendamt kam zur Kontrolle vorbei, lobte das Projekt und empfahl die Einrichtung einer weiteren Gruppe.

Die praktische Hilfe für Menschen und Kinder mit beeinträchtigten Bildungschancen reichte weit in das familiäre Leben hinein. Aus einer Veröffentlichung des Jahres 1975 geht hervor, dass das Mescheder Ehepaar Rode „in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren neben eigenen Kindern mehr als 40 sozialbenachteiligte, schwierige Kinder und Jugendliche über Monate oder Jahre aus eigener Initiative bei sich aufgenommen hat“.

Sehr sensibel hat Irmgard Rode übrigens schon beim frühesten Einsetzen des Neoliberalismus wahrgenommen, wie in den Medien destruktive, die Gesellschaft nachhaltig beschädigende Inhalte – wie „Kult der Waffe“, „Kampf jeder gegen jeden“ und fehlende Empathie – immer mehr Raum bekamen. Heute würde man sich wünschen, es gäbe noch ein paar wirkliche „Konservative“, die ähnlich klar sehen wie vor drei Jahrzehnten diese Linkskatholikin.

Antifaschistin und Pax Christi-Pionierin

Nachdem im Frühjahr 1947 unweit von Meschede ein Massengrab von kurz vor Kriegsende ermordeten sowjetischen Zwangsarbeitern aufgefunden worden war, errichteten Mitglieder eines katholischen Männerkreises – darunter Georg Heidingsfelder und Albert Stankowski – ein Sühnekreuz zum Gedenken an das Verbrechen. Dieses Zeichen stieß in der Kleinstadt Meschede auf erbitterten Widerstand einflussreicher Kreise. (Die Rekonstruktion der NS-Massaker und die jahrzehntelange Geschichte der Aufrichtung, Schändung, Vergrabung, Bergung und Wiederaufrichtung des Sühnekreuzes wird in Kürze in einer weiteren Dokumentation nachlesbar sein.) Den Eheleuten Rode war es seit den frühen 1960er Jahren ein Herzensanliegen, jüngeren Christen von den Hintergründen des Sühnekreuzes zu erzählen. Irmgard Rode und ihr Mann haben entscheidenden Anteil daran, dass sich in Meschede am Ende doch nicht das Programm einer Verleugnung der Verbrechen des Faschismus durchsetzen konnte. Keine Anfeindung von rechten Kräften konnte sie in ihrem Engagement beirren.

Die Internationale Katholische Friedensbewegung pax christi geht zurück auf einen französischen Gebetsaufruf zur Versöhnung noch aus der Zeit vor Ende des 2. Weltkrieges. Die deutsche Sektion wurde im April 1948 begründet auf einem Friedenskongress in Kevelaer. Im Vorfeld hatte Pater Franziskus Stratmann Irmgard Rodes Vater Joseph Beckmann in einem Brief um inhaltliche Zuarbeit bezogen auf das Themenfeld „Kraft der Gewaltfreiheit“ gebeten. Irmgard und Alfons Rode, beide überzeugte Pazifisten und Gegner der Wiederaufrüstung, waren pax christi von Anfang an verbunden.

Die pax christi-Bewegung hatte in ihrer Frühzeit allerdings keineswegs ein so ausgeprägtes friedenspolitisches Profil wie der – nach 1945 nur für kurze Zeit wieder ins Leben gerufene – Friedensbund deutscher Katholiken (FdK). Im Bistum Paderborn sorgten besonders auch Mitglieder aus dem Sauerland, einer ehemaligen Hochburg des FdK, für entschieden pazifistische Standorte. Zu diesen zählten neben Josef Rüther (Brilon) auch die mit dem Publizisten Georg Heidingsfelder verbundenen Mescheder Ehepaare Stankowski und Rode.

Meschede taucht in den Paderborner Bistumschroniken von pax christi immer wieder als Wohnort ermutigender Friedenskatholiken auf, so für die Phase eines Neuanfangs nach 1959 und in Zusammenhang mit den bundesweit ausstrahlenden, sehr politischen Entwicklungen ab den 1970er Jahren. Dr. Alfons Rode gab seiner Frau „finanziellen und moralischen Rückhalt bei der Bewältigung ihrer vielfältigen sozialen Aufgaben“ (Westfälische Rundschau 1987). In pax christi war er darüber hinaus selbst von Anfang an engagiert.

„Im Jenseits brauchen wir die Bergpredigt nicht mehr“

Zur Mescheder Friedenswoche im November 1981 schrieb Irmgard Rode: „Diese Woche ist bundesweit eingerichtet worden als Angebot der evangelischen Kirche, und es haben sich Teilgruppen [!] der Katholiken zum Mitwirken bereit erklärt. […] Der Weg des Friedens ist ein mühsamer und ungewöhnlicher Weg, ohne Marschmusik und Heldenehrung, ohne Kommandos und lautstarke Töne. Aber er ist ein neuer Aufbruch in eine neue Richtung. Bisher ging alles in Richtung Stärke und Macht. Der Friedensweg geht in Richtung Verständigung, Selbstlosigkeit und Brüderlichkeit im Sinne des Evangeliums.“

Irmgard Rode war sehr froh, dass die sauerländische Kreisstadt damals von Anfang an erfasst wurde von der neuen Bewegung für Frieden und Abrüstung. Besser als viele Berichte der Lokalpresse gibt ein Beitrag aus der Kirchenzeitung „Der Dom“ (1983) ihre klare Haltung in den Auseinandersetzungen der 1980er Jahre wieder:

„Aktuelle Probleme kann man nicht übergehen.“ Die Botschaft der 72jährigen ist schlicht und doch so umstritten: „Schluß mit dem Rüstungswahnsinn.“ Als Sprecherin der Pax-Christi-Ortsgruppe Meschede koordiniert sie Friedenswochen und -veranstaltungen, steht selbst hinter Info-Ständen und wirbt neue Mitglieder. „Es gibt derzeit nichts wichtigeres als den Kampf gegen immer neue Raketen“, sagt sie. Diese Aussage klingt fast abgeklärt, wenn sie aus ihrem Mund kommt. Die Erfahrung zweier Weltkriege schwingt da mit. […] Da „wieder einmal an der Rüstungsspirale gedreht werden soll“, geht sie für ihre Meinung auch auf die Straße.

Der Kirchenzeitungsredakteur Michael Plöger erkennt den inneren Zusammenhang des mitmenschlichen Engagements in der Biographie von Irmgard Rode: „>Entlaufene Zöglinge< aus dem Heim in Marsberg, fanden bei ihr Aufnahme und eine Atmosphäre der Geborgenheit. Sie verhandelte mit den Ärzten und führte mit den Erziehern pädagogische Diskussionen. Hinter Mauern eingesperrte Menschen, Erziehung mit der Strafzelle, das ging damals ebenso gegen ihr Menschenbild wie die Waffenarsenale der Großmächte heute. […] Zu finden ist sie, wo der Wind den Menschen ins Gesicht bläst.“ Zum Vorschein kommt eine Christin, die die Botschaft Jesu auf das leibhaftige Zusammenleben der Menschen und die Zukunftsfragen der Zivilisation bezieht:

Den Streit der Theologen und Politiker über die Frage, ob denn die Bergpredigt für das diesseitige oder das jenseitige Leben geschrieben sei, tut sie mit einer Handbewegung ab: „Für das Jenseits? Dann brauchen wir sie nicht mehr!“ Sie bezeichnet sich als Pazifistin, obwohl dieser Begriff fast schon als Schimpfwort gebraucht wird. – Dabei weiß sie um ihre Grenzen: „Ich kann nicht sagen, daß ich diese Einstellung auch von jedem anderen erwarte. Und schon lange kann ich dem Soldaten nicht seinen guten Willen absprechen.“ Ja, man müsse die Botschaft der Bergpredigt ernst nehmen und gemeinsam darüber reden, aufeinander hören. „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“, meint sie.

Dass es Irmgard Rode wirklich in keiner Weise um Parteipolitik ging, ist erwiesen. Den jungen Christdemokraten Andreas Evers, der freilich ein Gegner von Rüstungswettlauf, Atomwaffen und Atomkraftwerken war, förderte sie in ihrem letzten Lebensjahrzehnt als Leiter der pax christi-Gruppe Meschede. Bei jungen Linken in Meschede war sie gut gelitten. Dass Irmgard Rode selbst Mitglied der sozialdemokratischen Partei gewesen ist, haben viele Menschen erst durch einen Nachruf des SPD-Ortsvereins Meschede erfahren. Gegenüber einer staatlichen Ehrung hatte die christliche Pazifistin entschiedene Vorbehalte. „Als man ihr zum 70. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz verleihen wollte, lehnte sie dankend ab: >Ich arbeite für den Frieden und nicht für einen Orden!<“ (Westfalenpost 1987)

Ein Gedanke zu „„Politik: Das Leben zum Guten wenden“ – Im Internet ist die Biographie der streitbaren katholischen Pazifistin Irmgard Rode (1911-1989) erschienen.“

  1. Während sich dann eine große Mehrheit 1933 feige den Mitläufern (und Tätern) zugesellte,

    Rode, der promovierter Jurist ist, wird ab 1933 von den Nationalsozialisten an einer regulären Berufslaufbahn gehindert und darf nur als Gerichtssekretär arbeiten. Nach kurzen Stationen in Rietberg und Lippstadt kommt es 1937 zur Niederlassung in Meschede.

    Frage eines an Regionalgeschichte interessierten Banausen:
    Hatte Herr Schmitt http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt ne Karte im Spiel?

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