Medienkritik: “Das stand doch in der Zeitung!”

Die Zeitung ist zufällig, der Leser nicht (foto: paparazzi)
Die Zeitung ist zufällig, der Leser nicht (fotoarchiv: paparazzi)

“Das kam doch im Radio!” – also muss es auch genau so gewesen sein. Das Vertrauen vieler Menschen in die Qualität der Berichte der “herkömmlichen” Medien ist immer noch sehr hoch. Aber auch im Sauerland ist bei Medienberichten Vorsicht geboten. Trifft der Inhalt wirklich zu?

(Der Artikel ist gestern in ähnlicher Form zuerst auf der Website der Sauerländer Bürgerliste erschienen.)

Dass die Qualität der Berichte mitunter sehr dürftig ist, wurde in den letzten Tagen wieder aus Berichten heimischer Medien im Zusammenhang mit einer Sitzung des Briloner Stadtrates deutlich.

So meldete ‘Radio Sauerland’ am 04.02. um 10:30 Uhr: “Die Stadt Brilon prüft, ob das Haus Hornig in Gudenhagen-Petersborn als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden kann.” [http://www.radiosauerland.de/sauerland/lokalnachrichten/lokalnachrichten/archive/2016/02/04/article/-56274ebb6d.html]

Aber bereits am Tag vorher hatte der Briloner Stadtrat mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, für dieses nicht mehr als Hotel und Gaststätte genutzte Gebäude kein Kaufangebot abzugeben. Die CDU-Fraktion wollte in diesem Ortsteile nicht so víele Flüchtlinge haben…
Zum Zeitpunkt der Meldung von Radio Sauerland war die Absicht der Stadtverwaltung also längst überholt, was sich mit einfacher Recherche hätte herausfinden lassen.

Nicht besser war die Berichterstattung der ‘Westfalenpost’. Es ging hier um eine Aufforderung an den Bürgermeister, einen Beschluss des Briloner Rates zu beanstanden. In der WP war am 06.02. u.a. zu lesen, dass ein Mitglied der Fraktion der Briloner Bürger-Liste (BBL) im Rat “mit Anträgen zu namentlichen Abstimmung und zum Ausschluss der Öffentlichkeit gescheitert war”. “Auf zweieinhalb Seiten listet er fünf vermeintliche Verstöße gegen kommunalpolitische Spielregeln auf.” [http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-brilon-marsberg-und-olsberg/buergermeister-soll-beschluss-beanstanden-aimp-id11534313.html#plx1561884076]. Alles nur nebensächliche Formalien?

Der WP-Redakteur war in der Ratssitzung am 03.02. selbst anwesend und ihm lag der komplette Text der Beanstandungsaufforderung vor; aber er hat nicht erkannt, worum es wirklich geht. Die BBL hatte keine namentliche Abstimmung beantragt und hat selbstverständlich auch keinerlei Bedarf, irgendwo von sich aus die Öffentlichkeit auszuschließen. Aber wenn der Chef der Stadtwerke eine Tochtergesellschaft (nur) für den überregionalen Onlinevertrieb von Strom und Gas gründen will, dann muss er auch sagen, für welche Zielgruppen diese Gesellschaft tätig werden soll und wie sie sich Wettbewerbsvorteile gegenüber ca. 1.200 anderen Anbietern in Deutschland verschaffen will. Auch sollte klar werden, wo die 300.000 Euro Startkapital herkommen sollen. Diese und viele weitere Fragen blieben offen. Zum Gesellschaftsvertrag durfte kein einziger Änderungsantrag gestellt werden, und notwendige Abstimmungen fanden nicht statt. Das sind dann nicht nur “vermeintliche Verstöße”, sondern schwerwiegende inhaltliche Mängel. Die Aufforderung zur Beanstandung wurde von allen 4 in der Sitzung anwesenden Ratsmitgliedern der 3 “kleinen” Parteien unterstützt, und der Bürgermeister hat den Beschluss mittlerweile tatsächlich beanstandet, so dass das Thema am 18.02. erneut im Rat auf der Tagesordnung steht. Das hätte man auch in der Tageszeitung fundierter darstellen können.

Fazit:
Nicht alles, was in „den Medien“ berichtet wird, ist tatsächlich so gewesen. Und wer sich genauer informieren möchte, könnte weitere Quellen hinzuziehen.

3 Gedanken zu „Medienkritik: “Das stand doch in der Zeitung!”“

  1. Pflichtlektüre auch für die Lokaljournalisten, aus Gründen:

    „Zuletzt hörten wir, die Presse habe „gelogen“, weil sie die Nationalität von Beschuldigten nicht (oft genug) genannt hat. Ein absurder Vorwurf! Und noch alberner, dass die Journalistenverbände sogleich geschworen haben, ihre „Kodexe“ zu ändern, damit in Zukunft auf keinen Fall mehr „manipuliert“ werden könne! Das nenne ich: kollektives Einknicken vor „der Straße“, ihr Helden der Washington Post!“

    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-02/medien-luegenpresse-strafrecht-journalismus-fischer-im-recht/komplettansicht

  2. Neues in der Westfalenpost:

    „Bürgermeister Dr. Bartsch (SPD) ist dem Antrag von BBL-Stadtrat Reinhard Loos gefolgt und hat den Ratsbeschluss zur Gründung einer Energie-Vertriebsgesellschaft der Stadtwerke AöR beanstandet. Der Beschluss, so heißt es in der Vorlage zur Sonderratssitzung am kommenden Donnerstag (17.30 Uhr, Kolpinghaus) sei „unter einem Verstoß gegen die Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse der Stadt Brilon“ zustande gekommen.“

    http://www.derwesten.de/wp/staedte/nachrichten-aus-brilon-marsberg-und-olsberg/ratsbeschluss-beanstandet-aimp-id11561873.html

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