Guckt selbst: I, Daniel Blake

Abaton Kino: Gleich geht es los. (fotocollage: zoom)

Ken Loach hat mich mit seinen „sozialkritischen“ Filmen von den Studentenzeiten bis heute begleitet. Mal wurden seine Werke im Metropolis, mal im Abaton gezeigt.

In den Hauptkinos selten bis gar nicht.

Wer will sich auch schon das Schicksal der Unterschichten aus linker Weltsicht auf Breitwand angucken? Dieser überhöhte Gestus des guten schlechten Menschen? Trotzkistisches Revoluzzertum? Laienschauspieler eingestreut?

Heute habe ich mir „I, Daniel Blake“ im Abaton Kino in Hamburg angeschaut. Es war ein überraschend guter Film. Auch diesmal ist Ken Loach immer sehr nah dran an den Charakteren, auch diesmal entfaltet er die Message vom guten Menschen im Elend, der sich den Schneid vom System nicht abkaufen lässt.

Ich hatte mir überlegt, ob ich mir einen solchen Film überhaupt anschauen soll. Der Inhalt in Umrissen geht so:

„Danny Blake ist jetzt fast 60. Er hat seine Frau verloren und erholt sich nur langsam von seinem Herzinfarkt. Der Arzt rät ihm, nicht mehr als Zimmermann auf dem Bau zu arbeiten. Also geht Daniel auf’s Amt und trägt seinen Fall vor. Doch was anfangs nicht so schlecht aussieht, wird immer komplizierter. Die Ämter schicken Daniel von Hü nach Hott. Der Mann wird ohne eigenes Zutun zwischen den Instanzen zerrieben.

Daniel gibt nicht auf und wartet Stunden und Tage auf den Ämtern. Dort lernt er auch Katie kennen, eine junge Mutter mit zwei Kindern. Schnell sieht er, da? sie noch schlechter dran ist. Vielleicht hilft es, einen Teil des Wegs gemeinsam zu gehen?

Ken Loach hat nach fünfzig Jahren noch einmal richtig zugelangt. In seinem emotionalsten Film seit langem stellt er das Leben der „kleinen Leute“ in den Mittelpunkt und das in zwei wirklich starken Geschichten. Dafür gab es in Cannes die Goldene Palme.“

Quelle: http://www.abaton.de/index.htm?115183

Das sagt alles und nichts. Eher nichts. Im Film wird die Bürokratie des Arbeitsamts wie ein Kafkaeskes Schloss gezeichnet. Es ist Ken Loach gelungen, die Unbarmherzigkeit der Sozialbürokratie zu entblößen und zu entblöden. Er zeigt, wie Menschen in einem scheinbar funktionierenden unmenschlichen System funktionieren. Ein Tribut an Hannah Arendt?

Gleichzeitig gibt es den guten Menschen, hier Daniel Blake. Er vereinigt in sich viele Eigenschaften, die wir auch gerne hätten. Selbstlosigkeit, Scharfsinn, Empathie, Aufrichtigkeit.

Es kommen vor: Prostitution, Markenklau, das Internet, die Tafel, Mobbing und Shoplifting.

Wie in vielen Filmen von Ken Loach sind die bösen Menschen zwar nicht die Guten, aber besser als wir sie uns vorstellen.

Am Anfang des Films habe ich gelacht, später geschmunzelt, dann zaghaft die Faust gereckt und am Schluss eine Träne vergosssen.

Guckt selbst.

8 Gedanken zu „Guckt selbst: I, Daniel Blake“

  1. schon die Illustration „Abaton Kino: Gleich geht es los“ sieht nach „Klassenkampf“ aus: Dritt-Klässler beim Druckschrift üben … (gefällt mir!)

  2. @ zoom

    schon „Fuocoammare“ gesehen?

    Ein anderer „Tabu“-Film: will ich soviel Elend sehen? Nein.

    Und dann hat das Schicksal für mich entschieden … ich gehe ziemlich oft zum „Cinemaperitvo“ im Kino Babylon, wo italienische Filme gezeigt werden, und anschließend – beim „Aperitif“ – diskutiert werden. Und am Ende gibt es immer eine Verlosung für eine Freikarte für den nächsten Film. Zweimal hatte ich schon gewonnen, aber als es hieß: „Nächsten Sonntag dann ‘Fuocoammare’“, habe ich gedacht: „Nein! Heute bitte nicht!“

    Klar, was passierte: „Schicksal“. Wenn ich die Karte gewinne, dann MUSS ich auch hingehen … und:

    „Fuocoammare“ war richtig gut. Als Film. Sehr gut gefilmt. Und natürlich hat er einem die Menschen nahe gebracht. Sehr nahe. Manchmal unerträglich nahe: dann war ich erleichtert, als es einen Schnitt gab, und der Film wieder das Alltagsleben in Lampedusa zeigte – als Parallelhandlung – durchatmen …

  3. @ zoom

    ich hab ja überlegt, ob ich einzelne Szenen beschreiben soll:

    Nein. Das Bild ist viel stärker!

    So auch hier, Zitat aus dem Tagesspiegel: „Ein paar Meter weiter, in der Auffangstation von Lampedusa: Menschen in Not, sie kommen von Bord des Seenotrettungsschiffs, eingehüllt in goldglitzernde, knisternde Kälteschutzfolien.“

    „goldglitzernde, knisternde Kälteschutzfolien“: da ist mehr, als diese spröden Worte auszudrücken vermögen …

    Die Kritik des Tagesspiegels teile ich nicht, Zitat: „(…) Dennoch stimmt etwas nicht bei dieser engagierten Produktion, für die der Regisseur ein Jahr auf Lampedusa lebte, allein einen Monat auf dem Rettungsschiff Cigala Fulgosi zubrachte und mit kleinstem Team arbeitete – er selbst führte die Kamera. Irgendwann fragt man sich, ob die zwei Welten auf der kleinen Insel tatsächlich nie in Kontakt geraten. Hat Samuele nie einen Flüchtling gesehen, denkt er nie über sie nach? (…)“

    Ein Film – auch ein Dokumentarfilm – ist immer eine Entscheidung, kann nie ALLES zeigen.

    Wie Gianfranco Rosi für „Fuocoammare“ entschieden hat, ist sehr beeindruckend …

  4. Bei der folgenden Nachricht von tagesschau.de ist mir schlecht geworden:

    http://www.tagesschau.de/ausland/libyen-fluechtlinge-113.html

    „EU-Kooperation mit Libyen

    „Gefährlich naiv oder zynisch“

    Trotz chaotischer Zustände und massiver Menschenrechtsverletzungen in Libyen, vereinbart die EU eine stärkere Kooperation mit dem Bürgerkriegsland. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das als zynisch. Die Pläne würden die Situation noch verschlimmern (…)“

    Was schildern die Geretteten in „Fuocoammare“?

    Was sie in Libyen erleidet haben …

    Wenn Du das gesehen hast, dann …

  5. P.S.: in Libyen ERLITTEN haben – mein Sprachzentrum hat schlapp gemacht …

    ( es gibt schlimmeres, mal den Film anschauen … )

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