Marion bei den Mexis, letzter Teil und Schluss: „Es gibt Aufforderungen, denen man ohne Widerspruch nachkommt.“

Dieser Artikel ist der letzte(?) Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Eine kleine mehrjährige Blog-Epoche geht zu Ende. Vielen Dank, Marion. Viel Spaß beim Lesen!

Diesen fantastischen Blick hat man vom Aussichtspunkt "Rückgrat des Teufels" im Bundesstaat Durango. Und der saß uns im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken. Denn das, was hinter uns war, dürften wir nicht fotografieren: Angehörige eines Kartells. Und die waren auch der Grund, warum ich den Ausblick nicht so richtig geniessen konnte. (fotos: koerdt)
Diesen fantastischen Blick hat man vom Aussichtspunkt „Rückgrat des Teufels“ im Bundesstaat Durango. Und der saß uns im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken. Denn das, was hinter uns war, dürften wir nicht fotografieren: Angehörige eines Kartells. Und die waren auch der Grund, warum ich den Ausblick nicht so richtig geniessen konnte. (fotos: koerdt)

Hola a todos!

„Die Landschaft dürft ihr fotografieren. Uns aber nicht!“

Es gibt Aufforderungen, denen man ohne Widerspruch nachkommt. Besonders dann, wenn derjenige eine Waffe trägt, der das fordert.

Das Reisemagazin „México desconocido“ –übersetzt „unbekanntes Mexiko“- hatte uns in diesen Winkel des Landes geführt. All die Jahre in Mexiko sind wir oft den Tipps des Magazins gefolgt und haben damit sowohl Tops als auch Flops erlebt. Jetzt also hatten wir die Durango-Ausgabe in der Hand.

Eine wahre Geisterstadt heute - der Hollywood-Glanz ist längst von den Fassaden gebröckelt. Eine Filmkulisse in der Nähe von Vicotria de Durango, wo John Wayne zahlreiche Western gedreht hat.
Eine wahre Geisterstadt heute – der Hollywood-Glanz ist längst von den Fassaden gebröckelt. Eine Filmkulisse in der Nähe von Vicotria de Durango, wo John Wayne zahlreiche Western gedreht hat.

Durango ist nicht gerade der Bundesstaat, den man als gemeiner Tourist so ansteuern würde, da es weder Paradiesstrände noch archäologische Stätten gibt. Dafür entschädigen aber fantastische Landschaften mit bizarren Felsformationen. Nicht umsonst hat John Wayne hier zahlreiche seiner Filme gedreht. An der touristischen Aufarbeitung mangelt es jedoch, obwohl laut „México desconocido“ ganz in der Nähe der Bundesstaathauptstadt Victoria de Durango gleich zwei Filmkulissen zum Besuch einladen. Die zu finden stellt jedoch eine Herausforderung dar: Denn Hinweisschilder gibt es nicht. Erst nachdem man durch ein etwas verfallenes Dorf gefahren ist, kommt eine Straße, die mal als Kulisse gedient hat. Tatsächlich bietet jemand in Cowboy-Tracht Filme an: Das sind allerdings DVD-Raubkopien und wir haben Mühe, ihm zu erklären, dass wir die nicht mitnehmen dürfen. Sein weiteres Angebot: aus dem Internet kopierten Film-Fotos. Zu essen und zu trinken gibt es nichts und nach fünf Minuten fährt man wieder. An dem anderen Ort gibt es zwar ein Restaurant, aber eine Bedienung taucht nicht auf. Eine Westernshow wird zwar angekündigt, findet aber nicht statt.

Nordwestlich von Victoria de Durango erstreckt sich die Sierra Madre Occidental, ein rund 1500 Kilometer langer Gebirgszug, der im US-amerikanischen Arizona beginnt und bis zum Bundesstaat Guanajuato reicht. Entlang der Mex 40 gibt es eindrucksvolle Gebirgsformationen. Das Magazin hat dazu noch einen besonderen Tipp: Nicht auf der Bezahlautobahn nach Mazatlán zur Küste fahren, sondern auf der Bundesstraße durchs Gebirge. Kurvenreich geht es auf rund 2800 Meter. Dort soll es einen besonderen Aussichtspunkt geben: „El Espinazo del Diablo“ – „das Rückgrat des Teufels“. Als wir am frühen Abend auf den kleinen Parkplatz halten, steht da eine Camioneta. Hinten auf den Lieferwagen hocken rund zehn Männer. Zwei stehen am Zaun vor der Böschung und pinkeln. Ihnen ist es offensichtlich unangenehm, als wir mit unseren Kameras aus dem Wagen springen. Hastig schließen sie ihren Hosenlatz. Wir grüßen noch freundlich, bevor wir an den Rand treten. Dann der zweite Blick: Die Männer sehen allesamt ziemlich abgerissen aus, die Vermutung, es seien Landarbeiter aus den umliegenden Dörfern, die am frühen Abend in ihre Siedlungen zurückkehren, schwindet völlig, als wir die geschulterten Gewehre sehen. Und das sind keine einfachen Jagdgewehre, das sieht sogar ein Laie wie ich. Das sind zum Teil Maschinengewehre, Kalaschnikows, manche haben auch noch einen Patronengürtel geschultert. Dann der Hinweis: „Die Landschaft dürft ihr fotografieren. Uns aber nicht!“

Ich wende meinen Blick ab und denke nur noch „weg, weg, weg“. Ich klicke zweimal hastig in die Gegend und husche dann wieder zum Auto. Ducke mich ein wenig auf dem Beifahrersitz, die Männer auf der Ladefläche schauen weg. Der Lieferwagen hat kein Kennzeichen, dafür aber an der Heckfläche einen Aufkleber mit einer nackten Frau. Dann rasen wir davon. Keiner von uns beiden sagt etwas. Ich schaue immer wieder von oben ins Tal und frage mich, wann wir endlich zu einer Ortschaft bzw. zur Autobahn kommen. Ich will nur weg aus diesem Gelände. Nach zwei Stunden erreichen wir die Autobahn und ich bekomme wieder das trügerische Gefühl einer Sicherheit.

Uns war ziemlich schnell klar, dass das keine Kleinkriminellen waren. Die hätten uns ja mal einfach so über den Haufen schießen und den Wagen klauen können. Sondern eben Mitglieder eines Kartells. Auf dem Weg zu einer Aktion oder von einer Aktion.

Der Polizei haben wir den Vorfall nicht gemeldet und leider hat die Nachricht aus Iguala im Bundesstaat Guerrero das auch mal wieder bestätigt: Dort soll die Polizei Ende September demonstrierende Studierende der Landwirtschaftsschule aus Ayotzinapa an Kartelle ausgeliefert haben. Wahrscheinlich sind alle 43 verschwundenen Studenten in der Nähe von Iguala ermordet und in Massengräbern verscharrt worden. Niemand weiß, wer mit wem kooperiert.

Frau mit Hüten vor Leguan am Strand von Mazatlán. Eine Erinnerung bleibt: Mexiko hat eben immer mehr als eine Facette.
Frau mit Hüten vor Leguan am Strand von Mazatlán. Eine Erinnerung bleibt: Mexiko hat eben immer mehr als eine Facette.

Das war der letzte Teil von „Marion bei den Mexis“. Nach viereinhalb Jahren bin ich nun nach Deutschland zurückgekehrt.

Ich hoffe, ich konnte einige Eindrücke jenseits der deutschen Berichterstattung aus Mexiko vermitteln. Vor allen Dingen den, dass es in Mexiko neben dem in den deutschen Medien immer wieder hilflos bemühten Begriffs des „brutalen Drogenkriegs“ noch so viele andere Facetten im Land gibt, die hier keinen Nachrichtenwert haben. Ich gebe zu, dass dieser Teil genau das konterkariert. Aber mit Widersprüchen lebt man eben: hier und dort.

Na ja, bedarf nicht keiner Worte. Das war der letzte Teil und ich bedanke mich bei allen, die meinen Spuren in Mexiko hier auf Hannes Seite gefolgt sind.
Na ja, bedarf nicht keiner Worte. Das war der letzte Teil und ich bedanke mich bei allen, die meinen Spuren in Mexiko hier auf Hannes Seite gefolgt sind.

Muchos saludos,
Marion

2 Gedanken zu „Marion bei den Mexis, letzter Teil und Schluss: „Es gibt Aufforderungen, denen man ohne Widerspruch nachkommt.““

  1. Liebe Marion,

    vielen Dank für Deine tolle Serie. Wir haben noch mal nachgeschaut: im November 2010 ist der erste Teil erschienen:

    http://www.schiebener.net/wordpress/?p=9945

    Unvergessen auch unsere jährlichen Redaktionskonferenzen. Was soll aus denen nun werden?

    Wir warten jetzt jedenfalls sehnsüchtig auf die neue Serie: „Marion bei den Jecken“ 😉

    Muchas Gracias

    Hannes

  2. Liebe Marion,

    vielen Dank für die kleinen mentalen Fernreisen nach Mexiko, Guatemala, Belize und wo Du uns sonst hingeführt hast. Deine Berichte werden mir fehlen!
    Für Deinen „Neueinstieg“ in Deutschland wünsche ich Dir viel Erfolg.
    LG Gabi

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